Werkzeug für Veränderung
- Buchautor_innen
- Siegfried Jäger
- Buchtitel
- Kritische Diskursanalyse
- Buchuntertitel
- Eine Einführung
Die komplett überarbeitete Einführung in Theorie und Methode der Kritischen Diskursanalyse stellt nicht nur Handwerkszeug zur Verfügung, sondern regt für eine widerständige Praxis an.
Wer macht Medien? Die Frage kann je nach Perspektive unterschiedlich beantwortet werden. Manche mögen antworten, es sind Journalist_innen und Herausgeber_innen, also die Medien-Macher_innen. Für andere sind es eher Unternehmen, die als Werbekunden oder Anteilseigner das Heft oder die Zeitung in der Hand haben. Ebenso umstrittene ist, ob Medien Spiegel oder Bildner der Gesellschaft sind. Beide Diskussionen betreffen direkt die Fragen nach der Intervention in und gegen Medienkampagnen sowie -debatten. Wie soll aus linker Perspektive gehandelt werden, wenn sich etwa in den großen Zeitungen der gesamtgesellschaftliche Rassismus Bahn bricht, ein Sozialdemokrat über irgendwelche Gene spricht und als politische Handlungsperspektive das „Auswachsen" von als problematisch identifizierten Gruppen anbietet? Sollen die verantwortlichen Redakteur_innen, der Verfasser selbst oder die Werbekunden und Anteilseigner in den Blick genommen werden? Auch wenn Verantwortlichkeiten durchaus benannt werden sollten, läuft ein solcher Fokus Gefahr die Fragen auszublenden, warum und in welcher Weise bestimmte Aussagen eine derartige Wirkmacht entfalten können. Im besten Fall sützen sich mögliche linke Interventionen auf Analysen, die den gesamtgesellschaftlichen Kontext ins Zentrum der Betrachtung rücken. Die Diskursforschung (vgl. Keller 2011) stellt für ein solches Herangehen viele Anregungen zur Verfügung. Sie umfasst die vielen − teilweise auch sehr unterschiedlichen − Ansätze der Diskursanalyse, die in Tradition des französischen Philosophen Michel Foucault stehen. Eine der bekanntesten Ansätze darunter ist der vom Duisburger Institut für Sprach- und Sozialforschung (DISS) geprägte Ansatz der Kritischen Diskursanalyse (KDA). Siegfried Jäger hat nun den bereits in den 1980er Jahren entworfenen Ansatz einem gehörigen Update unterzogen und sein Standardwerk zur Einführung in die Kritische Diskursanalyse vollständig überarbeitet.
Von Foucault...
Die KDA orientiert sich sehr eng an den Arbeiten Foucaults und greift weitgehend auf die von ihm geprägten analytischen Begrifflichkeiten Diskurs, Wissen, Wahrheit und Macht zurück. Foucault definierte in „Archäologie des Wissens“ Diskurse als Menge von Aussagen, „die einem gleichen Formationssystem zugehören“ (Foucault 1973: 156). Aussagen sind es, die vorhandenes Wissen reproduzieren; Wissen, das nicht einfach vorhanden ist, sondern durch Diskurse hergestellt wird. Insofern sind Aussagen nicht nur Stützpfeiler des Diskurses, die durch Wiederholung gestärkt werden, sondern gleichwohl dafür verantwortlich, dass sich Diskurse ändern. Aussagen produzieren somit auch Wissen, denn Wissen ist Diskursen nicht vorgelagert, vielmehr stehen beide in wechselseitiger Beziehung zueinander. Dieses diskursiv etablierte Wissen ist konstitutiv für die zeitlich, örtlich und thematisch gebundene Wahrheit.
Das geregelte Verfahren zur Herstellung von Wahrheit ist wiederum eng an Macht gekoppelt. Zwar ist nach Foucaults Machtbegriff auch in Machtverhältnissen niemand machtlos, doch haben die, die über größere Zugänge zur (Re-)Produktion von herrschendem Wissen und Wahrheit verfügen, gewissermaßen mächtigeren Einfluss. Diskurse als Träger von zeitlich- und örtlich-abhängigem Wissen üben Macht aus und tragen zur Strukturierung von Machtverhältnissen in einer Gesellschaft bei. Macht und Wissen sind für Foucault ebenfalls nicht voneinander zu trennen, sondern lediglich ein Analyseraster, bei dem nicht die Macht auf der einen Seite dem Wissen auf der anderen gegenübergestellt wird.
