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Reproduktionsverhältnisse, Küche und Kapitalismus

Buchcover besteht zu zwei dritteln aus einem blau-weißen Karo-Muster, das an eine Tischdecke in einem eher rustikalen Gasthaus oder an ein einfaches Geschirrhandtuch erinnert. Darauf in einer weißen Aussparung links in der Mitte in rot der Titel, in kleinerer Schrift umgeben von Autorin und Untertitel.
Buchautor_innen
Silvia Federici
Buchtitel
Aufstand aus der Küche
Buchuntertitel
Reproduktionsarbeit im globalen Kapitalismus und die unvollendete feministische Revolution
Der Band des Autor_innenkollektivs Kitchen Politics umfasst drei Essays Silvia Federicis, in denen sie sich mit der Rolle der Reproduktionsarbeit unter globalisierten kapitalistischen Verhältnissen auseinandersetzt.

Der erste Band der neuen Reihe Kitchen Politics - queerfeministische Interventionen beim Verlag edition assemblage widmet sich ausgewählten Schriften der 1942 im italienischen Parma geborenen Silvia Federici. Sie ist emeritierte Professorin für politische Philosophie und Women Studies der Hofstra University in New York. 1972 gründete sie das International Feminist Collective mit, das vor allem durch die internationale Kampagne Lohn für Hausarbeit bekannt wurde. Werke von ihr sind unter anderem „Revolution at Point Zero“ (2012) und „Caliban and the Witch: Women, the Body, and Primitive Accumulation“ (2004), das kürzlich auch in deutscher Sprache beim Mandelbaum Verlag erschien und ebenfalls in dieser Ausgabe rezensiert wurde. Zudem hat sie zahlreiche Essays zu feministisch-marxistischer Theorie, Globalisierungskritik und in neuerer Zeit zu Konzepten der Commons veröffentlicht.

Die auch von Federici bereits in den 1970er Jahren formulierte feministische Kritik an Marx´ Kapitalismusanalyse wird erneut aufgegriffen, in aktuelle gesellschaftliche Zusammenhänge gestellt und so erweitert. Dabei werden Perspektiven eröffnet und erläutert, die nicht nur für Queere Theorie inspirierend sind.

Bekannte Kritik...

Die berechtigte feministische Kritik an Marx, die Bedeutung von Reproduktionsarbeit innerhalb der kapitalistischen Wirtschaftsordnung nicht erfasst zu haben, ist nicht neu: Bei Marx ist wertschöpfende Arbeit unmittelbar mit der Warenproduktion verbunden, Reproduktionsarbeit ist für ihn somit nicht wertschöpfend und damit auch nicht Teil der kapitalistischen Akkumulation. Die Ökonomie hat zudem einen wesentlichen Einfluss auf die Geschlechterverhältnisse. Arbeit, die un(ter)bezahlt in Privathaushalten oder auch öffentlich als Betreuungs- und Pflegearbeit geleistet wird, ist wenig anerkannt. Aufgrund der Tatsache, dass Reproduktionsarbeit Teil der kapitalistischen Arbeitsorganisation ist, muss davon ausgegangen werden, dass sie keine selbstbestimmte Tätigkeit darstellt, die aus lauter Nächstenliebe und reiner Fürsorge entsteht. Nachdem sämtliche öffentliche Sozialleistungen enorm gekürzt wurden, werden reproduktive Tätigkeiten als wertschöpfende Dienstleistungen organisiert, privatisiert und müssen käuflich erworben werden. Die Reproduktionsarbeit ist jedoch – so die Kritik – genau wie die Care- oder Sorgearbeit überhaupt Voraussetzung für die Produktion von Gütern – ohne Versorgung von Menschen keine Arbeitskraft, ohne Arbeitskraft keine Produktion. Care-Arbeit unterliegt damit auch der gültigen ökonomischen Logik, fortlaufend optimiert werden zu müssen. Der Zeitaufwand für die Erbringung von Dienstleistungen, die im Zusammenhang mit persönlichen Beziehungen (Kindererziehung et cetera) stehen, ist jedoch meist nicht reduzier- und damit nicht optimierbar. Sie sind demnach tatsächlich kaum wertschöpfend im Sinne einer Produktivitätssteigerung und daher gering bezahlt. An diesem Punkt setzt die Kritik von Federici an der Linken im Essay „Counter-Planning from the Kitchen“ aus dem Jahr 1974 an.

