Weil es alleine nicht möglich ist
- Thema
- Essay von Sadiem Y.
Die Innenansicht einsperrender Institutionen erzählt aus einer persönlichen Perspektive.
Als ich gefragt wurde, ob ich diesen Essay zum Thema „Repression“ schreiben möchte, war ich zunächst ein wenig überfordert und verunsichert. Was wurde nicht schon alles zu diesem Thema verfasst und in unzähligen Diskussionen erörtert? Wie viele Menschen haben sich in den vergangenen Jahrzehnten oder auch Jahrhunderten mit der Frage von Unterdrückung beschäftigt? Und was kann ich selbst zu diesem Thema beitragen, dass nicht in die Schublade klassischer „Durchhalteparolen“ und von der Welt losgelöstem Verbalradikalismus gehört?
Meine Auseinandersetzung mit dem Thema dreht sich um drei Fragen: Was ist Repression? Wie wirkt Repression? Und: Was hilft dagegen? Um dabei nicht direkt Gefahr zu laufen, lediglich die Positionen und Erläuterungen anderer Autor*Innen zusammenzufassen, soll es um meine subjektive Perspektive gehen, die besonders auf meinen Erfahrungen der letzten Monate beruht. Darüber hinaus ist es mir ein besonderes Anliegen, auf die letzte der drei Fragen einzugehen, da viel theoretisch philosophiert, sprachlich definiert oder auch technisch analysiert werden kann – all das aber im den Momenten, wo Macht auftritt und rücksichtslos zuschlägt, niemals weiterhelfen wird.
Was ist Repression?
Wir leben in einer Gesellschaft, die – allem Anschein nach – auf dem Einverständnis einer Mehrheit mit den bestehenden Regeln fußt, die sich ihrerseits in der herrschenden Ordnung widerspiegeln. Nach ihrem Verständnis muss ein*e jede*r sich nahtlos in das Bestehende einfügen, dass sie*er niemals auch nur zu hinterfragen, geschweige denn zu ändern ersuchen darf. Konkret heißt das unter anderem, ein Leben in einer traditionellen Familie, im Einklang mit einem über Jahrhunderte konstruierten Rollen- und Geschlechter*bild, einer Arbeit, die möglichst gut bezahlt wird sowie zuletzt, aber von entscheidender Bedeutung, im Konsum zu führen. Zusammengenommen ein inhaltsleeres, sinnbefreites und gesellschaftskonformes Leben.
Repression, so wie ich sie verstehe, setzt genau an dieser Stelle an. Zuerst einmal handelt es sich bei Repression um den Versuch, non-konformes, das heißt unangepasstes Handeln, zu unterbinden. Dabei ist es mitnichten wichtig, ob dieses – durch den Staat oder andere Institutionen der Herrschaft – ausgemachte Handeln wirklich oder eben nur dem Anschein nach unangepasst ist. Vielmehr geht es darum, all jenes Handeln zu unterbinden, dass einerseits nicht in das gesellschaftliche „Idealbild“ passt, andererseits aber, und viel schlimmer, die gesellschaftliche Realität verändern soll oder sogar angreift. „Widerstand ist zwecklos!“, heißt es nicht umsonst in den Wohlfühl-Krimis am Wochenende.
Für die Qualität, das heißt die Härte der repressiven Maßnahmen, gibt es weder einen Maßstab noch Grenzen. Aus einer allgegenwärtigen Atmosphäre der Angst (sichtbar etwa am Respekt vor staatlichen Symbolen), physischer Kontrolle (zum Beispiel körperliche Gewaltanwendung auf Demonstrationen), psychischer Gewalt (durch ständige Überwachung oder auch sogenannte Gefährder*innenansprachen), bis hin zum Entzug der individuellen Freiheit im Gefängnis, wo gleichzeitig von allem etwas eingesetzt wird, ist der Unterdrückungscocktail nach dem Geschmack der herrschenden Ordnung gemischt.
