Medienbilder zwischen Opfer und „Vorzeigemigrantin“
- Buchautor_innen
- Margreth Lünenborg, Katharina Fritsche, Annika Bach
- Buchtitel
- Migrantinnen in den Medien
- Buchuntertitel
- Darstellungen in der Presse und ihre Rezeption
Eine Analyse medialer Bilder von „Migrantinnen“ und ihrer Rezeption verdeutlicht, wie symbolische Ausschlüsse produziert werden und bietet Ansatzpunkte, Repräsentation und Rassismus weiterzudenken.
Opfer, Prominente, Erfolgreiche, Nachbarin, Integrationsbedürftige und Unerwünschte – laut einer Studie der Medienwissenschaftlerinnen Margreth Lünenborg, Katharina Fritsche und Annika Bach werden Migrantinnen über die Identifizierung mit diesen Rollen in der Presse erwähnt und porträtiert.
Mit der Fokussierung auf als „Migrantinnen“ fremd- oder selbstidentifizierte Menschen wird eine Forschungslücke gefüllt, die durch die vorherrschende Orientierung an der männlichen Norm entstanden ist. Konkret zeigt sich diese in der weitaus umfangreicheren Forschung zur Darstellung „des Migranten“, der quasi als Prototyp der Repräsentation von Migrant_innen fungiert. Lünenborg, Fritsche und Bach bieten zunächst mit ihrer ausführlichen Darstellung des Forschungsstands eine bisher fehlende Zusammenstellung von Beiträgen, die den Blick auf das Bild „der Migrantin“ richtet. Der zweite Teil der Studie besteht in einer inhaltsanalytischen Auswertung von Artikeln aus Tageszeitungen, in denen „Migrantinnen“ erwähnt werden. In einem dritten Teil wird anhand von Gruppendiskussionen die Rezeption dieser Medienbilder analysiert.
Theoretisch beziehen sich die Autorinnen auf das Konzept der Intersektionalität als Zusammenwirken verschiedener – in diesem Fall zweier – Kategorien, die Differenz markieren und Ungleichheiten hervorbringen. Zusätzlich zur Berücksichtigung des Faktors Geschlecht prägt die theoretische Grundlage der Studie eine Verbindung des Konzepts der Ethnizität mit Annahmen, die durch die Kritische Weißseinsforschung prominent wurden. Ethnizität als Konzept bezeichne „Sinngebungen, die aus einem kulturellen, sprachlichen und historischen Rahmen erwachsen können“ (S. 14), fungiere aber im deutschen Kontext „als sozialer Platzanweiser, mit dem hierarchischer Status und symbolische wie materielle Ressourcen verbunden sind“ (S. 15). Gleichzeitig rücken die Autorinnen die Rolle von Weißsein in den Fokus:
„Migrantinnen und Migranten werden oft aufgrund ihres Namens, ihres Aussehens ihrer Religion, ihrer Kultur oder ihrer Sprache als anders gekennzeichnet (…) Dies geschieht aus einer weißen Position der Norm heraus.“ (S. 15)
Es handelt sich also um Modi der Darstellung, die durch symbolische Ausschlüsse geprägt sind und diese reproduzieren. Im deutschen Kontext ist zudem die Rolle von „Deutschsein“ hervorzuheben:
„Diese Bilder lassen zugleich Bilder des ,Normalen‘, Unmarkierten entstehen. Medien entwerfen damit Bilder des Deutschseins durch die Repräsentation des Fremden.“ (S. 15)
Das Ethnizitäts-Konzept vermeidet den ,Rasse‘/race-Begriff unter dem Vorwurf, dieser sei essentialistisch. Aber auch damit wird das Problem nicht gelöst, dass die Kategorisierung nach Vorstellungen von ,Rasse‘, ,Ethnie‘, ,Kultur‘ oder ,Religion‘ zwar auf Konstrukten beruht, diese Konstrukte jedoch gleichzeitig mehr als nur Fiktion sind und sich in Identitäten, Handlungen und Strukturen niederschlagen. Zudem wird dieses Konzept oft machtblind angewandt und übersieht, dass „Race oder Ethnizität immer nur Nicht-Weißsein [bedeutete]“ (McRobbie 2011: 72) und Weißsein die unmarkierte Norm darstellt. Die Verbindung dieser theoretischen Konzepte – Ethnizität und kritische Weißseinsstudien – erscheint also eher widersprüchlich.
Ergänzend schutzbedürftig
Im Zentrum des Forschungsvorhabens stand die Frage, ob und wie „die Gruppe der in Deutschland lebenden Frauen mit Migrationshintergrund in ihrer Vielfalt und Unterschiedlichkeit medial repräsentiert wird“ (S. 19). Die Auswahl des Materials, also der relevanten Artikel, in denen „Migrantinnen“ vorkommen, orientierte sich dementsprechend an der Definition des Statistischen Bundesamtes vom „Migrationshintergrund“. Gegenstand der Inhaltsanalyse der Autorinnen war die Auswertung der Berichterstattung der Westdeutschen Allgemeine Zeitung (WAZ), des Kölner Stadtanzeiger, der BILD, der tageszeitung (taz) und der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ) in vier Monaten zwischen 2005 und 2008. Jenseits der bekannten Stereotype wurde nach „der weitest möglichen migrantischen Vielfalt in der Berichterstattung gesucht“ (S. 46).
