Geschlecht in Pop revisited
- Buchautor_innen
- Paula-Irene Villa, Julia Jäckel, Zara S. Pfeiffer, Nadine Sanitter, Ralf Steckert (Hg.)
- Buchtitel
- Banale Kämpfe?
- Buchuntertitel
- Perspektiven auf Populärkultur und Geschlecht
Der vorliegende Sammelband betrachtet subversive und affirmative Momente in Popkultur in Bezug auf Geschlechterverhältnisse und gibt dabei interessante Einblicke in selbstermächtigende Positionen und subversive Darstellungen.
Drei Wochen habe ich auf den Sammelband gewartet und mich sehr gefreut, als er endlich da war. Da Popkultur ein „dynamischer Ort (ist), an dem gesellschaftliche und sozioökonomische Deutungen verhandelt werden“ (S. 8), scheint eine genauere Betrachtungsweise, die über eindimensionale Kritik am Massenphänomen hinausgeht, notwendig. Dabei richtet der Sammelband seinen Blick auf Widersprüche, Paradoxien und Heterogenitäten in Populärkultur. Die Herausgeber_innen und Autor_innen beziehen dies vor allem auf Geschlechterverhältnisse, bleiben dort aber nicht stehen, sondern berücksichtigen auch andere Macht- und Herrschaftsverhältnisse. Durch die Breite der dargestellten Themenfelder zeigt sich zudem auch eine Vielfältigkeit der Analysen.
Von Vampiren, Feen und Werwölfen – Geschlechterverhältnisse im popkulturellen Horror
Julia Jäckel geht in „How Fucking Lame?“ der Frage nach, ob weibliche Agency in der Produktion „True Blood“ des us-amerikanischen privaten Fernsehsenders HBO mit stereotypen Vorstellungen bricht oder nur ein vorübergehender Ausbruch aus diesen bleibt. Agency ist hierbei definiert als „Handlungsfähigkeit in sozio-diskursive[n] Macht- und Herrschaftsverhältnisse[n]“ (S. 58). Anhand vier weiblicher Protagonistinnen zeichnet sie nach, dass es zwar zu selbstermächtigenden Momenten kommt, der dargebotene Handlungsraum aber durch gesellschaftliche Machtverhältnisse begrenzt bleibt, vor allem in Bezug auf Gender und Race. Sehr interessant ist dabei die Gegenüberstellung der Charaktere in Bezug auf den Zusammenhang von Race und Gender: So wird die Hauptfigur Sookie Stackhouse in ihrer Empathie – die durchaus weiblichen Stereotypisierungen zuspielt – als ‚weiß’ und unschuldig hergestellt, dies ist jedoch nur möglich im Kontrast zu ihrer besten Freundin Tara Thornton, deren Wut und Impulsivität ihre Darstellung als Schwarze Frau* rassifizierend untermalt. Bei beiden Figuren kommt es durch ihre Handlungen zum Bruch mit Weiblichkeitsvorstellungen und selbstermächtigenden Momenten, beispielsweise im Umgang mit Gefahrensituationen – trotz allem wird der Handlungsspielraum von Tara als Schwarzer Frau* und Sookie als ‚weißer’ Frau* (wenn auch mit übernatürlichen Fähigkeiten aufgrund des Umstandes, dass sie eine Fee ist) immer wieder eingeschränkt. Und auch die Agency der Vampirinnen Pam und Jessica scheint – trotz des vergrößerten Handlungsraumes aufgrund ihrer übermenschlichen Fähigkeiten – durch Familien – und romantische Beziehungsvorstellungen begrenzt. So ist das Fazit der Autorin durchaus passend, wenn sie schreibt:
„Die fiktive Freiheit scheint schöpferische Kreationen wie Vampire* und Hexen* (wie auch Werwölfe*) zu erschaffen, eine weibliche Protagonistin, die sich über emotionale und normierende Machtverhältnisse hinwegsetzt, bleibt hingegen eine monströse Bedrohung.“ (S. 72)
In „Girls, Boys & Teenwolves“ stellt Julia Miess die Repräsentation von Werwölfen in Bezug auf Geschlechterverhältnisse in den Filmen „Ginger Snaps“ und der „Twilight“-Reihe gegenüber. Miess geht darauf ein, dass der Werwolf zu den traditionell männlichen* Monstern gehört und Frauen* im Gegensatz dazu wenn überhaupt als Opfer in Erscheinung treten. Anders in „Ginger Snaps“: Hier wird die Verwandlung der jungen Ginger in die Entwicklungen der Pubertät eingebettet und sowohl mit klassischen Vorstellungen des weiblichen (Lust-)Objekts im Horrorgenre als auch mit dem Bild von Werwölfen gebrochen. Es ist so als eine Position der Selbstermächtigung zu lesen, wenn Ginger sich entscheidet, ein Gegengift abzulehnen, um die Veränderung ihres Körpers und die damit verbundene Freiheit zu genießen – auch wenn dies bedeutet, im wortwörtlichen Sinne über Leichen zu gehen.
