Reaktionen der extremen Rechten nach den Anschlägen in Norwegen
- Buchautor_innen
- Bernhard Schmid
- Buchtitel
- Distanzieren Leugnen Drohen
- Buchuntertitel
- Die europäische extreme Rechte nach Oslo
Die Attentate in Norwegen waren die schlimmste Gewalttat in Europa nach den von extremen Rechten begangenen Anschlägen von Bologna im Jahre 1980. Bernhard Schmid arbeitet die ideologische Verantwortung von Parteien und Theorieorganen der extremen Rechten heraus und fragt nach deren Reaktionen auf die Morde von Oslo und Utöya.
Bei einem Bombenattentat im Regierungsviertel von Oslo und einem Massaker in einem Ferienlager der sozialdemokratischen Regierungspartei auf der in der Nähe der Hauptstadt gelegenen Insel Utöya wurden insgesamt 93 Menschen getötet. Gegen 15.20h Ortszeit erschütterte eine gewaltige Explosion das Regierungsviertel. Eine Autobombe tötete sieben Menschen, mehr als 20 wurden zum Teil schwer verletzt. Mehr als drei Stunden später tötete der Täter Anders Behring Breivik in einem Ferienlager 85 TeilnehmerInnen. Er konnte nach dem Eintreffen von Sicherheitsorganen auf Utöya festgenommen werden. Vor der Tat hatte Breivik eine ca. 1500 Seiten starkes „Manifest“ mit dem Titel „A European Declaration of Independance – 2083“ ins Internet gestellt. In dieser Schrift hetzte Breivik gegen den „Multikulturalismus“ sowie den allgemein um sich greifenden „kulturellen Marxismus“ und bezeichnete „den Islam“ als eine „Genozid-Ideologie“. Durch „Masseneinwanderung“ und „Islamisierung“ habe die regierende norwegische Sozialdemokratie bewusst auf einen „Bevölkerungsaustausch“ hingearbeitet. Der norwegische Regierungschef Jens Stoltenberg sprach nach den Anschlägen von der „schlimmsten Katastrophe nach dem 2. Weltkrieg“ für das nordeuropäische Land.
Der Autor Bernhard Schmid will mit diesem Buch einerseits „geistige Spuren“ freilegen, die die Taten des Anders Behring Breivik erklären (S. 5f). Andererseits geht es um die Beantwortung der Frage, wie die europäische extreme Rechte auf das Massaker reagierte.
Schmid weist darauf hin, dass es sich bei Breivik nicht um einen Neonationalsozialisten handelt, der sich positiv auf Adolf Hitler bezieht. Für ihn zählt Breivik
„zu dem Teil des rechten Spektrums, das besonders gegen ‚den‘ Islam hetzt, vordergründig oder auch inbrünstig den Staat Israel ‚als Frontstaat gegen die Araber‘ unterstützt und sich auf ‚westliche Werte‘ beruft.“(S. 9).
Die vor allem in rechten Medien verbreitete Version, dass Breivik ein „verwirrter Einzeltäter“ war, wird von Schmid zurückgewiesen.
Schmid arbeitet vier unterschiedliche Reaktionsmuster bei den extremen Rechten in Europa auf die Anschläge in Norwegen heraus: Distanzierung, die Vertuschung bzw. Schuldzuweisung an die aus ihrer Sicht hegemonialen (linken) Eliten, die für Einwanderung und die multikulturelle Gesellschaft verantwortlich sind, Drohungen an die Adresse der Kritiker und (antisemitische) Verschwörungstheorien. (S. 20) In Österreich bemühte sich die FPÖ, jegliche ideologische Mitverantwortung abzulehnen und sich von den Taten Breiviks zu distanzieren. Die FPÖ schloss Werner Königshofer, einen Abgeordneten im österreichischen Nationalrat, aus, der die Anschläge in Oslo bagatellisierte, indem er auf die „Opfer der Abtreibungsgewalt“ und auf die „tausend mal mehr islamistischen Gewalttaten“ hinwies. (S. 21) Der französische FN nahm ebenfalls Abstand von den Taten Breiviks. Als ihr Funktionär Laurent Ozon erklärte, die Anschläge wären eine Folge der „explosionsartigen Zunahme der Einwanderung“ in Norwegen, die nun zwangsläufig zu gesellschaftlichen Konflikten führe, musste er auf Druck seiner Parteiführung am 14.8.2011 von allen Ämtern zurücktreten. Dies geschah aus Angst vor einem Reputationsverlust, war also als taktisches Manöver zu werten. Auf der rechten Webseite „La valiseou le cercueil“ waren verschiedene Artikel des Betreibers Jacques Coutela erschienen, in denen Breivik positiv dargestellt wurde. Breivik sei ein „neuer Karl Martell“ und der „erste Verteidiger des Abendlandes“. (S. 23) Innerhalb der französischen extremen Rechten war auch die Verschwörungsthese, dass Breivik Freimaurer gewesen sei, sehr beliebt.
