„Die Kritik am Mediensystem schärfen“
- Interviewpartner_innen
- Interview mit Sebastian Bähr
Linke Zeitungen leiden seit Jahren unter rückläufigen Abonnent*innenzahlen. Um eine wichtige Stimme der Gegenöffentlichkeit zu bleiben und linke Bewgungen zu begleiten, braucht es neue Strategien.
kritisch-lesen.de: Du bist in deinem Job sehr nah an sozialen Bewegungen und eben auch an Protesten dran. Kannst du Gegenöffentlichkeit in einer besonderen Form herstellen, weil du die Bewegung aus nächster Nähe dokumentieren kannst?
Sebastian Bähr Als Journalist ist es notwendig, möglichst physisch vor Ort zu sein, um ein authentisches Bild zu bekommen und auch wiedergeben zu können. Man wird nicht alles von der Redaktionsstube aus machen können. Oder zumindest wird man von dort nur einen sehr verkürzten Blick bekommen. In der Praxis gibt es, soweit ich das mitkriege, viele Kolleg*innen, die versuchen, wenn es möglich ist, die Redaktion zu verlassen und ins Geschehen zu gehen. Das ist wichtig, um auch andere Leute daran teilhaben zu lassen und das möglichst auch aktuell. Wenn zum Beispiel in Chemnitz der Nazi-Mob aufmarschiert, liegt eine gefährliche Stimmung in der Luft. Da ist es wichtig, gerade zum Beispiel durch Live-Berichterstattung auch wieder öffentlichen Druck aufzubauen, um Menschen bewusst zu machen, was da gerade geschieht.
Gerade neurechte Bewegungen beanspruchen für sich, Gegenöffentlichkeit zu sein. Hast du einen Umgang damit?
Tatsächlich kann man gar nicht mehr behaupten, dass Gegenöffentlichkeit ein genuin linker Begriff oder eine genuin linke Sache wäre, da es mittlerweile leider eben auch eine rechte reaktionäre Gegenöffentlichkeit gibt beziehungsweise nicht nur eine. Wahrscheinlich müsste man genauer sagen, es gibt sehr viele Gegenöffentlichkeiten, sowohl auf linker als auch auf reaktionärer, rechter Seite. Mein Eindruck ist, dass viele Blasen oft sehr abgeschottet voneinander sind. Aber gerade in den letzten Jahren haben wir mitbekommen, dass es gerade von rechts einen massiven Hass gab, massives Misstrauen gegen etablierte Medien. Auch gegen linke Medien, aber vor allem gegen bürgerliche. Durch die Digitalisierung und die Weiterentwicklung von social media sind viele eigene Angebote entstanden, aber auch große rechte Medien konnten sich etablieren. Ich fürchte, die rechte Gegenöffentlichkeit gibt es und man muss damit einen Umgang finden.
Und wie sieht dieser Umgang aus, oder wie könnte er aussehen?
Die Antwort müsste darin liegen, dass wir als linke Bewegung stark sind und dass wir eigene starke Medien entwickeln, die eine große Aufmerksamkeit erreichen. Auch unsere eigene Kritik am Mediensystem, das uns bestimmte Bedingungen vorgibt, müssen wir schärfen. Wenn zum Beispiel Pegida von der Lügenpresse redet, muss man natürlich dagegen ankämpfen und aufzeigen, was daran reaktionär ist, aber gleichzeitig ist es wichtig, dass wir als linke Bewegung aufzeigen, was in den hiesigen Medien alles falsch läuft – wo Ideologie, Ungerechtigkeiten und ungerechte Machtverhältnisse bestehen. Zum Beispiel managen sehr wenige Millionäre oder Konzerne den Großteil des deutschen Medienbetriebs, sei es Burda, Bertelsmann oder Springer, und natürlich wird dort mehr oder weniger bestimmt, was im Großteil der Republik gedruckt wird und was im Fernsehen läuft. Wenige Konzerne können die öffentliche Meinung hier im Land schon sehr prägen und bestimmen. Aus demokratischer Sicht, aus Sicht von linker Gegenöffentlichkeit, ist das sehr kritisch zu sehen. Auch die großen Tech-Konzerne, facebook, Twitter, haben durch ihre Algorithmen und intransparenten Entscheidungssysteme sehr starken Einfluss darauf, wer gesperrt wird oder nicht, was Leute zu sehen bekommen. Die Entwicklung der social media ließ sehr viel Macht in die Hände der großen Tech-Konzerne wandern, die auch unsere Realitätswahrnehmung bestimmen können.
Welche Veränderung bringen die großen globalen Player für etablierte journalistische Formate? Wie verändern sich die Bedingungen für kritische Berichterstattung?
