Ökologie und Aktivismus Ausgabe Nr. 22, 02. Oktober 2012
Bevor wir unsere neue Ausgabe vorstellen, müssen wir leider einen Abschied aus der Redaktion bekannt geben. Sebastian Kalicha, sehr aktiver Autor und engagierter Redakteur, verlässt unsere Redaktion. Wir danken ihm für die schöne und gute Zusammenarbeit und freuen uns auf die zahlreichen Rezensionen, die er als Mitglied des Autor_innen- und Sympathisant_innen-Kreises (ASK) von kritisch-lesen.de hoffentlich für uns verfassen wird. Sicher wird er die Redaktion als Korrespondent in Österreich weiterhin über die dortigen Diskussionen auf dem Laufenden halten.
Zum Schwerpunkt: Der linke US-amerikanische Schriftsteller Kurt Vonnegut verfasste, nachdem er sich über die besorgniserregende ökologische Situation in Rage geschrieben hatte, verbittert eine Grabinschrift für den Planeten Erde: „The good Earth – we could have saved it, but we were too damn cheap and lazy.“ Verbitterung kann sich schnell breit machen wenn man sich mit ökologischen Fragen in Theorie und Praxis auseinandersetzt. Zu aussichtslos scheint die Situation; zu viele Rückschläge erleidet man in der tagtäglichen aktivistischen Arbeit; zu wenig konsequente Schritte werden getätigt. Dabei gibt es aber durchaus auch Hoffnungsschimmer: Die weltweite Anti-AKW-Bewegung ist seit Fukushima so laut wie in ihren besten Tagen (und die Atomindustrie in schwerer Bedrängnis); weltweit gehen Menschen gegen Gentechnik, Biopiraterie und den „Nahrungstotalitarismus“ (Shiva) transnationaler Konzerne auf die Barrikaden; indigene Gemeinschaften setzen sich gegen neokoloniale „Entwicklungsprogramme“, Landraub und die damit einhergehende Zerstörung ihrer Lebensgrundlagen zur Wehr; verschiedenste Gruppen und TheoretikerInnen gehen zunehmend über das schlichte Appellieren an politische EntscheidungsträgerInnen hinaus und erkennen die offensichtliche Verbindung zwischen dem ökologischen Desaster und kapitalistischer Ausbeutung – denn kapitalistische Maximen wie Profitmaximierung oder „Wachstum“ haben auf das fragile Ökosystem mindestens ebenso destruktive Auswirkungen wie auf die Menschen, die davon betroffen sind. In diesem Sinne wollen wir uns diesen Monat dem breiten Themenfeld „Ökologie & Aktivismus“ widmen und unterschiedliche Diskussionen und Themen anhand von fünf Büchern zum Thema aufbereiten.
Den Beginn macht Jens Zimmermanns Rezension des monumentalen Werks „Die Ära der Ökologie. Eine Weltgeschichte“ des Umwelthistorikers Joachim Radkau. Der Rezensent attestiert dem Werk zwar, historisch umfangreich und einwandfrei zu sein, jedoch analytisch einige Schwächen zu haben. An das Stichwort der „Weltgeschichte“ anknüpfend, beschäftigt sich die zweite Rezension mit der Widerstandsbewegung gegen die Narmada-Staudämme in Indien. Horst Blume führt anhand des Buches „Staudamm oder Leben!“ von Ulrike Bürger eindringlich in die Thematik ein und diskutiert die ökologischen und menschenrechtlichen Probleme derartiger Megaprojekte sowie Facetten des Widerstands dagegen. Ebenfalls im indischen Kontext diskutiert die bekannte Ökofeministin Vandana Shiva Themen wie Nachhaltigkeit, Biopiraterie und Lebensmittelsouveränität sowie die ökologischen Folgen der neoliberalen Globalisierung. Sebastian Kalicha bespricht in „Nahrungstotalitarismus" Shivas Buch „Geraubte Ernte“. Salvatore Paradise wirft einen kritischen Blick auf das Buch „Stromwechsel. Wie Bürger und Konzerne um die Energiewende kämpfen“ der taz-Redakteure Hannes Koch, Bernhard Pötter und Peter Unfried. Obwohl das Anliegen einer Energiewende mit Sicherheit ein legitimes und nützliches ist, kritisiert er in „Die deutsche Spielart eines grünen Kapitalismus“ den Versuch der Autoren, lediglich den sogenannten „grünen Kapitalismus“ salonfähig machen zu wollen. Zum Schluss rezensiert Adi Quarti noch den Klassiker „Ökologie der Angst. Los Angeles und das Leben mit der Katastrophe“ des Soziologen Mike Davis. Obwohl bereits 1998 erschienen, zeige das Buch laut dem Rezensenten die „auch heute noch relevanten Verbindungen zwischen Ökologie und urbaner Armut auf“ und sei ein „beängstigend aktuelles Buch“.
Die aktuellen Rezensionen dieser Ausgabe eröffnet Heinz-Jürgen Voß mit seiner Rezension „Schwule in der Nazi-Zeit“ und warnt hier eindringlich davor, ebenjene nicht schlicht als Gruppe von Opfern zu homogenisieren, wie es leider häufig der Fall sei. Den „Bildern der Nation“ widmet sich Selma Haupt anhand des Werkes „Die Imagination der Nation“, welches das „nationale Ding“ in literarischen und filmischen Produktionen untersucht. „Die Politik der Schulden“, die in David Graebers Buch „Schulden“ anthropologisch dargelegt wird, nimmt sich Moritz Altenried vor und knüpft damit an die bereits in kritisch-lesen.de #19 gestartete Debatte über die deutsche Rezeption von David Graeber an. Er lobt an diesem vielbeachteten Werk die historische Aufarbeitung des Themas. Eine historische Aufarbeitung in etwas anderer Hinsicht unternimmt das Buch „Die Sowjetmacht. Das erste Jahr“, das von Philippe Kellermann als gelungen bewertet wird. Abschließend widmet sich peps perdu in „Reclaim your Beauty“ den Ausgrenzungsmechanismen anhand von Körpernormen wie Attraktivität und Schönheit.
Wir wünschen wie immer viel Spaß beim kritischen Lesen!