Freiheit Ausgabe Nr. 69, 10. Oktober 2023
„Meine Freiheit muss noch lang nicht deine Freiheit sein! Meine Freiheit: Ja! Deine Freiheit: Nein! Meine Freiheit wird von der Verfassung garantiert Deine hat bis jetzt nicht interessiert! […]“
Diese Zeilen stammen aus dem Lied „Deine Freiheit, meine Freiheit“ des anarchistischen Liedermachers Georg Kreisler. Mit schwarzem Sprachwitz breitet er in den Strophen aus, was Freiheit für das moderne Individuum in einer kapitalistischen Gesellschaft bedeutet – und dass sie Unterschiede markiert. Denn Freiheiten sind stets politisch, sozial, ökonomisch und kulturell umkämpft.
In westlichen Demokratien gilt Freiheit als Grund- und Menschenrecht, das es in dieser Form seit der Zeit der Aufklärung gibt. Eine der berühmtesten philosophischen Grundlegungen für dieses Verständnis formulierte Immanuel Kant, der 1784 die Aufklärung als den „Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit“ definierte. Daraus ergeben sich sowohl sogenannte positive Freiheiten als Freiheiten zu etwas, wie beispielsweise Bewegungs- oder Meinungsfreiheit auf der einen und negative Freiheiten als Freiheiten von etwas – so sollen sich Menschen frei von Repressionen und Zwang entfalten können – auf der anderen Seite. Aber die Aushandlung, was nun Freiheit bedeutet und wem sie zufällt, also die materialistische Ausprägung, findet stets in einer Spannung zwischen Kollektiv und Individuum sowie zwischen Interessensgruppen statt; in einem Gefüge, dass durch Macht, Staat und Kapital strukturiert ist.
Dass Freiheit in einem Lebensbereich zu Zwängen in einem anderen führen kann, zeigte zuerst Karl Marx anhand der Figur des doppelt freien Lohnarbeiters: ein Arbeiter, der aus der Leibeigenschaft befreit, aber auch frei von Produktionsmitteln ist und nun seine Arbeitskraft auf den Markt tragen muss, um diese zu verkaufen.
„Aber vorläufig wird nichts aus deiner Freiheitsambition. Du hast noch keine Macht und keine Organisation! Ich wär’ ja dumm, wenn ich auf meine Freiheit dir zulieb’ verzicht. Darum behalt ich meine Freiheit. Du kriegst deine Freiheit nicht – Noch nicht!“
Bis vor kurzem war Freiheit dennoch ein Begriff, der am Horizont emanzipatorischer Kämpfe stand und somit als ein zentraler linker Begriff verstanden werden musste. Freiheit zielte dabei immer auf eine bestimmte Form einer Gesellschaftsordnung, eine Befreiung aus autoritären Strukturen. In den letzten Jahrzehnten gewinnt jedoch zunehmend ein Freiheitsverständnis im Sinne einer Wirtschaftsordnung an Bedeutung. Das Zauberwort, das alles andere ermöglicht, lautet dabei: Marktfreiheit; eine Freiheit, die das Profitinteresse in den Vordergrund stellt und den Menschen als Zugeständnis die Konsumfreiheit lässt. So wurde ein kollektives Verständnis von Freiheit immer weiter atomisiert. Die Totalität des Freiseins führt in die absolute Indivualisierung. Dabei wird Freiheit mit den Gefahren, die die Welt birgt, auch auf Gefühlsebene immer mehr zum gefährdeten Gut. Was jedoch nicht zu einer Rückbesinnung auf gemeinschaftliche Ankerpunkte führt, sondern als Sorge um die persönliche Einschränkung Konjunktur erfährt. Unbenannt bleiben dabei jene Lebensbedingungen, die die Freiheit tatsächlich einschränken. Stattdessen wird ohne Tempolimit auf deutschen Autobahnen fahren zu können als Inbegriff von persönlicher Freiheit hochgejazzt.
Freiheit steht hoch im (Dis)Kurs: Man wird ja wohl noch dürfen! Mit der absurden Verstümmelung eines so wichtigen Begriffs macht die autoritäre und immer stärker werdende Rechte ordentlich Stimmung im reaktionären Neoliberalismus. Und so verkümmert auch die Meinungsfreiheit, so dass Menschen frei von jeglicher Affektkontrolle ihren Trieben freien Lauf lassen, wie es an der Zunahme von Verschwörungserzählungen oder Querdenkern während der Corona-Pandemie zu erleben war.
Diesem liberalen bis rechten Denken hat die gesellschaftliche und politische Linke wenig entgegenzusetzen. Auch wenn sich der Begriff der Freiheit in Nischen in Form von „Bindestrichfreiheiten“ und Freiheiten mit Zusatz wie „Reproduktive Freiheit“, „Ökologische Freiheit“, „Bleibe-Freiheit“ und so weiter hält, scheint es an einem übergeordneten Verständnis des Begriffs zu mangeln.
Es geht in dieser Ausgabe um Fragen der Freiheit. Wir fragen uns, wie der Begriff der Freiheit – und auch der Unfreiheit – mit Inhalten gefüllt werden kann, die der Realität entspringen. Und wir möchten ausloten, wie Linke diskursiv einer rechten und neoliberalen Aushöhlung des Begriffs entgegenwirken können. Denn einen linken Begriff von Freiheit brauchen wir.
In der nächsten Ausgabe #70 im Januar 2024 bleiben wir sozusagen beim Thema und schauen uns die Geschichte und Aktualität der Polizei an.
Wir freuen uns außerdem sehr über unseren redaktionellen Zuwachs: Seit dieser Ausgabe sind Lena Hezel und Janina Puder mit an Bord. Herzlich willkommen, ihr beiden!
Viel Spaß beim kritischen Lesen!