Durch die Digitalisierung und die Entstehung der sozialen Netzwerke gibt es einen starken Druck auf die etablierten linken Medien, sich anzupassen, im digitalen Raum präsent zu sein und das Digitale in die eigene Arbeitslogik zu integrieren – oder vielleicht sogar die eigene Arbeitslogik primär darauf auszurichten. Natürlich geht es vor allem um Geschwindigkeit, Aktualität und die Möglichkeit, Geschichten auf eine andere, spannende und neue Weise zu erzählen. Aber auch um Präsenz Wer heute nicht auf Instagram ist, ist wahrscheinlich irgendwann nicht mehr relevant für viele Leute. Deswegen muss man das, was man macht, auf verschiedenen Plattformen anbieten und versuchen, dort Interesse und Neugier zu wecken. Und das ist natürlich schwierig, weil es viele Ressourcen voraussetzt. Du brauchst Leute, die sich damit auskennen, die die Logik verstehen, die die Energie haben, die Inhalte auf die jeweilige Plattform zu übersetzen und dort nach den Spielregeln mitzumachen.
Wie ist es um die Zukunft einer Print-Tageszeitung allgemein bestellt? Welche besonderen Kämpfe fechten gerade auch schon jahrzehntelang bestehende Zeitungen wie das nd aus?
Das nd ist auf der einen Seite speziell, auf der anderen Seite hat es auch viele Probleme, wie andere Medien. Wir haben seit 1990 rückläufige Abonnent*innenzahlen. Es ist gar nicht so, dass viele abbestellen. Viele Abonnent*innen fallen aus Altersgründen sozusagen weg. Die Krise hat bei uns schon immer dazu gehört Nichtsdestotrotz kann man feststellen, dass durch die Digitalisierung seit Anfang der 2000er der Druck auf alle Medien, vor allem die Tageszeitungen, enorm gewachsen ist. Anzeigen brechen weg und das Geld verlagert sich ins Internet. Gleichzeitig gibt es auch jüngere Leser*innen, die einfach ein ganz anderes Leseverhalten haben. Ich kenne wenige Menschen unter 40 Jahren, die eine Tageszeitung haben, was uns einfach vor massive Probleme stellt. Wir haben einmal eine Befragung bei unseren Leser*innen gemacht, insbesondere den Jüngeren. Und da sagten viele, sie würden gerne ein Netflix-Modell haben: 10 Euro im Monat zahlen und dafür auf alle möglichen Onlinemedien zugreifen und von allen Artikeln lesen können, die einem gefallen. Das entspräche denke ich dem Medienverhalten jüngerer Leute. Das Problem ist, dass dies im Moment in keinster Weise kompatibel ist mit dem Verlagssystem, das wir haben. Es funktioniert im Moment auch nicht, die ganzen Verlage an einen Tisch zu bringen, selbst die linken nicht. Es gibt Experimente und Versuche, aber da hat sich bisher noch nichts durchgesetzt. So wächst die Prekarität, die ohnehin groß ist. Linker Journalismus als Beruf oder als Profession, für die man bezahlt wird, die man nicht als Hobby betreibt und wo dadurch einen gewissen Professionalitätsgrad erreichen kann, das steht unter massivem Beschuss. Zum einen durch eine Glaubwürdigkeitskrise, aber eben auch durch den ökonomischen Druck. Wir verdienen weit unter Flächentarifvertrag für Tageszeitungen und man muss feststellen, dass einige Kolleg*innen nicht bereit sind, unter diesen Bedingungen Journalismus zu machen. Andere sind es, aber es ist immer die Frage, inwieweit man die Selbstausbeutung in Kauf nimmt und wo die Grenze ist. Wie sind gute Arbeitsbedingungen möglich für diesen Job, den eigentlich alle, die ich kenne, sehr gerne machen? Wie ist es möglich, das langfristig zu machen? Das ist tatsächlich eine sehr schwierige Herausforderung. Unsere Gesellschafter, darunter die Linkspartei, ziehen sich nun aus unserem Unternehmen aufgrund der wirtschaftlichen Lage zurück und wir müssen schauen, inwiefern wir als Genossenschaft eine Chance haben.
Wenn du dir jetzt etwas wünschen könntest: Wie sähe denn ein kritisches Medium der Zukunft idealerweise für dich aus?
