Anleitung für die moralische Herrschaft
- Buchautor_innen
- Laurie Penny
- Buchtitel
- Sexuelle Revolution
- Buchuntertitel
- Rechter Backlash und feministische Zukunft
Frauen, die sich gerne führen lassen, werden die Verhältnisse nicht zum Tanzen bringen. Warum es sich bei der „Kultur des Consent“ um eine Einwilligung ins Patriarchat handelt.
Im Jahr 2022 erschien das Buch „Sexuelle Revolution“ der Journalistin und Autorin Laurie Penny. Ihr Feminismus wird darin als „Kultur des Consent“ beschrieben, als Einvernehmlichkeit in allen Lebensbereichen. Sie weitet somit das Konzept, dass vornehmlich für die Sexualität gedacht ist aus und fordert dieses auch für Politik und Ökonomie. Die Entwicklung dieses Grundgedankens wird im Buch allerdings immer wieder unterbrochen von Ausführungen rund um Faschismus, Rechtsruck, sexuelle Gewalt und Emanzipation; der essayistische Aufbau des Bandes ist Leserinnen bereits von Pennys früheren Büchern bekannt. Insofern ist der Band auch weniger als klare Beweisführung einer, sondern vielmehr als Einblick in viele verschiedene Urteile rund um diese Themen zu lesen.
Das Problem
Trotz des assoziativen Aufbaus gibt es einen gemeinsamen Nenner: Der Rechtsruck ist das Problem, der Feminismus die Lösung, wie der Untertitel des Werks bereits ankündigt: „Rechter Backlash und feministische Zukunft“, wobei das englische Original mit „Modern Fascism and the Feminist Fightback“ sogar noch expliziter ist. Pennys Kritik am „Faschismus“ der Gegenwart liest sich dabei so: „Gänzlich moralbefreite Politiker wie Bolsonaro, Putin und Trump haben es geschafft, dass zwischen Fakten und Meinungen nicht mehr unterschieden wird.“ (S. 66) Pennys Überzeugung: Als verkommene Subjekte, denen es an der nötigen Moral mangelt, die es für ihre wichtigen Ämter braucht, gehören diese nicht auf die Posten, die sie innehaben. Nicht nur, aber besonders diese drei, hätten es unter anderem geschafft, dass „Fake News“ salonfähig geworden seien. Denn „…diese strengen Väter haben sich als unzuverlässige, ungehobelte Kotzbrocken entpuppt, völlig ungeeignet für die Verantwortung, die mit ihrer Macht einhergeht“ (S. 226).
Ihr Urteil über diese an ihrer Verantwortung gescheiterten Patriarchen ist in aller Kürze in einer Kapitelüberschrift zusammengefasst: „Machtmissbrauch“ (S. 323). Egal ob Filmschaffende ihre Macht missbrauchen, um Frauen zu vergewaltigen oder Politiker, um „white supremacy“ zu fördern. Penny entdeckt einen sehr grundsätzlichen Mangel an moralischer Integrität des Herrschaftspersonals in Politik und den Entscheidern in der Ökonomie. Aber nicht nur dort findet sie pflichtvergessene Männer, sondern auch auf den unteren Stufen der Hierarchie in der bürgerlichen Gesellschaft:
„In den Medien wird berichtet, dass Frauen die Kinderbetreuung noch weitgehend allein schultern, als wäre das eine moralisch neutrale Aussage – als gehörte zu dieser Information nicht auch dazu, dass neben diesen Frauen Millionen von Männern stehen, die einfach zu faul, zu sexistisch und egoistisch sind, sich um sich selbst und ihre Familie zu kümmern.“ (S. 214)
Die Lösung
Entsprechend kann die Lösung der Autorin nicht überraschen. Sie erwartet mehr von Politikerinnen und Politikern, aber auch mehr von den Männern allgemein; und weiß sich und ihre Leserinnen damit auch im Recht, zumindest und auf jeden Fall moralisch: „Respekt und Menschenwürde sind dein Geburtsrecht.“ (S. 134) Ihre Lösung in der Abteilung Herrschaftspersonal besteht zuerst einmal in einer neuen Attitüde für die Frauen: „Genau das ist unter Consent Culture zu verstehen: Dass wir mehr erwarten und mehr verlangen.“ (S. 75)
Dass ist die eine Hälfte der Revolution, die Penny fordert. Sie argumentiert damit, dass „die Aufdeckung von Machtmissbrauch per se schon eine Revolution gegen die Macht“ (S. 106) sei. Dabei entgeht ihr allerdings, wie sehr der Vorwurf des Missbrauchs auch immer den richtigen Gebrauch der Macht unterstellt. Anders gesagt: Die Aufdeckung von einem falschen Gebrauch der Macht ist gerade keine Revolution gegen die Macht an sich, sondern die Forderung nach ihrer sachgerechten Anwendung.
