Keinen Dank, sondern Respekt!
- Buchautor_innen
- Kutlu Yurtseven / Rossi Pennino
- Buchtitel
- Eine ehrenwerte Familie
- Buchuntertitel
- Die Microphone Mafia – Mehr als nur Musik
Zwischen Kommerzialisierung und Rassismus sucht die migrantische Hip-Hop-Szene nach politischer Haltung und eigenständiger künstlerischer Praxis.
Würde es sich bei dieser Band-Biographie allein um die Geschichte einer der ältesten noch aktiven Hip-Hop-Crews Deutschlands handeln, könnte man die Relevanz für die kritische Rassismus- und Migrationsforschung kleinreden und sich damit begnügen, Musik- und Kulturwissenschaftler*innen den Vortritt zu lassen. Doch was Kutlu Yurtseven und Rossi Pennino zu ihrem 30-Jährigen Jubiläum gelingt, ist eine Geschichte aus der Perspektive der zweiten Generation der sogenannten Gastarbeiterkinder zu schreiben. Diese Jugendlichen suchten und fanden im Hip-Hop, angelehnt an ihre Schwarzen Vorbilder aus den USA, ihre künstlerische und politische Befreiung.
Das 227 Seiten starke Buch ist in zwei Teile gegliedert und auf überzeugende Weise konzipiert. Der erste Teil ist eine Hommage an die Eltern. Der zweite, längere Teil beschreibt die Höhen und Tiefen der drei Jahrzehnte von Microphone Mafia seit ihrer Gründung 1989. Gastbeiträge und Grußworte von befreundeten Rapper*innen und Aktivist*innen ergänzen die Erzählungen der beiden Autoren. Von ehemals sechs Crewmitgliedern sind nach gut 30 Jahren nur noch Kutlu Yurtseven und Rossi Pennino als Kernduo erhalten geblieben. Meistens ist es aber nur noch Kutlu Yurtseven, der die Mafia repräsentiert. Einen besonderen Abschluss erhält das Buch im letzten Teil, wo die Zeit nach dem Bombenanschlag in der Keupstraße in Köln-Mülheim und die Kämpfe, die sich daraus ergaben, reflektiert werden. Immer wieder betonen die beiden, wie wichtig der Zuspruch ihrer Eltern für die Entwicklung ihrer Musik und ihrer politischen Haltung war. „Junge, ich weiß zwar nicht, was ihr da macht, aber mach weiter, deine Augen glänzen“ (S. 65), sagte Kutlus Vater nach seinem ersten Konzert. Doch die Beziehung zur Elterngeneration blieb bis zu Kanak Attak-Zeiten ambivalent, da man die Eltern zunächst als Ja-Sager beziehungsweise als Opfer verstand.
Testa Nera/Karakafa (Schwarzkopf)
Der Weg der Mafia führte Ende der 1980er Jahre raus aus den Jugendclubs und hinein in die professionelle Festivalszene. Hier wurde man weitergereicht an die kommerzielle Musikbranche, wie Sony und BMG, die sie als „Multikulti-Gegenentwurf“ (Hannes Loh, S. 82) zur neo-faschistischen Pogromatmosphäre nach der Wiedervereinigung Deutschlands in Stellung brachte. Doch als die Medien von antirassistischen Statements genug hatten und sich nicht mehr in der Pflicht sahen, rassistische Gewalt anzuprangern, wurde aus der gehypten Mafia wieder eine Hinterhofband aus Köln-Flittard, die von vorn anfangen musste. Sie tourte mehrere Jahre in Deutschland herum, verkaufte CDs aus dem Kofferraum heraus, schlief im Auto und ging am nächsten Tag wieder in der Bayer-Kantine arbeiten. Hannes Loh schreibt dazu:
„Vier Schwarzköpfe mitten im Deutschrap-Boom, das war zu eigen, zu exotisch, zu politisch. Andere Künstler hätten solche Erfahrungen verbittert. Die Mafia machte etwas anderes: Sie erweiterte ihren Humanismus, baute eigene Strukturen auf und verbündete sich mit Gleichgesinnten.“ (S. 82)
In der Hochphase der „Arsch huh – Zäng ussenander“-Konzerte gegen Rassismus Anfang der 1990er Jahre war die Mafia sehr präsent. In Radiointerviews fragte man sie aber nicht nach ihrer Musik, sondern nach ihrer Herkunft und lobte sie, wie gut ihr Deutsch sei. Nach dem Brandanschlag in Lübeck 1996, bei dem zehn Menschen starben, wurden sie von der Stadtverwaltung zu einem Konzert gegen Rechts eingeladen und Tage später wieder ausgeladen, als man Nazis als Verdächtige wieder ausgeschlossen hatte. Es ging der Stadt immer nur um ihr Ansehen und nie um die Opfer und Überlebenden, schreiben die Autoren.
