Die Einlösung eines Versprechens
- Buchautor_innen
- Philipp Hanke
- Buchtitel
- Revolution in Haiti
- Buchuntertitel
- Vom Sklavenaufstand zur Unabhängigkeit
Der Befreiungskampf der Sklaven auf Haiti führte schon im Jahr 1804 zum ersten unabhängigen Staat in der Karibik – mit Auswirkungen bis heute.
Mit der Unterzeichnung der haitianischen Unabhängigkeitserklärung im Jahr 1804 erfüllte sich ein Traum – ein Traum von der Freiheit. Die Revolution in Haiti, bis 1804 französische Kolonie, setzte die in Europa ebenfalls hart umkämpften Ideen von der Gleichheit und Freiheit aller Menschen radikal um. Die Revolutionär_innen auf der karibischen Insel wiesen den europäischen Kolonialismus, die Sklaverei und das Konzept von Rassismus zurück. Der „einzige erfolgreiche Sklavenaufstand der Weltgeschichte“ (S. 69) erschien damals unglaublich und revolutionärer als ihr Ursprung - die Französische Revolution - gewesen zu sein. Er ist aber auch ein Grund, warum der Inselstaat heute noch immer eines der ärmsten Länder ist, so die These des von Philipp Hanke veröffentlichten Bandes.
Vorgeschichte der Revolution
In acht Kapiteln stellt der Autor die Vorgänge in der damaligen französischen Kolonie in den Kontext der Entwicklungen der Französischen Revolution. Die in den politischen Clubs von Paris entstandenen Ideen von gleichen Rechten für alle Menschen sind zentraler Ausgangspunkt für den Befreiungskampf der Sklav_innen auf Haiti und in letzter Konsequenz verantwortlich für die Gründung des ersten unabhängigen Staates in der Karibik. Hanke zeichnet nach, wie die Gespräche in Paris nach dem Revolutionsjahr 1789 direkten Einfluss auf das Leben in der Kolonie nahmen und wie sich das Versprechen der Menschenrechte, trotz der zahlreichen Versuche der Kolonialist_innen, dies zu verhindern, über den Atlantik verbreitete. Er geht der Frage nach, wie sich „die Sklaven trotz rigider Unterdrückungsmechanismen organisieren“ (S. 63), wie sie Erfolge erringen konnten und von welchen Motiven und Vorstellungen die Revolution geprägt war. Das Spannungsfeld zwischen Kolonie und Metropole zieht sich dabei wie ein roter Faden durch den 13 Jahre andauernden Konflikt.
Der Autor möchte „einen Anstoß“ geben, „sich umfassend mit den Ereignissen auseinander zu setzen“ (S. 9) und bezieht dabei neuere Forschungen und Analysen mit ein. Die Revolution in Haiti hebt so die Begrenztheit und vielleicht auch die Verlogenheit der als universell postulierten Versprechen der Französischen Revolution heraus, die für Versklavte insgesamt und auch für europäische Frauen keinen Bestand haben sollten. Im weiteren Verlauf des Buches wird chronologisch die transatlantische Reise der 1789 entstandenen Déclaration des droits de l’homme et du citoyen (Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte, das Dokument der französischen Revolutionäre) und die politischen Haltungen der verschiedenen, an dem sich immer weiter hochschaukelnden Konflikt beteiligten Gruppen skizziert.
„Zentrum der schwarzen Karibik“
Die Menschen auf der Insel Hispaniola - Ende des 17. Jahrhunderts zwischen Frankreich und Spanien aufgeteilt - gehörten nach ihrer „Entdeckung“ 1492 zu den ersten Opfern des europäischen Kolonialismus. Nach fast 300 Jahren transatlantischen Sklavenhandels galt die Nordprovinz des französischen Teils der Insel (Saint Domingue) als das „Zentrum der Schwarzen Karibik“ (S. 50). Unter der Herrschaft von 30.000 (französischen) Kolonisten, fast gleich vielen kreolischen Pflanzer_innen – Hanke nutzt hier den Begriff zur Beschreibung von Menschen afrikanisch-europäischer Abstammung –lebten eine halbe Millionen Sklav_innen afrikanischer Herkunft. Die indigene Bevölkerung wurde in den Jahrhunderten zuvor systematisch ausgerottet. Saint Domingue war eine „absolute Sklavengesellschaft“ (S. 33), aber keine einfache Zweiklassengesellschaft, wie Hanke anhand der besonderen Stellung der Kreolen zeigt. Diese konnten als Pflanzer sogar Plantagenbesitzer werden und zu bedeutendem Reichtum kommen, litten jedoch unter dem Rassismus der Kolonialist_innen. Sie konnten nicht in die herrschende Klasse aufsteigen und keine politischen Ämter besetzen. So konnten sie zwar Reichtum anhäufen und damit auf eine gewisse Art und Weise auch Macht. Jedoch blieben ihnen die Privilegien der weißen Kolonialist_innen verwehrt.