Repression zeichnet sich gerade dadurch aus, dass sie unerwartet geschehen kann und nicht ein-, geschweige denn abzuschätzen ist. Repression ist willkürlich! Niemals „resozialisierend“ wie es beispielsweise im Justizsystem behauptet wird – sondern abschreckend und gewalttätig. Eine Machtdemonstration des Staates, der zu zeigen versucht, dass die Grundlagen der täglich durchgesetzten Ordnung nicht verhandelbar sind. Selbst dann nicht, wenn sie ausschließlich die Herrschaft Einzelner über Andere zementieren.
Eine subjektive Perspektive auf die Wirkung von Repression
In „Wege durch den Knast“, einem Buch von und für Gefangene/n und ihre/n Angehörigen sowie alle/n, die sich mit dem Gefängnissystem konkret auseinandersetzen, sprechen die Autor*innen vom „Haftschock“, der im Moment der Festnahme, spätestens aber mit der Ausstellung des Haftbefehls und seinem Inkrafttreten einsetzt. Wenn, nach einer Nacht in der Zelle der Tag immer länger wird, Beamte in die Zelle kommen, das Gespräch mit dem*der Anwält*in geführt wird und die erste Haftprüfung den Weg ins Gefängnis weist, ist das Wort „Ohnmacht“ viel zu schwach, um den eigenen Zustand zu beschreiben.
Erst fassungslos, dann schockiert lachend und unvermögend, die Situation direkt einzuordnen, geht es in eine Art Traumzustand. Die ersten Tage hinter Gittern lassen erkennen, dass es kein Entrinnen gibt und nichts mehr vom gefangenen Menschen selbst zu entscheiden sei. Der Staat bestimmt von nun an den Tagesablauf, was dem*der Einzelnen zusteht und was verzichtbar ist. Weil es zuerst keine Möglichkeit gibt, mit Familie, den Freund*- und Kompliz*innen zu kommunizieren, wird der*die Gefangene isoliert. Die Unfähigkeit, selbstbestimmt und uneingeschränkt mit den geliebten Menschen in Kontakt zu treten, soll die Vereinzelung des Individuums nicht nur räumlich – eingesperrt in der Zelle – sondern vielmehr psychisch manifestieren. Der Staat demonstriert seine Macht und zeigt, dass er dazu in der Lage ist, ein Individuum physisch aus der Welt vor den Mauern der Gefängnisse zu entfernen. Überwachung und Einschränkung der Kommunikation zielen darauf ab, die schiere Existenz der Gefangenen außerhalb der Gefängnismauern auszulöschen.
Im Inneren des Gefängniskomplexes machen Beamt*innen deutlich, dass menschliche Umgangsformen im Kontext von Gefangenschaft nicht berücksichtigt werden. Selbst die Regeln und Gesetze der Ordnung, zu deren Schutz die Gefängnisse existieren sollen, werden innerhalb der Mauern mit Füßen getreten. Nicht weiter verwunderlich, sind sie doch ausschließlich dazu da, Herrschaftsinteressen zu sichern, niemals aber prinzipiell gültig. Repression ist willkürlich! Jeden Tag aufs Neue versichern Beamt*innen ihren Opfern, dass diese doch jetzt „jede Menge Zeit zum Nachdenken“ hätten. Zeit, die eigenen Überzeugungen dem gesellschaftlichen Normbild anzugleichen und die Regeln des Bestehenden – wenn nicht zu unterstützen – in einer potentiellen Zukunft „in Freiheit“ anzuerkennen.
Konsequente Ablehnung – Eine Strategie gegen Repression
Ron Sakolsky schreibt in „Breaking Loose – Mutual Acquiescence or Mutual Aid?“ unter Rückgriff auf Gustav Landauer, dass es die sozialen Beziehungen sind, die den Staat ausmachten. Dass die staatliche Kontrolle, genau wie das Gefühl der Machtlosigkeit („powerlesness“; Sakolsky 2015, S. 34) und die Unfähigkeit, dem Bestehenden etwas entgegenzusetzen, jederzeit auch in den Beziehungen der Menschen untereinander verankert seien. Aber was heißt das für den*die Einzelne*n im Angesicht von Repression?