Sie thematisiert die „Einigkeit über die marginale Bedeutung der Hausarbeit für die Reproduktion des Kapitals“ (S. 107) in der Linken und die damit verbundene reproduzierte Spaltung der Arbeiter_innenklasse. Durch den Ausschluss nicht-entlohnter Arbeit aus einer linken Kapitalismusanalyse bleibt diese notwendig unvollständig, schlimmer noch: Indem die Unterdrückung der Frau auf ihren Ausschluss von der Lohnarbeit zurückgeführt wird, soll diese durch die Einbindung von Frauen in Lohnarbeit – also auch in die kapitalistischen Produktionsverhältnisse – überwunden werden, womit Frauen als – zwar nun sichtbarer – Teil dieser Verhältnisse noch mehr arbeiten und noch mehr ausgebeutet werden. Damit einher geht die Forderung an die Linke, sich von einer Ideologie mit grundlegend kapitalistischer Logik zu verabschieden und im Sinne der gesamten Arbeiter_innenklasse – unabhängig von Lohn- beziehungsweise Nicht-Lohnarbeit – zu agieren.

Federici übt nicht nur Kritik an der bürgerlichen Gesellschaft, sondern auch an der Linken. Diese habe den Lohn als dasjenige Kriterium akzeptiert, anhand dessen sie Menschen in revolutionäre und nicht-revolutionäre Subjekte einteilt (Arbeiter_innen: revolutionär, Hausfrauen: nicht-revolutionär) und dadurch eine Machthierarchie erzeugt, die letztlich zur Spaltung führt. Aus dieser Kritik heraus rechtfertigt sie die Einführung eines Lohnes für Hausarbeit. Dabei geht es für sie um das Ziel, für den Kapitalismus „unbezahlbar zu sein“ (S. 126) durch einen Lohn, der letztlich alle Arbeit unökonomisch werden lässt. Es geht ihr darum, die Reproduktionsarbeit als spezifischen Teil der kapitalistischen Produktion zu begreifen (und somit innerhalb der linken Ideologie Hausfrauen als revolutionäre Subjekte anzuerkennen), um geeignete Formen des Widerstandes zu etablieren, anstatt „einen aussichtslosen Kampf für unsere Verlegung von einer Form und Stufe der Ausbeutung auf eine andere zu führen“ (S. 114). Die Frage, inwiefern die Einführung eines Lohnes für Hausarbeit zu einer Überwindung kapitalistischer Verhältnisse führen kann, wird nur recht schwammig beantwortet. Sie fordert einen Lohn, um aus dem Lohnverhältnis entlassen zu werden (S. 121), um gegen das kapitalistische Verhältnis, das der Lohn verkörpert, zu kämpfen (S. 122), um das Kapital „zahlen zu lassen“, für jeden Augenblick, „in dem wir im Dienste des Kapitals leben“ (S. 123) und zu zeigen, dass Hausarbeit kein biologisches Schicksal ist. Auch ohne einen Lohn zu bekommen, wird frau durch das Kapital organisiert, durch einen Lohn soll die Arbeit jedoch anerkannt werden. Dabei wird der erkämpfte Lohn zwar noch nicht als Revolution gesehen, sondern lediglich als eine revolutionäre Strategie, „da es die Rolle unterläuft, die uns innerhalb der kapitalistischen Arbeitsteilung zugewiesen wird, wodurch sich die Machtverhältnisse innerhalb der Arbeiter_innenklasse zu unseren Gunsten und zugunsten der Einheit der Klasse verändern“ (S. 125). Die Frage jedoch, wie die Weigerung, „uns selbst und andere als Arbeiter_innen zu reproduzieren, als Arbeitskraft, als Waren“ (ebd.) mit der Forderung nach einem Lohn für genau diese Reproduktion in Einklang zu bringen ist, bleibt offen.