Der Funke der Freiheit
Die Debatten über die Rechte aller Menschen in der französischen Metropole waren für die profitorientierte und auf Sklaverei fußende Kolonialwirtschaft natürlich abträglich. In Paris bildeten sich daher Lobbygruppen, die eine politische Diskussion über die Kolonien gerne vermeiden wollten. Doch die Versprechen der Revolution hatten den Weg zu den Kreolen in Saint Domingue bereits zurückgelegt. Die Wohlhabendsten unter ihnen konnten es sich leisten, mit dem Schiff nach Frankreich zu reisen. Dort versuchten sie, für ihre Rechte und für politische Partizipation zu streiten: „Es waren wohl die zunehmende rassistische Diskriminierung und die Bestrebung, für die eigenen Rechte in der Metropole einzustehen [...]“ (S. 56), die sie nach Paris zog. Doch dort war nichts zu gewinnen, die Koloniallobby war einstweilen zu einflussreich. Zurück in Saint Domingue sollten die Rechte nun mit den Waffen in der Hand durchgesetzt werden. Der erste von dem Kreolen Vincent Ogé durchgeführte Aufstand wurde niedergeschlagen. Ogé floh auf die spanische Seite der Insel, wurde ausgeliefert und gerädert. Doch Ogés Strategie, den schwarzen Sklaven die Freiheit zu versprechen, um die Weißen zu besiegen, war der Funke, der das Feuer entfachte. Die Idee der Déclaration fand ihren Weg zu den Sklav_innen.
Herrschaft und Gesellschaft
Die Erkenntnis der Kreol_innen und der Sklav_innen afrikanischer Herkunft, dass ihr Kampf gegen die Unterdrückung ein gemeinsamer Kampf ist, war ebenfalls ein entscheidender Faktor für den Erfolg der Aufstände gewesen. Der Kult des Voodoo bot einen „emotionalen Raum, der ihnen [den afrikanischen Sklaven und den Kreolen] Identität und Zugehörigkeit vermittelte“ (S. 66) und spielte bei der Planung und der Organisation eine wichtige Rolle. Die Zeremonien, von Voodoo-Priesterinnen geleitet, fungierten als Rückzugs- und Organisationsräume. Die Kolonialist_innen verboten zwar Versammlungen, aber hielten die vermeintlich religiösen Zeremonien für ungefährlich. So hält sich hartnäckig der Mythos, dass die Revolution bei einer spirituellen Praxis einer Voodoo-Zeremonie ihren Ursprung gehabt haben soll. Letztendlich konnte dies aber bis heute nicht zweifelsfrei belegt werden.
Für die mit Arbeitsgerät bewaffneten Sklav_innen war es in Folge ein leichtes, die Plantagen zu übernehmen und sich selbst zu befreien. Der Kriegserfahrung eines signifikanten Teils der Sklav_innen ermöglichte ihre rasche militärische Organisation und schon bald standen einige tausend Sklav_innen unter Waffen. Doch der revolutionären Bewegung schlossen sich längst nicht alle an. Manche Sklav_innen weigerten sich, manche verteidigten ihre Herren. Diejenigen, die sich den aufständischen Selbstbefreiten nicht anschließen wollten, wurden angegriffen und ihre Wortführer_innen getötet. Doch die zeitgenössischen Darstellungen der Aufständischen als blutrünstige Horde, die alles und jeden tötete – eine vereinfachende Gegenüberstellung von Sklav_innen und Kolonist_innen – wird, so macht Hanke deutlich, den Vorgängen nicht gerecht.