Ein zentraler Widerspruch zwischen theoretischer Grundlage und Forschungsdesign scheint sich jedoch aus der Zielsetzung, „Markierungen des Anderen“ (S. 15) zu analysieren und dem Anspruch, „migrantische Vielfalt“ zu erfassen, zu ergeben.
Letzterer Anspruch zeigt, dass es in der Studie nicht darum geht, allein die ethnisierten/rassialisierten dominanten Formen der Darstellung zu erfassen – also derjenigen, die nicht als weiß und deutsch oder „westlich“ gelten und damit die Gruppe bilden, die verschiedenen Formen von Rassismus ausgesetzt ist. Denn begreift man Prozesse der Ethnisierung/Rassialisierung als Zuschreibungen, die gegenüber einer als „Ethnie“/„Rasse“ konstruierten Gruppe erfolgen, so steht außer Frage, dass nicht alle Gruppen gleichermaßen davon betroffen sind, da sie erst gar nicht als einer „Ethnie“/„Rasse“ zugehörig betrachtet werden.
Wenn es also darum geht, Prozesse des othering (Veranderung) zu erfassen, stellt sich die Frage, warum die Darstellung von weißen Finninnen, Engländerinnen und US-Amerikanerinnen, die offensichtlich im Begriff der Migrantin meist nicht mit gemeint sind, da sie nicht als „fremd“ markiert werden, in das Forschungsdesign miteinbezogen wurden. Diese Unterschiede spiegeln sich jedoch auch in den Ergebnissen wider, sodass ihnen in der Auswertung Rechnung getragen wird:
„Die Berichterstattung über Frauen aus den westlichen Ländern stellt diese vor allem als emanzipierte, unabhängige und aktive Personen dar, was sich in den Medienimages der PROMINENTEN und ERFOLGREICHEN ausdrückt. Migrantinnen aus Osteuropa oder den arabischen Ländern werden eher als passive, rückständige, unterdrückte und integrationsbedürftige Menschen beschrieben.“ (S. 104)
Unter den einzelnen Typen der Typologie dominiert quantitativ das Bild der Migrantin als „Opfer von Gewalt und Unterdrückung durch die Kultur des Herkunftslandes“ (S. 144). Geschlechterstereotype und rassistische Entwürfe von migrantischer, bedrohlicher Männlichkeit ergänzen in den Medien somit „schutzbedürftige Weiblichkeitsentwürfe“ (ebd.). Insbesondere in der Politikberichterstattung verständigt sich hauptsächlich die weiß-deutsche Mehrheitsgesellschaft mit ihresgleichen über Migrantinnen. Die Lokalberichterstattung biete hingegen vielfältigere, alltäglichere Bilder.
„Namen gibt es nicht“
Die Rezeptionsstudie untersucht Wahrnehmung und Verarbeitung der Repräsentationen anhand von sechs Gruppendiskussionen, davon vier mit Migrantinnen/Frauen of Colour und zwei mit weiß-deutschen Frauen. Bezogen auf die Darstellungsweise, so die Autorinnen,
„[entspricht] [d]ie Medienwahrnehmung der Gesprächsteilnehmerinnen (…) recht präzise den Befunden, die die vorliegende Studie mit Blick auf migrantische Frauen liefert sowie Befunden zum Medienbild männlicher Migranten“ (S. 128).
Des Weiteren thematisieren die Diskutantinnen unter anderem Negativität, doppelte Standards bei der Berichterstattung (S. 138: „Namen gibt es nicht. Sie schreiben: ,Der Türke, der Ausländer, die Araber‘.“), aber auch mögliche Ursachen wie Unterrepräsentation von Journalist_innen „mit Migrationshintergrund“ oder Produktionsbedingungen und Medienlogiken (S. 130: „Und das, was normal ist, wird halt nicht so gut verkauft“). Die Herausarbeitung der Relevanzkriterien für die Berichterstattung ergänzt die Beschreibung der Deutungsmacht der Medien durch eine Gesprächsteilnehmerin:
„(E)s ist halt so, dass (…) ich sage mal die Migranten, nicht so viel Macht haben, nicht so viel Gewalt haben, zu sagen: ,So, jetzt haben wir unsere verschiedenen Medieninstrumente und wir werden uns jetzt verteidigen.‘“ (S. 133)
Auch werden Nachrichten und öffentlich-rechtliche Dokumentationen kritisiert, in denen „die Türken immer am schlechtesten gezeigt“ (S. 135) würden, während fiktionale Formate zum Beispiel von Privatsendern auch alltägliche Rollen beinhalteten und als weniger stigmatisierend und inklusiver wahrgenommen würden. So kommen die Autorinnen der Studie zu dem Schluss, dass in den Gruppendiskussionen „[e]rst die Sicht der Migrantinnen deutlich [macht], (…) wo Handlungsbedarf besteht“ (S. 139).
