Eine Bewegung ist zum Kämpfen da
- Buchautor_innen
- Angela Davis
- Buchtitel
- Freiheit ist ein ständiger Kampf
Ein Plädoyer dafür, die Freiheit zu erkämpfen — und zwar nicht nur die eigene.
Sie ist eine lebende Legende: Als Schwarze Marxistin, Feministin und Philosophin hat Angela Davis die Neue Linke nicht nur in Amerika entscheidend beeinflusst. Im Jahr 1970 wurde sie vom FBI als eine der zehn meistgesuchten Verbrecher*innen gelistet und kam bis zu ihrem Freispruch für mehr als ein Jahr ins Gefängnis. Internationale Solidaritätskampagnen trugen zu ihrer Freilassung bei. Bis heute ist Davis als Intellektuelle vor allem in der gefängniskritischen und abolitionistischen Bewegung aktiv.
Einige ihrer Vorträge und Gespräche, die sich hauptsächlich mit dem Gefängnissystem und dem US-amerikanischen Rassismus befassen, hat Sven Wunderlich bereits vor einigen Jahren für den Unrast Verlag ins Deutsche übersetzt. Das Buch liegt inzwischen in der dritten Ausgabe vor und befasst sich in zehn Kapiteln unter anderem mit rassistischen Polizeimorden in den USA oder mit dem Sicherheitsunternehmen G4S als ein transnationaler Akteur des von ihr kritisierten „gefängnisindustriellen Komplexes“ (S. 63). Es weitet aber auch die Perspektive mit Reflexionen Davis’ über die Geschichte der Schwarzen Befreiungsbewegung oder die heutige Rolle der Frauenbewegung und des Internationalismus.
Die Dialektik der Bürgerrechtsbewegung
„Freiheit kann niemandem gegeben werden; Freiheit ist etwas, das Menschen sich nehmen, und Menschen sind so frei, wie sie es sein wollen“ – Dieser Satz stammt vom US-amerikanischen Schriftsteller James Baldwin. Ähnlich formuliert dies auch Angela Davis in ihrem titelgebenden Ausspruch: „Freiheit ist ein ständiger Kampf“. Damit betont sie zweierlei: Erstens, dass es eine Kontinuität von gesellschaftlichen Auseinandersetzungen gibt. Man kann hier also annehmen, soziale Bewegungen oder der gesellschaftliche Fortschritt kämen nie an ein Ende. Es gibt immer noch etwas wie ein unabgegoltenes Freiheitsversprechen oder ein Ideal, auf das die Bewegung abzielt. Der Gedanke an das siegreiche Civil Rights Movement wie auch die Befragung der US-amerikanischen Gegenwart hinsichtlich der anhaltenden sozialen und rassistischen Missstände macht deutlich, dass die Bürgerrechtsbewegung viele Schwarze nur formaljuristisch befreit hat. Davis spricht von einer „Dialektik der Emanzipation“ (S. 80). Sie setzt daher politisch auf die Fortsetzung der Kämpfe und die Unterstützung der Befreiungsbewegung von heute; denn für sie war auch die Bürgerrechtsbewegung eine Befreiungsbewegung.
Zweitens trifft Davis eine Aussage über den Charakter jener Auseinandersetzungen. Die gesellschaftliche Befreiung und das Erlangen von Rechten vollziehen sich allein über den politischen Kampf. Damit impliziert Davis, dass der Staat ein aktives, eigensinniges und letztlich gewaltvolles Konstrukt und somit als ein Gegner zu verstehen ist. Vor allem die Sklav*innen und die Schwarze Bevölkerung wurden und werden Davis zufolge in Amerika ausgebeutet oder weggesperrt. Die US-amerikanische Gefängnisindustrie ist ein Beispiel dafür, wie der Staat sogar beide Unterdrückungsverhältnisse miteinander kombiniert. Damit hat sich für Davis auch nur partiell etwas an der Lebenswelt und der Freiheit von Schwarzen geändert. Die rassistisch motivierte und legitimierte Unterdrückung und Ausbeutung bleibt als Verhältnis bestehen.
h3>Die Intersektionalität der Kämpfe
Für Davis muss sich demzufolge das allgemeine Verständnis von politischem Kampf zum Zwecke der Befreiung und letztlich der Freiheit ändern. Freiheit kann laut Davis nicht für ein einzelnes Individuum gelten oder individuell errungen werden. Freiheit ist als im doppelten Sinne nur gemeinschaftlich herstellbar. In der Mitte des 20. Jahrhunderts war Geschichte ein Resultat kollektiver Kämpfe und wurde nicht von (heroischen) Einzelpersonen gemacht – auch wenn die Geschichtsschreibung etwa in Bezug auf die Bürgerrechtsbewegung anderes verkündet. Das betont die Aktivistin auch angesichts ihrer eindrucksvollen Biographie in ihren Reden und ihren Analysen immer wieder. Dem isolierenden Gefängnisleben konnte Davis damals mit der Hilfe von internationalen Solidaritätskampagnen entkommen. Doch sie weist darauf hin, dass Solidarität keine Patentlösung im politischen Kampf ist. Für den Neoliberalismus und seinen – sich immer weiter verstärkenden – Klammergriff stelle sich das Problem deutlich schwieriger dar. Das gegenwärtige Netz der kapitalistischen Individualisierung ist eine Totalität, aus der die Gesellschaft und ihre Subjekte nicht so leicht entfliehen können. Davis sieht die im Vergleich zum 20. Jahrhundert vervielfältigten „Gefahren des Individualismus“ (S. 15). Auch die Linke und soziale Bewegungen kennen diese Gefahren nur zu gut. Nur eine geeinte Bewegung, die auf gegenseitiger Solidarität und Internationalismus beruhe, sei laut David dieser politischen Herausforderung gewachsen.
