Wem gehört die Stadt? Ausgabe Nr. 12, 06. Dezember 2011
In unserer mittlerweile zwölften Ausgabe geht es im Schwerpunkt um Möglichkeiten emanzipatorischer und widerständiger Stadtpolitiken. Untrennbar damit verbunden ist in der öffentlichen Diskussion seit einigen Jahren der Begriff Gentrifizierung, der den Prozess der Aufwertung von Stadtteilen beschreibt, die sich klischeemäßig an einer wachsenden (oftmals grün-„alternativen“) Infrastruktur von Galerien, Bioläden und übermäßigem Latte Macchiato-Konsum ablesen lässt. Doch was für einige ein honigsüßer (T)raum zu sein scheint, wird für andere zu einer bitteren Realität: Gentrifizierung führt zu einer weitreichenden Verdrängung der bisherigen, meist ärmeren Bewohner_innen zugunsten oder gerade durch ökonomisch, sozial und kulturell Privilegierte. An diesem Punkt knüpfen wir an, um Notwendigkeiten und Potentiale der Raumaneignung sichtbar zu machen.
Zunächst widmet sich Sebastian Friedrich dem Buch Wir bleiben alle von Andrej Holm und streicht die Vielschichtigkeit von Gentrifizierungsprozessen und die Notwendigkeit breiter Bündnisse für effektiven Widerstand heraus. Die Besprechung Häuserkampf ist doch Achtziger von Franziska Plau fokussiert die Dynamiken städtischer Machtverhältnisse am Beispiel des Ungdomshuset in Kopenhagen und hebt insbesondere die internationale Vergleichbarkeit von Verdrängungsprozessen hervor. Ebenfalls für auf andere Städte übertragbar hält Sebastian Kalicha in seiner Rezension zu Wie bleibt der Rand am Rand von Robert Sommer den Umgang mit Obdachlosigkeit in Wien und die erschreckenden bis absurden Versuche, Menschen, die nicht ins Stadtbild passen, aus den konsumorientierten Zentren zu vertreiben. Davon ausgehend widmen sich zwei Autor_innen Publikationen zu Möglichkeiten der widerständigen Raumaneignung. Konkrete Freiraumpolitiken und ihre Aushandlungen schildert Ulrich Peters in seiner Rezension zu Gender und Häuserkampf und macht dabei deutlich, dass auch in linken Zusammenhängen ein Bewusstsein darüber existieren muss, dass Freiräume keine machtfreien Orte sind. Ein Beispiel für individuelle, allnächtliche Raumaneignung betrachtet Jorane Anders in Der erschriebene Aufstand: Graffiti und Street-Art als Rückeroberung der Stadt.
Eine traurige Aktualität erhält der von Tompa Láska rezensierte Sammelband Kaltland und die darin enthaltene Auseinandersetzung mit den Pogromen gegen Migrant_innen in den 1990er Jahren angesichts der erschütternden Morde durch organisierte Nazis und des Umstands, dass in der öffentlichen „Debatte“ mal wieder Rassismus bloß als gesellschaftliches Randphänomen behandelt wird. Einen gelungenen Blick in die Geschichte linker Arbeiter_innenkämpfe leistet nach Ismail Küpeli das Buch Sozialismus und Arbeiterbewegung in Deutschland: Von den Anfängen bis 1914. Mit welchen Normalisierungsstrategien die Bundeswehr ihre Nachwuchssorgen zu lösen versucht, stellt anschließend Heinz-Jürgen Voß in seiner Rezension zu An der Heimatfront ausführlich dar. Nicht um Krieg, aber dafür um die Frage, wie „Psyche“ und die Erfindung des „Anderen“ zusammengedacht werden könnten, geht es dann in Adi Quartis Rezension Fabelhafte Psyche! zu einem aktuell erschienenen Bändchen von Jacques Derrida. Schließlich denkt mal wieder Gabriel Kuhn allerhand zusammen. In seiner Rezension von Pogo, Punk und Politik stellt er sich gegen die weitverbreitete Annahme, Punk sei unpolitisch.
Zum Tode von Georg Kreisler, der in gewissem Sinne sehr politischen Punk machte, möchten wir die Rezension zu seiner vor zwei Jahren erschienenen Autobiographie Letzte Lieder aus unserem Archiv als eine Art Nachruf ans Herz legen.
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Und jetzt viel Spaß beim kritischen Lesen!