Irgendwann Ende der 1990er Jahre kreuzte sich ihr Weg mit Kanak Attak. In diesem Zusammenschluss sieht Kutlu einen wichtigen Beitrag für die Rückbesinnung auf die Geschichte der Migration, die Kämpfe ihrer Eltern und deren Geschichten. Im Gegenzug erkannten auch langjährige Aktivist*innen der Kanak-Attak-Bewegung in der solidarischen Haltung der Microphone Mafia, wie ihren Gewerkschaftskonzerten, ihrem selbstbewussten Auftreten, und der Tatsache, dass sie nicht in die „Ethnofalle“ gelaufen sind (Imran Ayata, S. 102) große Gemeinsamkeiten. Lange bevor Kanak Attak den „nach Anerkennung heischenden Dialog mit der deutschen Integrationskultur aufkündigte“ (Massimo Perinelli, S. 188), hatte die Mafia vorgemacht, wie politische Haltung und künstlerische Praxis zusammengebracht werden kann. Daher war es ein natürlicher Zusammenschluss, in dessen Zuge Lieder wie „Denkmal“ entstanden. Als sich Anfang der 2000er Jahre Aktive aus den autonomen Zentren an die Mafia für einen Hip-Hop-Jam wandten, waren sie natürlich mit dabei. Aber Konflikte blieben nicht aus. Die Rapper aus der Kölner Vorstadt kannten die richtigen politischen Vokabeln nicht, sie sprachen eine andere Sprache: die der Jugendzentren. Da haute man Sprüche raus, die manch einen verletzten. Als sie für eine homophobe Liedzeile kristisiert wurden, wie „in deinen Arsch...“, waren sie „schockiert“, änderten zunächst die Zeile und spielten nach einer gewissen Zeit das Lied gar nicht mehr (S. 112). Ausschlaggebend war dabei die konstruktive Art, auf der ihnen ein Spiegel vorgehalten wurde, anstatt mit ihnen überfordert zu sein oder sie sofort anzugreifen. Während die Gesellschaft sie als ewig Fremde, als rappende Gastarbeiterkinder und als „Lustobjekt sozialer Studien“ betrachtete, war es wichtig, dass auch Antirassist*innen vom hohen Ross herunterkommen und die Geschichte der Rapper, trotz der Herausforderungen ihren Liedtexten verstehen (Chaoze One, S. 109 f).
Kindheit, die Bejaranos und die Kontinuität rassistischer Praxen
Kutlu und Rossi hatten laut Eigenaussage eine schöne Kindheit. Beide leben heute ein normales Familienleben, ganz wie ihre Eltern. Was im Buch doch ein wenig irritiert, ist das kölsche Heimatfeeling, das sich beispielsweise im Stolz auf einen Song mit der Kölsch-Karnevalsband „Die Höhner“, einem Kölner-Sein-Ethos und anderen Facetten des folkloristischen Lokalpatriotismus ausdrückt. Bezeichnend ist der Song „Heiß wie die Hölle, direkt für euch aus Kölle“ aus dem späten Album „Infernalia“. „In unseren Adern fließt kein Blut, in unseren Adern fließt der Rhein“, heißt es da. Aber sollte man es der Mafia verübeln, dass dieses Köln bei ihnen zu gut wegkommt?
Die Reise der Mafia geht in den 2000er Jahren weiter. Im Jahre 2007 klopften sie bei den Coincidence-Musiker*innen Edna, Yoram und Esther Bejarano an. Zuvor hatte Kutlu Y. angefangen, Erinnerungsarbeit zum Holocaust an Schulen zu machen und Rap-Workshops zu geben. Der Kontakt ergab sich, weil man Texte von Menschen, die in Konzentrationslagern inhaftiert waren, musikalisch bearbeiten wollte und um niemanden zu verletzen, auf der Suche nach Personen war, die einem sagen konnten, ob man zu weit ging oder nicht. Der Anruf bei Yoram Bejarano war zunächst ernüchternd. Nein, von Rap halte man nicht viel. Und warum „die Mafia“ jetzt bei ihnen anrufe, wollte die Musikerin und Holocaustüberlebende Esther Bejarano wissen. Was für einen bekloppten Bandnamen man doch habe. Die Mafia blieb freundlich, aber hartnäckig und durfte zu den Bejaranos zu Besuch kommen. So fing es an, und so ziehen sich die Konzerte mit der Familie Bejarano bis heute. Die überzeugte Antifaschistin Esther Bejarano ist jetzt 95 Jahre alt und steht immer noch mit der Mafia auf der Bühne.