Breivik bezeichnete in seinem „Manifest“ den Briten Paul Ray, der im Frühjahr 2009 eine zentrale Rolle bei der Gründung der islamfeindlichen English Defence League (EDL) spielte, als „Mentor“. Ray trat bald schon aus der EDL aus und gründete eine eigene Bewegung der „Tempelritter“ (Knights Templar). Breivik nahm am 5.3.2010 an einer Demonstration der EDL teil. (S. 64)
Der Parteivorsitzende der Schweizerischen Volkspartei (SVP), Toni Brunner, bekundete sein Entsetzen über die Attentate in Norwegen. Die Tatsache, dass sich Breivik in seinem Manifest lobend über die SVP äußerte, zog keine Selbstkritik der SVP nach sich.
Nach den Anschlägen geriet auch das deutsche islamfeindliche Internetportal Politically Incorrect (PI) vorübergehend in den Blickpunkt der Aufmerksamkeit bürgerlicher Medien in der Bundesrepublik. PI distanzierte sich zunächst halbherzig von Breiviks Taten und betrieb danach eine verklärende, an Diffamierung grenzende Berichterstattung. Im Kapitel 2.65 seines „Manifestes“ äußerte sich Breivik folgendermaßen über den von der rechten Pro-Bewegung veranstalteten „Antiislamisierungskongress“ am 20.9.2008 in Köln: „In Köln, Deutschland, wurde eine geplante Anti-Islamisierungsdemonstration durch eine unheilige Allianz eurabischer multikultureller Eliten und linksextremen ‚Antifaschisten' behindert.“ (S. 119) Mit dieser Tatsache konfrontiert, tat die Pro-Bewegung alles, um sich von der Ideologie und der Taten Breiviks zu distanzieren. Schmid beschreibt überzeugend das geistige Milieu der extremen Rechten in Europa, das als ideologische Instanz wenigstens moralisch für die Attentate in Oslo verantwortlich war. Vor allem die Reaktionen der „Stichwortgeber der Tat“ (S. 6) in Frankreich werden gut herausgearbeitet.
Die Schwäche des Buches liegt darin, dass es nur sehr wenige Informationen über die extreme Rechte in Norwegen selbst liefert. Die kurze Charakterisierung, die Schmid auf den Seiten 15 bis 19 vornimmt, reicht bei weitem nicht aus, um ein umfassendes Verständnis über Organisation, Programmatik, Strategie und die Frage der Militanz der extremen Rechten in dem nordeuropäischen Land zu bekommen. Folgende Fragen stellen sich: Ist die politische Kultur in Norwegen nach den konstant hohen Wahlerfolgen der rassistischen Fortschrittspartei nach rechts abgedriftet? Wenn ja, wie äußert sich das? Gibt es gesicherte Erkenntnisse über Einstellungspotentiale des antimuslimischen Rassismus oder zu Fragen der Migration allgemein? Existiert neben der Fortschrittspartei eine (neonazistische) Szene (Publikationsorgane, Verlage, andere rechte Parteien oder Organisationen), die eine Gefahr für die Demokratie und das Leben von MigrantInnen und Linken darstellt?
Ein Fazit, das die wesentlichen Thesen des Buches zusammenfasst und diskutiert, fehlt leider auch.
Distanzieren Leugnen Drohen. Die europäische extreme Rechte nach Oslo.
Edition Assemblage, Münster.
ISBN: 978-3-942885-09-6.
128 Seiten. 12,80 Euro.