Oftmals bleibt Davis – ein Problem dieser Reden und oder Vorträge – nur das Wiederholen floskelhafter Aussprüche und allgemein bekannter politischer Redensarten. Vorausschauende Analysen bietet das Buch nur selten. Interessant wird es allerdings, wenn Davis in Bezug auf soziale Bewegungen das Konzept der Intersektionalität stark macht. Sie proklamiert jene Intersektionalität dabei aber nicht – wie gegenwärtig in der akademischen Linken stark verbreitet – als ein bloßes Richtmaß für Bewegungen und Kämpfe, um so ihre politische Ausrichtung zu bewerten. Vielmehr ist nach Davis die Intersektionalität der Kämpfe bereits in ihnen selbst und den sozialen Verhältnissen angelegt. Es liegt vor allem an den Bewegungen, die gesellschaftlichen Überschneidungen deutlich zu machen und so auch die Perspektive der Befreiung(en) zu erweitern. So ist zum Beispiel die Frage der Schwarzen Befreiung immer schon mit der Frauenfrage verbunden. Laut Davis müsse die abolitionistische Bewegung der USA mit ihrem Kampf auch auf den militarisierten Nahostkonflikt hinweisen und Solidarität für den palästinensischen Befreiungskampf zeigen. Die Partikularität, die Vereinzelung und vielleicht auch die Verlorenheit von Kämpfen geht auf in einem Prisma der Befreiungskämpfe. Genau diese Überlagerungen hätten in dem nur 150 Seiten schmalen Band noch klarer umrissen werden können. Auch zu der Frage, wie sich laut Davis beispielsweise eine „antirassistische, feministische Arbeiterpartei“ (S. 18) als unabhängige Partei in den USA etablieren könnte, hätte man gerne mehr erfahren.
Andauernde Lektionen
Da Davis sich in den Vorträgen mitunter wiederholt und die gleichen Argumente bemüht, hinterlässt das Buch leider nicht allzu oft den Eindruck großen Ideenreichtums und analytischer Tiefenschärfe. Zumal sind den Beobachtungen Davis’ bei der Lektüre auch die Jahre anzusehen. Viele der Auftritte von Davis fanden noch während der Obama-Präsidentschaft statt. Eine sicherlich spannende Zeit, da der seit der Kandidatur Barack Obamas die Diskussionen und auch Dissense in der US-amerikanischen Gesellschaft und in der Schwarzen Bevölkerung hinsichtlich eines Schwarzen Präsidenten hochkochten: Viele möchten endlich eine Schwarze Person im höchsten politischen Amt Amerikas wissen und erhoffen sich Reformen, andere hegen Zweifel an dieser Kandidatur, die sich von Anfang an mit den politischen (Kräfte-)Verhältnissen arrangieren muss.
Unterm Strich fehlt es dem Buch an einem aktuellen Blick auf die politischen und sozialen Entwicklungen in den USA seit 2015 (als das Buch erstmals erschien). Vieles ist seit dem Sieg des Trumpismus geschehen: Die sozialen Kämpfe haben sich unter anderem mit der Sammelbewegung Black Lives Matter neu formiert, ebenso gibt es eine neue Welle an Arbeitskämpfen. Trump ist vorerst aus dem Amt gedrängt und wird derzeit fortlaufend mit demokratisch-justiziellen Mitteln bekämpft. Die Herausforderungen an die Kämpfe und ihre politischen Subjekte indes haben sich nur wenig geändert: Es geht um die Abwendung des Wiederaufstiegs des Trumpismus, während sich die demokratische Partei mit keiner fortschrittlichen Wahloption zeigt. Unweigerlich findet sich die politische Opposition in den sozialen Bewegungen wieder. Sie können daher im Widerstand gegen den Status quo einige Lektionen aus der ferneren und näheren Geschichte (us-)Amerikas und seiner Befreiungsbewegungen ziehen, auch mit der Hilfe von Angela Davis.
Zusätzlich verwendete Literatur
James Baldwin: Nobody Knows My Name: More Notes Of A Native Son (engl. Ausgabe). New York 1961, The Dial Press, S. 151.
Freiheit ist ein ständiger Kampf. Übersetzt von: Sven Wunderlich. 3. Auflage.
Unrast Verlag, Münster.
ISBN: 978-3-89771-222-5.
160 Seiten. 14,00 Euro.