Wege aus der Zerrissenheit
- Buchautor_innen
- Birgit Palzkill
- Buchtitel
- Zwischen Turnschuh und Stöckelschuh
- Buchuntertitel
- Die Entwicklung lesbischer Identität im Sport
Die bereits 1989 in der BRD erstveröffentlichte Dissertation von Birgit Palzkill ist eine wegweisende sportsoziologische Untersuchung zur Entwicklung lesbischer Identität im Leistungssport.
Über zwanzig Jahre nach dem (ersten) Erscheinen Birgit Palzkills Dissertation „Zwischen Turnschuh und Stöckelschuh“ hervorzuholen und neu zu besprechen, kann nur vor dem Hintergrund verstanden werden, dass es sich bei der Untersuchung um einen Meilenstein handelt, war Palzkill wohl die erste Autorin im deutschsprachigen Raum, die zur Entwicklung lesbischer Identität im Sport publizierte. Palzkills Analyse basiert auf narrativen Tiefeninterviews mit 19 lesbischen Leistungssportlerinnen, in welchen sie ihre Lebensgeschichten nachzeichnen. Die interviewten Frauen kamen aus unterschiedlichen Sportrichtungen, einige betrieben Individual-, andere Teamsport. Die größte Gruppe der Interviewpartnerinnen stellten Handballerinnen mit sechs Studienteilnehmerinnen. Das ist insofern interessant, weil das Handballumfeld für lesbische Sportlerinnen als offenstes gezeichnet wird. Palzkills eigene Erfahrung als Leistungssportlerin im Bereich Leichtathletik und Basketball und ihre Positionierung als lesbisch erleichterte ihr sicherlich Interviewpartnerinnen zu finden und dies vor allem in einer Zeit, in der über lesbische (Leistungs)Sportlerinnen öffentlich nicht gesprochen wurde. Auf die Veröffentlichung ihrer Dissertation folgte viel positive Resonanz in den Medien, Diskussionen wurden entfacht und Veranstaltungen organisiert. Lesbische Leistungssportlerinnen wurden sichtbarer, eine nahezu totgeschwiegene Thematik fand Einzug in den öffentlichen Diskurs.
Das Buch ist für eine wissenschaftliche Studie erfrischend leicht zu lesen. Die Autorin kommt mit wenigen Fachbegriffen aus, was ihre theoretische Basis nicht schmälert. Der Sprachstil stützt den Anspruch, die Untersuchung nicht nur einer kleinen Fachöffentlichkeit zugänglich zu machen und löst somit die Motivation von Palzkill, „die Existenz von Lesben im Sport überhaupt be-sprechbar zu machen“ (S. 9), ein.
Anforderungen, Anforderungen, Anforderungen
Palzkills Anliegen ist es „herauszufinden, wie diejenigen Frauen, die lesbisch leben, ihre Lebensweise entwickelt haben und wie diese Entwicklung mit ihrer Leistungssportsozialisation zusammenhängt“ (S. 10, Herv. i. O.). Konkret geht es Palzkill demnach um drei Entwicklungsfelder und deren Verwobenheit: Frau werden, Lesbe werden und die Entwicklung zur Leistungssportlerin. Im Wissen um die Gefahr der Reproduktion einer starren Zweigeschlechterordnung entscheidet sich die Autorin dafür die Kategorie „Frau“ zu verwenden, um Benachteiligungen in einer patriarchal organisierten Gesellschaft am weiblich sozialisierten Subjekt deutlich machen zu können.
Um die drei genannten Entwicklungsfelder und ihre Verwobenheit zu untersuchen, wählt Palzkill ein Vorgehen, das zunächst irritierend wirken mag: Obwohl es um die Entwicklung lesbischer Identität im Leistungssport geht, spielt lesbische Existenz im ersten Teil des Buches nur eine untergeordnete Rolle. Vielmehr werden Anforderungen an eine weibliche Geschlechtsrolle untersucht und ihre Beschränkungen diskutiert. So finden beispielsweise die Variablen Körper, Kleidung, Bewegung und Raum besondere Berücksichtigung, um zu zeigen, wie sich hierarchische Geschlechterverhältnisse niederschlagen und mit welchen Grenzen Mädchen und Frauen zu kämpfen haben.
Palzkill stellt widersprüchliche Anforderungen und Zerrissenheit, die erwachsen, wenn sich eine Frau in der „Männerdomäne Sport“ bewegt, dar, ihr Fokus liegt dabei auf der Pubertät, „die Phase, in der das Mädchen zum Fräulein werden (…) muss“ (S. 38). Sport wird aber auch durchaus ein Raum eingeräumt, in dem es trotz vielfältiger Schwierigkeiten die Möglichkeit gibt, Grenzen einer weiblichen Geschlechtsrolle „legitimiert“ zu überschreiten, so beschreibt eine der interviewten Sportlerinnen:
„Ich glaube, Sport war wichtig für mich, weil schon auf der Oberschule irgendwie klar wurde, ich als Mädchen mache Sachen, die ich als Mädchen eigentlich nicht machen sollte, und auch von zu Hause aus Beschränkungen kamen. Und das war dann einfach toll für mich in der Schule, also zumindest im Sport mir aussuchen zu können, wie ich mich bewegen will.“ (S. 65)
Unter Zuhilfenahme des Identitätskonzepts nach Signe Hammer, in dem zwischen persönlicher Identität, sexueller Identität und Geschlechtsrollenidentität unterschieden wird, zeigt Palzkill, wie widersprüchliche Anforderungen eine Identitätsbalance praktisch verunmöglichen. Die interviewten Leistungssportlerinnen begegneten der Zerrissenheit (zunächst) auf unterschiedlichen Wegen, die von Palzkill sensibel erfragt und so wertneutral wie möglich dargestellt werden: Während einige nach Kompromissen suchten, zogen andere sich völlig aus dem Sport zurück oder verbrachten all ihre Zeit (fast) ausschließlich mit Sport.
