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Startschuss für die „Hausarbeitsdebatte“

Auf einem blassrot durchtränkten Papierumschlag sind drei Schriftblöcke zentriert über die gesamte Fläche des Covers mit dem Titel und den Autorinnen in schwarzer Serifen-Schrift gesetzt. Der Gesamttitel des Bandes "The Power of Women and the Subversion of the Community" ist in Kapitälchen im oberen Drittel des Formats gesetzt. In etwas Abstand dazu und in kleinerer Schriftgröße sind Titel sowie Autorin des ersten Beitrags "Women and the subversion of
the community by Mariarosa Dalla Costa" gesetzt. Darunter sind wieder mit etwas Abstand Titel und Autorin des zweiten Beitrags "A Woman's place by Selma James" gedruckt, die - wie am unteren Rand des Covers zu lesen ist, auch eine Einführung in den Band geschrieben hat. Durch das blasse Rot auf einfachem Karton, die schwarzen großen Letter und das Fehlen von Coverbildern vermittelt das Cover einen eingängigen visuellen Eindruck und macht zugleich eine günstige Produktionsweise sichtbar.
Buchautor_innen
Mariarosa Dalla Costa, Selma James
Buchtitel
Die Macht der Frauen und der Umsturz der Gesellschaft

Vergessener Klassiker der Zweiten Frauenbewegung; über Hausarbeit, Lohnarbeit, Mehrwert und Frauen als revolutionäre Subjekte.

Die 1971 erschienene Schrift „Die Frauen und der Umsturz der Gesellschaft“ von Mariarosa Dalla Costa und Selma James gilt als Beginn der international geführten und rund zehn Jahre währenden Auseinandersetzung um das Verhältnis von Lohnarbeit und Hausarbeit, Frauen und Männern, von Fabrik und Familie und deren Rolle im Kapitalismus. Die Auseinandersetzung mit diesem Themenbereich wurde später unter dem Namen „Hausarbeitsdebatte“ bekannt. Innerhalb kurzer Zeit wurde der Text in sechs Sprachen übersetzt und verbreitete sich schnell in der internationalen Frauenbewegung.

Gleich vorab: Der Text ist eine Empfehlung. Ihn zu lesen macht Spaß und bereichert, und das auch rund vierzig Jahre nach seinem Erscheinen. Es ist eher eine politische Schrift beziehungsweise ein feministisches Manifest denn eine reine Auseinandersetzung mit der Marx’schen Theorie und den patriarchalen kapitalistischen Verhältnissen. Der Text hat Kraft und er will etwas; er plädiert unmittelbar für die Befreiung der Frau und die Abschaffung des Kapitalismus. Wer sich eine rein akademisch-wissenschaftliche Auseinandersetzung erhofft, wird somit enttäuscht sein. Zum Glück, ließe sich noch hinzufügen. Dieser Text kann und will viel mehr. Er bezieht Stellung, ist parteiisch, stellt fest, macht Wut über die bestehenden Verhältnisse, fegt über manche Ungereimtheiten, die sich bei genauerem Nachdenken ergeben, hinweg und regt zu Diskussionen an. Kurzum, aus dem Text spricht viel mehr die Stärke einer Bewegung – der italienischen Frauenbewegung zu Beginn der 1970er Jahre – als die Meinung einer einzelnen Autorin. Einige der verwendeten Begriffe und der ausformulierten Fragestellungen sind sehr in der Zeit ihrer Entstehung verankert und mögen heute als veraltet oder überholt erscheinen. Dennoch ist die Schrift keinesfalls nur als historisches Dokument interessant. Viele der grundlegenden Fragen stellen sich auch noch heute und lassen sich mit aktuellen Debatten rund um Organisierungsfragen, Forderungen nach einem bedingungslosen Grundeinkommen, Commons und Care- und Reproduktionsarbeit verknüpfen.