Welche Stellung hat in diesem Analyserahmen das Subjekt? Foucault wurde häufig zum Vorwurf gemacht, er würde das Subjekt leugnen. Dem ist nicht so, denn Foucault richtet sich nicht gegen das Subjekt, sondern gegen Perspektiven, die vom „autonomen Subjekt“ ausgehen. Das heißt nicht, dass Foucault kein Subjekt mehr kennt, denn das Subjekt ist tätig bei der Realisierung von Machtbeziehungen.
„Es denkt, plant, konstruiert, interagiert und fabriziert. Und als solches hat es auch das Problem, zu bestehen, d.h. sich durchzusetzen, seinen Ort in der Gesellschaft zu finden. Es tut dies aber im Rahmen eines wuchernden und vibrierenden Netzes diskursiver Beziehungen und Auseinandersetzungen.“ (S. 45)
...über Diskurs...
Der vorliegende Diskursbegriff arbeitet genau mit diesen Begriffen. Siegfried Jäger bezieht dabei auf das gemeinsam mit Margarete Jäger im Jahr 2007 veröffentlichte Buch Deutungskämpfe. Darin heißt es:
„Der Diskurs als ganzer ist (...) infolge der Rekursivität seiner Wissenselemente eine regulierende Instanz; er formiert Bewusstsein. Er tut dies (...) als rhyzomartig verzweigter mäandernder ‚Fluss von ‚Wissen’ bzw. sozialen Wissensvorräten durch die Zeit‘, der durchaus auch einmal rückwärts fließen, Seen hinterlassen oder durchqueren kann, zeitweilig oder auch restlos versiegen kann, und er schafft die Vorgaben für die Subjektbildung und die Strukturierung und Gestaltung von Gesellschaften, die sich entsprechend als außerordentlich vielgestaltig erweisen.“ (Jäger/Jäger 2007: 23)
Diskurse spiegeln nicht Wirklichkeit wider, sondern „bestimmen und formen Realität“. So verstanden sind Diskurse als Träger von Macht und Wissen Materialitäten und „nicht ‚weniger materiell‘ als ‚echte‘ Realität“ (ebd.).
Bis hierhin lässt sich erst einmal wenig Neues finden, auch sind neben Foucaults Werk weiterhin die Arbeiten des Kulturwissenschaftler Jürgen Link wichtigster Bezugspunkt für die Theorie der KDA. Doch darüber hinaus gibt es einige wesentliche Veränderungen. Als erstes fällt auf, dass die vorliegende Einführung viel schmaler ist als die bisherigen Auflagen, was vor allem daran liegt, dass die für die Theorie verzichtbaren Auseinandersetzungen zur Soziolinguistik, zur Qualitativen Sozialforschung und zu Alexei Nikolajewitsch Leontjews Tätigkeitstheorie, die in den Bänden zuvor noch über 100 Seiten ausgemacht haben, gestrichen wurden. Neu ist hingegen die Verbindung des Ansatzes mit einer Konzeptualisierung von Raum. Jäger sieht Diskurse als „transsubjektive Produzenten gesellschaftlicher Wirklichkeit und sozio-kultureller Deutungsmuster“ an (S. 27). Das bezieht auch die diskursive Herstellung von Räumen ein:
„Man muss sich von der vielleicht etwas naiven und essentialistischen Vorstellung nicht nur noch immer gängiger Geographie und deren Rezeption lösen, dass Räume eine Art Container seien, z.B. als einfach vorhandene Räume für Soziales (Container-Funktion). Aber auch unsere alltäglichen Vorstellungen von Räumen sind keine Abbilder, sondern alle Raumvorstellungen sind repräsentativ und wir weisen ihnen sehr unterschiedliche Bedeutungen zu, wir deuten sie. Die Container-Vorstellung ist naiv, ein Alltagsmythos.“ (S. 28)
...und Dispositiv...
Die maßgeblichste Überarbeitung liegt aber darin, dass die KDA erweitert wird zu einer Dispositivanalyse. Foucault versteht unter einem Dispositiv
„ein entschieden heterogenes Ensemble, das Diskurse, Institutionen, architekturale Einrichtungen, reglementierende Entscheidungen, Gesetze, administrative Maßnahmen, wissenschaftliche Aussagen, philosophische, moralische oder philanthropische Lehrsätze, kurz: Gesagtes wie Ungesagtes umfasst“ (Foucault 1978: 119f).