Eine kollektive, basisdemokratische Form ohne Hierarchien, mit einer guten Diskussionskultur und mit relativ gleichen Löhnen wäre gut. Dann würde ich mir wünschen, dass es vor allem ein starkes Medium ist, das sehr viele Leute erreicht. Dass es ein Medium ist, das die erreicht, die unter den Verhältnissen leiden, die Unterdrückten, die Marginalisierten, die Ausgebeuteten. Ich würde mir wünschen, dass es ein Medium ist, das relevant ist, das auf allen Kanälen, auf allen Plattformen vertreten ist, das auch gute Debatten, sowohl innerhalb der gesellschaftlichen Linken wie außerhalb, mit anstoßen kann. Dass man nicht davon abhängig ist, was die Nachrichtenagenturen oder der Spiegel schreiben oder was die Bildzeitung sagt, sondern dass man mit einem linken Medium sagen kann: Das ist jetzt wichtig und darüber muss diskutiert werden. Das haben wir in Deutschland nicht wirklich oft. Ich würde mir auch wünschen, dass man investigativ arbeiten kann, dass man da hinschauen kann, wo es wehtut, dass man die Ressourcen hat, auch längere Recherchen zu machen. Dass man auch mal ein paar Wochen, Monate Zeit hat, um an einen anderen Ort zu gehen, sei es in die Fleischfabrik in Brandenburg oder sei es mit einem verträglichen Risiko in ein Kriegsgebiet. Und nicht zuletzt wünsche ich mir natürlich, dass das linke Medium der Zukunft auch gute Arbeitsbedingungen hat, dass man nach Tariflohn bezahlt wird, dass es keine Befristungen gibt, dass auch die verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen in dem Medium repräsentiert sind. Eine klare antikapitalistische Haltung und ein guter Kontakt zu sozialen Bewegungen sind natürlich selbstverständlich. Wenn es drauf ankommt, muss man die Rolle natürlich klar haben. Ich bin auch ein politischer Mensch und auch aktivistisch unterwegs. Aber wenn man auf einer Demo als Journalist ist, ist es gut, das für sich klar zu haben. Bei uns gibt es zum Beispiel die Regel, wenn man irgendwo aktiv ist, dass man über diese Sachen dann eben nicht schreibt. Oder dass man es zumindest transparent macht, dass man aus einer Innenansicht schreibt und nicht in der Beobachter*innenrolle.
Das ist ein Kriterium der Unterscheidung und Abgrenzung zu vielen anderen Informationsangeboten, die ohne fundierte Recherche oder mit wenig belegbaren Informationen arbeiten, oder?
Durch das Internet gibt es die tolle Möglichkeit, dass heute auch viele Aktivist*innen berichten können. Das ist kostbar. Auch für uns als nd und für mich als Bewegungsredakteur. Das kann man aufgreifen, engagierte Menschen zu Wort kommen lassen, sie interviewen, Aufmerksamkeit für wichtige Projekte schaffen und Inhalten mehr Aufmerksamkeit verschaffen. Aber professioneller Journalismus hat andere Möglichkeiten, die eine Aktivist*innengruppe nicht so ohne Weiteres hat. Weil man zum Beispiel sagen kann, wir konfrontieren bestimmte Behörden mit Anfragen, wir recherchieren fundierter oder im besten Fall sogar investigativ, wir haben Informanten, die uns Dokumente zustecken, die wir nachprüfen können. Aber die Möglichkeit, sich mit Zeit und in der Tiefe mit einer Sache zu beschäftigen, das ist schon eine Besonderheit, die man nicht so schnell aufgeben sollte. Natürlich gibt es aber auch sehr professionell arbeitende Recherchegruppen, etwa im Antifa-Bereich. Diesen können wir dann bei ihren Recherchen zumindest eine größere Aufmerksamkeit verschaffen. Dabei geht es nicht um eine objektive oder neutrale Position. Wir sind im nd natürlich klar antifaschistisch, demokratisch und auch sozialistisch, wie auch unser Name sagt. Das ist auch unser Grundverständnis von Journalismus. Aber bestimmte handwerkliche Regeln muss man beachten. Wenn man zum Beispiel irgendetwas aufdecken will, ist es notwendig, keine Gerüchte zu erzählen, sondern eben auch Vorwürfe zu prüfen und gegebenenfalls auch Menschen, Konzerne oder Institutionen mit den Anschuldigungen zu konfrontieren. Wichtig ist auch, dass man über seine Arbeitsweise eine gewisse Transparenz gibt. Wie sind die Bedingungen, unter denen ich arbeite, wer hat eine Recherche-Reise finanziert et cetera. Transparenz und Handwerk sind wichtig.
Was sind deine aktuellen Themen, was wird in der kommenden Zeit wichtig werden?
Die Entwicklungen durch die Coronapandemie sind sehr bestimmend für alle. Als Bewegungsmensch waren die Querdenken-Proteste als neue reaktionäre Kraft ein großes Thema. Gleichzeitig haben die linken Bewegungen weitergearbeitet, aber weniger Aufmerksamkeit bekommen und auch eher kleinere, leisere Protestformen gewählt. Weil Massenmobilisierungen eben nicht vernünftig waren oder von vielen zumindest nicht so wahrgenommen wurden. Jetzt steht die große Frage im Raum, wer die Krisenkosten zahlen wird, das ist eine angespannte Situation. Viele Leute erwarten, dass es größere Konflikte geben wird, aber noch sehen wir keine Sozialproteste auf der Straße. Wenn was passiert, wird es wichtig sein, darüber zu berichten. Auch über die hoffentlich anwachsenden linken Kämpfe. Schließlich wollen wir nicht, dass die breite Masse die Krisenkosten tragen muss, während die Reichen noch reicher werden. Und das nd wird den Weg in die Genossenschaft hoffentlich erfolgreich bestreiten.
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Sebastian Bähr ist Bewegungsredakteur bei der Tageszeitung Neues Deutschland und dort zuständig für soziale Bewegungen, die radikale Rechte, Migration und Flucht.
Das Interview führte Johanna Bröse.