Krieg in Syrien – Frieden in Syrien?
- Buchautor_innen
- Wolfgang Gehrcke, Christiane Reymann (Hg.)
- Buchtitel
- Syrien
- Buchuntertitel
- Wie man einen säkularen Staat zerstört und eine Gesellschaft islamisiert
Der Sammelband zum Syrienkrieg beleuchtet die unterschiedlichen Seiten und Hintergründe des Konflikts. Ein besonderes Augenmerk wird auf die demokratische und friedliche Opposition sowie die Möglichkeit des Friedens in Syrien gelegt.
Der Bürgerkrieg in Syrien mit seinen internationalen Hintergründen und Folgen ist ein Konflikt, in dem eine Parteinahme aus linker Perspektive – so die Herausgeber*innen des vorliegenden Bandes – weder für die Regierung noch für die Aufständischen möglich ist. Beide Seiten seien gleichermaßen abzulehnen; anzustreben sei die Unterstützung einer dritten, medial nicht im Vordergrund stehenden Kraft, die allgemein als „Friedensbewegung“ (S. 112) bezeichnet wird. Diese sei die einzige Kraft, die eine demokratische Umstrukturierung Syriens anvisiere, ohne das Land in die Tiefen der Konfessionalisierung, des Bürgerkriegs oder des Autoritarismus ziehen zu wollen. Eine Grundlage für eine solche Unterstützung könnten der Sechs-Punkte-Plan des ehemaligen UN-Generalsekretärs Kofi Annan vom 12. April 2012 und das Genfer Kommuniqué vom 30. Juni 2012 sein: beide international abgesegneten Dokumente optieren für einen deeskalierenden, die Souveränität Syriens respektierenden und alle Konfliktparteien inkludierenden politischen Prozess zur Beendigung des militärischen Konflikts und des Übergangs in eine neue, friedliche Zukunft. Beide Dokumente sind im Anhang des Buches angefügt. Kombiniert werden diese im Buch mit weitergehenden Forderungen der Partei DIE LINKE nach Waffenlieferungsverboten, der unmissverständlichen Ablehnung einer möglichen Resolution des UN-Sicherheitsrates nach Kapitel VII der UN-Charta (welche eingreifende Maßnahmen bei Bedrohung oder Bruch des Friedens und bei Angriffshandlungen festlegt) und dezidierten Hilfen für syrische Flüchtlinge.
Das Buch ist in vier Abschnitte unterteilt. Der erste und längste liefert Fakten und Hintergründe; im zweiten Teil kommen Vertreter*innen der demokratischen Opposition zu Wort – zumeist sind dies Personen, die im Nationalen Koordinationsbüro für den demokratischen Wandel (NCB) aktiv sind. Der dritte Abschnitt gibt einen Überblick über die wichtigsten Parteien und Gruppierungen in Syrien, der vierte Teil indes versammelt Dokumente zu internationalen Versuchen, eine Lösung des Konflikts zu finden.
Imperialismus und wirtschaftliche Umbrüche
Eine exzellente Einführung in die turbulente Geschichte der hierzulande Naher Osten genannten Region gelingt Harri Grünberg. Die neuere Geschichte des Nahen Ostens entwickelt sich wesentlich vor dem Hintergrund der Interessen und Interventionen imperialistischer Mächte (der Begriff Middle East wurde nicht umsonst vom amerikanischen Seestrategen Alfred Mahan popularisiert): So werden beispielsweise die arabischen Unabhängigkeitsbestrebungen im 1. Weltkrieg für die Interessen der Briten und Franzosen instrumentalisiert. Spätestens das Sykes-Picot-Abkommen aus dem Jahre 1916 begräbt die Hoffnung der arabischen Bevölkerung auf Unabhängigkeit und legt die Grundlagen für die bis heute andauernden Konflikte im arabischen Raum. Grünberg zeichnet das Aufkommen des antikolonialen arabischen Republikanismus mit dem ägyptischen Staatsmann Gamal Abdel Nasser als Leitfigur vor dem Hintergrund der Bandung-Konferenz von 1955 nach. Eine Reihe antiimperialistischer Machtübernahmen mit weitreichenden Sozialreformen und -programmen finden im Anschluss an Nassers Machtübernahme 1954 im arabischen Raum statt. Syrien, Gründungsort der 1947 von den italienischen Republikanern Mazzini und Garibaldi inspirierten Baath-Partei, wird nach deren Machtübernahme rund fünfzehn Jahre später zusammen mit Ägypten zum „Zentrum des republikanischen Panarabismus“ (S. 14). Aber die Hoffnungen auf eine Vereinigte Arabische Republik verlaufen im Sand, Nassers Ende ist mit dem Sechs-Tage-Krieg 1967 besiegelt. Nun wird Ägypten unter Anwar el-Sadat Anführer eines korrupten Wirtschafts„liberalismus”, der sich schleichend auch in den anderen – sich lange Zeit als „sozialistisch“ verstehenden – arabischen Republiken durchsetzen wird, in Syrien am offensichtlichsten unter Baschaar Hafiz al-Assad im Jahre 2005. Leider wird weder von Grünberg, noch von Karin Leukefeld in ihrem Artikel oder den Herausgeber*innen selbst hinreichend theoretisiert, warum die arabisch-republikanischen Bemühungen versandeten, ja gar ins Gegenteil des anvisierten „Sozialismus” mündeten.
