Rechter Terror und "Extremismus" Ausgabe Nr. 15, 06. März 2012
Im Oktober letzten Jahres wurden die Taten des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU) bekannt. In einem Zeitraum von über zehn Jahren verübte die Gruppe mit Unterstützung eines bisher noch nicht in der Gesamtheit erfassten Helfer_innenkreises zehn Morde, mindestens zwei Sprengstoffanschläge und zahlreiche Banküberfälle. Welche Rolle dabei diverse Geheimdienste und Ermittlungsbehörden gespielt haben, ist immer noch unklar, da die Verantwortlichen durch ihr beharrliches Schweigen eine lückenlose Aufklärung behindern. Sicher ist in diesem Zusammenhang nur, dass die Taten der NSU den Behörden schon längere Zeit bekannt waren und sie keineswegs davon überrascht wurden.
Das große Schweigen bestimmt ebenso die Reaktionen der Öffentlichkeit. An den Gedenkveranstaltungen in Deutschland nahmen jeweils nur einige hundert Menschen teil und auch Bekundungen der Bundesregierung scheinen zu Lippenbekenntnissen zu werden, da bisher nicht erkennbar ist, dass der Worte konkrete Taten folgen. Dass Neonazis prinzipiell zum Töten bereit sind und dies durch ihre Ideologie legitimiert sehen, sollte keine besondere Überraschung darstellen. Nur wenige Monate vor dem Bekanntwerden der Taten des NSU kam es in Norwegen zu einem rechten Anschlag mit 77 Toten. Der ambivalente Mediendiskurs, der von einem islamistischen Terroranschlag bis zur Annahme eines „geistig verwirrten“ Einzeltäters reicht und sich durch rechte Blogs bis hin zu links-liberalen Tageszeitungen zog, wird im von Jorane Anders rezensierten Band „,Das hat doch nichts mit uns zu tun!‘ Die Anschläge in Norwegen in deutschsprachigen Medien“ nachgezeichnet. Welche ideologische Verantwortung hingegen die europäische extreme Rechte an solchen Taten hat und wie sich die dadurch in den Fokus gerückten sogenannten Rechtspopulisten verhalten haben, beschreibt Michael Lausberg in der Besprechung des Buchs „Distanzieren Leugnen Drohen. Die europäische extreme Rechte nach Oslo“.
Während im skandinavischen Raum als Reaktion auf die begangenen Morde eine zum Teil kritische Aufarbeitung der politischen und gesellschaftlichen Verantwortung stattfindet, bleibt diese Debatte in Deutschland weitgehend aus. Eine kritische Auseinandersetzung ist von politisch Verantwortlichen, die seit Jahrzehnten eine „extremistische“ Bedrohung an den Rändern der Gesellschaft beschwören, kaum zu erwarten. Dass hingegen viel zu lange die Gefahr „linker Gewalt“ - untermauert durch die „Extremismustheorie“ - in den Mittelpunkt gerückt wurde, verdeutlicht Ulrich Peters in seiner Rezension "Der politische Raum als Hufeisen". Wie sich entgegen aller sachlichen Auseinandersetzungen zwei konservative „Extremistenjäger“ eine „linksextreme“ Gefahr auf 200 Seiten herbei schreiben, zeichnet Martin Brandt anhand des Buchs „Linksextrem – Deutschlands unterschätzte Gefahr? Zwischen Brandanschlag und Bundestagsmandat“ nach. Dass staatlich-repressive Maßnahmen kein adäquates Mittel zur Bekämpfung extrem rechter Positionen sein können, dürfte zwischenzeitlich jeder_m deutlich geworden sein. Vielmehr bedarf es unabhängiger Strukturen, die frei von staatstragender Einflussnahme eine linke Gegenkultur etablieren. Wo diese stark ausgeprägt ist, haben es Neonazis und andere Rechte äußerst schwer sich zu etablieren. Orientierung für linke Gegenkultur bietet der von Tompa Láska besprochene Band „Antifa. Geschichte und Organisierung“.
In den weiteren aktuellen Rezensionen geht zunächst Patrick Schreiner in "Bildung als Reservekasse" den Konsequenzen der Kürzungen im Bildungsbereich nach, die aus der „Schuldenbremse“ der öffentlichen Haushalte resultieren. Sebastian Friedrich widmet sich dem Buch „Sex und Subversion“, welches emanzipatorische Potentiale von alternativen Pornofilmen aufzuspüren versucht. Enttäuscht zeigt sich Philippe Kellermann von Michael Fischs Versuch einer Biographie Michel Foucaults. Eine Brücke zu unserem Schwerpunkt schlägt peps perdu, die sich der Frage von Geschlechterverteilung und Geschlechterbildern in der extrem Rechten anhand des Buches „Rechtsextremismus und Gender“ widmet. Wer sich für linke Geschichte und Politik in Südtirol interessiert, dem empfiehlt Gabriel Kuhn das ausführliche und umfassende Buch „rote milben im gefieder“.
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