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Verdacht auf "Scheinehe"

Buchautor_innen
Irene Messinger
Buchtitel
Schein oder nicht Schein
Buchuntertitel
Konstruktion und Kriminalisierung von "Scheinehen" in Geschichte und Gegenwart

Die Autorin richtet den Blick auf die Geschichte und Gegenwart der Konstruktion von „Scheinehen“ und polizeilich-administrativen Strategien in Österreich.

Mehrere hundert Ehen werden in Österreich jedes Jahr wegen des Verdachts der „Scheinehe“, behördlich „Aufenthaltsehe“ genannt, von der sogenannten Fremdenpolizei unter die Lupe genommen und zum Teil strafrechtlich belangt. Irene Messinger nimmt dies zum Anlass, die in Gerichtsakten und anderen Dokumenten vorgebrachten Begründungen und die dominanten, auf bestimmte Personengruppen bezogenen Muster der Verdächtigung zu analysieren. Unter Berücksichtigung intersektionaler Aspekte gelingt es ihr, die ideologische, unterschiedliche Bewertung von Ehen aufzuzeigen und deutlich zu machen, welche unterschiedlichen Betroffenheiten von Kriminalisierung und staatlichen Eingriffen in die Leben von Menschen hervorgebracht werden.

„Scheinehe“ als wandelbare Narration

Ehen werden schon immer aus ganz unterschiedlichen Gründen geschlossen. Während des Nationalsozialismus etwa hatte die Ehe eine bedeutende Schutzfunktion und hat Menschen das Leben gerettet. Seit den 1980ern werden von staatlichen Akteuren zunehmend Diskurse um und Repressionen gegen sogenannte „Scheinehen“ geführt. In Österreich ist die rechtlich als „Aufenthaltsehe“ bezeichnete Ehe seit 2005 für eine Person strafbar, welche heiratet

„ohne ein gemeinsames Familienleben im Sinne des Art. 8 EMRK führen zu wollen und weiß oder wissen musste, dass sich der Fremde für die Erteilung oder Beibehaltung eines Aufenthaltstitels, für die Beibehaltung oder den Erwerb eines unionsrechtlichen Aufenthaltsrechts, für den Erwerb der österreichischen Staatsbürgerschaft oder zur Hintanhaltung aufenthaltsbeendender Maßnahmen auf diese Ehe oder eingetragene Partnerschaft berufen will“ (Österreichisches Fremdenpolizeigesetz 2005, §117).

Diese Diskurse stellen nicht nur bestimmte Ehen als illegitim dar – vor allem hat der Verdacht auf „Scheinehe“ für die verdächtigten Ehepartner_innen weitreichende und jeweils unterschiedliche Konsequenzen: Während der österreichischen Person eine Geldstrafe oder Freiheitsentzug bis zu einem Jahr drohen, bedeutet die gerichtliche Verurteilung wegen „Aufenthaltsehe“ für Nicht-EU-Bürger_innen (behördlich „Drittstaatangehörige“), dass sie keinen Aufenthaltstitel bekommen, er ihnen aberkannt wird und (eventuell) „aufenthaltsbeendende Maßnahmen“ – Abschiebung also.

Die hegemoniale Vorstellung davon, was eine „normale Ehe“ ist und wie sie aussieht, ist dabei der implizite oder explizite Bezugsrahmen, der sowohl für die Verdächtigung als auch für die polizeiliche Überprüfung wichtig ist. Konkrete Merkmale haben sich in den letzten Jahren vielfach gewandelt – momentan wird der behördliche Fokus auf die gemeinsame Meldeadresse, die Finanzierung eines gemeinsamen Haushaltes sowie das geteilte Privatleben und soziale Umfeld gelegt.

Die Definition einer „Scheinehe“ hängt dabei also in hohem Maße von gesellschaftlichen Bildern einer „normalen Ehe“ – und bei der Überprüfung vom subjektiven Eindruck der Beamt_innen – ab. Mit der Konstruktion einer „Scheinehe" wird immer auch die Figur der „normalen Ehe“ reproduziert. Historisch gesehen unterlag die „Scheinehe“, deren juristischer Bodensatz von 1938 heute noch relevant ist, recht verschiedenen Interpretationen und gesellschaftlichen Bewertungen. Seit den 1980ern wird sie im politischen Diskurs explizit verhandelt und schrittweise kriminalisiert. Die „Scheinehe“, die an einem Punkt zivilrechtlicher, strafrechtlicher und „fremdenrechtlicher“ Überlagerungen liegt, unterliegt seit 2005 einer strafrechtlichen Verfolgung für beide Partner_innen. Seit 2009 gelten alle Bestimmungen auch für die „Aufenthaltspartnerschaft“. Das bedeutet, dass (bestimmte) gleichgeschlechtliche eingetragene Partnerschaften mit gleichen strafrechtlichen Konsequenzen „des Scheins“ verdächtigt und kriminalisiert werden (können).

