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Fragmente aus Gaza

Buchautor_innen
Johannes Zang
Buchtitel
Kein Land in Sicht?
Buchuntertitel
Gaza zwischen Besatzung, Blockade und Krieg

Stimmen aus Gaza, verdrängte Zusammenhänge und den Blick auf politisches und kirchliches Schweigen bringt dieses Buch zur Sprache.

Der deutsche Autor Johannes Zang beschäftigt sich schon lange mit Palästina. Besonderes Augenmerk legt er dabei auf die Situation von palästinensischen Christ*innen. Für sein Buch „Kein Land in Sicht? Gaza zwischen Besatzung, Blockade und Krieg“ hat er alle möglichen Fragen zu Gaza zusammengetragen und in über 100 kurzen, meistens nur ein oder zwei Seiten langen Texten beantwortet. Viele davon schildern reportageartig Begegnungen mit Menschen, die in Gaza leben oder aktivistisch mit Gaza verbunden sind.

Er versucht damit, die Auslassungen in der deutschen Berichterstattung aufzudecken und Missverständnisse aufzuklären. Aber vor allem: Die Menschen vor Ort selbst zu Wort kommen zu lassen. Etwa den zum Zeitpunkt eines Gesprächs 26-jährigen Schrottsammler Yousef, dem Zang 2009 begegnet: um seine Frau, seine fünf Kinder und sich selbst einigermaßen über die Runden zu bringen, schuftet Yousef bis zu zwölf Stunden. Harte, körperliche Arbeit für 15 bis 20 Schekel am Tag. „Armut und Gaza kleben seit Jahrzehnten aneinander“, schreibt Zang. Oder die Erzählung mit dem christlichen Taxifahrer Maher aus Süd-Gaza, der von Tunneln zwischen Ägypten und Gaza berichtet.

Die kurzen Kapitel sind jeweils mit einer Frage überschrieben, die sich ganz unterschiedlichen Themen widmen. Sie reichen von Fragen wie „Seit wann darf man kein Obst aus Gaza ausführen?“ über „Was ist der rechtliche Status Gazas nach Abzug der Siedler 2005?“ hin zu „Was war Olaf Scholz vor dem 7. Oktober 2023 über die Menschenrechtslage in den besetzten Gebieten bekannt?“ Es geht um die Entstehung der Hamas, um den Angriff des israelischen Militärs auf die „Mavi Marmara“, ein Schiff der Gaza Freedom Flotilla im Jahr 2010, um unerbittliche Berichte von Ärzt*innen und Erzählungen von freigelassenen israelischen Geiseln.

Zang war 1986 zum ersten Mal in Gaza. Er berichtet davon, dass er sich seitdem dem Land und seinen Menschen verpflichtet fühlt und während der zweiten Intifada (Kampfhandlungen zwischen Israel und Palästinenser*innen im Zeitraum 2000 bis 2005, Anm. Red.) begann, Rundbriefe zu schreiben: „Um die deutsche Öffentlichkeit über das zu informieren, was ich vor Ort erlebt habe – weil ich fand, dass die mediale Berichterstattung in Deutschland der Realität vor Ort nicht gerecht wurde“, wie Zang sagt.

Insgesamt ist der schmale Band weniger ein politisches Buch als ein Buch, das über politische Hintergründe aufklärt. Das breite Themenspektrum und die kurzen Antworten machen „Kein Land in Sicht?“ zu einer Veröffentlichung, in der immer wieder nachgeschlagen und geblättert werden kann. Für Menschen, die sich wenig mit Palästina beschäftigen, ist sicher einiges Neues und Interessantes in diesem Mosaik an Themen dabei – und auch Personen, die die Situation in Gaza intensiver verfolgen, werden noch ein paar bisher unbekannte Geschichten darin finden können.

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Johannes Zang stand vor einigen Wochen dem deutschen Infoportal Occupied News Rede und Antwort. In Absprache mit dem Medienkollektiv nehme ich daraus noch einige Antworten des Autors auf. In ihnen versucht er, die gesellschaftliche und christliche Wahrnehmung in Deutschland und Benennung der genozidalen Gewalt in Gaza in Worte zu fassen.

Occupied News Wie erleben Sie die Berichterstattung über Israel und Palästina in Deutschland?

