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„Wenn wir es nicht sagen, sagt es eine*r weniger“

„Wenn wir es nicht sagen, sagt es eine*r weniger“ © edition assemblage
Interviewpartner_innen
Interview mit Hannah C. Rosenblatt und Carla Schäfer

Das Publizieren ist Teil einer linken Bewegungspraxis. Ohne linke Verlage fehlt eine Möglichkeit, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen.

kritisch-lesen.de: Was sind die größten Herausforderungen linker Verlagsarbeit?

Hannah C. Rosenblatt Bei uns steht im Vordergrund, dass wir linke Bewegungen, Debatten und Positionen abbilden und ihnen eine Plattform bieten wollen. Dabei müssen wir aufpassen, kein Gatekeeper zu werden, wie es bei klassischen Verlagen oft der Fall ist. Diese Funktion wollen wir nicht übernehmen. Wir veröffentlichen nicht, um ein Verlag zu sein, sondern wir sind ein Verlag, weil wir veröffentlichen. Wir wollen bestimmte Inhalte verbreiten. Der Knackpunkt ist natürlich, dass wir auf Ressourcen und Netzwerke angewiesen sind, die nur manche Autor*innen mitbringen. Und das hat wieder mit gesellschaftlichen Privilegien und Ausschlüssen zu tun.

Kannst du das noch weiter ausführen?

Hannah Wir bewegen uns in einem Spannungsfeld: Wie können wir abbilden, was häufig nicht gesehen wird, ohne neue Ausschlüsse zu produzieren? Wie schaffen wir es, eine autonome Entscheidung für wichtige Inhalte zu treffen, ohne dass diese Inhalte gerade auf jeder Agenda stehen und sowieso gefördert werden? Wie bleiben wir da unabhängig? Und wie können wir das finanzieren und ermöglichen?

Der monetäre Faktor ist zentral, wie setzt ihr da eure Ansprüche um?

Carla Schäfer Um uns vor Augen zu führen, was der Anspruch ist, müssen wir uns bewusst machen, dass wir Teil der Bewegung sind. Warum gibt es die edition assemblage? Nicht, weil wir im etablierten Literaturbetrieb ankommen, sondern weil wir es anders machen wollen.

Hannah Praktisch heißt das, wir unterstützen die Autor*innen stärker als klassische Verlage. Wir schreiben Anträge an Stiftungen oder andere Kostenträger mit. Wir unterstützen auch Crowdfundings und sehen das als legitimen Weg. Nichts wofür wir uns schämen müssen, sondern etwas, das deutlich macht, dass es um Community-Arbeit geht. Büchermachen kostet Kohle, aber bringt kaum Geld. Die Linke wird gerne als verkopft bezeichnet, alles sei Theorie. Aber irgendwo muss die Theorie niedergeschrieben werden, und zwar in Büchern, die produziert werden müssen. Da geht es um Geld. Das ist nicht schön und beißt sich mit unserer antikapitalistischen Einstellung. Aber wir müssen diese Verhältnisse anerkennen, in denen wir Bücher produzieren und verbreiten. Manche Bücher schlagen dann plötzlich ein und wir machen Gewinn. Damit können wir dann mehrere Bücher mit wenig Geld im Hintergrund veröffentlichen oder auch Bücher hochwertig produzieren, von denen wir besonders überzeugt sind. Wir versuchen da stets die Waage zu halten.

Warum braucht es linke Verlage und nicht nur Verlage, die linke Bücher herausbringen?

Hannah Das ist unsere Art, solidarisch zu handeln. Wir verstehen das als Freiheitspraxis. Ein linker Verlag zu sein, ist eine Entscheidung aus einer Haltung heraus.

Carla Unser Verlag funktioniert nach dem Prinzip der solidarischen Ökonomie, sowohl für die Menschen, die beim Verlag angestellt sind als auch für die Leute, die Korrektorate und Satz machen sowie die Autor*innen. Wenn viel Geld für ein Projekt vorhanden ist, kann dieses vielleicht ein anderes quer finanzieren. Wir versuchen, die vorhandenen Ressourcen umzuverteilen. Nicht jedes Buch muss individuell für die Chance kämpfen, veröffentlicht zu werden, das wird immer im Zusammenhang gesehen. Die Bündelung linker Stimmen ist viel wirkmächtiger als einzelne Stimmen für sich. So besteht die Möglichkeit, den Diskurs mitzuprägen, aber auch in die inhaltliche Tiefe zu gehen, und nicht immer von vorne anfangen zu müssen. Und gleichzeitig ist es schwierig, dabei offen und zugänglich zu bleiben. Was bei der Verlagsarbeit hinter den Kulissen passiert, die Treffen des Programmrats, die Autor*innen, die sich über uns kennenlernen, Verbindungen mit euch beispielsweise, das macht die assemblage aus. Was im Produktionsprozess noch wichtig ist: Die Deutungshoheit bleibt bei den Autor*innen und Herausgeber*innen. Wir schreiben keine Werbetexte und hauen die raus, ohne dass wir sie besprochen haben. Zu dieser Entmündigung, Vereinnahmung und Kapitalisierung von marginalisiertem Wissen kommt es schnell in großen Verlagen. Wir nehmen dafür langwierige Prozesse in Kauf, weil wir Themen lieber fünf Mal rücksprechen, bevor wir jemanden übergehen oder entmündigen.

