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Sexismus als Strategie deutscher Schuldabwehr

Buchautor_innen
Charlie Kaufhold
Buchtitel
In guter Gesellschaft?
Buchuntertitel
Geschlecht, Schuld & Abwehr in der Berichterstattung über Beate Zschäpe
Ob „heißer Feger“ oder schicker „Teufel“: Warum die Berichterstattung zu Beate Zschäpe sowohl eine antifaschistische wie auch feministische Kritik erfordert, wird in diesem Buch deutlich.

Nach der Selbstenttarnung der rechtsterroristischen Gruppe „Nationalsozialistischer Untergrund“ im Jahr 2011 ist der Name Beate Zschäpe im öffentlichen Bewusstsein angekommen. Zschäpe steht aktuell vor Gericht, doch es wäre zynisch, dies als gelungenen Abschluss der Auseinandersetzung mit den neonazistisch motivierten Morden und Gewalttaten zu betrachten. Eine angemessene Aufarbeitung hätte anders ausgesehen als das Drangsalieren des sozialen Umfelds der Ermordeten durch rassistische Ermittler_innen: Die Angehörigen wurden im Stich gelassen durch undurchsichtige Behörden, während die Taten teilweise medial bagatellisiert und eine Täter_in-Opfer-Umkehr betrieben wurde. Meist im Hintergrund der medialen Aufmerksamkeit stehen die Überlebenden wie beispielsweise jene des Nagelbombenanschlags in Köln.

Doing Gender statt Doing Solidarity

Für alle Betroffenen folgte statt der versprochenen lückenlosen Aufklärung ein Ermittlungsskandal nach dem anderen. Gleichzeitig ist ein Teil der Berichtserstattung massiv fokussiert auf das Geschlecht jenes „NSU“-Mitglieds, das als einziges der rechten terroristischen Gruppe noch am Leben sein soll. Diese Berichterstattung, die ihren Fokus auf das Frau*-Sein Zschäpes legt, steht im Zentrum von Charlie Kaufholds Buch und macht sowohl aus antifaschistischer wie auch feministischer Perspektive sprachlos: Medial wird Beate Zschäpe als „putzige Diddl-Maus“ mit „rosa Hauspuschen“ (Süddeutsche Zeitung) bezeichnet oder als „Teufel“, der „sich schick gemacht“ hat (BILD). Eine kollektive Solidarisierung in Deutschland mit den Opfern des „NSU“ blieb aus; stattdessen waren im Jahr der Selbstenttarnung Überschriften wie „Die Nazi-Braut galt als heißer Feger“ (S. 45) in der Presse zu lesen.

Woher kommt diese Diskrepanz in manchen Medien, den Fokus der Berichterstattung statt auf Fragen der Aufklärung, Verantwortung und Solidarität auf eine Sexualisierung Zschäpes zu legen, sie teilweise nicht als vollumfängliche Faschistin, sondern nur als die „Braut von“ zu bezeichnen?

Ein Teufel kann keine von „uns“ sein

Kaufholds Buch, das auf Basis einer wissenschaftlichen Abschlussarbeit entstanden ist, beginnt mit Informationen zur Entstehungsgeschichte und Handhabung der Lektüre. Es folgt eine grobe Zusammenfassung der Ereignisse in Zusammenhang mit dem „NSU“. Die Ausführungen zum „NSU“ sind zwar knapp, aber sowohl sprachlich wie auch inhaltlich reflektiert und kritisch. So hinterfragt Kaufhold immer wieder durch ihre Wortwahl die dominante Darstellungsweise der Geschehnisse im Kontext des „NSU“ und würdigt die Ermordeten unter anderem durch die Nennung ihrer Namen.

In dem ersten Kapitel „Wie?“ wird anhand zahlreicher Auszüge aus Zeitungen und Zeitschriften illustriert, wie über Beate Zschäpe berichtet wird. Mit den Beispielen untermauert Kaufhold die These, dass sich zwei Arten der Berichterstattung unterscheiden lassen, wenn diese auf Zschäpes Geschlecht fokussiert ist. Beiden Darstellungen gemein ist, dass es sich um Feminisierungen handelt, das heißt, „dass und wie bei den verschiedenen Darstellungsweisen auf Zschäpes Frau-Sein und/oder auf ihre weibliche Sexualität Bezug genommen wird, der Kategorie Geschlecht also Bedeutung zukommt“ (S. 7f.).

