Ökosozialismus vs. Ökoleninismus

- Buchautor_innen
- Christian Stache
- Buchtitel
- System Update oder System Change?
- Buchuntertitel
- Glanz und Elend des Ökosozialismus
Die Band sortiert systematisch die deutschsprachige ökosozialistische Landschaft und kritisiert ihre blinden Flecken.
„Ökosozialismus oder grüner Kapitalismus?“, so lautete im August 2025 die Frage an Jakob Augstein und Luisa Neubauer auf den Social-Media-Kanälen der Wochenzeitung der Freitag. Die Antwort von Jakob Augstein war „Ökosozialismus“ und Luisa Neubauer schloss sich dieser an. Unklar blieb, was sich die beiden darunter vorstellen oder wie dieses Ziel erreicht werden kann. Hier verschafft Christian Staches Buch Klarheit und Orientierung in den vielfältigen, teils widersprüchlichen Strömungen.
Sechs Wege, ein Ziel?
Stache unterscheidet sechs Richtungen des deutschsprachigen Ökosozialismus: Bewegungsorientierte und linkssozialdemokratische Ansätze, zirkulationistische Theorien aus dem Umfeld der „Neuen Marx-Lektüre“, ökosozialistische Vorstellungen in der Linie der Kritischen Theorie, Degrowth-Modelle, intersektionale Varianten sowie libertär-trotzkistische Konzepte.
Für die Untersuchung der Strömungen hat Stache fünf Leitfragen entwickelt, mit denen es ihm gelingt, die Strömungen des Ökosozialismus zu gliedern: Worin sehen die Intellektuellen der Bewegung die Ursache der Naturzerstörung? Wer oder was ist verantwortlich für die Krise? Wie wird das Ziel oder die Utopie begriffen? Wer ist das Transformations- beziehungsweise revolutionäre Subjekt? Wie sieht die Strategie zur Durchsetzung des Ökosozialismus aus?
Von den sechs von Stache untersuchten Strömungen ist der Degrowth-Ökosozialismus der einflussreichste. Er wird im deutschsprachigen Raum durch Bruno Kern (Theologe und Lektor) und Saral Sarkar (Publizist und Aktivist) vertreten. Stache zufolge steht die Strömung für eine Deindustrialisierungsstrategie, die als ethisch begründetes Projekt staatlich durchgesetzt werden soll. Er kritisiert am Konzept des „Postwachstumssozialismus“ nach Kern zurecht, dass dort das Industrieproletariat von vornherein aus dem „ethischen Projekt“ – verstanden als Bündnis aus radikalisierter Ökobewegung, pazifistischer Friedensbewegung und starken zivilgesellschaftlichen Kräften – explizit ausgeklammert und auf einen bürgerlichen Staat gesetzt werde. Dieser soll mit diktatorischen Mitteln auf dem Feld der Ökonomie die Transition hin zur nachhaltigen Gesellschaft durchsetzen. Anstatt um die Revolutionierung der Eigentums-, Produktions- und Verteilungsverhältnisse, in denen das Industrieproletariat eine zentrale Stellung einnimmt, geht es der Degrowth-Strömung um eine Schrumpfung der Ökonomie, Konsumverzicht und die Rückkehr zu handwerklichen Formen des Arbeitsprozesses. Stache verweist auf empirische Daten, die belegen, dass nicht nur in den Peripherien, sondern auch in den imperialistischen Zentren die Konsumfrage eine Verteilungsfrage ist und somit auch von der Klassenstellung abhängt; selbst, wenn man den produktiven Konsum, also Verbrauch von Arbeitskraft und Produktionsmitteln, im Produktionsprozess nicht berücksichtigt. So kritisiert Stache richtigerweise, dass die Forderung nach individuellem Konsumverzicht zu kurz greift.
Den herrschaftskritisch-intersektionalen Ökosozialismus wiederum vertreten prominent Ulrich Brand und Markus Wissen. Für sie ist die Überwindung der sogenannten Imperialen Lebensweise die entscheidende ökosozialistische Forderung. Sie verstehen darunter die Art und Weise, wie ein Teil der Weltbevölkerung im globalen Norden in die gesellschaftliche Produktion und Konsumtion eingebettet ist, sprich sich ernährt, fortbewegt, sich reproduziert, auf Kosten des Restes der Menschheit und der Natur. Wie Stache betont, verlagert sich bei Brand und Wissen die Kritik weg von der politischen Ökonomie und den soziökonomischen Relationen der Klassenausbeutung hin zur Herrschaftskritik und Kritik an den politischen-kulturellen Beziehungen in der Zivilgesellschaft jenseits der Ökonomie. Für die beiden Autoren ist das globale Machtverhältnis zwischen Nord und Süd das maßgeblich strukturierende Element der Aneignung von Natur und Arbeitskräften. Dabei dezentrierten sie die Akkumulation von Kapital, die aus den Klassenverhältnissen hervorgeht – und in die alle anderen politischen und kulturellen Sozialbeziehungen eingebettet sind.
