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Bündnisse schmieden Aktuelle Ausgabe Nr. 73, 15. Oktober 2024

Bündnisse schmieden

Überall werden Mauern hochgezogen, Grenzen dicht gemacht, Kriege geführt, Menschenrechtsverletzungen normalisiert. Autoritäre und faschistische Kräfte erstarken, Arbeitskämpfe und andere kollektive Proteste werden, vielfach gewaltsam, ausgebremst. Die Mieten steigen und die Armut auch. Als wäre das nicht genug, zeitigt die Klimakrise immer dramatischere Folgen. Alle scheinen sich gleichzeitig im Klaren darüber zu sein, dass es so nicht weitergehen kann, dass man aktiv werden muss.

Rhetorisch steht immer schon die Revolution vor der Tür, zumindest für linke Bewegungen. Neben unserem Widerstand ist die Utopie einer besseren, gerechten Welt – die Überwindung der kapitalistischen Verhältnisse im Ganzen – seit jeher unsere treibende Kraft. Doch seltsamerweise wollen sich die Knoten nicht lösen lassen. Vielmehr ist das Gegenteil der Fall: Die multiplen Krisen verschärfen sich permanent! Und obwohl wir uns alle in Gruppen, Kollektiven, Bündnissen, Parteien, Gewerkschaften und vielen anderen Zusammenhängen abrackern, scheint es innerhalb der politischen und gesellschaftlichen Linken einen Stillstand zu geben, egal ob im bürgerlich eingehegten oder im radikalen Spektrum. Scheinbar kämpfen wir gegen Windmühlen. Die Ernüchterung ist Vielen anzumerken, eine kollektive Aufbruchsstimmung weit und breit nicht in Sicht. Wir fühlen uns politisch ohnmächtig und gelähmt – und greifen uns nicht zuletzt noch gegenseitig an.

Doch was ist eigentlich das Problem? Warum ist es heute so schwierig, eine breite Bewegung auf die Beine zu stellen? Wie kam es neben den aktuellen Verwerfungen auch zu unserer Bewegungskrise? Eine Antwort, die sowohl aus den eigenen Reihen als auch aus der links-liberalen Ecke kommt, lautet, dass man die Errungenschaften der Aufklärung und des Universalismus aus dem Blick verloren hätte, man nicht mehr das große Ganze sehen würde, sondern nur noch in vereinzelten Kleinstgruppen partikulare Interessen von Minderheiten verhandele. Dabei kommt es oft zur Konfrontation von Identitätspolitik versus Klassenkampf, und als Strukturproblem wird der alte Witz von den Linken, die sich spalten, ausgepackt. Es gäbe keine Diskussionskultur mehr und man würde nicht effizient arbeiten. Beinhaltet dieser Vorwurf vielleicht auch ein Körnchen Wahrheit? Fehlt uns eine produktive Diskussionskultur? Sind wir schlecht organisiert? Spaltungen sind sicher so alt wie die Linke selbst, aber die hochgradige und in Teilen feindselige Ausdifferenzierung hat sich in den letzten Jahrzehnten immer weiter zugespitzt.

Wenn wir in die aktivistischen Bewegungen hineinzoomen, dann sehen wir zwar auch eine ganze Reihe von linken Erfolgen, wie beispielsweise erfolgreiche Arbeitskämpfe oder Nachbarschaftsorganisierungen, aber angesichts der multiplen Krisen, vor denen wir stehen, wirken diese Erfolge oft wie Tropfen auf dem heißen Stein. Zeitgleich zerfallen etliche Organisationen oder Gruppen, fragmentieren sich immer weiter oder hören ganz mit der politischen Arbeit auf. Die Pandemiejahre taten ihr Übriges für den Rückzug ins Private. Eine allgemeine Hoffnungslosigkeit macht sich breit, ein Gefühl, überlastet zu sein und sich permanent zu verausgaben.

Es stellt sich also die Frage: Was tun? Wie können tragende strategische Bündnisse heute aussehen? Unter welchen Bedingungen müssten diese organisiert werden? Wenn wir nach einem neuen Kollektivsubjekt suchen, aber stets nur komplexe polyzentrische Netzwerke finden, bröckeln dann heute ganz grundlegend gesellschaftliche Strukturen, auf deren Boden so viele Bündnisse der Vergangenheit entstanden sind? Wie können wir den Fokus auf das lenken, was uns verbindet, anstatt auf das, was uns trennt? Wie lassen sich Räume für gemeinsame Debatten schaffen und damit auch eine neue Grundlage für gemeinsame Kämpfe? Wie schafft man es dabei, unterschiedliche politische Ziele auszuhalten und nicht auseinander zu fallen? Und welche größere Vision würde ein Bündnis zusammenhalten?

Es geht in der Oktober 2024-Ausgabe um Fragen nach (neuen) Bündnissen und großen linken Strategien, um (Un-)Möglichkeiten gemeinsamer Organisierung und linker kollektiver Praxis aus Sicht unterschiedlicher politischer Traditionen. Weil uns die Erfahrungen der jüngeren Zeit dabei besonders interessieren, haben wir dieses Mal gleich drei Interviews geführt. Unsere Rezensionen beleuchten weitere Aspekte eines kollektiven Politikverständnisses oder gemeinsamer Kämpfe – auch, weil das Ringen um eine radikale Umwälzung der Verhältnisse sich zu einer immer drängenderen Notwendigkeit entwickelt, an deren Realisierung wir besser gemeinsam arbeiten.

Viel Freude beim kritischen Lesen!

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