Kein Buch für eine einsame Insel

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- Eine kulturgeographische Erkundung
Die Insel-Metapher zieht sich in unterschiedlichen Facetten durch die menschliche Geschichte. Aber bringt es einen Erkenntnisgewinn, plötzlich überall Inseln zu sehen?
An einem abgeschiedenen Ort sein – klar abgegrenzt von der übrigen Welt. Das meint Werner Kreisel, wenn er von Inseln spricht, auch wenn er das an keiner Stelle expliziert. Stattdessen behält er dies für sich, während er fragt: Warum faszinieren Inseln die Menschen? Wodurch zeichnet sich das Leben auf diesen aus? Wann wird „Insel“ wie als Metapher genutzt? Kreisel lädt ein zu einer wilden Reise durch Inselwelten.
Dafür skizziert er die Geschichte einiger von auf Inseln liegenden Staaten ebenso wie kulturelle und technische Inseln, die sich entweder durch Besonderheiten wie Sprache und Ethnizität oder durch ein besonderes Know-How von der übrigen Welt abheben. Kreisel führt Romane wie Swifts „Gullivers Reisen“ an, in denen Inseln eine besondere Rolle spielen und vieles mehr. Diese Vielfalt in der Betrachtung ist allerdings das zentrale Problem des Buchs. So werden Inseln und „Inseln“ nebeneinander behandelt, die neben dem Begriff im jeweiligen Kontext äußerst wenig gemein haben: Die Geschichte eines Inselstaats könnte sich durchaus in einem Roman über das Inselleben spiegeln, aber die getroffene Auswahl zielt wohl nicht darauf ab. Selbst dort, wo Inseln in ihren ökonomischen Besonderheiten betrachtet werden, verzichtet Kreisel auf den Brückenschlag zu anderen Kapiteln, wie etwa der ersten Besiedlung der jeweiligen Inseln. Dem Autor gelingt es durchgängig nicht, die bestehende begriffliche Gemeinsamkeit (und die zum Teil bestehende inhaltliche) zum verbindenden Element herauszuarbeiten. Er geht von einer Vorstellung von Insel aus, die einem Reisekatalog entsprechen könnte, aber den Inseln und den Menschen, die auf ihnen leben oder diese machen, nicht gerecht wird. Vielmehr wird „Insel“ wiederholt als faszinierend, in unterschiedlicher Hinsicht isoliert und durch räumliche Besonderheiten wie die fehlenden Möglichkeiten zum Ausweichen von Problemen beschrieben. Abgesehen von der beim Autor unzweifelhaft bestehenden Faszination für alle Facetten des Inselbegriffs führen seine Ausführungen durch das Misslingen einer verbindenden Insel-Metapher seinen Versuch einer gegenstandsübergreifenden Beschreibung ad absurdum.
Einsame Inseln gesucht...
Kreisels geopolitische und historische Ausführungen machen zunächst deutlich, dass das Inselleben in Abschottung zur übrigen Welt die Ausnahme und nicht die Regel ist. Während der Autor etwa die „splendid isolation“ des viktorianischen Zeitalters (und ihre vermeintliche Wiederkehr im Brexit) betont und einen Rückzug aus der europäischen Außenpolitik behauptet, erreichte das britische Empire seine größte Ausdehnung und musste sich auch in Europa mit den anderen Großmächten auseinandersetzen. Die Geschichte des Vereinigten Königreichs von Großbritannien und Nordirland – mit der der Autor sein Buch beginnt – ist also gerade keine der Selbstbezüglichkeit.
