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Georg Kreisler veröffentlichte jüngst seine Autobiographie. Der Versuch einer Rezension.
Um den Georg Kreisler ist es die letzten Jahre still geworden. Man könnte meinen, der 87jährige Allround-Künstler gönnt sich einen entspannten und ruhigen Lebensabend. Doch weit gefehlt. Zwar singt Kreisler – wie vor einigen Jahren beschlossen – nicht mehr öffentlich, er ist aber nachwievor äußerst produktiv – von ‚Ruhestand‘ keine Spur. Er schreibt Theaterstücke, Opern, komponiert und schreibt Gedichte, Kurzgeschichten und Bücher. Jüngst erschien seine Autobiographie: Ein wirklich gutes Buch.
Wirklichkeit und Kabarett
Wirklich? Kann über Wirklichkeit gesprochen werden? Kreisler sagt ja. Über die lässt sich im Gegensatz zur Wahrheit, über die schlicht geschwiegen werden sollte, reden. Der beste Weg, Wirklichkeit zu erkennen sei laut Kreisler die Kunst. Gleich auf der zweiten Seite schreibt er: „Aber die Entdeckung, dass die Kunst versucht, uns die Wirklichkeit plausibel zu machen, ist etwas Grandioses. Damit ist mein Leben eigentlich schon erzählt.“ (S. 6) Das ist es natürlich noch lange nicht. Es folgen knapp 160 Seiten mit unglaublich vielen Themen und Sprüngen. Häufig werden die Jahre in den USA nach der Flucht aus Österreich 1938 beschrieben. Als 16jähriger floh er vor den Nazis und ging zunächst nach Hollywood, später nach New York. Zwischendurch kehrte er nach Europa zurück – in US-Army Uniform. Vor allem die Jahre in New York werden als sehr lehrreiche Zeit beschrieben, da er sich dort den professionellen Bühnenschliff holte. 1955 siedelte Kreisler dann wieder in Zivil nach Europa. Er ging zurück nach Wien – selbstverständlich nur vorrübergehend. Es folgten Aufenthalte in München, Berlin, Salzburg, Basel, immer mal wieder Wien und nun wieder Salzburg. In Europa hatte er im Gegensatz zu seiner Zeit in den USA großen Erfolg. Doch viel interessanter als die Orte, an denen er auf der Bühne stand, die Städte, in denen er wohnte, sind die Ausflüge zwischen den fixen Punkten seiner Erzählung. Es geht um’s Ganze: Um’s Kabarett, um Antisemitismus, Patriotismus, Kommunismus, um Glaube, Religion und um Alter, Vergänglich- und Vergeblichkeit.
Bittersüß seine Abrechnung mit dem Kabarett. Dieses ist laut Kreisler
„meistens der Versuch, trotzdem kein Künstler zu sein, man lehnt jede Verantwortung ab. Das Resultat ist Selbstüberschätzung, Ende der Demut, was den Kabarettisten aber nicht daran hindert, sich bescheiden zu stellen. Er schlüpft in die Rolle des Dummen, weil er sich selbst für klug hält.“ (S. 129)
Kreisler bilanziert ganz ohne Selbstüberschätzung: „Ich glaube nicht, dass ich je ein Kabarettist war, hoffentlich nicht. Politiker mögen Kabarettisten, das sagt schon alles.“ (ebd.) An anderer Stelle heißt es über das Kabarett: „Natürlich lässt sich auch Positives über das Kabarett sagen, aber das Negative stimmt.“ (S. 99)
Vielleicht mögen wirklich manche Politiker Georg Kreisler, würden sie jedoch genau hinhören und nicht nur des Spektakels zuliebe so tun, als würden sie es tun, müsste sich das eigentlich bei vielen ändern. Kreisler ist einer, der so gar nicht in den linksliberalen Filz des Bürgertums zu stecken ist. Dazu passt die Prophezeiung einer Revolution: „Wäre keine Vergeltung zu befürchten, wovor hätten die Machthaber Angst, und Angst haben sie, Gott sei Dank!“ (S. 74) Eine der grandiosesten Abrechnungen mit dem Establishment findet sich jedoch gegen Ende des Buches. Das vorletzte Kapitel besteht überwiegend aus einer Art Mini-Drama in drei Akten, in der der Antisemitismus dreier Generationen von der Nazi-Zeit bis heute pointiert nachgezeichnet wird. Antisemitismus ist genauso wie Patriotismus, Karl Kraus und der American Way of Life ein immer wiederkehrendes Thema in der Autobiographie.
