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Integration durch Sport

Buchautor_innen
Susi Kentikian
Buchtitel
Mir wird nichts geschenkt!
Buchuntertitel
Mein Leben, meine Träume

Die Lebensgeschichte der jahrelang amtierenden mehrfachen Profi-Boxweltmeisterin Susianna Kentikian bietet viele Möglichkeiten zur Auseinandersetzung mit dem Verhältnis von kommerziellem Sport, Asylpolitik und Geschlecht. Ihre Autobiografie lässt diese leider ungenutzt.

„Abgedroschen“ ist so ein Wort, das einer nicht nur beim Lesen des Titels der Autobiografie „Mir wird nichts geschenkt. Mein Leben, meine Träume“ von „Killer Queen“ Susi Kentikian in den Sinn kommt. Auch der Klappentext macht mit klischeebeladenen Trainerzitaten wie „Das Leben hat sie stark gemacht. Aber das Boxen hat ihr eine Möglichkeit gegeben, diese Stärke zu nutzen“ zurecht Angst vor sehr viel Pathos. Dennoch lohnt es sich diesem Werk etwas Aufmerksamkeit zu schenken. Denn wenn es eben hier heißt, dass „[i]n Susi Kentikian (…) sich wie in einem Brennglas Themen und Entwicklungen unserer Gesellschaft [spiegeln]“, ist dem nur zuzustimmen.

Kampf ums Bleiberecht

Als Sjusanna Lewonowna Kentikjan wurde „Susi“ 1987 in Jerewan/Armenien geboren. 1992 floh ihre Familie über Russland nach Deutschland. Den Großteil ihrer Kindheit und Jugend verbrachte sie daraufhin in verschiedenen Unterkünften für Asylsuchende, größtenteils auf der legendären Bibby Altona, einem Containerschiff, welches in Hamburg bis 2006 als Erstaufnahmestelle und Dauerunterkunft diente. Mindestens einmal konnte eine Abschiebung von ihr und ihrer Familie nur kurz vor knapp verhindert werden. Die ersten Kapitel der Autobiografie schildern sehr direkt und aus einer persönlichen Perspektive die Lebensbedingungen und -erfahrungen aus dem Betrieb des deutschen Asylsystems. Hier finden sich auch Ansätze einer Systemkritik, welche leider mit Sätzen wie folgendem bereits im Anlauf ausgebremst werden:

„Darüber wurde und wird durch Experten und Betroffene vieles geschrieben, und da ich dieses Phänomen ohnehin nicht lösen kann, möchte ich dieses Thema auch nicht weiter vertiefen.“ (S. 43)

Das mag eine realistische Einschätzung sein und ist sicher auch der persönlichen Schwerpunktsetzung geschuldet; die Lektüre spannender macht es leider nicht, dass Kentikian sich ziemlich bald in ausufernden Kampfanekdoten verliert und das „reale Leben“ ringsherum immer mehr in den Hintergrund der Erzählung gerät. So findet sich tatsächlich zwischen monotonem Und-dann-habe-ich-den-Kampf-gewonnen-und-dann-den-und-dann… nur ein kleiner Absatz:

„Was etwas unterging, in all dem Trubel rund um meine Boxkarriere: Wir erhielten Asyl und damit fast gleichzeitig mit der Unterschrift unter den Boxvertrag (Einstieg ins Profi-Boxen, also dem Berufssportler_innendasein, Anm.) das Bleiberecht in Deutschland. Wir durften jetzt ganz normal arbeiten, uns eine Wohnung suchen, wir waren wie neugeboren. Die Unterschrift unter den Boxvertrag änderte vieles.“ (S. 68)

Dabei scheint sich die Autorin durchaus selbst bewusst zu sein, dass beide Entwicklungen nicht unabhängig und zufällig parallel zueinander passierten:

„Die Innenbehörde interessierte das anfangs überhaupt nicht, höflich wurden die meisten Mitarbeiter erst, als ich Anfang 2005 Profi wurde, und richtig nett, als ich 2007 meinen ersten Titel als Box-Weltmeisterin gewann.“ (S. 42)

