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Die Grenzen kommunistischer Literatur

Buchautor_innen
Tanja Röckemann
Buchtitel
Die Welt, betrachtet ohne Augenlider
Buchuntertitel
Gisela Elsner, der Kommunismus und 1968

Eine Studie über die Schriftstellerin Gisela Elsner ist ein Stück linke Literaturgeschichte sowie Kritik der BRD der 1970er und 80er Jahre.

„In der Bundesrepublik findet Zensur statt. Diese Zensur ist insofern schwer nachzuweisen, als sie nicht offen, sondern verdeckt vonstattengeht […]. Bei dieser Zensur handelt es sich um eine freiwillige Selbstzensur der Redakteure, Lektoren, Herausgeber oder Verlagsdirektoren.“ (S. 88)

Das schrieb die Schriftstellerin Gisela Elsner 1986 in einem Brief mit dem Titel „Fragebogen, die Literaturzensur Bundesrepublik Deutschland seit 1945 betreffend“, der in dem Buch „Im literarischen Ghetto, Kritische Schriften 2“ abgedruckt ist, in dem verschiedene Texte von Elsner dokumentiert sind. Damals war Elsner schon 9 Jahre Mitglied der Deutschen Kommunistischen Partei (DKP) und war darüber hinaus auch als Schriftstellerin bekannt. Das ist heute anders. Viele kennen Elsner höchstens aus dem Film „Die Unberührbare“ von 2000, in dem ihr Sohn Otto Röhler sie in der von Hannelore Elsner dargestellten Figur Hanna Flanders als drogenabhängige Salonkommunistin darstellt. Umso erfreulicher, dass die Wissenschaftsredakteurin Tanja Röckemann im Verbrecher Verlag ein Buch herausgebracht hat, das dem Leben und Wirken der Schriftstellerin Gisela Elsner gerecht wird. „Um Elsner als organisierter Kommunistin und der politischen Natur ihres literarischen Werks Rechnung zu tragen, konstituiert sich die vorliegende Studie maßgeblich entlang der politischen Landschaft der Bundesrepublik“ (S. 9), beschreibt Röckemann in der Einleitung ihre Herangehensweise.

Kritischer Blick auf sozialdemokratische Herrschaft und Macht

Bekannt wurde Gisela Elsner als Schriftstellerin mit dem Roman „Das Berührungsverbot“ 1970. 1973 folgte im Bertelsmann-Verlag der Roman „Herr Leiselheimer und weitere Versuche, die Wirklichkeit zu bewältigen“. 1977 veröffentlichte Elsner den Roman „Der Punktsieg“ im Rowohlt-Verlag. Dort wird auch 1980 ihr Roman „Abseits“ veröffentlicht, der im gleichen Jahr im Verlag Volk und Welt in der DDR herauskommt. Auch Elsners Roman „Die Zähmung“ erscheint 1984 und 1986 in beiden Verlagen. 1988 erscheint unter dem Titel „Gefahrensphären“ Elsners einziger Essayband. In ihren Schriften legte Elsner ein besonderes Augenmerk „auf die sozialdemokratischen Varianten von Herrschaft und Macht“ (S. 37) zitiert Röckemann Matthias Meyer.