Wenn der Staat in den zwischenmenschlichen Beziehungen verortet werden kann, dann folgt daraus, dass auch die Mechanismen, die von ihm eingesetzt werden, in dieser Art Beziehungen ihren Ausgang finden. Die Unterdrückung non-konformen Handelns selbst findet sich im Verhältnis der Individuen untereinander wieder. Im Umkehrschluss geht es hier natürlich nicht – wie Sakolsky selbst in einem anderen Kontext richtig bemerkt – darum, die Verantwortung von den Täter*Innen auf die Opfer abzuwälzen. Vielmehr geht es darum aus der passiven Rolle der*des wehrlosen Unterdrückten (von Repression Betroffenen) auszubrechen und aktiv die Wirkung von Repression anzugreifen.
Kein Mensch kann mit Repression umgehen, da sie keine Regelmäßigkeiten kennt, sondern kann nur ihre Wirkung auf das eigene Selbst immer wieder hinterfragen und ihre scheinbare Übermacht konsequent ablehnen. Denn mit ihr erreicht der Staat nicht immer, was er will, im Gegenteil. Durch repressive Maßnahmen werden Menschen politisiert und solidarisieren sich. Rückgreifend auf die vorhergehenden Ausführungen heißt diese Ablehnung ganz konkret, all jene Praxis zu radikalisieren, die der Staat zu unterdrücken versucht. Angefangen mit dem ständigen Versuch, die eigenen Ideale und Träume ehrlich zu leben; Am Gefühl der Ohnmacht vorbei die Vereinzelung und Isolation in Haft zu brechen. Sei es durch die Kontakte zu den Mitgefangenen oder zu Familie, Freund*- und Kompliz*innen. Über das Festhalten an den eigenen Überzeugungen, die immer mehr wert sein werden als die – durch Kompliz*innenschaft im Knast oder vor Gericht – erkauften Privilegien durch Selbstverrat. Bis hin zu der Überzeugung, dass (staatliche) Macht nicht allumfassend ist, niemals sein kann und an jedem neuen Tag eine andere Welt möglich sein wird.
Wenn wir zustimmen, dass der Staat und seine unterdrückenden Mechanismen – zumindest auch – in den sozialen Beziehungen untereinander ihr Unwesen treiben, dann sollten wir auch hier ansetzen. Im Gefängnis bedeutet das, exzessiv Briefe zu schreiben. Trotz der inhaltlichen Kontrollen durch die Beamt*innen nicht auf den Ausdruck der eigenen Gefühle zu verzichten. Weil nicht einmal der Eingriff in die Intimität zwischen den Brieffreund*innen die ehrlichen Gefühle der unbekannten Solidarität anonymer Briefe, der gegenseitigen Zuneigung, des Vertrauens und der Liebe zueinander zerstören kann. Repression ist willkürlich. Aber die Entscheidung der Einzelnen, zusammen zu leben, miteinander widerständig zu handeln, füreinander einzustehen und sich auch im Angesicht drohender Repression nicht voneinander abzuwenden, ist es nicht.
Repression zielt darauf ab, einzelne Individuen – egal wie – herauszugreifen, diese dann exemplarisch anzugreifen und in letzter Konsequenz auch auszuschalten. Sie sucht sich niemals ebenbürtige Gegner*innen, sondern solche, die anfällig und angeschlagen scheinen. Allein. Eine Aufgabe sollte es also sein, nicht einmal die Illusion aufkommen zu lassen, die von Repression betroffenen Menschen müssten diese Angriffe alleine durchstehen. Jede*r im Gefängnis sollte von „draußen“ gestärkt werden. Die Solidarität zu den Gefangenen sollte jederzeit und offensiv zur Schau getragen werden, bis sie soweit selbstverständlich geworden ist, dass der Staat keine leichten Ziele mehr findet. Und sich mit den Menschen, die sich seiner Existenz in ihrem Inneren bewusst sind, auseinandersetzen muss und schlussendlich, mitsamt seinem Repressionsapparat aus ihren Herzen und ihrer Realität verschwindet.
Zusätzlich verwendete Literatur:
Sakolsky, Ron (2015): Breaking Loose – Mutual Acquiescence or Mutual Aid? LBC Books, Berkeley. Redaktionskollektiv (Hg.) (2016): Wege durch den Knast. Alltag-Krankheit-Rechtsstreit. Assoziation A, Berlin/Hamburg.