In einem geschichtlichen Abriss zeichnet Messinger den Diskurs um „Scheinehe" von 1938 bis heute nach und zeigt Verbindungen zu Migrations- und Sicherheitsdiskursen auf. Relevant ist für das Narrativ „Scheinehe“ dabei nicht zuletzt, welche Personen(gruppen) konkret verdächtigt wurden und werden.

Verdacht auf Scheinehe

Irene Messinger macht in ihrer intersektionalen Analyse der verdächtigten Gruppen deutlich, dass verschiedene Kategorien wie Geschlecht, Nationalität, Aufenthaltsstatus und soziale Klasse zu spezifischen Verdichtungen von „typischen Verdächtigten“ führen. Die überdurchschnittlich häufige Verdächtigung von Ehen zwischen Österreicherinnen und (oft illegalisierten) Nigerianern zeigt sie als ein Konstrukt einer verdächtigten Ehe, in die gesellschaftliche Vorstellungen ebenso wie spezifische Betroffenheiten von gesellschaftlichen Diskursen und gesetzlichen Regelungen einfließen. So sind Verdachtsmomente beispielsweise am Nachnamen „erkennbare“ vergangene Ehen einer Österreicherin oder das laufende/kürzlich abgeschlossene Asylverfahren eines „Drittstaatangehörigen“. Schließlich spiegelt die Verdächtigung auch aktuelle politische Diskurse in Österreich wider: die diskursive Verschmelzung von „Drogendealer“ und „Schwarzem Mann“ (symptomatisch dafür die „Operation Spring“ 2001, eine rassistische Großrazzia in Wien) bildet den Hintergrund, vor dem ganz bestimmte Personengruppen als bedrohlich und deren Anliegen von Asyl oder binationaler Eheschließung von vorn herein kriminalisiert werden.

Im Abgleich mit ihren quantitativ ausgewerteten Daten aus den Gerichtsakten kann Messinger zeigen, dass eben jene Personengruppen verdächtigt, kontrolliert und verurteilt werden, die dem konstruierten Bild entsprechen und die Konstruktion sich damit selbst reproduziert. „Diese behördlich-bürokratische Sichtweise erfährt damit jene Bestätigung, die sie braucht, um weiter die gleichen stereotypen Bilder von 'Scheinehe' produzieren zu können“ (S. 156).

Aus Gerichtsakten sowie rekonstruierten Fragebögen für die getrennte Befragung der Eheleute zeigt Messinger detailliert die Praktiken der „Fremdenpolizei” bei der Überprüfung von verdächtigten Ehen. Diese Praktiken reichen dabei von der Datenweitergabe von Standesämtern und Meldebehörden an die „Fremdenpolizei” über mehrfache „polizeiliche Nachschau“ in der Wohnung und Befragung von Nachbar_innen bis zu Konfrontationsbefragungen der Ehepartner_innen. Dass dabei tief in die Privats- und Intimsphäre der Betroffenen eingedrungen wird und normierende Maßstäbe der Behörden und Beamt_innen einer „richtigen, normalen Ehe“ als Bezugspunkt der Überprüfung gelten, ist Teil des (zum Teil jahrelangen) kontrollierenden staatlichen Zugriffs auf binationale Ehen.

Irene Messinger hat staatliche Akteure und Diskurse im österreichischen Kontext analysiert – ihre Ergebnisse sind nicht an Österreich gebunden und liefern wichtige Fragen auch in anderen Kontexten. So skizziert sie in ihrer Analyse die Verknüpfung von staatlichen Diskursen und Verdächtigungen, gesellschaftlichen Konstruktionen von („normalen“ und „Schein-“)Ehen und spezifischen Kontrollpraktiken. Österreich stelle aber, so Messinger, in einer bestimmten Hinsicht im europäischen Vergleich eine Ausnahme dar: die Ehe als katholisch legitimierte Institution wird meist ermöglicht, die Erlangung des Aufenthaltstitels der/des „Drittstaatangehörigen“ danach jedoch mit dem Konstrukt der „Scheinehe“ versucht zu verhindern. In Deutschland hingegen wird bereits die binationale Ehe mit zahlreichen Hürden belegt, wogegen der Aufenthaltstitel danach eher leichter vergeben wird.

