Polizei im Rassismus Ausgabe Nr. 21, 04. September 2012
Rassistisches polizeiliches Handeln wird sowohl von Mainstream-Medien als auch von Politiker_innen nur selten aufgegriffen. Erfahren dennoch – aufgrund erfolgreicher Kampagnenarbeit durch Aktivist_innen (etwa Initiative Oury Jalloh oder Initiative Christy Schwundeck) – einzelne Schicksale von Betroffenen rassistischer Polizeigewalt mediale Öffentlichkeit, wird nicht nur von offizieller Seite häufig von „bedauerlichen Einzelfällen“ gesprochen. Demnach seien rassistische Kontrollen, Misshandlungen oder gar Morde lediglich auf individuelles Fehlverhalten zurückzuführen. Polizei als Institution, in die fest das gesellschaftlich verankerte rassistische Verhältnis eingeschrieben ist, wird dennoch fast nie thematisiert. Hinzu kommt, dass die Polizei über das Gewaltmonopol des Staates verfügt und ihr damit die Legitimation zukommt, für „Recht und Ordnung“ zu sorgen. Polizei kann daher nicht nur als Spiegel der Gesellschaft begriffen werden, sondern auch als Institution, die etwa durch gezielte Kontrollpraxen Kriminalität politisch und medial mit hervorbringen kann. (Vgl. dazu ausführlicher den Beitrag „Alltägliche Ausnahmefälle“, der in der aktuellen Ausgabe der antirassistischen Zeitschrift ZAG erschienen ist). Rassistische Polizeihandlungen sind als Form des institutionellen Rassismus zu betrachten, wie Hannah Eitel anhand der Broschüre „Institutioneller Rassismus“ des Migrationsrates Berlin Brandenburg aufzeigt. Eitel sieht in der Broschüre ein detailliertes Bild rassistischen Alltags dargestellt, bei dem polizeiliche Praxis nicht ausgespart bleibt. Dass das Thema „Polizei im Rassismus“ im deutschsprachigen Raum unterrepräsentiert ist, zeigt sich auch anhand der bisher erschienenen Publikationen. Es finden sich nur sehr wenige Veröffentlichungen zum Thema, weshalb wir uns in dieser Ausgabe auch englischsprachiger Literatur zugewendet haben. Biplab Basu hat sich die Studie „But Is It Racial Profiling?“ genauer angeschaut. Die Studie zeigt, dass bei einer beträchtlichen Anzahl von polizeilichen Kontrollen, Rassismus für die Polizist_innen handlungsleitend ist. Racial Profiling beschreibt diese gängige Polizeipraxis, nach der Menschen aufgrund rassialisierter Attribute polizeilich kontrolliert werden. Die Praxis, Menschen zum Beispiel wegen ihrer Hautfarbe zu kontrollieren, wurde jüngst von dem Verwaltungsgericht Koblenz als legitim erklärt (dagegen gab es einige Proteste, etwa eine Petition, die über 15.000 Menschen unterzeichnet haben). Johanna Mohrfeldt ermöglicht in ihren beiden Rezensionen „Rassistische Polizeipraxis im demokratischen Rahmen“ und „Pionierarbeit trotz eingegrenzter Perspektive“ sowohl Einführung als auch Vertiefung zum Thema Racial Profiling anhand von Studien aus verschiedenen Ländern. Eine der wenigen in deutscher Sprache erschienen Veröffentlichungen, die das Thema Polizei im Rassismus aufgreift, ist der Bericht „Täter unbekannt“ von Amnesty International. Die Rezensentin Laura Janßen sucht allerdings darin vergeblich nach einer kritischen Analyse. Abschließend lobt peps perdu in der Rezension zu „Banlieues. Die Zeit der Forderungen ist vorbei“ den Perspektivenreichtum dieser Textsammlung. Das Buch zeigt auf, wie Rassismus und räumliche Ausgrenzung zusammen spielen.
Um sich weiter mit dem Thema rassistische Polizeigewalt zu befassen, empfehlen wir darüber hinaus den Besuch der Konferenz „Racial Profiling Reloaded“ der Kampagne für Opfer rassistischer Polizeigewalt, die am 12. und 13. Oktober in Berlin sattfinden wird (weitere Informationen auf der KOP-Homepage).
Bei den weiteren Rezensionen richtet zunächst Martin Brandt den Blick auf das neue Buch von Heinz-Jürgen Voß. In „Intersexualität – Intersex“ plädiert Voß für Brandt in überzeugender Weise für ein konsequentes Ende der medizinischen Eingriffe an Neugeborenen und Kleinkindern aufgrund der Diagnose „Intersex“. Wenig überzeugend findet hingegen Sebastian Friedrich den Versuch des Medientheoretikers Byung Chul-Han, seinen populären Essays in „Topologie der Gewalt“ ein theoretisches Fundament zu verpassen. Friedrich stellt in seiner Rezension „Große Hülle, kleiner Kern“ fest, dass Han letztlich wenig Substanzielles anbiete. Weitaus Substanzieller erscheint für Adi Quarti die Analyse der „Sicherheitsarchitektur 9/11“ von Stuart Price, der die veränderten Formen der Repression im Neoliberalismus untersucht. Patrick Schreiner widmet sich anschließend dem Buch „Bankrotteure bitten zur Kasse“ von Jürgen Leibiger, in dem richtige Fragen und Ansätze präsentiert werden, wenngleich Schreiner nicht alle Antworten überzeugen. Schließlich lobt Ismail Küpeli die Dissertation „Der ethnische Dominanzanspruch des türkischen Nationalismus“ von Savaş Taş als eine Analyse, der es gelingt, die ideologischen Komponenten des türkischen Nationalismus zu dekonstruieren.
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