Zur Entstehung des Textes und über revolutionäre Subjekte

Vor allem dem eindeutig politischen Charakter des Textes ist es geschuldet, dass er mehr als andere Schriften, die im Zuge der Hausarbeitsdebatte (siehe hierzu Frigga Haugg und Kornelia Hauser [1984]) geschrieben wurden und sich mit der Marx’schen Kapitalismusanalyse auseinandersetzen, von Ort und Zeit seiner Entstehung geprägt ist. Themen wie Gewalt in der Familie, Sexismus, Hausarbeit und andere zentrale Unterdrückungsstrukturen wurden bis dahin in der traditionellen Linken, wenn überhaupt, nur als Randthemen behandelt und insgesamt als „Nebenwiderspruch“ entwertet. Die eingeforderten Auseinandersetzungen mit diesen Themen sowie mit patriarchal-autoritären Mustern in den eigenen gemischtgeschlechtlichen Gruppen führten schließlich zu einer Reihe von Austritten von Frauen aus den gemischten linken Zusammenhängen und zur Gründung eigener feministischer Organisationen. So gründete Dalla Costa 1971 gemeinsam mit anderen Frauen die Gruppe „Lotta Feminista“ (Feministischer Kampf). Spezifisch italienischer Prägung ist die lange und militante Tradition von Klassenkämpfen so wie Dalla Costas Verortung im Operaismus (Dalla Costa 2005), der sich stark in ihrer analytischen Herangehensweise und politischen Schlussfolgerung widerspiegelt. Ein zentrales Paradigma operaistischer Ansätze war es, die Klassenkämpfe selbst ins Zentrum der Theorie zu rücken und nicht mehr abstrakte Bewegungsgesetze des Kapitalismus zu suchen, von denen dann politische Forderungen abgeleitet werden können – oder auch nicht. Bei Dalla Costa verloren sowohl Theorie als auch Praxis ihren geschlechtslosen Charakter. Zentrales revolutionäres Subjekt war fortan nicht mehr nur der Lohnarbeiter, sondern alle Frauen, sei es als Lohnarbeiterin und/oder als Hausfrau. Aber auch SchülerInnen, die Schwarze Bewegung und Arbeitslose fasste sie als „Proletarier[_innen] ohne Lohn“ (S. 33). Zentraler Ort der Disziplinierung, revolutionären Auseinandersetzung und Ausbeutung war nicht mehr nur die Fabrik, sondern ebenso die Familie und die Schule.

„Wer behauptet, dass die Befreiung der Frau der Arbeiterklasse darin liegt, eine Arbeit außerhalb des Hauses zu finden, erfasst nur einen Teil des Problems, aber nicht seine Lösung. Die Sklaverei des Fließbandes ist keine Befreiung von der Sklaverei des Spülbeckens. Wer das leugnet, leugnet auch die Sklaverei des Fließbandes und beweist damit noch einmal, dass man, wenn man die Ausbeutung der Frau nicht begreift, auch die Ausbeutung des Mannes nicht wirklich begreifen kann.“ (S. 41).

Unsichtbare Hausarbeit

In „Die Macht der Frauen und der Umsturz der Gesellschaft“ legt Dalla Costa die mannigfachen Unterdrückungsverhältnisse von Frauen in der kapitalistischen Gesellschaft dar und zeigt zugleich die Notwendigkeit als auch Wege zu ihrer Überwindung auf. Die Unterdrückung der Frau begann nicht erst mit dem Kapitalismus, aber: „Was mit dem Kapitalismus begann, war die noch intensivere Ausbeutung der Frau als Frau – und die Möglichkeit ihrer endlichen Befreiung.“ (S. 29). Der Kapitalismus hat die alte Form der Familie und des Zusammenlebens zerstört, den Mann als freien Lohnarbeiter auf den Markt geworfen und die Frau als Hausfrau in die Isolation des Hauses verbannt: So wurde die Kleinfamilie geschaffen. Hausarbeit ist unbezahlt, unsichtbar und isoliert; diese Eigenschaften sind für Dalla Costa untrennbar miteinander verbunden. Die von Frauen im Haushalt verrichteten Tätigkeiten bilden zwar neben der Lohnarbeit die Grundlage für den Kapitalismus, gelten aber als ungelernt und minderwertig. Ihre Bedeutung für den kapitalistischen Produktionsprozess bleibt unsichtbar, „weil nur das Produkt ihrer Arbeit – der Arbeiter – sichtbar war“. Das Kapital herrscht nach Dalla Costa nicht nur durch den Lohn, sondern gerade auch durch den Ausschluss eines großen Teils der Gesellschaft vom Lohn. Durch das Fehlen des Lohns wird die Ausbeutung verschleiert und ist nicht offensichtlich. Die Arbeit der Hausfrau erscheint als persönliche Dienstleistung außerhalb des Kapitals.