Pennys sexuelle Revolution richtet sich gegen „ungehobelte Kotzbrocken“, die ihrer „Verantwortung“ als Politiker nicht gerecht würden. Damit verteidigt sie aber letztlich nur das Amt gegen seine Inhaber. Das sagt Penny immer wieder explizit, wenn sie die Zustimmungskultur als neue Ethik vorstellt und so die zweite Seite ihrer Revolution präsentiert:
„Consent ist das Gegenteil von Autoritarismus und das Gegenteil von Scham. Für Einvernehmlichkeit brauchen wir kein neues Regelwerk. Wir brauchen eine neue Ethik der Einvernehmlichkeit, im öffentlichen wie im privaten Leben, für den sexuellen und den sozialen Umgang.“ (S. 351)
Das alte Regelwerk braucht also auf der einen Seite anspruchsvollere Frauen und auf der anderen Seite Männer, die ihren Jobs – egal ob Familienvater oder Politiker – auch gerecht werden. Ein Job, der im Falle des zweitgenannten immerhin zum Inhalt hat, den gemeinen Bürgerinnen und Bürgern per Gesetz die Lebensverhältnisse aufzumachen, mit denen die dann zurechtkommen müssen. Dass Herrschaft notwendig unterstellt, dass die Interessen der Beherrschten nicht identisch sind mit denen der Politik, erklärt sich schon daraus, dass die ganze Trennung zwischen Gesellschaft und politischem Überbau leidlich unnötig wäre, wenn deren Zwecke zusammenfallen würden. Pennys Problemdiagnose ist so bekannt wie verkehrt: Die Differenz aus Volk und Führung sei ganz unnötig und entspringe nicht dem notwenigen Charakter der Herrschaft, sondern dem schlechten Charakter der Politiker; und wäre entsprechend mit neuen, besseren auch zu beseitigen. Eben kein neues „Regelwerk“, sondern eine neue Ethik.
Das Fazit
Penny fängt ihr Buch mit guten Nachrichten an, mit denen man aber bekanntlich lieber aufhört; des guten Gefühls wegen. Siegen werden die bösen Mächte nämlich nicht, da ist sich die Autorin sicher. Scheitern soll der neue Faschismus aber weder am kämpferischen Feminismus noch an der neuen Ethik, sondern an einem Mangel eigener Art: „Die Tyrannen und Despoten werden den Sieg nicht davontragen. Zumindest nicht langfristig. Sie können nicht gewinnen, weil sie keinerlei sinnstiftende Zukunftsvision anzubieten haben. Sie wollen herrschen, nicht führen.“ (S. 13)
Weniger große Analytikerinnen mögen Schwierigkeiten haben, beides – Führen und Herrschen – überhaupt sauber auseinanderzuhalten, was hier sogar als Gegensatz behauptet wird. Manch eine findet es vielleicht sogar humorig, ausgerechnet den Faschisten einen Mangel an Führungswillen zu unterstellen. Es ist, um nur das geringste zu sagen, auch eine etwas gewagte These, dass ausgerechnet der Faschismus, der die Menschen reihenweise zur Opferbereitschaft aufruft, einen Mangel an höheren, sinngebenden und -stiftenden Werten zu vermelden hätte. Manche mögen sich auch fragen, was „langfristig“ nun wieder bedeutet: Waren zwölf Jahre Hitler beim letzten heimischen Anlauf in Sachen Faschismus etwa „kurzfristig“, nur weil eine demokratische gewählte Herrschaftsmannschaft auch mal 16 Jahre schafft?
Aber derlei Kleingeister vermögen nicht das große Ganze zu sehen, dass den Feminismus einer Laurie Penny im Kern ausmacht: Wir brauchen eben keine „neuen Regelwerke“, sondern nur echte, feministische Führer, Frauen, die selbstbewusst fordern, was ihnen von diesen zusteht und Männer, die endlich pflichtbewusst diesen Führern und ihrer „neuen Ethik“ folgen. Oder?
Sexuelle Revolution. Rechter Backlash und feministische Zukunft. Übersetzt von: Anne Emmert.
Edition Nautilus, Hamburg.
ISBN: 978-3-96054-286-5.
384 Seiten. 24,00 Euro.