Raus aus dem Schrank
Erst nach diesen ausführlichen Untersuchungen geht es konkret um lesbische Lebensweisen, in dem ein Ausweg aus der Zerrissenheit in der Identität als lesbische Frau gefunden wird. So beschreibt zum Beispiel eine Fußballerin die Folgen für sich, nicht mehr für Männer attraktiv sein zu müssen: „Ich hatte einfach das Gefühl, meine Freiheit wieder zu haben. Als ich mir das zugelassen habe, Frauen zu lieben, habe ich auch wieder zugelassen, so Sport zu machen, wie ich will“ (S. 103).
Palzkill läuft hier allerdings Gefahr, lesbische Lebensweisen als Identitätskonfliktslösung zu idealisieren, dann beispielsweise, wenn sie hervorhebt, dass in lesbischen Beziehungen patriarchale Machtverhältnisse ausgesetzt werden, sie aber nicht erwähnt, dass andere Machtverhältnisse trotzdem wirksam sind, wie zum Beispiel (soziale) Herkunft, Alter oder Befähigung.
Ausführlich untersucht Palzkill den Coming Out-Prozess ihrer Interviewpartnerinnen auf Grundlage eines Stigma-Ansatzes, den sie in drei Phasen unterteilt. Einerseits wird durch diese Vorgehensweise die Systematisierung der geschilderten Erfahrungen möglich, andererseits wirken komplexe Entwicklungen durch das Phasenmodell aber auch schematisch. In allen drei Phasen wird die Rolle des Sports einbezogen. So zeigt die Autorin auf, wie beispielsweise in der ersten Phase (Strategien der Leugnung und Stigmavermeidung) der Sport als Stabilisierungshilfe dienen kann:
„Ich konnte das Bedürfnis nach Nähe und Zärtlichkeit verschließen. Etwas zwanghaft zwar, also sehr rigide, der Panzer war sehr dicht und stark. Aber wenn du sieben Tage in der Woche Sport treibst, brauchst du auch nichts.“ (S. 123)
Wird lesbische Lebensweise im Sportumfeld anerkannt, so ist dies eine große Hilfe, um die zweite Phase – Schritte aus der Isolation – zu gehen. Allerdings musste die Autorin feststellen, dass dreizehn von den neunzehn interviewten Sportlerinnen in ihrem Sportumfeld keine Unterstützung fanden. In der dritten Phase schließlich geht es um die Konfrontation mit der heterosexuellen Umwelt.
Nicht Lesbisch-Sein ist das Problem
In ihrer Dissertation trennt Palzkill also analytisch zwischen den Herausforderungen, vor denen Frauen in einer patriarchal organisierten Gesellschaft stehen, wenn sie sich nicht auf eine passive Frauenrolle beschränken lassen und sich in dem männlich dominierten Feld des Sports etablieren wollen einerseits, und den Stigmatisierungen, mit denen Lesben in einer heterosexuell dominierten Gesellschaft konfrontiert sind andererseits. Diese Vorgehensweise hat einen plausiblen wie politisch gewichtigen Grund: Lesbisch-Sein wird nicht als individuelles „Problem“ verhandelt aufgrund dessen die Leistungssportlerinnen mit Konflikten und Zerrissenheit zu kämpfen hatten, sondern die patriarchale Gesellschaftsordnung mit ihrer Polarisierung der Geschlechter, der Minderbewertung von Frauen und alles „Weiblichem“ sowie die Definition des Sports als „männliche Domäne“ (S. 144) bleiben im Blickfeld. Somit schafft Palzkill es, dem Fehlschluss zu entgehen, dass das Lesbisch-Sein zum Konflikt mit der Frauenrolle geführt hat.
Insgesamt stellt Palzkill viele Parallelen in der Entwicklung ihrer Interviewpartnerinnen heraus, aber auch Unterschiede werden gezeigt, für Widersprüche gibt es hingegen leider zu wenig Raum. Die Autorin findet klare Worte gegen patriarchale und heterozentristische Strukturen und tritt entschieden für die Sichtbarkeit lesbischer (Leistungs)Sportlerinnen ein, wenn sie zum Beispiel über den Druck schreibt, unter dem Frauen stehen, ihrer zugedachten weiblichen Rolle genügen zu müssen, oder über den weiblichen Körper als Ware.
2010 wurde Birgit Palzkill mit dem Inge von Bönninghausen-Preis ausgezeichnet, einem Preis, der Frauen für ihr feministisches Engagement, ihre Zivilcourage und Unbestechlichkeit verliehen wird, die Auszeichnung erhielt sie wohl nicht zuletzt auch wegen ihrer Disseration: „Zwischen Turnschuh und Stöckelschuh“ ist eine mutige Analyse, die einen wichtigen Beitrag zu lesbisch-feministischer Sportgeschichte leistet, sicherlich nicht widerspruchslos gelesen werden kann, aber allein schon wegen ihrer historischen Bedeutung zu empfehlen ist.
Zwischen Turnschuh und Stöckelschuh. Die Entwicklung lesbischer Identität im Sport.
Frauenoffensive, München.
ISBN: 3-88104-260-1.
179 Seiten. 26,00 Euro.