Durch den Fokus der Studie wird deutlich, nicht nur dass, sondern auch wie Geschlecht die Darstellung von Migrant_innen beeinflusst. Die Studie weist dabei im Wesentlichen bereits bekannte inhaltliche Tendenzen der Berichterstattung auf breiter empirischer Basis nach. An medienwissenschaftlicher Forschung Interessierten bietet das Buch detaillierte methodische Ausführungen.
Repräsentation weiterdenken
Die Autorinnen bewerten unter den Typen der Prominenten, Erfolgreichen, Opfer, Nachbarin, Integrationsbedürftigen und Unerwünschten die Darstellung „der Erfolgreichen“ als „durchweg positiv“ (S. 99). Innerhalb der Gruppendiskussionen der „Migrantinnen“ weisen die Diskutantinnen jedoch auf den Kontext der Repräsentationen hin, der in den inhaltsanalytischen Befunden fehlt. Sie kritisieren „die Art, in der Medien die Frauen als Vorzeigemigrantinnen inszenierten“ und leisten grundsätzliche Repräsentationskritik, wenn sie feststellen, dass diese Frauen „in unangemessener Weise die Autorität [erhielten], im Namen einer gesamten Bevölkerungsgruppe zu sprechen“ (S. 142). So erfassen die Gruppendiskussionsteilnehmerinnen die Ambivalenz der als „positiv“ eingeordneten Typen.
Eine Bewertung ist also auf eine Kontextualisierung angewiesen, die Fragen stellt wie zum Beispiel: Wann tauchen „erfolgreiche“ Migrantinnen auf? Wem werden sie gegenübergestellt? Eine kritische Einordnung dieses medial konstruierten Typs beinhaltet die Frage nach den Bedingungen von positiven und negativen Darstellungen. So könnte argumentiert werden, dass der Typ der erfolgreichen Migrantin seine positive Bedeutung nur über den Kontext der gängigeren Repräsentationen von migrantischen „Versagerinnen“ und „Opfern“ erhält, sie zu Ausnahmen macht und Negativbilder damit gleichzeitig stärkt. Das Herausstellen von „Positivbeispielen“ beinhaltet zudem immer auch eine Reduktion der Personen auf ihre zugeschriebene „Herkunft“ und birgt erhebliche Nachteile. Letztendlich muss auch die Frage, warum der Kategorie Leistung bei der Darstellung von Migrantinnen überhaupt so eine bedeutsame Rolle zukommt, gestellt werden.
Die positive Bezugnahme auf eine „Integrationsfunktion“ durch Information, Meinungsbildung und Artikulation von Diskursen (vgl. S. 145) verkennt die herrschaftssichernde Funktion von Medien. So bedeuten die eindimensionalen und stigmatisierenden Repräsentationen nicht nur den symbolischen Ausschluss, sondern sind auch funktional für die Legitimation von rassistischen Strukturen. Die Frage, welches medial verbreitete „Wissen“ wie zur wahrgenommenen Selbstverständlichkeit strukturell bedingter Diskriminierungen beiträgt, stellt einen Ansatzpunkt für eine Verortung der Ergebnisse dar. Eine solche Lesart der Studie wirft Fragen wie folgende auf: In welchem Zusammenhang stehen medial präsente Typen wie Opfer, Integrationsbedürftige oder Unerwünschte und bestimmte rassistische und sexistische Verdachtsmuster von „Scheinehe“? Wie schreibt sich das Paradigma der Integration in die Darstellungsweise ein? Wie wirkt sich die mediale Zuweisung sozialer Positionen auf Alltagshandeln aus?
Einer idealisierten Vorstellung von Repräsentation, die nahelegt, ein „realistisches“ mediales Abbild zu zeichnen, das frei von symbolischen Ausschlüssen ist, sei möglich, steht entgegen, dass Repräsentationslogiken immer auf Kategorisierungen nach Gruppen gemäß gegenwärtig gesellschaftstrukturierender Kategorien wie Geschlecht und race und generell auf einem „Sprechen-für“ beruhen. Hier würde ich, wie die Autorinnen auch nahelegen, betonen, dass es bei der Problematisierung medialer Repräsentationen also nicht nur um Darstellung geht, sondern auch um die Fragen „Wer schreibt?“ und „Wer wird adressiert?“ (vgl. S. 148f.).
Die Forderung nach vielfältigeren Bildern und mehr migrantischen Journalist_innen kann rassistischen Verhältnissen nicht die Grundlage entziehen, allerdings kann sie unhinterfragte „Normalitäten“ in Frage stellen und damit rassistische Strukturen weniger plausibel machen.
Zusätzlich verwendete Literatur
McRobbie, Angela (2011): Top Girls. Feminismus und der Aufstieg des neoliberalen Geschlechterregimes. Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden.
Migrantinnen in den Medien. Darstellungen in der Presse und ihre Rezeption.
transcript, Bielefeld.
ISBN: 978-3-8376-1730-6.
178 Seiten. 19,80 Euro.