Einfach und hochkompliziert
Mehr als einmal schreibt Kreisler auch über Gott oder Glauben. Sehr intensiv im neunten Kapitel. Dort stellt er klar, dass in seinen Augen Gott bzw. Glaube mit Religion nichts zu tun haben: „Religion ist Zeitvertreib, der Glaube an Gott ist es nicht.“ (S. 81) Wer sollte auch sonst Kunst, vor allem aber Musik entdeckt haben? Es müsse also etwas Unbegreifliches geben, ein Wesen, dass Kreisler nur der Einfachheit halber ‚Gott‘ nennt. Klingt einfach und doch hochkompliziert.
„Ich bin ein einfacher, hochkomplizierter Mensch.“ (S. 91) Mit diesem Satz beginnt ein weiteres Kapitel. Es heißt „X“ – alle Kapitel sind schlicht nummeriert und haben keine Überschrift, was wahrscheinlich daran liegt, dass es oft schwer wäre, eine zu finden, werden doch in einem Kapitel meist fünf Themen und mehr angeschnitten. Das zehnte Kapitel befasst sich – zumindest anfänglich – mit der Absurdität Alter, die bestens in einem Gedicht von Kreisler beschrieben wird (S. 91-93). Wie sehr den 87jährigen Kreisler diese Gedanken beschäftigen, zeigen vor allem die letzten Zeilen seiner Autobiographie. Es geht darum, dass eigentlich alles irgendwann mal „explodiert“. Kreisler meint, er sei aufgeräumt und erwarte nun seine Explosion. Auch wenn er geneigt ist, keine Bilanz des bisherigen Lebens ziehen zu wollen, weil es keine gebe, versucht er sich an einer solchen am Schluss:
„Es sind Wunder geschehen, der Kreisler hat Abenteuer bestanden oder glaubt zumindest, sie bestanden zu haben. Es ist wie am Anfang: Alles war ein Märchen. Die Kindheit war schän, die Eltern glänzten wie Diamanten, die Pubertät war eher unschön, aber kurz, die Fluchten glückten, die Armut war bedrückend, wurde aber überwunden, die Lieber zur Kunst erwidert, Verständnis und Unverständnis gefunden. Barbara ein Stern – überhaupt, Barbara! Wie war das mit Wittgenstein? Sprache versagt. Mehr weiß ich nicht, und auch das, was ich noch weiß, weiß ich nicht sicher, also was will ich noch?“ (S. 154)
Wer mehr lesen möchte, aber gerne auf Fakten etc. verzichtet, sich einen Abend mit Georg Kreisler nehmen und sehr oft in verschiedensten Gedanken abschweifen möchte, der oder die sollte sich dieses Buch besorgen. Es scheint am Stück geschrieben zu sein und dadurch ist es zwar manches Mal ein bisschen unverständlich, aber unglaublich lebendig. Wer das alles nicht genießen möchte und klar strukturierte, belehrende, langweilige Memoiren bevorzugt, kann sich das Geld sparen.
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Die Rezension erschien zuerst im Oktober 2009 auf stattweb.de (Update: kritisch-lesen.de, ast, 12/2010)
Letzte Lieder. Autobiographie.
Arche Literatur Verlag, Zürich.
ISBN: 978-3-7160-2613-7.
160 Seiten. 19,90 Euro.