Wider das deutsche Asylregime

- Buchautor_innen
- Women in Exile (Hg.)
- Buchtitel
- Breaking Borders to Build Bridges
- Buchuntertitel
- 20 Jahre Women in Exile
Die bewegende Dokumentation erzählt von Widerstand, Solidarität und dem Kampf um Sichtbarkeit und gibt Einblicke in 20 Jahre feministische und antirassistische Selbstorganisation.
Vor mehr als 20 Jahren schlossen sich geflüchtete Frauen* aus verschiedenen Lagern in Brandenburg zusammen, um die feministische und antirassistische Initiative Women in Exile zu gründen. Ihr Ziel: sich gegen ihre Mehrfachdiskriminierung im deutschen Asylsystem mithilfe von Selbstorganisation und Empowerment aufzulehnen und auf die geschlechterspezifische Situation von geflüchteten Frauen* in Deutschland aufmerksam zu machen. Denn diese werden, so Women in Exile, systematisch aus gesellschaftlichen und politischen Diskursen ausgeschlossen. Umso wichtiger ist es also, ihre sozialen Realitäten und politischen Kämpfe sichtbarer zu machen. Dabei fielen Women in Exile immer wieder mit besonderen Aktionsformen auf: Ob 2014 mit einer Bootstour durch ganz Deutschland, als Zeichen gegen die Unterbringung von geflüchteten Frauen* in Lagern, oder einem dreitägigen Sommeraktionscamp auf dem Oranienplatz in Berlin – Women in Exile wissen, wie man politische Aufmerksamkeit generiert. Heute bietet die Initiative vor allem Workshops und Seminare an.
Die bewegte Geschichte von Women in Exile (seit 2011: Women in Exile and Friends) dokumentiert der Jubiläumsband mit dem Titel „Breaking Borders to Build Bridges“, der 2022 zunächst als englischsprachige Ausgabe zum zwanzigjährigen Bestehen der Initiative bei edition assemblage erschienen ist. Zwei Jahre später folgte aufgrund hoher Nachfrage die deutschsprachige Übersetzung von Lilli Buchmann und Josefine Haubold.
Politische Kämpfe und feministische Vernetzung
In vier Teilen dokumentiert der Band die beeindruckende Geschichte der politischen Kämpfe und Kampagnen des Zusammenschlusses. Er gibt auch ausreichend Raum für persönliche Erfahrungsberichte und Reflexionen von geflüchteten Frauen* und ihren Unterstützer*innen, den sogenannten Friends; seit 2011 können sich nämlich auch Frauen* ohne Fluchtgeschichte bei der Initiative aktiv und solidarisch für die Rechte geflüchteter Frauen* engagieren. „Breaking Borders to Build Bridges“ ist somit eine außergewöhnliche Dokumentation feministischer und antirassistischer Selbstorganisation, die politische Kämpfe gegen Patriarchat und strukturellen Rassismus sowohl aus kollektiver als auch persönlicher Perspektive betrachtet.
Wie der Titel bereits mehr als klar macht, ist die politische Arbeit von Women in Exile (and Friends) seit jeher vom Prinzip der intersektionalen Solidarität geprägt. Es ist der Initiative besonders wichtig, Brücken zu verschiedenen politischen Gruppen aufzubauen und Safer Spaces für geflüchtete Frauen* zu schaffen. Heutzutage arbeitet Women in Exile and Friends mit einer Vielzahl von politischen Gruppen zusammen. Doch diese solidarische Vernetzung musste hart erarbeitet werden, der Zusammenschluss musste verschiedene Grenzen aufbrechen. Als Initiative entstand Women in Exile zunächst als Abgrenzung zu anderen Selbstorganisationen, die die geschlechterspezifische Situation geflüchteter Frauen* ausblendeten. Auch dem Grenzregime sowie der Residenzpflicht der deutschen Asylpolitik, das es geflüchteten Menschen verbietet, sich außerhalb von Kommunal- und Landesgrenzen zu bewegen, haben sich Women in Exile kontinuierlich widersetzt, um mit geflüchteten Frauen* außerhalb von Brandenburg und Berlin in Kontakt zu treten und sich mit anderen feministischen Organisationen zu vernetzen.