Es ist anzunehmen, dass ihr wachsender Erfolg und ihre damit zusammenhängende Bekanntheit im Leistungs- und nun auch im Profisport wohl ein nicht unwichtiger Faktor für den guten Ausgang des jahrelangen Kampfes ums Bleiberecht ihrer Familie darstellt. Ebenso wie ihre Serie an erfolgreichen Weltmeisterschaftskämpfen, in denen sie „für Deutschland“ an den Start ging, brachten ihr wohl die Auszeichnungen als „Sportlerin des Jahres 2007“ der Stadt Hamburg und als Deutschlands „Boxerin des Jahres“ 2008 letztendlich die deutsche Staatsbürger_innenschaft ein. Auch die bereits erwähnte erfolgreiche Verhinderung der Abschiebung 2001 und weitere zivilbürgerliche Unterstützung für die Familie in Form einer Petition, sind klar auf Susis sportliche Erfolge und die Bereitschaft der Familie zur „Integration“ zurückzuführen. Hier wird in extremer Form ein Narrativ der disziplinierten Schmied_innen ihres eigenen Glückes gezeichnet. So dient der neoliberale Imperativ des amerikanischen Tellerwäschertraums in Form der schulpflichtigen jungen Fitness-Studio putzenden Boxerin dazu, das Asylsystem Deutschlands als eines von vielen Hürden, die das Leben einem so vorsetzt und die man eigenverantwortlich und willensstark überwinden muss, zu zeichnen. In Ansätzen leistet Kentikian aber selbst Kritik am politischen Umgang mit dem Leben von ihr und ihrer Familie zur damaligen Zeit. Allerdings bleibt sie dabei innerhalb einer Denkstruktur von schlechten versus guten Menschen, die sie (nicht) unterstützt haben, und bedankt sich schließlich brav dafür, dass sie 2010 dann für eine Kampagne eingespannt wird, die Migrierte dazu ermutigen soll die alleinige deutsche Staatsbürgerschaft anzunehmen:

„Ich will nicht überkritisch sein, sondern mich einfach freuen, dass ich bei solchen Initiativen mitwirken kann, weil ich mich in Deutschland so gut ‚durchgeboxt‘ habe.“ (S. 154)

Kampf um den Profit

So bietet die Geschichte der Susianna Kentikian ein gutes Analysematerial für die Rolle von Sport im System aus Asylpolitik, Medien und Kommerzialisierung. Denn auch ihre Ausführungen zum Arbeitsalltag als Profisportlerin zeigen – wenn auch etwas langatmig wie der gesamte Stil des Buches – deutlich, wie Vermarktbarkeit und Quotenchancen die entscheidenden Parameter ihres aktuellen Lebens darstellen und die Bedeutung des Sports auch für sie persönlich stark verändern. Nun ergießen sich über die_den Lesenden nicht mehr die monoton aneinandergereihten Siegesschilderungen, sondern zunehmend ausufernde Erzählungen über Werbeverträge, Verhandlungen mit Fernsehsendern, Quotenspekulationen und Marketingstrategien. Wer sich für die Funktionsmechanismen von kommerziellem Leistungssport und Massenmedien interessiert, findet in den entsprechenden Kapiteln aus „Mir wird nichts geschenkt“ einiges an Anschauungsmaterial. Interessant, weil so abstrus wie innerhalb der Marketing-Logik schlüssig, ist zum Beispiel die Aufforderung an sie, ihre Siege nicht mehr ständig durch vorzeitige K.O.s zu erreichen, da dies die Sendezeitplanung und damit auch Werbeblockverteilung verunmöglicht. Entsprechend ihrer Maxime „Nicht so viel meckern, lieber nett lächeln und Danke sagen“ werden die Arbeitsbedingungen im Profiboxsport von Kentikian ziemlich durchgängig als nicht kritikwürdige Naturgegebenheiten und eine weitere Möglichkeit zur Demonstration ihrer Durchboxfähigkeit behandelt.