Auch die Kolonialisierung Irlands wird so bearbeitet, dass es zur Erzählung von Inseln passt. So hätten die Iren sich dieser nicht entziehen können, weil eine Insel nur begrenzten Rückzugsraum biete. Möglicherweise zieht Kreisel hier jedoch einen aus seinem Inselbegriff gespeisten Fehlschluss. Beim Bleiben der Iren handelt es sich hierbei aber eher um eine Frage der Möglichkeit zur Migration, denn mit der großen Hungersnot im 19. Jahrhundert erlebte Irland einen Massenexodus in die USA. Zudem kolonisierten die Briten nicht nur Inseln, sondern Territorien rund um den Globus und lediglich die Buren versuchten, sich dieser Landnahme durch Migration zu entziehen. Die Metapher ist so bereits zu Beginn des Buchs beschädigt.
Die Argumentation ist auch in Hinblick auf „Inseln“ widersprüchlich. So zeichnen die genannten Inseln des Fortschritts und der Wissenschaft sich gerade durch ihr Bemühen aus, ihr Wissen oder die auf ihrem Wissen basierenden Produkte zu verbreiten. Das trifft sowohl auf das Silicon Valley mit dessen kapitalzentrierten Forschungsbemühungen zu, die ausschließlich auf die Erschließung neuer Absatzmärkte abzielen, als auch auf die angeführten mittelalterlichen Klöster. Das in diesen gesammelte Know-How wurde einerseits immer wieder durch weltliche Fürsten abgerufen; zudem strebten die Klöster mit der Missionstätigkeit danach, zumindest ihr theologisches Wissen zu verbreiten.
...und nicht gefunden
Die fehlende begriffliche Schärfe hätte vielleicht negativ hergestellt werden können, indem man betrachtet, was die Inseln umgibt – warum sie sich also als Metapher anbieten und in welchem Verhältnis dies zu ihrer geologischen Rolle steht. So steht der Autor vor dem selbst geschaffenen Problem, überall Inseln zu sehen – in puncto Stadtplanung kommen zu den Universitäten des Fortschritts noch die Inseln des Elends, die Inseln des Luxus und gegebenenfalls die Inseln der Diskriminierung hinzu. Die Metapher ließe sich sicherlich auch noch weiter dehnen – fraglich ist nur, was von der Stadt noch übrigbleibt, wenn sie nur aus Inseln bestünde, und was vom Insularen bleibt, wenn die Inseln von Inseln umgeben sind.
So fasziniert der Autor also ganz offenbar selbst von Inseln in ihren unterschiedlichsten Facetten ist, schlägt sich dies sprachlich kaum nieder. Abgesehen von einigen eher unpassenden moralisierenden Kommentaren zum Beschriebenen liest sich dieses unaufgeregt wie eine Sammlung an Wikipedia-Artikeln. Vielleicht liegt dies daran, dass die Online-Enzyklopädie seine häufigste Quelle ist – geschenkt – aber so half auch der Stil nicht, mich als Leser anzusprechen. Womöglich hätte eine tatsächliche Verbindung zwischen Kreisels Inselwelten hier Abhilfe geleistet. Diese hätte Begeisterung darüber erzeugen können, welche sozialen, historischen, literarischen – vielleicht sogar kulturgeografischen – Dimensionen Inseln haben können.
Werner Kreisel versucht letztlich, unterschiedlichste gesellschaftliche Verhältnisse und Erzeugnisse über verschiedene Epochen hinweg in eine Metapher zu zwingen. Da diese zugleich sein unausgesprochener Ausgangspunkt ist, scheitert er, denn anstelle der wirklichen Inseln – egal ob real oder fiktiv – bleibt ihm nur das Sammeln passender Anekdoten über Inseln. Seine Auswahl bleibt hochgradig selektiv und nicht immer nachvollziehbar – man kann ihm nicht einmal den Vorwurf machen, dass Beispiele herangezogen werden, um die eigene Betrachtungsweise zu untermauern. Sowohl sein Inselbegriff als auch dessen Bearbeitung bleiben damit leider willkürlich.
Inselwelten. Eine kulturgeographische Erkundung.
Springer Berlin, Heidelberg.
ISBN: 978-3-662-66390-5.
358 Seiten. 29,99 Euro.