Hannah Genau in diesem Zusammenhang ist es wichtig, ein linkes Verlagskollektiv zu sein. Es ist linke Praxis, diese Umgangsformen einzuüben und zu etablieren, und vielleicht hier und da ansteckend zu wirken, mit dieser Ineffizienz, mit viel Raum für Diskussionen und Debatten. Wir glauben, dass es genau das braucht, um gesellschaftliche Veränderungen anzustoßen. Unsere Haltung zur Arbeit spielt eine wesentliche Rolle. Würden wir nicht diese Werte vertreten, hätten wir auch nicht die Idee gehabt, etwas auf Grundlage solidarischer Ökonomie aufzubauen. Das eine geht nicht ohne das andere. Nur so kann man Bücher veröffentlichen, mit denen die Bewegung was anfangen kann.

Habt ihr einen hohen Verkaufsdruck? Müsst ihr euch stark selbst ausbeuten?

Carla Die assemblage wurde hauptsächlich mit unbezahlter Arbeit aufgebaut. Fast acht Jahre gab es keine oder nur kleine Gehälter. Dadurch, dass sich das in den letzten Jahren verändert hat, fühlt es sich gerade nicht nach Ausbeutung, sondern nach totalem Luxus an. Obwohl unsere Löhne natürlich nicht so hoch sind. Ich finde es aber wichtig, nicht immer dieses linke Narrativ der Selbstausbeutung zu reproduzieren: Um Teil eines linken Kollektivs zu sein, musst du bereit sein, dich auszubeuten. Aber das stimmt nicht! Wir arbeiten alltäglich darauf hin, dass Kollektiv nicht gleich Selbstausbeutung bedeutet. Und wir schaffen das teilweise sogar, aber natürlich nicht immer. Wenn es beispielsweise um Fragen der Elternzeit geht oder überraschend zusätzliche Kosten auftauchen, kann es schnell kippen. Aber meistens schaffen wir es.

Hannah Durch das Kollektiv verteilen wir alles, was wir erwirtschaften unter uns, und nicht an eine Person, die sich dann einen Porsche davon kauft. Aber wir sind auch auf externe Förderung angewiesen.

Ihr seid Teil der Bewegung: Wie nah seid ihr dran?

Carla Manchmal fühlt es sich sehr weit weg von den konkreten Bewegungen an, wenn ich beispielsweise den ganzen Tag eine Datenbank pflege. Das ist sehr frustrierend. Vor Corona hatte ich das Gefühl, wir sind mittendrin, zum Beispiel bei den linken Buchtagen oder beim Queeren Verlegen. Da gabe es einen direkten Austausch. Der Fokus hat sich nun sehr aufs Organisatorische verschoben. Wir sind wahrscheinlich eine solidarische Infrastruktur innerhalb der Bewegung, nicht nur für Publikationen. Unsere Räume, inklusive Infrastruktur, technischer Ausstattung, Netzwerken, Pressekontakten und so weiter können genutzt werden. So ergeben sich auch oft Kooperationen.

Hannah Wir als behinderte Person haben das Gefühl, dass wir – seit wir mit der assemblage zusammenarbeiten oder Teil der assemblage sind – überhaupt erst in der Bewegung sind. Die Bewegung ist ja nicht so offen für Menschen mit Behinderung / behinderte Menschen, was Zugänglichkeit, Toleranz und Akzeptanz angeht. Wenn ich hier stundenlang sitze und Ligaturen entferne, frage ich mich schon, ob das jetzt mein politischer Beitrag ist? Aber wenn ich mir dann anschaue, was ich da konkret bearbeite, sind es krasse Geschichten und ich trage dazu bei, dass Wissen verbreitet wird und das ist auch Teil von Bewegungsarbeit.