Die erste Darstellungsweise bezeichnet Kaufhold als dämonisierende Feminisierungen, womit „Darstellungsweisen zusammengefasst [sind], bei denen Zschäpe als deviant, das heißt als von der Norm abweichend gekennzeichnet und als personifiziertes Böses, als teuflisch konstruiert wird“ (S. 7). Vor allem zum Prozessbeginn im Mai 2013 lässt sich nach Kaufhold diese Art der Darstellung Zschäpes in der Berichterstattung finden. Die Beispiele für die dämonisierende Darstellung bezieht Kaufhold hauptsächlich aus der Berichterstattung in der BILD. Dies wirft allerdings die Frage auf, ob es sich hierbei um BILD- beziehungsweise Boulevardmagazin-Spezifika handelt, da weitere Beispiele wenig überzeugend sind. Bei der Analyse der aktuellen Berichterstattung verbleibt Kaufhold nicht nur auf der schriftlichen Ebene, sondern bezieht die bildliche beziehungsweise fotografische Inszenierung von Zschäpe und ihrem Frau*-Sein mit ein. Dabei wird deutlich: Die dämonisierenden Feminisierungen in der Darstellung Zschäpes sind keineswegs ein Zufall, sie sind in einer bestimmten Art und Weise konstruiert und erfüllen gesellschaftliche Funktionen. So implizieren beispielsweise Spekulationen über ein nicht der gesellschaftlichen Norm entsprechendes Sexualverhalten Zschäpes, dass sie keine „von uns“ sein könne, da sie eine „schlechte“, promiske, nicht monogam lebende Frau sei.

„Erstens kann durch sie begründet werden, dass es keine Notwendigkeit gibt, sich mit Zschäpe und ihren Taten auseinanderzusetzen. Da sie nicht als Person verhandelt wird, deren Taten nachvollziehbar sein müssten, sondern verteufelt und als deviant dargestellt wird, scheint es überflüssig, sich mit ihren politischen Überzeugungen, Motivationen und ihren Handlungen zu beschäftigen. […] Zweitens ergibt sich aus diesen vergeschlechtlichten, dämonisierenden Darstellungsweisen die Möglichkeit, eigene Schuld durch Externalisierung abzuwehren. […] Die Dominanzgesellschaft kann durch die dämonisierenden Feminisierungen von Zschäpe von Fragen nach der eigenen Schuld und Verantwortung, nach der eigenen Beteiligung absehen. Der Kontext, in dem der NSU hat handeln können, Rassismus in Deutschland, kann dethematisiert werden – Zschäpe scheint ja eine vollkommene Ausnahme gewesen zu sein, vollkommen jenseits der weißen, deutschen Norm“ (S. 54f.).

Ein liebes Mädel, das nur den Haushalt geschmissen hat?

Als zweite grundlegende Darstellungsweise benennt Kaufhold bagatellisierende Feminisierungen, womit „Darstellungsweisen, bei denen Zschäpe entlastet und ihr ihr Subjektstatus abgesprochen wird“ (S. 7) gemeint sind. Hier lassen sich „beispielhaft die Beschreibungen Zschäpes als ‚liebes Mädel‘ […] anführen. Diese Formulierungen ermöglichen, Zschäpe nicht als politisches und handlungsfähiges Subjekt ernst zu nehmen und sie damit von der Beteiligung an den Taten des NSU zu entlasten“ (ebd.). Wie beispielsweise in einem Artikel der Süddeutschen Zeitung, in dem es heißt: „Wie war das normale Leben im Untergrund? Wer hat gespült, wer hat den Müll runtergebracht? Trugen die Waffennarren Böhnhardt und Mundlos auch daheim schweres Gerät?“ (S. 44).

Zschäpe wird in der bagatellisierend-feminisierenden Berichterstattung teilweise verkindlicht, zum Teil sogar selbst als Opfer inszeniert, häufig in Abgrenzung zu den zwei Männern des sogenannten NSU Trios. Die Effekte dieser Darstellungsweise ergänzen die der dämonisierenden Feminisierungen auf zynische Art: „Warum sollte sich auch mit Zschäpe beschäftigt werden, wenn sie doch nur den Haushalt geschmissen hat und sich sonst nichts hat zu Schulden kommen lassen?“ (S. 56). Kaufhold argumentiert, dass bagatellisierende Feminisierungen ein Identifikationsangebot für die weiße Dominanzgesellschaft Deutschlands schaffen, da die Dominanzgesellschaft in ihrer Wahrnehmung ebenso wie Zschäpe von nichts gewusst habe, keine (Mit-)Schuld trage, „da sie unbeabsichtigt in eine von ihr nicht verschuldete Situation geraten ist“ (ebd.). Es wird deutlich: Es geht um die (Nicht-)Bearbeitung von Fragen nach Schuld und Verantwortung, auf individueller und gesamtgesellschaftlicher Ebene.