Diesen Bruch sowohl mit Geschlechtervorstellungen als auch der maskulinen Prägung findet sich bei „Twilight“ – wie überraschend – in keiner Art und Weise. Die Werte von Jacob „Jake“ Black und seinem Rudel bewegen sich zwischen Männerverbund und konservativer US-amerikanischer Männlichkeit. Jake wird zudem dadurch, dass der weiße Vampir Edward Cullen und nicht er selbst eine Liebesbeziehung mit Bella Swan beginnt, zwar in überzeichneter Körperlichkeit dargestellt, zugleich aber zu sexueller Passivität verdammt, da „Begehren und Triebkontrolle (...) der weißen (vampirischen) upper class vorbehalten“ ist (S. 113). Sehr kritisch arbeitet Miess auch den Zusammenhang von Geschlecht, Klasse und Ethnizität heraus, welcher in „Twilight“ überaus fragwürdig dargestellt wird, beispielsweise beider Gegenüberstellung der Cullen-Villa im Bauhaus-Stil und der einfachen Verhältnisse im Reservat La Push, in welchem Jake und sein Rudel leben. Eine rassistische Bezugnahme findet sich hierbei auch anhand des Werwolf-Bildes: diese werden als „hochanständige Monster“ (S. 114) dargestellt, und greifen somit auf das rassistische Bild des „edlen Wilden in Reinform“ (ebd.) zurück. Die einzige Frau* im Werwolfrudel, Leah Clearwater, wird nicht nur als „zickig“ stilisiert, sondern zudem in doppelter Weise der negativ bewerteten Andersartigkeit weiblicher Monster ausgesetzt: als Werwölfin und als unfruchtbare Frau*. In Gegenüberstellung der Figuren in „Twilight“ und „Ginger Snaps“ hält Miess fest: „Was für den weiblichen Werwolf die Befreiung aus Konventionen ist, ist für den männlichen Werwolf eine ins Extreme überzeichnete Doppelung seiner Geschlechterrolle.“ (S. 117)
Solch schlüssige und kritische Analysen würde ich mir als begeisterte_r Konsument_in von Fantasyliteratur und –Filmen häufig auch durch Autor_innen oder Drehbuchautor_innen wünschen.
Popkultur und Pornoästhetik – Zwischen Widerständigkeit und Selbstermächtigung
Einen eher theoretischen Zugang zum Thema bietet Tanja Thomas in „Zwischen Konformität und Widerständigkeit“. Diese sieht Populärkultur als Vergesellschaftungsmodus, was bedeutet, „diese als Element der Konstitution des Sozialen“ (S. 214) zu diskutieren. Thomas zeichnet die theoretischen Bezugnahmen nach und gibt daran anknüpfend einen kurzen historischen Abriss über die feministische Medienforschung, wobei ihre Hauptfrage bleibt, wie sich Widerständigkeit in Popkultur fassen lässt. So konstatiert Thomas:
„Wenn wir davon ausgehen, dass weder der populärkulturelle Text noch eine seiner Eigenschaften widerständig sind, dass es aber auch nicht die Lektüre ist, die diese widerständig werden lässt, sondern dass soziokulturelle Geschehen, das Verbindungslinien zieht innerhalb und zwischen Rezipient_in und Text sowie darüber hinaus in soziale und diskursive Kontexte hinein (...), können wir durchaus feststellen, (...) welche Veränderungen dieses soziokulturelle Geschehen individuell, kollektiv und/oder gesellschaftlich zu zeitigen imstande ist.“ (S. 221)
Um die Verständlichkeit dieser theoretischen Rahmung deutlich zu machen, verweist Thomas auf Gruppendiskussionen mit Rezipient_innen von „Germany´s Next Topmodel“, deren Interpretationen sich in einem Spannungsfeld zwischen Empowerment und Entmächtigung bewegen. Diese Herangehensweisen in „Germany´s Next Topmodel“ werden paradoxerweise handlungsanleitend für den eigenen Alltag angesehen, worin sich durch die eigene Subjektivität durchaus individuelle Widerständigkeit entwickeln lässt, so die These Thomas. So werden Macht- und Herrschaftsverhältnisse, die sich in dieser Produktion re_prouzieren, von Rezipient_innen benannt aber zeitgleich darauf hingewiesen, dass sie diesen Zugang – wie Parallelen zur Leistungsgeschellschaft – nicht gutheißen. Inwieweit diese Widerständigkeit jedoch auch Raum für intervenierende Umsetzungen bietet, bleibt jedoch nach Aussage Thomas ungewiss.
