Von der Wohnmaschine zerfetzt
- Buchautor_innen
- Dieter Hoffmann-Axthelm
- Buchtitel
- Hochhaus und Gemeinschaft
- Buchuntertitel
- Zur Erbschaft der Moderne
Die Wohnhochhäuser konnten niemals den Einspruch einlösen, Gleichheit und Gemeinschaft mit bezahlbarem Wohnen zu verbinden.
In deutschen Großstädten entstehen derzeit immer mehr Wohnhochhäuser. Insbesondere Frankfurt am Main feiert sich mit ihrer Skyline und den drei derzeit höchsten, sich im Bau befindlichen Wohnhochhäusern wieder einmal als Hochhausstadt. Die Immobilienbranche hofft, durch die derzeitige „Renaissance der Wohntürme“ das Schmuddel-Image des industriell geplanten Großwohnungsbaus abzuschütteln.
Dieter Hoffmann-Axthelm lässt kein gutes Haar an den „Wohnmaschinen“ des 20. Jahrhunderts, die als „[g]ebaute Ideologie“ (S. 77) niemals den Anspruch einlösen konnten, „Gleichheit, Gemeinschaft und Einheit des Lebens mit der Dringlichkeit wie der Sehnsucht des bezahlbaren und technisch optimierten Wohnens zu verbinden“ (S. 36).
Mit seinem Essay „Hochhaus und Gemeinschaft. Zur Erbschaft der Moderne“ kritisiert der Autor die „Ikonisierung“ (S. 6) und „ästhetischen Verklärung“ (S. 101) der Moderne umfassend. Mit ausgewählten, teils bebilderten Beispielen des Wohnungsbaus des frühen bis mittleren 20. Jahrhunderts hält er der klassischen Architekturmoderne ihr Scheitern vor.
Die Moderne war nicht voraussetzungslos
Wichtigstes Anliegen des Autors ist es, den „Selbstbetrug“ (S. 76) der Moderne zu thematisieren, deren Protagonist*innen das eigene Versprechen nicht einlösen konnten, konsequent mit den architektonischen Stilen und Ideen aus früheren Zeiten zu brechen: Weg mit dem Ornament. Weg mit den Gebäuden aus der Gründerzeit. Nach Einschätzung Hoffmann-Axthelms war der Anspruch zu einer grundsätzlichen Erneuerung – nicht nur des Hauses und der Stadt, sondern des Menschen und der Gesellschaft insgesamt – ideologieanfällig und überheblich. Große Teile seines Essays widmen sich deshalb den baugestalterischen Wurzeln der klassischen Moderne.
„Unübersehbar realisierte die Architektur- und Planungsmoderne nicht nur die Vorstellungen des Frühsozialismus, sie griff weiter zurück, auf die Utopien des 16. und 17. Jahrhunderts […], die ihrerseits auf antiken und mittelalterlichen Vorbildern aufbauten, realisierten wie erdachten.“ (S. 77)
Den Entstehungsbedingungen der modernen Planungsideen spürt der Autor in Streifzügen durch die mittelalterlichen typologischen Muster von Klöstern und Spitälern nach. Letztlich bleiben die historischen Bezüge zu mittelalterlichen Kollektivbauten aber notwendigerweise knapp oder beschränken sich auf bloße Andeutungen, die das Lesen mitunter sehr voraussetzungsreich machen.
Gebäude als Heilsversprechen
Die Themen Hochhaus und Gemeinschaft waren der große Versuch der Moderne, mit allen historischen Maßstäben zu brechen. Dem erklärten Selbstbild der radikalen Erneuerung widersprechen aber die bautypologischen Vorbilder des Hochhauses. Die monofunktionale Nutzungsform des Bautypus Hochhaus hat negative Eigenschaften für die Stadt, ist aber dennoch regelmäßig zum Gegenstand ästhetischer Spiele der Stadtplanung geworden.
Die zentrale Kritik Hoffmann-Axthelms konzentriert sich aber auf den Willen zum Monumentalen der „Wohnmaschine“ und seiner Realisierung im massenhaften Großwohnungsbau. Die „Wohnmaschine“ als „utopisches Gerät“ (S. 49) will dem Anspruch nach „die gebaute Zuspitzung einer auf Gebäude verschobenen Welterneuerung“ (S. 38) sein. Sie soll der Überbevölkerung ein Obdach bieten, für jeden erschwinglich sein, vor Naturkatastrophen schützen und überhaupt die Menschen glücklicher machen. Diesem Heilsversprechen der Moderne stellt der Autor verschiedene, seiner Einschätzung nach gescheiterte, Großwohnanlagen gegenüber. Wahre Innovationen und Errungenschaften habe es nur im Bereich der Bautechnik gegeben. Dadurch stellten sich jedoch nicht zwingend Verbesserungen für das alltägliche Leben der Menschen ein.
Doch der Autor geht noch einen Schritt weiter. Er verweist nicht nur auf die Schwächen des Bautypus (Wohn-)Hochhaus, sondern kehrt das Versprechen der Gemeinschaft als soziales Angebot der Moderne in ihr Gegenteil: Die Moderne nahm für sich in Anspruch, Unterdrückung und Gewalt der Vergangenheit zu beenden, wobei sie nach Hoffmann-Axthelms Urteil „beides noch einmal in abstrahierter und deshalb umso gründlicherer Form wiederholte“ (S. 81). Die Realisierung moderner Planungsideen in Systemen sozialstaatlich autoritärer Planung ist dann nicht mehr historisch gewachsen. „Moderne, Sozialismus, Diktatur“ (S. 79) werden zum Dreiklang, der bereits in den Planungen angelegt war. Trotz aller berechtigter Kritik am „Aufblähen des Bauens zur Welterneuerung“ (S. 78), bettet der Autor das Scheitern der Bau- und Wohnutopien nicht in die gesellschaftspolitischen, wirtschaftlichen und kulturellen Kontexte der jeweiligen politischen Systeme ein.
Der Alltag der Bewohner*innen
Hoffmann-Axthelm macht das Scheitern der Großwohnanlagen für die Schaffung einer neuen Wohngemeinschaft explizit daran fest, dass der Bautypus zu starr sei. Mit dieser Kritik bedient er allerdings selbst den Gestus des Planers, der dem Gebäudetypus ohne Berücksichtigung der erlebten Wohnerfahrungen entweder Erfolg oder Scheitern bescheinigt. Wer die Qualität des Zusammenlebens am Bau- oder Siedlungstypus abzulesen vermag, zeigt sich wenig offen für Fragen der Alltagspraktiken der Bewohner*innen. Interessanterweise sind es nämlich aktuell die Bewohner*innen von Wohnhochhäusern des Massenwohnungsbaus der 70er Jahre, die mit kollektiven Mieter*innenprotesten von sich reden machen (zum Beispiel das Vonovia-Hochhaus in Stuttgart und das Brentano-Hochhaus in Frankfurt am Main). Unter dem Druck des Wohnungsmarktes entstehen hier Gemeinschaftserfahrungen im Protest, die zwar nicht nachträglich das moderne Konzept von Gemeinschaft einlösen, aber doch weit über den planerischen Pessimismus in Bezug auf die Wohnhochhäuser hinausgehen.
Hochhaus und Gemeinschaft. Zur Erbschaft der Moderne.
DOM publisher, Berlin.
ISBN: 978-3869226613.
116 Seiten. 28,00 Euro.