Der Effekt heißt Abwehr – damals wie heute

Nach der Analyse der Berichterstattung zu Zschäpe widmet sich Kaufhold der Berichterstattung zu Täterinnen aus der NS-Zeit, wobei sie sich auf Kernaspekte beschränkt und diese vergleicht. Die Parallelen zur Nachkriegszeit sind nachvollziehbar herausgearbeitet, Stück um Stück wird dem_der Lesenden klarer, welcher Schuldabwehr-Cocktail nicht nur rund um Zschäpe gemixt wird. Es ist geradezu erstaunlich, wie ähnlich die Berichterstattung in der Nachkriegszeit zu vor Gericht stehenden Nationalsozialistinnen im Vergleich zur Berichterstattung über Zschäpe ist. Sowohl bagatellisierende als auch dämonisierende Feminisierungen bis hin zu Sexualisierungen dieser Zeit stellt Kaufhold zahlreich dar. Die politischen und historischen Strukturen, die durch die Zutat ‚Geschlecht‘ übertüncht werden sollen, sind nach Abschluss des Buches zwar klarer, Lesende, die sich jedoch eine tiefergehende Analyse dieser historischen Strukturen erhoffen, werden enttäuscht. Da dies jedoch nicht Kaufholds primäres Thema ist und die Analysen des Buches direkt und indirekt auf der Arbeit von Fantifas [kritisch-lesen.de #38] und antifaschistischer und feministischer Theorie und Forschung basieren, finden sich in der vielfältigen Literaturliste des Buches genügend Anregungen zum Weiterlesen.

Ein Wermutstropfen ist die Tatsache, dass trotz einzelner Bezüge die Rolle kapitalistischer Verhältnisse in diesem ganzen Cocktail weitgehend unklar bleibt – so spielt beispielsweise das Mediensystem als Markt keine Rolle. Insgesamt ist Kaufhold jedoch mit „In guter Gesellschaft?“ ein großes Projekt gelungen: Der strukturierte Aufbau, die meist nachvollziehbaren Thesen, die eindrucksvollen Belege durch Zeitungsartikel und wiederkehrende Verweise auf diverse wissenschaftliche Theorien machen das Buch für alle lesenswert, die sich bereits vertiefend mit Themen wie Journalismus, Gender und (Neo-)Nationalsozialismus beschäftigt haben. Gleichzeitig schafft es Kaufhold, das Thema aus einem wissenschaftlich-akademischen Diskussionsraum herauszuholen und für mehr Menschen zugänglich zu machen, indem auf eine akademische Wortwahl weitgehend verzichtet wird und weniger geläufige Begriffe immer wieder erklärt werden. Dies macht das Buch besonders für Einsteiger_innen in das Themenfeld zu einer seltenen und aufschlussreichen Lektüre.

Was zum Abschluss des Buches nachwirkt, ist mehr als eine bloße Analyse und Kritik des deutschen Journalismus:

„Zwar schafft die Berichterstattung selbst Wirklichkeit und ist damit produktiv, sie ist jedoch gleichzeitig Symptom tieferliegender [...] Zusammenhänge. […] Die Strukturen, die die spezifische, vergeschlechtlichte Berichterstattung über Zschäpe bedingen, müssen beachtet, kritisiert und verändert werden, sodass es überhaupt nicht mehr als naheliegend erscheint, über neonazistische Täterinnen in dieser vergeschlechtlichen Weise zu berichten. […] Es braucht eine grundlegende Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus und insbesondere mit der damit verbundenen Schuld – ohne Abwehr oder Nivellierung“ (S. 82).

Charlie Kaufhold 2015:
In guter Gesellschaft? Geschlecht, Schuld & Abwehr in der Berichterstattung über Beate Zschäpe.
Edition Assemblage, Münster.
ISBN: 978-3-942885-85-0.
106 Seiten. 16,00 Euro.
Zitathinweis: Barbara Koslowski: Sexismus als Strategie deutscher Schuldabwehr. Erschienen in: Die da unten. 40/ 2016, NSU - Zehn Jahre nach der Selbstenttarnung. 61/ 2021. URL: https://kritisch-lesen.de/c/1350. Abgerufen am: 16. 04. 2024 16:35.

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Charlie Kaufhold 2015:
In guter Gesellschaft? Geschlecht, Schuld & Abwehr in der Berichterstattung über Beate Zschäpe.
Edition Assemblage, Münster.
ISBN: 978-3-942885-85-0.
106 Seiten. 16,00 Euro.