Johannes Zang Ich nehme sie als extrem einseitig wahr. Viele Medien übernehmen ungeprüft israelische Narrative, während palästinensische Stimmen entweder ausgeblendet oder verzerrt dargestellt werden. Ein Freund von mir nennt das den „Philosemitismus“ vieler Deutscher – ein überkompensierendes Verhältnis zu Israel aus Schuldgefühlen wegen der Shoah. Dazu kommen recht viele Lobbygruppen für Israel, die gezielt Einfluss auf die öffentliche Meinung nehmen. Leserbriefe, die eine differenzierte Perspektive einnehmen, werden oft gar nicht erst veröffentlicht. Ich kenne Menschen, die Dutzende Briefe an große Redaktionen geschickt haben – ohne je eine Veröffentlichung. Ein Interview in der taz zu einer Studie in etwa 60 deutschen Redaktionen gipfelte kürzlich im Fazit: Es herrscht ein „Klima der Angst“ in deutschen Redaktionen.

Wie ordnen Sie den innerkirchlichen Dialog in Deutschland zu Palästina ein?

Viele Christ*innen in Palästina fühlen sich von ihren Glaubensgeschwistern im Westen im Stich gelassen. Es gibt salbungsvolle Worte, aber kaum Taten. Die Kirchenoberhäupter schweigen oft zur Besatzungspolitik oder reagieren mit Pauschalfloskeln. Dabei wäre gerade hier klares Engagement gefragt. Was auch wehtut nicht nur innerhalb der Kirche, sondern auch in der Politik und Gesellschaft – ist eben diese bedingungslose Solidarität mit Israel. Da frage ich mich, ist das jetzt Solidarität mit der Regierung oder mit der Zivilgesellschaft oder mit den Friedensgruppen oder den Menschenrechtsgruppen. Ich habe nach meiner Reise ein Dutzend Briefe an katholische und evangelische Stellen und Komissionen im gesamten deutschsprachigen Raum geschrieben und auf den andauernden Exodus der Christen hingewiesen und zum Handeln aufgefordert. Eine einzige Reaktion kam, von evangelischer Seite. Da hieß es: „Wir betrachten die anhaltende Gewalt im Heiligen Land mit großer Sorge und sind mit unseren Geschwistern der Evangelisch-Lutherischen Kirche von Jordanien und dem Heiligen Land und mit den Vertretern unserer Evangelischen Erlöserkirchengemeinde in Jerusalem im stetigen Austausch dazu. Wie von Ihnen beschrieben nehmen wir den mangelnden Schutz der Zivilbevölkerung in Gaza wahr und weisen in internen Gesprächen darauf hin, dass das Völkerrecht zu wahren ist.“ Auch wieder nur Lippenbekenntnisse. Ich frage mich, welche „internen Gespräche“ das sein sollen.

In Ihrem Buch zitieren Sie Quellen, die von Genozid in Gaza sprechen. Sie selbst verwenden den Begriff darin aber nicht. Wie nennen Sie das, was gerade in Gaza passiert?

Mittlerweile äußern sich auch renommierte jüdisch-israelische Wissenschaftler:innen wie Omer Bartov oder Amos Goldberg in diese Richtung. Ich weiß, dass über 1.000 Familien in Gaza vollständig ausgelöscht wurden. Ich weiß von systematischen Angriffen auf Krankenhäuser, auf Konvois, auf angebliche „sichere Zonen“. Ich weiß von einem, der sage und schreibe 270 Angehörige verloren hat. Für diesen Menschen ist mit Sicherheit die ganze Welt zusammengebrochen. Ich habe am Anfang auch gezögert, aber ich komme immer mehr auch zu diesem Schluss, dass das auf eine Vernichtung und Auslöschung des palästinensischen Volkes abzielt. Und ich finde es anmaßend, wenn Politiker aus sicherer Entfernung solche Begriffe einfach ablehnen.

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Das Interview von Occupied News mit Johannes Zang ist hier nachzulesen.

Johannes Zang 2024:
Kein Land in Sicht?. Gaza zwischen Besatzung, Blockade und Krieg.
Papyrossa Verlag.
ISBN: 978-3-89438-835-5.
279 Seiten. 19,90 Euro.
Zitathinweis: Miri Watson: Fragmente aus Gaza. Erschienen in: Kein Mensch ist eine Insel – oder doch? 76/ 2025. URL: https://kritisch-lesen.de/s/YP8kR. Abgerufen am: 17. 07. 2025 16:54.

Zum Buch
Johannes Zang 2024:
Kein Land in Sicht?. Gaza zwischen Besatzung, Blockade und Krieg.
Papyrossa Verlag.
ISBN: 978-3-89438-835-5.
279 Seiten. 19,90 Euro.