„Diese Form der Ausbeutung war noch effektiver, weil das Fehlen des Lohns sie verschleierte, mystifizierte. Das heißt, der Lohn kommandiert mehr Arbeitsleistungen als die Tarifverträge in der Fabrik erkennen lassen.“ (S. 34)

Bruch mit dem orthodoxen Marxismus

Mit dieser Sichtweise bricht Dalla Costa mit dem orthodoxen Marxismus, der die Basis der gesellschaftlichen Ordnung und somit der Ausbeutung immer im ökonomischen Verhältnis von Lohnarbeit und Kapital sah. Die direkte theoretische Bezugnahme auf Marx fällt jedoch relativ knapp aus. Im Abschnitt „Mehrwert und gesellschaftliche Fabrik“ stellt sie fest, dass es Marx zwar geschafft habe, die Ausbeutung von Frauen und Männern in der Lohnarbeit exakt zu bestimmen, aber „die Ausbeutungssituation der Frau im Haus“ nicht erfassen konnte. Eine Begründung für diese Kurzsichtigkeit sieht sie darin, dass Männer – und somit auch Marx – in den geschlechtsspezifischen Machtstrukturen gefangen seien, „[d]eswegen können nur die Frauen ihre gesellschaftliche Rolle selbst bestimmen und mit dem Kampf beginnen“ (S. 39). Hausarbeit geht nach Dalla Costa über Produktion von Gebrauchswerten – diese Funktion wurde der Hausarbeit auch von Marx und dem orthodoxen Marxismus zugestanden – weit hinaus. Als unbezahlte Sklaverei bildet sie die Grundlage der Lohnsklaverei. Sie dient der Reproduktion der Arbeitskraft, ist für den Kapitalismus unentbehrlich und dergestalt produktiv. Auf eine enge Begriffsdebatte – die in anderen Strängen der Hausarbeitsdebatte durchaus geführt wurde – wie nun Mehrwert und Produktivität zu fassen und mit Hausarbeit ins Verhältnis zu setzten sind, lässt sie sich nicht ein. Vielmehr geht es darum, die Definition von Produktivität beziehungsweise die Frage, wie die spezifischen Geschlechterrollen für das Kapital produktiv sind, zu erweitern. Die Bestimmung von Produktivität geht thematisch weit über die herkömmliche, rein ökonomische Bestimmung der Hausarbeit hinaus. Problematisiert werden Bereiche der Sexualität, der Familie, der Konsumtion, aber auch der Rivalität unter Frauen, die durch das kapitalistische Produktionssystem bestimmt und für dieses produktiv gemacht werden. Die Funktion der Hausarbeit im Kapitalismus beschränkt sich bei Dalla Costa nicht nur darauf, unmittelbar produktiv zu sein und Mehrwert zu erzeugen, sondern sie erfüllt noch eine weitere, stabilisierende Funktion: Kommt es zu Wirtschaftskrisen und Entlassungen, fungiert der Haushalt als Auffang- und Versorgungsbecken und wirkt sozialen Revolten der Arbeitslosen entgegen.