Die deutsche Linke ist zum Teil sehr fragmentiert. Was müsste eine linke Gegenöffentlichkeit ändern, um mehr Einendes zu schaffen? Welche Rolle spielen Verlage dabei?

Carla Wollen wir überhaupt etwas Einendes schaffen? Wir wollen die Konflikte und Uneinigkeiten annehmen und produktiv wenden, miteinander ins Gespräch kommen, um herauszufinden, wie man zusammen in seiner Uneindeutigkeit und Vielfalt weitergehen kann. Und das funktioniert auch. Wir verlegen Autor*innen, die sich politisch nicht so nahe stehen. In der assemblage darf es Widersprüche geben.

Hannah Widersprüche sind nicht unbedingt problematisch. Manchen Themen sind Widersprüche immanent. Das aufzuzeigen, ist harte linke Arbeit. Viele Themen sind so komplex, dass man dem auch nicht gerecht werden würde, wenn man versucht, Einigkeit und Homogenität herzustellen. Etwas Homogenes wird in der Regel früher oder später elitär und einförmig. Die Kraft der Linken liegt in der Widersprüchlichkeit und Vielfalt. Ich kann mir gut vorstellen, dass wir so eine Art Mittler sein können, weil wir diese Plattform anbieten. Der Verlag bietet die Struktur, in der solche Diskussionen auf eine Art ausgetragen werden können, in der das Ziel nicht die Deutungshoheit über einen Konflikt ist. Wenn wir ein Buch veröffentlichen wollen oder es darum geht, welches Buch ins Programm aufgenommen wird, ist das vielleicht eine etwas neutralere Debatte, als wenn man darüber redet, wer recht hat und wem zugehört werden sollte. Das ist vielleicht ein kleiner Sandkasten, in dem man mit einem anderen Ziel als Macht debattieren kann.

Wie sehen für euch Kritische Medien der Zukunft aus?

Hannah Wichtig ist dezentralisiertes Veröffentlichen und Organisieren. Es ist nicht davon auszugehen, dass wir in progressivere politische Zeiten gehen. Wir müssen uns drauf einstellen, dass es nicht leichter wird, linke Inhalte, auch radikale Inhalte, zu veröffentlichen. Es gibt Beispiele wie Queeres Verlegen, die Zukunft haben. Auch bilden sich zunehmend Kollektive, wie zuletzt stolzeaugen-books, das erste BIPoc-Verlagskollektiv in Deutschland.

Carla Den Austausch empfinde ich immer als total bereichernd. Bei den Messen war es spannend zu merken, dass wir mit einem kleinen linken Verlag beispielsweise in Südafrika, über ähnliche Probleme oder Fördermöglichkeiten reden können. Natürlich ist das nicht eins zu eins die selbe Situation, aber es ist trotzdem bereichernd, sich auszutauschen und zu vernetzen.

Warum ist eine kritische Gegenöffentlichkeit trotz aller Widrigkeiten unersetzlich?

Hannah Weil wir noch ganz am Anfang stehen mit dem, was wir kommunizieren. Die baseline jedes Buchs, in dem es um Ungerechtigkeit geht, stellt die Forderung nach basic Menschenrechten, die nicht gewährt werden. Das muss man sich klarmachen. Am Ende sitze ich hier mit einem Buch, in dem steht, dass Menschen sicher und versorgt sein und ein Dach über dem Kopf haben wollen. Warum ist das Thema, warum muss das aufgeschrieben werden, warum ist das noch nicht selbstverständlich? Genau deswegen ist es unersetzlich, weil es eben nicht selbstverständlich ist, dass alle Menschen gut versorgt sind und ein gutes Leben haben. Ich glaube, da braucht man gar nicht groß ausholen. Wir reden immer noch über sehr basale Dinge miteinander. Und wenn wir es nicht sagen, sagt es eine*r weniger.

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Hannah C. Rosenblatt und Carla Schäfer arbeiten im Kollektiv des Verlags edition assemblage, welcher vor zehn Jahren als publizistisches Netzwerk in Münster gegründet wurde. Die Idee der assemblage ist, die Bewegungen publizistisch zu begleiten, ihre Debatten abzubilden und Input zu geben.

Das Interview führte Andrea Strübe.

Zitathinweis: kritisch-lesen.de Redaktion: „Wenn wir es nicht sagen, sagt es eine*r weniger“. Erschienen in: Gegenöffentlichkeit in Bewegung. 60/ 2021. URL: https://kritisch-lesen.de/s/9KBNU. Abgerufen am: 07. 10. 2024 06:33.