Als am 19. Januar 2001 in der Probsteigasse in Köln eine in einem Weihnachtsgeschenk versteckte Bombe des NSU explodierte und eine junge Frau schwer verletzte, hatte Kutlu das Al Dente Recordz Studio über dem Laden der angegriffenen Familie angemietet. Und als am 09. Juni 2004 in der Keupstraße vor dem Friseurladen von Özcan Y. eine Nagelbombe des NSU explodierte, wohnte Kutlu Yurtseven nur 250 Meter davon entfernt. Die Keupstraße wurde während der Ermittlungen, als „ausländisches kriminelles Milieu“ beschrieben, das sich Drogenhändler, Türsteher und Schutzgelderpresser untereinander aufgeteilt hätten. Die Bomben galten in dieser Sichtweise als Beweis dafür, dass hier ein internes Problem ausgetragen wurde. Die Ermittlungen zeigen deutlich den tief sitzenden Rassismus in Deutschland, der durch die Enttarnung des NSU offengelegt wurde. Die Behörden setzten die Bewohner*innen jahrelang unter Druck. Deutschland war für die erste Generation migrantischer Gastarbeiter*innen ein Sinnbild der Rechtsstaatlichkeit. Davon ist nach den Ermittlungen der Behörden und der Enttarnung des NSU lediglich ein Scherbenhaufen übrig geblieben.
Die Mafia setzte zusammen mit Refpolk ein künstlerisches Statement für die Aufarbeitung dieser Verbrechen:
Niemand wird vergessen/Hiç unutmadık
Deutschland, Kaltland, Mölln, blanker Hass Arslan, Yılmaz, Opfer, Brandanschlag NSU, Keupstraße, Köln, Attentat Terror gut geplant, V-Mann Nazipack für die Gesellschaft Betroffene Fehler Polizei vorn dabei, Opfer zu Tätern schuldig fühl´n, Ohmacht, schweigen, schämen isoliert, schikaniert, eingekreist, Gegner …. Rostock-Lichtenhagen, Hoyerswerda, Mölln, Solingen höre noch die Schreie durch die Nacht klingen Häuser, die brennen, Menschen, die rennen geistige Brandstifter, die Nazis lenken Opfer werden Täter, Faschos verschont Mauerfall bis Nagelbombe, das hat Tradition
Özüdoğru, Şimşek, Taşköprü, Yozgat Boulgaridis, Kubaşık, Turgut, Burak Yaşar, Arslan, Yılmaz, Genç in jeder der Seelen ein Schmerz, der brennt Keupstraße, Probsteigasse, Terror VS, Polizei, blanker Horror autarkes Denken, autarker Protest Fremde, Freunde in Inis vernetzt ab jetzt gemeinsam mit Tat und Wort niemand wird vergessen, Oury Jalloh es war...(Mord)
In Zeiten eines NSU 2.0, die Nebenklageanwält*innen aus Polizeirevieren heraus bedrohen, in Zeiten, in den Rechte Regierungspräsidenten ermorden und in der wieder einmal „verwirrte Einzeltäter“, in Schischa-Bars oder vor jüdischen Einrichtungen Massaker verüben, kann dieser Songtext leider beständig weitergeschrieben werden. Das Ergebnis des NSU-Prozesses hat faschistische Banden motiviert statt zu frustrieren. Die Geschichte der Microphone Mafia, ihre künstlerische Praxis und ihre politische Haltung ist heute wichtiger denn je. Man kann der Mafia zum Schluss eigentlich nur danken. Dafür, dass sie uns nicht nur so viele gelungene Lieder hinterlassen haben, sondern auch die letzten drei Jahrzehnte als Antifaschisten, Künstler und kritische Beobachter dabei waren.
Eine ehrenwerte Familie. Die Microphone Mafia – Mehr als nur Musik.
PapyRossa Verlag, Köln.
ISBN: 978-3-89438-703-7.
227 Seiten. 14,90 Euro.