Lohn für Hausarbeit

In „Die Macht der Frauen und der Umsturz der Gesellschaft“ blieben die Ansätze eines feministischen Kampfes und politischer Forderungen noch unkonkret. Von einem Lohn für Hausarbeit ist hier noch nicht die Rede. Innerhalb der italienischen Frauenbewegung bildeten sich kurze Zeit nach Veröffentlichung der Schrift mehrere Lohn für Hausarbeit-Komitees in Italien. Die Forderung hatte innerhalb der Frauenbewegung eine so immense Sprengkraft, dass sie sich auch schnell in andere Länder verbreitete und in Ansätzen bis heute fort existiert. Mit der Forderung nach Lohn sollte Verschiedenes erreicht werden: zum einen die Anerkennung der Produktivität von Haus- und Reproduktionsarbeit im Rahmen kapitalistischer Vergesellschaftung, zum anderen auch die Perspektive weiblicher Selbstbestimmung und die Teilnahme an sozialen Kämpfen in Form des direkten Angriffs auf die Profite. Mit einer minimalen monetären Abspeisung, die die Hausfrauenrolle nur verfestigen würde, hatte die Forderung damals jedoch wenig gemein. In Anlehnung an den „politischen Lohn“ sollte durch immer höhere Lohnforderung der Kapitalismus geschwächt und zu Fall gebracht werden. In der Kampagne wurde auch der Ansatz für einen internationalen Kampf aller Frauen gesehen:

„Wir alle leisten Hausarbeit. Hausarbeit: Sie ist die einzige Sache die alle Frauen untereinander verbindet, sie ist die einzige Grundlage auf der wir gemeinsam unsere Macht entfalten können, die Macht von Millionen von Frauen.” (Dalla Costa 1975, S. 126, Übersetzung KK)

Mit der Forderung sollte nicht zuletzt auch Kämpfen, die sich allein auf die Lohnarbeit beziehen, entgegen getreten werden. Wenngleich in einem anderen Kontext, finden sich ähnliche Argumentationsstränge – sowohl der Pro- als auch der Kontra-Argumente – in heutigen Debatten um das bedingungslose Grundeinkommen wieder.

Zusätzlich verwendete Literatur

Knittler, Käthe (2005): Feministische Kritik an der Marxschen Werttheorie, Diplomarbeit, Wien. Online hier

Dalla Costa, Mariarosa (1975): A General Strike. In: Edmond, Wendy/Fleming, Suzie (Eds.): All work and no pay. Power of Women Collective, London. S. 125-127

Dalla Costa, Mariarosa (2005): Eine Frage der Würde. Der Haushalt als Betrieb und die feministische Kritik am Operaismus. In: analyse + kritik 497, S. 16

Haug, Frigga/ Hauser, Kornelia (1984): Geschlechterverhältnisse. Zur internationalen Diskussion um Marxismus-Feminismus, In: Projekt kritischer Feminismus: Geschlechterverhältnisse. Berlin, 9-21, 42-64.

In der englischen und italienischen Fassung werden sowohl Dalla Costa als auch James als Autorinnen genannt. In der im Merve-Verlag erschienen deutschen Fassung des Textes, aus der hier zitiert wird, wird Dalla Costa als Autorin angeführt.

Mariarosa Dalla Costa, Selma James 1978:
Die Macht der Frauen und der Umsturz der Gesellschaft. 3. Auflage.
Merve Verlag, Berlin.
93 Seiten.
Zitathinweis: Käthe Knittler: Startschuss für die „Hausarbeitsdebatte“. Erschienen in: Marxistischer Feminismus. 34/ 2015. URL: https://kritisch-lesen.de/s/HeiBv. Abgerufen am: 04. 11. 2024 23:33.

Zum Buch
Mariarosa Dalla Costa, Selma James 1978:
Die Macht der Frauen und der Umsturz der Gesellschaft. 3. Auflage.
Merve Verlag, Berlin.
93 Seiten.