Dispositivanalysen beziehen neben diskursiven (Gesagtes) und nicht-diskursiven Praxen (Ungesagtes/Handlungen) auch Vergegenständlichungen (Institutionen/Architektur) mit ein. Diese drei Ebenen folgen nicht einem kausalen Muster, nach dem auf das eine notwendig das andere folgt, sondern sie − insbesondere die diskursiven und die nicht-diskursiven Praxen − sind miteinander verschränkt.
Die Erweiterung von der Diskurs- zur Dispositivanalyse ist in Jägers Theorie weniger eine fundamentale Neuerung als vielmehr logische Konsequenz eines Diskursbegriffs, der Wissen ins Zentrum rückt. Um es noch einmal in anderen Worten deutlich zu machen: Nach Jäger üben Diskurse Macht aus, da sie Wissen transportieren. Das Wissen wiederum ist es, das die Grundlage für Handeln und die Deutung von Wirklichkeit darstellt. „Ein Dispositiv stellt in Anlehnung an diese Annahmen einen prozessierenden Zusammenhang von Wissen dar, der sich in Sprechen/Denken − Tun − und Gegenständlichkeiten materialisiert.“ (S. 73) Doch ein Dispositiv ist keinesfalls nur der Zusammenhang von Denken/Sprechen, Handeln und Materialisierung/Vergegenständlichung, sondern es ist gekennzeichnet durch einen Notstand, auf den das Dispositiv reagiert. Die Bestimmung und Analyse des Notstands ist notwendiger Bestandteil einer Dispositivanalyse, der bei der momentan recht beliebten Verwendung des Begriffs manchmal außer Acht zu geraten scheint. Nicht so bei Jäger: Folgerichtig geht es in der Kritischen Diskurs- und Dispositivanalyse nicht nur darum, den prozessierenden Zusammenhang zwischen Sprechen, Handeln und Vergegenständlichung zu analysieren, sondern auch darum, „den Notstand zu bestimmen, auf den das Dispositiv reagiert“ (S. 74).
Nach den theoretischen Auseinandersetzungen folgen methodologische Konkretisierungen und konkrete Vorschläge zur Operationalisierung von Diskursanalysen, die sich im Wesentlichen auch in den vorigen Auflagen finden.
...zum Widerstand
Über die Analyse und Kritik an gültigen Wahrheiten sowie Macht- und Herrschaftsverhältnissen hinaus kann und sollte den Analyseergebnissen „durchaus mit Träumen und Utopien begegnet werden" (S. 157). Daher sieht Jäger den politischen Nutzen der Diskurs-/ Dispositivanalysen im „Widerstand“ (ebd.). Und in der Tat: Diskurs- und Dispositivanalysen können Fallstricke möglicher linker Interventionen aufzeigen, neue Perspektiven eröffnen und spezifische Aussagen in einen breiteren gesellschaftlichen Kontext rücken, so die Verbindungen zwischen Unterdrückung, Ausbeutung, Macht und Herrschaft aufzeigen und im besten Fall Möglichkeiten eröffnen, diese Verbindungen zu kappen.
Nicht nur im Elfenbeinturm der Akademie zu verharren, sondern in aktuelle Verhältnisse zu intervenieren, ist daher der entscheidende Vorzug dieses Ansatzes. Entsprechend ist auch die Arbeit des Duisburger Instituts für Sprach- und Sozialforschung (DISS), das sich seit mehr als 25 Jahren einmischt, wenn es um Rassismus, die extreme Rechte, Biopolitik, Geschlechterverhältnisse, soziale Ausgrenzung und Krieg geht. Zum DISS gehört auch ein umfangreiches Archiv extrem rechter Publizistik, dessen Existenz gerade auch in Zeiten mordender Neonazis und der „Metapolitik" extrem rechter Intellektueller notwendiger denn je erscheint.
Zusätzlich verwendete Literatur
Foucault, Michel (1973): Archäologie des Wissens. Suhrkamp, Frankfurt/Main Foucault, Michel (1978): Dispositive der Macht. Michel Foucault über Sexualität, Wissen und Wahrheit. Merve, Berlin Jäger, Margarete / Jäger, Siegfried (2007): Deutungskämpfe. Theorie und Praxis Kritischer Diskursanalyse. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden Keller, Reiner (2011): Diskursforschung. Eine Einführung für SozialwissenschaftlerInnen, 4. Auflage. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden
Kritische Diskursanalyse. Eine Einführung. 6. Auflage.
Unrast Verlag, Münster.
ISBN: 978-3-89771-761-9.
258 Seiten. 19,80 Euro.