Leukefeld (S. 28f.) und die Herausgeber*innen heben indes die Wirtschaftsliberalisierung und die sich abrupt verschlechternde soziale Lage der Bevölkerung unter Assad hervor und sind der Meinung, dass der syrische Aufstand als innersyrisches Aufbegehren gegen politische und ökonomische Unzumutbarkeiten beginnt (S. 26). Sie sind sich allerdings dessen bewusst, dass der Konflikt schon längst internationalen Charakter angenommen hat und von äußeren Mächten zur Durchsetzung ihrer Interessen weitgehend instrumentalisiert wird.
Die Rolle des Islam
Eine prominente Rolle wird hierbei dem so genannten politischen Islam eingeräumt. Es herrscht weitgehende Übereinstimmung mit der These Grünbergs, dass der politische Islam „Produkt [...] der gescheiterten Modernisierungsversuche der arabischen Gesellschaften“ (S. 22) sei. Mamdouh Habashi (S. 35ff.) beschreibt, wie die alten Eliten mit seiner Hilfe ein Bündnis mit Monarchie und britischer Kolonialmacht eingingen und sich im Gegenzug eigenes Finanzkapital zu schaffen vermochten. Die Autor*innen machen deutlich, wie der politische Islam bei der verarmten Bevölkerung das Vakuum ausfüllte, das durch die Niederlage des arabischen Republikanismus und des darauf folgenden Abbaus sozialstaatlicher Errungenschaften entstand. Besonders empfehlenswert in dieser Hinsicht ist Arne Seiferts Darstellung der „unholy marriage” zwischen Imperialismus und politischem Islam, eingeteilt in die Phasen der 1970er, 1980er sowie 1990er Jahre bis heute (S. 46ff.). Allerdings herrscht, vor allem bei Habashi, ein einseitiger Bezug auf den „westlichen Modernisierungsprozess” als Leitbild vor – Entwicklungen, wie beispielsweise die Herausbildung der Antikapitalistischen Moslems in der Türkei, die dezidiert demokratisch und sozialistisch ausgerichtet sind und versuchen, ihre Haltung aus dem Koran zu begründen, werden nicht zur Kenntnis genommen.
Untersuchungen zum gespannten Verhältnis von Israel zu Syrien, der Türkei als aufsteigendem Akteur im Nahostgebiet sowie der Politik der BRD im Syrienkonflikt runden das Buch ab. Insgesamt hat man den Eindruck, dass die meisten wichtigen Hintergrundthemen angeschnitten werden, kaum eins davon aber wirklich ausgeführt wird. Auch Darstellungen des Verlaufs des Syrienkonflikts und der sich jeweils ändernden politischen und militärischen Lage finden sich – sieht man vom Beitrag von Johanna Bussemer ab – kaum. Letztlich ist der Begriff des Friedens, den die Herausgeber*innen nutzen und den sie in Syrien verwirklicht sehen wollen, auf problematische Art und Weise unbestimmt. Freilich kann kein Linker ernsthaft die Fortsetzung des Blutvergießens in Syrien (oder sonstwo) wollen. Gerade die „Verdammten dieser Erde“ sind es, die zumeist das Kanonenfutter und die Opfer dieser Auseinandersetzungen bilden. Es wäre aber illusionär anzunehmen, die Verwirklichung von Frieden als der systematischen Abwesenheit gewalttätiger Konflikte scheitere nur am Mangel politischen Willens. Im kapitalistischen Weltsystem, insbesondere unter Bedingungen sich wieder verschärfender imperialistischer Konkurrenz, ist Frieden immer nur das Resultat eines Kräftegleichgewichts von miteinander bis aufs Blut Konkurrierenden und somit temporär. Der „ewige Frieden” wird nur möglich dort, wo die, die im ewigen Kampf der Herrscher zermalmt werden, sich dieser Herrscher ein für alle Mal entledigen.
Syrien. Wie man einen säkularen Staat zerstört und eine Gesellschaft islamisiert.
PapyRossa, Köln.
ISBN: 978-3-89438-521-7.
187 Seiten. 9,90 Euro.