Einen sehr interessanten Zugang zu Sexualisierung von Körpern im Pop bietet Paula-Irene Villa mit „Pornofeminismus?“. Ihr Beitrag zeichnet einerseits nach, wie sich in der Moderne Debatten um Pornographie verorten lassen und gibt dabei auch feministische Auseinandersetzungen und Argumentationsmuster – von porNO bis hin zu feministischen porn – wieder. Andererseits wird anhand der Künstlerinnen Lady Gaga und Lady Bitch Ray exemplarisch aufgezeigt, wie (Selbst-)Pornographisierungen als Selbstermächtigungsstrategien gelesen werden können. Kritisch betrachtet Villa hierbei vor allem Lady Gagas Auftritt in einem Kleid aus rohem Fleisch, da diese verstörende Performance einerseits an feministische Protestkultur angelehnt ist, um die Sexualisierung von Frauen* im Pop zu thematisieren, andererseits aber die individuelle Leistung als Meister_in der Selbstermächtigung (vgl. S. 240) hervorhebt und keine radikale Kritik übt. Ähnlich sieht Villa auch die Inszenierung von Lady Bitch Ray als „Top Girl“, welche maskulin kodierte Praxen und Positionen übernimmt und sich darüber als handlungsmächtig in Szene setzt, ohne ihre eigene Weiblichkeit zu gefährden. Damit unterstützt sie auch massiv Vorstellungen von Zweigeschlechtlichkeit, Heterosexualität, Lookismus und Männlichkeit. Entgegen Villas Darstellungenen und der Parallele zu Lady Gaga, die in dem Artikel gezogen wird, ist es jedoch relevant darauf hinzuweisen, dass Lady Bitch Ray sich selbst als Feminstin verortet und Ironie als Ausdrucksmittel ihrer Positionierung als migrantische Frau* nutzt. Nur weil es nicht notwendigerweise mein Zugang zu Feminismus ist und queer bei Lady Bitch Ray kein Thema ist, sehe ich doch positive Anknüpfungspunkte für junge Frauen* durch ihre Kunst.
In ihrem Fazit stellt Villa die These auf, dass einer der Gründe für diese Form der Selbstinszenierung und pornographischen Strategien als „angemessene Artikulation der Ängste, Wünsche, Realitäten und Phantasien von jungen Menschen im Rahmen neoliberaler Ökonomisierungen des Sozialen“ (S. 243). Sie führt weiter aus, dass die neoliberale Logik des ständigen Wettbewerbs, in dem niemand „Opfer“ sein will, zu einem individuellen Existenzkampf führt, welcher „Empowerment“ als Strategie nutzt. Bei dieser Herangehensweise bleibt jedoch die Frage offen, wie jenseits von kollektiven Prozessen Empowerment (auch über Nutzung pornographischer Elemente) in Popkultur positiv verhandelt werden kann. Wenn Empowerment nur noch als individuelle Strategie genutzt wird, so wie es Villa darstellt, scheint es trotz allem notwendig, die Relevanz für individuelle Umsetzungen und deren Außenwirkung in der Wahrnehmung durch Rezipient_innen ernst zu nehmen und Selbstermächtigung aus einer deprivilegierten Position als positiv zu erachten.
Perspektiven auf Popkultur
Neben den angesprochenen Beiträgen finden sich noch viele weitere in dem Sammelband. So setzt sich beispielsweise Dunja Brill mit Männlichkeit, Whiteness und Class in der Industrial und Extreme-Metal-Szene auseinander, während Demet Lüküslü die türkische Hiphopszene als Raum von Männlichkeitskonstruktion näher betrachtet. Ein Teil der Herausgeber_innenschaft des „Missy Magazine“ zeichnet in „100 Seiten Popfeminismus“ die Entstehungsgeschichte des Magazins im Rahmen des Dritte-Welle-Feminismus nach. Popfeminismus wird hierbei als der Versuch verstanden, „feministische Strategien und Instrumentarien in das Feld der Popkultur hineinzutragen“ (S. 44). Harte Kritik übt Miriam Strube in „Dressed for success“ sowohl an den Genderdarstellungen als auch an der Konsumdarstellung in „The L-Word“. Dabei hält sie aber fest, dass der Serie zumindest in einigen Hinsichten gelingt, neue Repräsentationen wie beispielsweise „weibliche Maskulinität“ massenkompatibel zu integrieren und so in gewissen Rahmen doch Brüche aufzuzeigen.
Generell ist die Lektüre dieses Sammelbandes sehr zu empfehlen, die Analysen sind stichgenau und es mangelt auch nicht an humorvollen Spitzen in der kritischen Auseinandersetzung mit Stars, Musikrichtungen und Lieblingsserien. Auch beeindruckt die Verbindung theoretischer Zugänge aus den Kultur- und Sozialwissenschaften mit alltäglich konsumierter Popkultur. Zum ungläubigen Staunen hat mich jedoch der Preis des Buches gebracht: aufgrund der Nutzung farbiger Seiten, um sowohl das eigens für den Sammelband gestaltete – und ziemlich coole – My-Little-Meaty-Lady-Gaga-Pony der Künstlerin Mari Kausurinen als auch Filmposter und Cover darzustellen, kostet der Band stolze 39,95 Euro. Ich kann mir vorstellen, dass dieser Preis durchaus potenzielle Rezipient_innen von einem Kauf abhalten kann.
Banale Kämpfe?. Perspektiven auf Populärkultur und Geschlecht.
Springer VS, Wiesbaden.
ISBN: 978-3-531-18982-6.
271 Seiten. 39,95 Euro.