Sicherheitsarchitektur nach 9/11
- Buchautor_innen
- Stuart Price
- Buchtitel
- Fesseln spürt, wer sich bewegt
- Buchuntertitel
- Überwachung, Repression und Verfolgung im neoliberalen Staat
Eine wichtige Studie zu den Formen der Repression im Neoliberalismus.
Stuart Price, wissenschaftlicher Mitarbeiter an der De Montfort Universität in England und Autor zahlreicher Veröffentlichungen zum Thema Sicherheitsarchitektur, nimmt sich hier das „Worst Case Szenario“, den größten anzunehmenden Vorfall, vor. Diese Verweise auf hypothetische Gefahren werden von einflussreichen Organisationen, den Medien, aber auch privaten Firmen wie zum Beispiel der AIR Worldwide Corporation mit Sitz in Boston betrieben. Letztere hatte für Versicherungskonzerne und weitere zahlungskräftige Firmen und Regierungsstellen mit Hilfe einer Datenbank die Möglichkeiten auszuloten, um Naturkatastrophen, aber auch Flugzeugabstürze, Angriffe mit chemischen Waffen oder atomaren Sprengköpfen vorhersagen zu können.
Dies hatte eine enorme Ausweitung des „Krisenparadigmas“ zur Folge, welche sich in Regierungsprotokollen, aber auch der wissenschaftlichen Literatur niederschlugen, die in einem umfangreichen Anhang dokumentiert werden. Für Price geht es jedoch weder darum den staatlichen Administrationen bei der Verwaltung der Wahrnehmung und Gefühle der Bürger zu helfen, noch darum ein realistischeres Modell des Terrorszenarios zu entwerfen, sondern die Aufmerksamkeit auf autoritäre Praktiken zu richten, welche an diese Planspiele unausweichlich gekoppelt sind. Der Autor nimmt sich zunächst das Projekt ARGUS vor, ein Trainingsprogramm welches vom britischen National Counter Terrorism Security Office (NaCTSO) 2002 entwickelt wurde. Innerhalb von nur zwei Jahren führten diese Sicherheitsberater „über 700 auf Szenarien beruhende Trainingsveranstaltungen“ (S. 91) für Geschäftsleute in Innenstädten durch. Die Idee sei es die Managerklasse in die Lage zu versetzen Fähigkeiten zu erlernen, die in einer realen Situation eingesetzt werden können (diese Szenarien beruhen auf höchst „realistischen“ Erzählungen und Lehrfilmen über Bomben auf öffentlichen Plätzen, Unicampus, Schulgelände, öffentliche Gebäude, Vergnügungsviertel, und so weiter). In der Folge setzte sich immer mehr eine parallele Autoritätsstruktur durch, welche durch keinerlei öffentliche Kontrolle beobachtet werden kann.
Auch die traditionellen geheimdienstlichen Aktivitäten wurden 2006 einem Wandel unterworfen, seit das Terrorism Iternational Defence and Overseas (TIDO) gegründet wurde. Diese Entwicklungen werden flankiert von einigen höchst ominösen Governance-Theorien (und in einem geringeren Umfang die parallele Analyse der Foucaultschen Gouvernementalität), welche anstelle der formalen Befehlskette die informellen Netzwerke, Beziehungen und Vorgehensweisen zu kartieren versucht, was nicht ohne Grund an die Maßnahmen in Kriegsgebieten erinnere - und im militärischen Jargon als Durchsetzung von „Good Governance“ bezeichnet wird. Es versteht sich von selbst, dass sich diese Theorien die Möglichkeiten der modernen Technologien (Videoüberwachung, Drohnen, elektronische Zahlungsmittel und so weiter) zunutze machen, um die „Tiefen des Staates“ (S. 155) genauer zu ergründen.
Stuart Price arbeitet sich Schritt für Schritt durch die zeitgenössische wissenschaftliche (meist angelsächsische) Literatur zum Thema und vermeidet es, die Veränderungen des modernen Staates, welche er als Sicherheitsregime umschreibt, mit vorschnellen und wohlklingenden Attributen zu versehen. Seine These lautet zusammengefasst, dass Pläne, die scheinbare Gefahren von außen beschreiben, in Wirklichkeit die Furcht der Obrigkeit vor Unzufriedenheit im Inneren bezeugen. Wie er selbst sagt, gehe es um folgendes:
„1. Das Umgehen demokratischer Einschränkungen exekutiver Macht; 2. die Stärkung einer Parallelstruktur halb-privatisierter Obrigkeit; 3. die Verbreitung eines autoritären Narrativs, das auf einer engen Lesart der Frage der Sicherheit beruht; 4. die Verhinderung demokratischer Initiativen durch die Manipulation von Zeit und Raum; 5. die daraufhin folgende Unterdrückung alternativer politischer Vorstellungen.“ (S. 329)
Vielleicht wird diese Untersuchung der gerade begonnenen Diskussionen um das europäische INDECT-Forschungsprogramm, welches sich hauptsächlich um die Überwachung mit Video und Drohnen beschäftigt und zum Teil heftige Kritik auslöste, wertvolle Argumente liefern. Florian Rötzer lieferte in der Freitag (Nr. 23, 6. Juni 2012) einen erhellenden Einblick, wie hierzulande und am Parlament vorbei die unbemannten Flugobjekte uns längst ins Visier nehmen. In den vergangenen zwei Jahren seien 500 Drohnen-Einsätze beantragt und die meisten positiv
Das Buch enthält Vorworte von Rolf Gössner, Ulla Jelpke und Heinz-Jürgen Schneider, die alle durchaus Sinn machen, da sie ähnliche Entwicklungen in Deutschland analysieren. beschieden worden.
Fesseln spürt, wer sich bewegt. Überwachung, Repression und Verfolgung im neoliberalen Staat.
Laika Verlag, Hamburg.
ISBN: 978-3-942281-00-3.
368 Seiten. 21,00 Euro.