Institutionalisierter Rassismus

Die intersektionelle Analyse macht unterschiedliche Betroffenheiten der Verdächtigung auf „Scheinehe“ sichtbar und verdeutlicht die Reproduktion gesellschaftlicher Bilder und Rassismen in behördlichen Praktiken. Der Begriff „institutioneller Rassismus“, der diese oftmals schwer konkret zu benennenden Prozesse und Mechanismen beschreiben will, ist oft im deutschen Kontext diskutiert worden (siehe die Rezension Rassismus mit System). Institutioneller Rassismus bezeichnet eine Ebene oder Funktionsweise von Rassismus, die sich auf Institutionen der Gesellschaft und deren Gesetze und Logiken bezieht. Messinger gibt mit ihrem Buch einen greifbaren Einblick in die Funktionsweise von institutionellem Rassismus und fokussiert österreichische Behörden und die „Fremdenpolizei“. Das Buch zeigt, wie bestimmte gesellschaftliche Bilder und Konstruktionen von Personengruppen einfließen in die staatlich-institutionelle Verdächtigung der „Scheinehe“. Rassistische, geschlechtliche und klassenspezifische Diskriminierungen wirken sich auf Verdächtigung, Kriminalisierung und weitere Kontrollpraktiken aus:

„Während bei Ehen zwischen ÖsterreicherInnen bzw. mit EU-Staatsangehörigen keine staatliche Institution Vorschriften hinsichtlich des Zusammenwohnens macht, müssen verdächtigte Ehen mit 'Drittstaatangehörigen' bestimmten Ansprüchen gerecht werden." (S. 196)

Der staatliche Eingriff in Form von Normierung und Kriminalisierung von Ehen mit „Drittstaatangehörigen“ kann, in Verbindung mit anderen diskriminierenden Elementen, als institutionalisierter Rassismus gesehen werden.

„Schein oder nicht Schein“ ist eine wissenschaftliche Analyse, die ganz unterschiedlich gelesen werden kann: Sie bietet einen Einblick in Handlungsfelder, Praktiken und zugrundeliegende Bilder und Logiken und skizziert so sehr konkret und komplex die Mechanismen und Auswirkungen von institutionellem Rassismus. Vielfache Abkürzungen von Institutionen und Gesetzesverweise fordern Aufmerksamkeit beim Lesen, werden jedoch immer in ihrer Bedeutung für die Analyse erklärt. Das Buch bietet aber auch eine neue Sichtweise auf die Debatten um „Scheinehe“ an, die sich gegen dominante staatliche und polizeiliche Sichtweisen stellt und etwa Aktivist_innen oder Journalist_innen kritische Einblicke und Hintergrundwissen ermöglicht. Nicht zuletzt enthält das Buch wertvolle Informationen für binationale Paare – denn zunehmende Restriktionen gegen (bestimmte) binationale Ehen stehen immer in Auseinandersetzung mit einer Autonomie der Migration und Eheprivilegien für alle.

Irene Messinger 2012:
Schein oder nicht Schein. Konstruktion und Kriminalisierung von "Scheinehen" in Geschichte und Gegenwart.
Mandelbaum Verlag, Wien.
ISBN: 978385476-618-6.
280 Seiten. 19,90 Euro.
Zitathinweis: Bente Gießelmann: Verdacht auf "Scheinehe". Erschienen in: Gedenkpolitik: Zwischen Mythos und Kritik. 26/ 2013. URL: https://kritisch-lesen.de/s/y5xqt. Abgerufen am: 22. 12. 2024 02:25.

Zum Buch
Irene Messinger 2012:
Schein oder nicht Schein. Konstruktion und Kriminalisierung von "Scheinehen" in Geschichte und Gegenwart.
Mandelbaum Verlag, Wien.
ISBN: 978385476-618-6.
280 Seiten. 19,90 Euro.