Warum Women in Exile notwendig wurde
Wie man im ersten Teil des Sammelbands erfährt, gründete sich die Initiative 2002 aufgrund der mangelnden Berücksichtigung der Lebensrealitäten geflüchteter Frauen* in politischen Selbstorganisationen von geflüchteten Menschen. So erinnert sich die Mitbegründerin Bethi:
„Der Kampf gegen […] Flüchtlingsgesetze wird in der Regel von gemischt-geschlechtlichen selbstorganisierten Flüchtlingsorganisationen getragen. Diese werden unserer Erfahrung nach oft von Männern dominiert, die Frauen*-Themen für zweitrangig halten.“ (S. 26)
Geflüchtete Frauen* sind eben nicht nur von dem strukturellen Rassismus des deutschen Asylregimes betroffen, sondern erfahren auch darüber hinaus geschlechterspezifische Gewalt auf der Flucht und in den Lagern. Insgesamt arbeiten Women in Exile mit einem transinklusiven Frauenbegriff – eine weiterreichende Auseinandersetzung mit der Situation queerer Geflüchteter lässt der Sammelband jedoch vermissen. Die Bedeutung der Arbeit von Women in Exile schmälert das indes nicht.
Ihre politische Arbeit war zu Anfang notwendigerweise vor allem mit dem Empowerment und der politischen Aufklärung von geflüchteten Frauen* beschäftigt. Zwischen 2002 und 2009 besuchte die Initiative verschiedene Lager in Brandenburg, um mit weiteren Frauen* zu sprechen und sie zu empowern. Florence, eine weitere Mitbegründerin von Women in Exile, beschreibt dies so:
„Ziel […] war es, die Frauen dort zu treffen, wo sie lebten, uns die Probleme, die sie als Frauen hatten, anzuhören, mit ihnen gemeinsam Lösungsstrategien zu entwickeln und unsere allgemeinen Lebensbedingungen zu verändern.“ (S. 60)
Dazu gehörte beispielsweise der gemeinsame Kampf gegen diskriminierende Gesetzgebungen wie die Residenzpflicht und das Gutscheinsystem in Brandenburg, die die Bewegungsfreiheit und gesellschaftliche Teilhabe geflüchteter Menschen bis heute massiv einschränken. Interessant wäre hier noch ein Vergleich zwischen der Vergangenheit und Gegenwart gewesen, um die aktuelle Situation von geflüchteten Frauen* besser einzuordnen und zu beurteilen. Trotzdem ist vor allem der erste Teil von „Breaking Borders to Build Bridges“ ein wichtiges Zeitdokument, das die politischen Kämpfe geflüchteter Frauen* ausführlich und anschaulich zusammenträgt.
Erfahrungen, Forderungen, Perspektiven
Der Sammelband wird durch eine Vielzahl an Erfahrungsberichten von Mitgliedern der Initiative im zweiten, dritten und vierten Teil ergänzt. Außerdem kommen auch die Friends von Women in Exile zu Wort, die von solidarischen Möglichkeiten zwischen feministischen und antirassistischen Gruppen und geflüchteten Frauen* erzählen. Dabei reflektieren sie Privilegien, Machtverhältnisse innerhalb solidarischer Bündnisse und die Notwendigkeit von Dekolonialisierung und Abolitionismus. Zum Abschluss von „Breaking Borders to Build Bridges“ kann man das Manifest von Women in Exile and Friends und ihre aktuellen politischen Forderungen nachlesen. Zu diesen gehören das Bleiberecht und die Bewegungsfreiheit, die Dekolonialisierung von Bildung und Gesundheit sowie ein weitreichender Abschiebestopp. Es sind Forderungen, die bis heute nicht an Relevanz verloren haben – im Gegenteil. Diesbezüglich fehlt es „Breaking Borders to Build Bridges“ etwas an Übersichtlichkeit, etwa mittels einer handfesten Einordnung zum aktuellen Zeitgeschehen und einer konkreten Analyse der fortschreitenden und erneuten Verschärfung der Asylgesetze. Der Sammelband sollte also vor allem als wichtige Dokumentation einer Bewegungsgeschichte betrachtet werden, ohne den Anspruch zu erheben, einen umfassenden Überblick in die gegenwärtige Situation von geflüchteten Frauen* zu verschaffen.
Breaking Borders to Build Bridges. 20 Jahre Women in Exile. Übersetzt von: Lilli Buchmann, Josefine Haubold.
edition assemblage, Münster.
ISBN: 978-3-96042-182-5.
222 Seiten. 16,00 Euro.