... mit neuen Bezügen...

Im eigens für das vorliegende Buch verfassten Hauptbeitrag analysiert Federici auf der oben erläuterten Grundlage die aktuelle Lage der Reproduktionsverhältnisse im globalen Rahmen und zeichnet Entwicklungen und Strategien antikapitalistischer Kämpfe nach. Dabei werden auch Verbindungslinien zur Queer Theory sichtbar, da die Organisation sozialer und reproduktiver Verhältnisse eng mit der Frage nach Privilegierung und Hierarchisierung sexueller (Familien-)Beziehungen verknüpft ist. Die im globalen Norden durch das neoliberale Wirtschaftssystem verursachte Auflösung wohlfahrtsstaatlicher Umverteilung generiert ein wachsendes Bedürfnis nach Sicherheit, welche wiederum an tradierten Vorstellungen heteronormativer Familien- und Versorgungsverhältnisse orientiert ist. Federici weist darauf hin, dass der Kapitalismus auf eben diese Formen heterosexueller Familienorganisation angewiesen ist, um die Reproduktion der Ware Arbeitskraft am Laufen zu halten. Hierbei wird deutlich, dass und wie das Persönliche, die sogenannte Privatsphäre, als politisch zu verstehen ist, „als eine Sphäre von Produktionsverhältnissen und als ein Terrain antikapitalistischen Kampfes“ (S. 41). Die Frage, die sich daraus ergeben könnte, ist die nach den gesellschaftlichen (Reproduktions-)Verhältnissen, die herrschen müssten, um queere Lebensweisen und alternative Familienmodelle gleichberechtigt gegenüber den normativ herrschenden existieren zu lassen. Diese Frage wird im Buch zwar so nicht gestellt, implizit steht sie jedoch im Raum und aus der Lektüre ergeben sich für die geneigten Leser_innen durchaus einige Antwortmöglichkeiten.

Den Abbau von Sozialleistungen sieht Federici in engem Zusammenhang mit der Entkräftung von antiautoritär bestrebten sozialen Kämpfen. Indem staatliche Investitionen in die Bildung und soziale Entwicklung der Bevölkerung immer weiter zurückgeschraubt werden und die Menschen darauf angewiesen sind, ihren Lebensunterhalt unter immer schwierigeren Bedingungen zu verdienen, um ihre Existenz zu sichern, würde ihnen auch Raum und Zeit genommen, um sich kritisch mit den Verhältnissen auseinanderzusetzen und dagegen zu kämpfen. Diese These mag in Teilen zutreffen, ist jedoch etwas zu simpel formuliert, da wohl nicht davon ausgegangen werden kann, dass alle Menschen sich tatsächlich kritisch positionieren würden, gäbe man ihnen unter anderweitig gleich bleibenden Bedingungen genug Zeit, Bildung und finanzielle Mittel, um dies zu tun.

Ein weiterer Bezugspunkt für die Beleuchtung der Entwicklung reproduktiver Arbeit wird mit der Globalisierung hergestellt, die Federici als „eine Reihe von politischen Maßnahmen, durch die das internationale Kapital auf die Arbeits- und Akkumulationskrise der 1960er und 1970er Jahre reagiert hat“ (S. 50) bezeichnet. Durch die globalisierten Verhältnisse – die „Informatisierung der Arbeit“ (S. 53) – ist es dem Kapital möglich geworden, sich weltweit in seiner Vormachtstellung zu etablieren und durch Entterritorialisierung die Ausbeutungsrate enorm zu steigern. Durch die Möglichkeit von Unternehmen, immer dort zu produzieren, wo die Bedingungen am günstigsten sind (sprich: geringste Lohnkosten, keine/kaum Rechte für Arbeitnehmer_innen, strukturelle Zwänge et cetera), während die Arbeitnehmer_innen nun auf globaler Ebene miteinander konkurrieren müssen, ist es dem Kapital gelungen, „aus der ‚ursprünglichen Akkumulation‘ einen dauerhaften Vorgang zu machen“ (S. 53). Flexibilisierung und Prekarisierung der Arbeit sowie flächendeckende Privatisierung und Kommerzialisierung von Gemeinschaftsgütern dienen dabei als Instrumente zur Absicherung der Machtverhältnisse.