Kritiken wie die von Stache regen dazu an – und sind zugleich ein Plädoyer an alle Linken von Linksliberalen bis Anhänger:innen des Marxismus-Leninismus – sich an der ökosozialistischen Debatte zu beteiligen und sich der ökologischen Krise ernsthaft anzunehmen: „Wer von Ökologie nicht sprechen will, sollte vom Sozialismus und Kommunismus schweigen“ (S. 14). Zugleich bietet die Lektüre einen hilfreichen Überblick über die Strömungen in der zwar kleinen, aber dennoch sehr vielseitigen, deutschsprachigen ökosozialistischen Bewegung.
Sozial-relationaler Ökoleninismus als Antwort?
Insbesondere ist auf das letzte Kapitel des Buches zu verweisen, in welchem Stache mit Bezug auf die Kritiken an den Strömungen den Umriss einer eigenen Position entwirft. Die Ursache der sozialökologischen Krise sieht Stache nicht vornehmlich in den kapitalistischen Konkurrenzverhältnissen, dem kulturell-ideologischen Alltagshandeln (Konsum oder Lebensweise) in der bürgerlichen Gesellschaft oder Prozessen der ursprünglichen Akkumulation (Aneignung und Landnahme etc.), sondern im Kapitalverhältnis zwischen der Klasse der Kapitalist:innen und der Klasse der Arbeiter:innen. Dieses Verhältnis bildet nach seiner Auffassung die grundlegende, übergreifende und alle anderen Sozialbeziehungen strukturierende soziale Relation der bürgerlichen Gesellschaft. Mit diesem Klassenverhältnis in der Produktion und Zirkulation geht Stache zufolge eine Überausbeutungsbeziehung des Kapitals zur Natur einher.
Die im Abschlusskapitel skizzierte Positionierung des Autors ist als eine öko-leninistische Position zu bezeichnen: Der wohl bekannteste Vertreter dieser Strömung ist der schwedische Humangeograph Andreas Malm. Dieser stellt in Anlehnung an den Text von W. I. Lenin „Die drohende Katastrophe und wie man sie bekämpfen soll“ drei Prinzipien des Ökoleninismus auf: Erstens, die ökologischen Katastrophen strategisch auf die kapitalistische Ursachen zurückzuführen, also die Krise der Symptome in die Krise der Ursachen zu verwandeln. Zweitens, Geschwindigkeit als oberste Tugend, angesichts der ökologischen Notlage muss politisches Handeln sofort in der nötigen Radikalität erfolgen. Drittens, die Nutzung des Staates, der Staat als Mittel des Durchbrechens des „Business as usual“ des fossilen Kapitals. Wie das revolutionäre Subjekt indes aussehen kann, bleibt bei Malm offen.
In Abgrenzung zu Malm spricht Stache sich für die Akkumulation der Macht auf allen Feldern der bürgerlichen Gesellschaft, ausgehend von der Ökonomie, aus. Dafür sieht er, anders als Malm, auch die Arbeiter:innenklasse als essenziellen Bestandteil des revolutionären Subjekts. Durch den Zentralismus in der Bewegung, statt das Setzen auf Spontanität in der Klimabewegung, soll eine revolutionäre soziale Bewegung hervorgebracht werden, für die Durchsetzung einer erweiterten Ökodiktatur des Proletariats gegen das Kapital. Ein weiteres Alleinstellungsmerkmal von Staches Position ist die Vorstellung eines Demos der kommunistischen Gesellschaft, der über den „Verein freier Menschen“ (Karl Marx) hinausgeht und die äußere Natur und die Tiere entsprechend ihrer Interessen einbindet. Damit erweitert er die klassische marxistische Perspektive.
Zwischen Theorie und Praxis
Das Buch ist zweifellos ein Gewinn für die Debatte. Es ordnet die zersplitterte ökosozialistische Landschaft und drängt dazu, sich über strategische Fragen klar zu werden. Gerade in einer Zeit, in der Klimabewegungen wie „Fridays for Future“ und „Ende Gelände“ immer wieder nach politischen Antworten suchen, liefert Stache eine wichtige Orientierung.
Inwiefern Staches Kritik verfängt, sich seine entwickelte kritische Theorie gegenüber der historisch konkreten Situation bewährt, Einfluss auf das Kräfteverhältnis nimmt und in der Formierung eines revolutionären Subjekts wirksam wird, ist eine Frage der Zukunft. Fest steht: Ein „System Update“ reicht nicht. Wer die ökologische Krise ernst nimmt, muss über einen grundlegenden Wandel sprechen.
System Update oder System Change?. Glanz und Elend des Ökosozialismus.
PapyRossa Verlag.
ISBN: 978-3-89438-852-2.
334 Seiten. 24,00 Euro.