Kampf um Emanzipation

Dabei ist recht ersichtlich, dass die zusätzliche Arbeit, die neben der Erbringung sportlicher Leistungen nun von ihr gefordert wird, stark gegendert ist. Ähnlich wie ihre Vorgängerin und ihr Vorbild Regina Halmich muss sie sich gleichzeitig in einer Männerdomäne beweisen und dabei stereotype Weiblichkeit präsentieren, mit der man auch noch ganz sexy für Produkt X und Y Werbung machen kann. Da sie nicht zu den radikalsten Feminist_innen gehört, ist das für „Super-Susi“ aber alles kein Problem. Hier wird keine Kritik hinter einem dankenden Lächeln mehr versteckt, hier gibt es einfach keine beziehungsweise wenn, dann nur an denen, die das Spiel nicht mitspielen (können):

„Manche der Boxerinnen sehen dabei leider oft fast aus wie Männer (…). Ich fühle mich manchmal an alte DDR-Sportfilme erinnert, wo statt elfleingleicher Wesen androgyne Kampfpakete die Medaillen holten.“ (S. 199)

Sie selbst hingegen freut sich wie immer dankbar dafür, 2008 den Titel als „Schönste deutsche Boxerin“ des Magazins BoxSport verliehen bekommen zu haben. Natürlich könnte man sich mit so negativen Gedanken wie dem herabwürdigendem Sexismus, der in diesem – einzig an Boxerinnen verliehenen – Titel steckt, ärgern. Aber Kentikian sieht ihre gekürte Schönheit lieber als Teil ihres Kampfes für die Anerkennung des „Frauenboxens“: „Na das ist doch jetzt für manche Machos ein Grund, den Sinn und Unsinn von Frauenboxen nochmal richtig zu hinterfragen, oder?“ (S. 143)

Und solche Machos, die vom „Frauenboxen“ (dass es kein „Männerboxen“ gibt, scheint ihr gar nicht aufzufallen) noch mit ein bisschen sexy Lächeln im Boxröckchen überzeugt werden müssen, gibt es selbstredend nicht in den tragenden Strukturen der Sportorganisation. Es scheint in Kentikians Darstellung eher Zufall, dass boxende Frauen erst 1996 vom Deutschen Amateurboxverband anerkannt und zugelassen wurden. Aber war sicher nicht böse gemeint:

„Übrigens gab es auch 2005 noch wilde Diskussionen und offene Briefe, ob der Deutsche Amateurverband frauenfeindlich sei und absichtlich die Entwicklung des Frauenboxens behindere. Unsinn, Frauenboxen braucht einfach Zeit sich zu etablieren, die Emanzipation der Frau dauert ja auch schon etwas länger“ (S. 51).

Kampf um die Zeilen

Damit erschöpft sich dann auch der „Spaß“ an der Lektüre. Die letzten 100 der gut 250 Seiten lesen sich leider so, als hätte Kentikian selber nicht mehr so recht gewusst, wie sie diese füllen soll. So redet sie mal über ihre Lieblingsmusik, ihre Berufsträume nach dem Profisport, ihr gesellschaftliches Engagement oder ihren Großvater. Insgesamt werden Leser_innen mit entsprechenden Erfahrungen sich des öfteren an Monologe gealterter Vereinssporttrainer erinnert fühlen. In erfrischend persönlicher Sprache plappert das Buch latent selbstverliebt eben so vor sich hin, sodass man sich fragt, wen das Geschilderte eigentlich interessieren soll, und sieht sich selbst versucht ein höfliches „Naja, aber…“ einzuwerfen. Ebenso oft aber bietet es eben auch Einsichten in eine Lebens- und Erfahrungswelt, die durchaus beachtenswert ist. Man darf keine tiefe Gesellschaftsanalyse erwarten, doch wenn die_der geneigte Leser_in bereit ist ebendiese kritische Draufsicht selber zu leisten, ist „Mir wird nichts geschenkt“ ein gutes Paradebeispiel für individualisierende, romantisierte „Integration durch Sport“-Narrative aus der unmittelbaren Nahdistanz.

Susi Kentikian 2012:
Mir wird nichts geschenkt!. Mein Leben, meine Träume.
Herder, Freiburg.
ISBN: 978-3451304125.
260 Seiten. 16,95 Euro.
Zitathinweis: Cora Schmechel: Integration durch Sport. Erschienen in: Sport - Zwischen Unterwerfung und Emanzipation. 28/ 2013. URL: https://kritisch-lesen.de/s/AVxcD. Abgerufen am: 21. 11. 2024 17:56.

Zum Buch
Susi Kentikian 2012:
Mir wird nichts geschenkt!. Mein Leben, meine Träume.
Herder, Freiburg.
ISBN: 978-3451304125.
260 Seiten. 16,95 Euro.