Heftige Gegenreaktionen der Metropole blieben nicht aus. Hanke zeigt, wie die Aufstände auf Haiti in Wechselwirkung mit den Entwicklungen in Europa stehen. Auf der Insel entwickelt sich ein Bürgerkrieg, der die Revolutionäre in das Hinterland zwingt – die „blutigste Phase der Revolution“ (S. 137). Von gelandeten französischen Truppen angerichtete Massaker begründeten den Übergang eines in der Forschung eher als Bürgerkrieg wahrgenommenen Konfliktes hin zum einem Krieg um die Unabhängigkeit. Die angerichteten Massaker verstärkten die Wut auf die Kolonialist_innen und wirkten wie ein Katalysator auf den Konflikt. Gab es zuvor durchaus eine Art fragilen Frieden zwischen weißen und schwarzen Teilen der Bevölkerung wurde die Hautfarbe nun zu einem entscheidenden Faktor. Die Wut der ehemaligen Sklav_innen entlud sich nicht selten auf die weiße Bevölkerung, da diese für jegliche Unterdrückung stand.
Revolution
Die befreiten Sklav_innen, die sich, um das Erbe des europäischen Kolonialismus zurückzuweisen, „Armee der Einheimischen“ (S. 142) nannten, standen unter Waffen, waren gut organisiert und zermürbten mit Guerilla-Taktiken die französischen Truppen. Der militärische Sieg war der Garant für die kommende Unabhängigkeit: Die Tricolore wurde durch eine rot-blau gestreifte Flagge ersetzt, um symbolisch die weißen Kolonialist_innen auszuschließen. Der Bruch mit dem Kolonialismus sollte sichtbar sein. Unterstützt durch eine Seeblockade Großbritanniens, das sich seit 1803 wieder mit Frankreich im Krieg befand, scheiterte die Metropole und die ehemalige Kolonie erklärte 1804 ihre Unabhängigkeit. Die neue Verfassung schaffte die Sklaverei auf Haiti für immer ab: „Nie wieder sollten die Bürgerinnen und Bürger Haitis kolonisiert und versklavt werden“ (S. 147). Auch vor dem Gesetz sollten die Menschen gleich und frei in ihrem Glauben sein. Mit einer (fast) kompromisslosen Gleichheit der Männer war diese Verfassung revolutionär und „ist die erste Verfassung, die nicht nur die Sklaverei aufhebt, sondern auch Rassismus aufhebt, indem alle Bürger der Nation als Schwarze bezeichnet werden.“ (S. 147) Schwarz und Weiß beschreiben nunmehr keine Hautfarbe, sondern wurden als politische Kategorien wahrgenommen und abgeschafft. Weiße wurden kurzerhand zu Schwarzen erklärt. Frauen, obwohl das öffentliche Leben bestimmend und im Krieg wichtige Beitragende, waren jedoch von politischer Partizipation ausgeschlossen. Leider erklärt Hanke hier nicht warum und geht auch sonst recht marginal auf die Rolle der Frauen ein.
Die Erklärung der Unabhängigkeit brachte Haiti die politische und wirtschaftliche Ächtung der europäischen Kolonialmächte. Ausschlaggebend für die Armut Haitis soll die 1825 an Frankreich gezahlte Reparation, wohlgemerkt für die eigene Unabhängigkeit, gewesen sein. Die Summe begründete die lähmende Auslandsverschuldung Haitis. Doch der eigentliche Grund, nämlich die koloniale Welt, in der ein schwarzes Haiti als Provokation betrachtet, mit paternalistisch-rassistischen Diskursen verbunden, ausgebeutet und besetzt wurde, findet keinen Eingang in den Band. Philipp Hanke zeigt dennoch auf prägnante Weise, wie die Idee von Freiheit und Gleichheit den Weg über den Atlantik machte und eine unterdrückte Gesellschaft sich selbst befreite. Die Bedeutung der Haitianischen Revolution kann kaum hoch genug eingeschätzt werden.
Revolution in Haiti. Vom Sklavenaufstand zur Unabhängigkeit.
PapyRossa Verlag, Köln.
ISBN: 9783894386375.
158 Seiten. 13,90 Euro.