In Bezug auf die Reproduktionsarbeit hat zwar eine gewisse Umverteilung von nicht-bezahlter Arbeit stattgefunden, jedoch meist nicht von Frau zu Mann, sondern von Frau zu Frau. Immer mehr Migrantinnen arbeiten – zumeist unter illegalisierten oder prekären Verhältnissen – in der Haus-, Pflege- und Betreuungsarbeit. Hinzu kommt bei ihnen noch die Arbeit in den eigenen Haushalten, wenn sie nicht darauf angewiesen waren, ihre eigenen Familien zu verlassen, um für andere reiche Frauen und Männer zu arbeiten. Federici sieht darin nicht eine unvorhergesehene Folge des Kapitalismus, sondern eine Struktur, die von ihm geradezu benötigt wird, um durch die so abgewertete Arbeitskraft Arbeitskosten zu begrenzen.

... und der Aussicht auf Besserung

Im dritten Essay des Buches geht Silvia Federici auf die Rolle der Commons ein, in deren Wiederaneignung sie die Möglichkeit einer „Reorganisierung der Reproduktion“ (S. 84) sieht. Unter Commons versteht sie „etwas, was wir produzieren, ob beim Urban Gardening oder im Internet. Was allerdings damals wie heute relevant ist, sind der gemeinsame Entscheidungsprozess und die Form der Versammlung als eine Regierung von unten“, wie sie in einem Interview mit der Tageszeitung taz (10.10.12) meinte. Indem sie auf einige Beispiele kollektiver Aneignung und Verwaltung von Ressourcen unterschiedlicher Art – „[e]s gibt Land-, Wasser- und Luft-Commons, digitale Commons und Dienstleistungs-Commons“ (S. 89) – eingeht, zeigt sie Möglichkeiten für Veränderungen im Umgang mit gesellschaftlich-sozialen Organisationsformen auf. Dabei vergisst sie nicht darauf hinzuweisen, dass auch Gemeingut unter bestimmten Vorwänden (wie Natur- oder Umweltschutz) marktkompatibel organisiert und der Zugang nur gegen Bezahlung ermöglicht wird. Hierbei spielen insbesondere die Weltbank und die Vereinten Nationen eine tragende Rolle, da sie unter anderem unter Berufung auf den Schutz der Artenvielfalt Gebiete privatisieren, und nur noch Menschen, die es sich leisten können, diese Gebiete nutzen.

Die große Frage ist also, wie eine antikapitalistische Ökonomie auf Grundlage einer Organisation der Commons entwickelt werden kann. Eine eindeutige Antwort gibt uns Federici nicht, sie findet allerdings einige Anregungen, die zum Weiterdenken und Mitgestalten einladen. Anhand der vielen Beispiele (von Urban Gardening über die Gründung von Kreditgenossenschaften bis zur Vergemeinschaftung und Kollektivierung sämtlicher Hausarbeit) macht sie deutlich, dass eine grundlegende Veränderung der aktuellen Verhältnisse nur durch „eine tiefgreifende Veränderung unseres Alltags“ (S. 99) erreicht werden kann.

Silvia Federici 2012:
Aufstand aus der Küche. Reproduktionsarbeit im globalen Kapitalismus und die unvollendete feministische Revolution.
Edition Assemblage, Münster.
ISBN: 978-3-942885-32-4.
128 Seiten. 9,80 Euro.
Zitathinweis: Rita Werth: Reproduktionsverhältnisse, Küche und Kapitalismus. Erschienen in: Gesellschaft im Neoliberalismus. 29/ 2013. URL: https://kritisch-lesen.de/c/1140. Abgerufen am: 29. 03. 2024 14:51.

Zum Buch
Silvia Federici 2012:
Aufstand aus der Küche. Reproduktionsarbeit im globalen Kapitalismus und die unvollendete feministische Revolution.
Edition Assemblage, Münster.
ISBN: 978-3-942885-32-4.
128 Seiten. 9,80 Euro.