Röckemann lässt in ihrem Buch die BRD durch den kritischen Blick von Elsner vor uns wiederauferstehen. Bei der Lektüre wird deutlich, wie viel linke Geschichte in den letzten Jahrzehnten verschütt gegangen ist. Das wird schon bei dem Eingangszitat deutlich. Wenn heute von Zensur die Rede ist, denken natürlich alle sofort an die DDR. Dass es Reglementierungen kritischer Literatur auch in der BRD gegeben hat, wird als alte DDR-Propaganda abgetan. Schließlich singen heute auch einst linke Intellektuelle das Hohelied auf die ach so freiheitliche Demokratie der BRD, die mit dem Fall der Mauer in ganz Deutschland gesiegt habe. Wer da noch Zweifel äußert, wird schnell als ewiggestrig an den Rand gestellt. Da ist es umso erfreulicher, dass Röckemann in ihrem Buch auf die Diskussionen eingeht, die in den 1970er Jahren nicht nur in linksradikalen Kreisen über Zensur und Berufsverbote, mitunter über die massive Einschränkung der Demokratie in der BRD, geführt wurden. Mitte der 1980er Jahre allerdings, in der Zeit also, in der Elsner über Zensur und Selbstzensur in der BRD schreibt, hatte sich der Wind bereits gedreht. Viele Ex-Linke hatten mit den Verhältnissen in der BRD ihren Frieden gemacht oder sich im sektiererischen linken Zirkelwesen eingeigelt. Elsner urteilt mit scharfer Polemik. So schreibt sie in einem Brief an Chris Hirte, der als Lektor des Verlags Volk und Welt auch für die DDR-Ausgaben von Elsners Büchern zuständig war, im Jahr 1986:

„Der mörderischen, nihilistischen Anarchie des Imperialismus, der immer deutlicher einen dritten Weltkrieg anpeilt, setzen die außerparlamentarisch revoluzzernden, auf die schiefe Bahn geratenen Kleinbürgersöhne, Bürgersöhne, Künstler und Intellektuellen sowie die heimatlosen Linken, die bislang in einer nur minimalen Weise Kontakt zur Gewerkschaftsbewegung und zur Arbeiterklasse erreichen konnten und deshalb, einschließlich der kleinbürgerlich-pazifistischen Friedensbewegung, zur Erfolgslosigkeit determiniert sind, die gedanklichen Schwachstellen des Anarchismus entgegen.“ (S. 18)

Abgesehen von ihrer traditionskommunistisch unreflektierten Anarchismusschelte handelt es sich um eine politisch sehr klarsichtige Polemik. Elsner hatte aber schon Jahre vorher wenig Vertrauen in das Milieu der westdeutschen Linken. Auch ihre Einschätzung der deutschen Friedensbewegung der 1980er Jahre war viel ernüchternder aber auch realistischer als die propagandistischen Lobeshymnen, die damals von der DKP und ihren Medien zu hören waren. Ihre Kritik äußerte Elsner in Briefen an Genoss*innen wie Ronald M. Schernikau, aber auch an den langjährigen DKP-Vorsitzenden Herbert Mies. Deshalb hatte Elsner auch ihre Probleme mit der DKP, denen Röckemann ein eigenes Kapitel widmet. Im Juni 1989 trat Elsner sogar aus der DKP aus, nur um diesen Schritt 4 Monate später wieder rückgängig zu machen. Elsner wollte sich nach dem Fall der Mauer nicht mit den Vielen gemein machen, die damals der DKP oder linker Politik insgesamt den Rücken kehrten.

Kein Umweg über die SPD

Schließlich hatte Elsner auch keine Umwege über die Sozialdemokratie genommen, wie Röckemann betont. Damit unterschied sie sich von vielen Kurzzeit-Linksradikalen, die ihre politische Sozialisation mit Wahlkampfhilfe für den SPD-Kanzlerkandidaten Willy Brandt begonnen hatten und nach einigen Jahren wieder zur SPD zurückkehrten. „Schon die früheste Äußerung, die vonseiten Gisela Elsner über die Sozialdemokratie dokumentiert ist, fällt negativ aus“ (S. 21), schreibt Röckemann.

Weil sie eben nicht zu denen gehörte, die ihren politischen Opportunismus zur politischen Tugend verklärten, bekam Elsner bald Schwierigkeiten im Literaturbetrieb. So handelt Röckemanns Buch auch von den Grenzen, die einer kommunistischen Schriftstellerin in der BRD der 1980er Jahre gesetzt wurden. Akribisch geht sie auf den Umgang des Rowohlt Verlags mit Elsner ein. Zunächst wurde die Autorin mit ihren Romanen wie „Das Berührungsverbot“, „Der Punktsieg“ und „Abseits“ bei Rowohlt sehr willkommen geheißen. Doch Röckemann zeichnet nach, wie sich der Konflikt zwischen Autorin und Verlag zuspitzt, bis sie 1986 gekündigt wurde. Als der Verband der Schriftsteller in dem Konflikt vermitteln will, wird das von der Leitung des Rowohlt-Verlags brüsk zurückgewiesen. Es gehe „nicht um die literarische Qualität von Elsners Werk“, sondern um „andere Dinge zwischen Elsner und dem Rowohlt-Verlag, die ich ihnen nicht darstellen möchte“ (S. 130), zitiert Röckemann aus einem Schreiben des Rowohlt-Chefs Michael Naumann. Wie stark die Verlagskündigung Elsner auch finanziell traf, zeigt ein Brief, den sie an ihren Freund und Genossen Ronald M. Schernikau im Oktober 1986 schrieb: „Ich stehe wirklich vor dem Nichts. Seit Tagen kann ich kaum gehen, weil meine Knie butterweich sind.“ (S. 131) Nach dem Rausschmiss bei Rowohlt konnten die DDR-Verlage die Verluste etwas ausgleichen. Elsner gehörte zu einer Reihe deutschsprachiger Autor*innen aus der BRD, der Schweiz und Österreich, deren Bücher in der DDR verlegt wurden. Auf die Rezeption von Elsner im Osten geht Röckemann in mehreren Kapiteln ausführlich ein. Doch nach dem Mauerfall verlor die Schriftstellerin auch diese Einnahmequelle.

Zäsur – Ende der DDR

Röckemann macht aber auch deutlich, dass das Ende der DDR für Elsner eine viel fundamentalere Zäsur war. 1990 löst Elsner ihre Wohnung in München auf und macht sich auf den Weg nach Berlin. Doch bald gibt sie ihre Umzugspläne auf und kehrt zurück nach München. „In der DDR bestand für mich die Gefahr, dass man mich ins Irrenhaus einliefert“, schreibt sie im August 1990 an Schernikau. Röckemann bezeichnet Elsner wie Schernikau als sperrige Kommunist*innen. Beide waren Mitglieder der DKP und dabei durchaus Kritiker*innen des offiziellen Parteikurses. Schernikau ließ sich noch im Herbst 1989 in die DDR einbürgern und verteidigte auf dem letzten Schriftstellerkongress im März 1990 in einer vielbeachteten Rede den Kommunismus, aber nicht die Politik der SED. Elsner machte im Herbst 1989 ihren Austritt aus der DKP rückgängig. Beide überlebten die DDR nur kurz. Schernikau starb am 20. Oktober 1991 in Berlin an Aids, Gisela Elsner verübte am 13. Mai 1992 Selbstmord. Schernikau wurde in den letzten 30 Jahren im Theater und Radio wiederentdeckt. Es wäre zu wünschen, dass Gisela Elsner wieder mehr gelesen wird. Röckemanns Buch trägt hoffentlich dazu bei.

Tanja Röckemann 2024:
Die Welt, betrachtet ohne Augenlider. Gisela Elsner, der Kommunismus und 1968.
Verbrecher Verlag.
ISBN: 978-3-95732-605-8.
405 Seiten. 29,00 Euro.
Zitathinweis: Peter Nowak: Die Grenzen kommunistischer Literatur. Erschienen in: Kein Mensch ist eine Insel – oder doch? 76/ 2025. URL: https://kritisch-lesen.de/s/tAYdM. Abgerufen am: 17. 07. 2025 09:25.

Zum Buch
Tanja Röckemann 2024:
Die Welt, betrachtet ohne Augenlider. Gisela Elsner, der Kommunismus und 1968.
Verbrecher Verlag.
ISBN: 978-3-95732-605-8.
405 Seiten. 29,00 Euro.