Die Normalität der Migration
- Buchautor_innen
- Kwame Anthony Appiah
- Buchtitel
- Der Kosmopolit
- Buchuntertitel
- Philosophie des Weltbürgertums
Der Philosoph Kwame Anthony Appiah argumentiert, dass zu allen Zeiten ein interkultureller Austausch stattfand, der bis heute andauert und auch die Zukunft prägen wird.
Glaubt man manchen aktuellen „Asylkritikern“ haben wir es jetzt gerade mit einem Ausnahmezustand zu tun. In seinem Buch wendet sich der Professor der Princeton University Kwame Anthony Appiah gegen jedwede Abschottungsversuche und Grenzen und begreift Migration als etwas ganz Normales, was es seit Menschengedenken gibt. Er vertritt eine kosmopolitische Ethik, die sich gegen die Idee der Nation mitsamt ihrer Identität richtet. Damit macht der Autor den Glauben an universale Werte und den Respekt vor der Verschiedenheit nicht-westlicher Weltanschauung deutlich.
Appiah kritisiert den neokonservativen Politikwissenschaftler Samuel Huntington, von dem die Theorie des „Clash of Civilisations“ stammt, die von einer homogenen Summe von Weltkulturen und deren unwandelbaren Eigenschaften ausgehend einen „Kampf der Kulturen“ prognostiziert. Appiahs Buch stellt die Traditionslinie einer kosmopolitischen Ethik der Flexibilität und des kreativen Ausgleichs dar und sucht eine Balance zwischen dem Glauben an universale Grundhaltungen und regionalen Verschiedenheiten. Er wendet sich gegen alle Kulturen, Philosophien und Religionen, die glauben, allein im Besitz der einen einzigen Wahrheit zu sein (S. 15f.). Stattdessen besteht die Notwendigkeit einer kulturübergreifenden Kommunikation, die die Ebene zivilisatorischer Koexistenz überschreitet und zur gewaltfreien interkulturellen Verständigung führt. Die Betrachtung und Beurteilung inner- und außereuropäischer Kulturkreise auf der Grundlage der in Europa hegemonialen Werte sind laut Appiah zu beanstanden.
Appiah stellt die These auf, dass im Begriff des Kosmopolitismus offenbar zwei Stränge ineinander verwoben sind:
„Der eine ist der Gedanke, dass wir Pflichten gegenüber anderen Menschen haben, die über die Blutsverwandtschaft und über die eher formale Bande einer gemeinsamen Staatsbürgerschaft hinausgehen. Der zweite Strang ist die Vorstellung, dass wir nicht nur den Wert menschlichen Lebens schlechthin, sondern des einzelnen menschlichen Lebens ernst nehmen müssen, d.h., dass wir uns für die praktischen Tätigkeiten und Glaubensüberzeugungen interessieren sollten, durch die das Leben des Einzelnen erst seine Bedeutung erhält.“ (S. 13)
Da laut Appiah so viele menschliche Möglichkeiten des Lernens, der Entdeckung und des Erlebens erkundet werden könnten, sei der Wunsch nach der Entwicklung aller Menschen zu einer einzigen Lebensweise nicht vorhanden. Appiahs Theorie richtet sich gegen „preservationists“, die jede Kultur um ihrer selbst willen bewahren wollen. Er kritisiert auch jene „counter-cosmopolitans“, die verabsolutierte und starre kulturelle Differenzen zum Maßstab erklären:
„Eine Welt, in der sich Gemeinschaften klar gegenüber abgrenzen, scheint keine ernsthafte Option mehr zu sein, falls sie es denn jemals war. Abtrennung und Abschließung waren in unserer ständig umherreisenden Spezies schon immer etwas Anormales.“ (S. 19)
Kosmopoliten sprechen sich laut Appiah gegen jede Form von Nationalismus aus, dagegen setzen sie sich dagegen für den Pluralismus ein. Sie gehen davon aus, dass es viele Werte und Normen gibt, nach denen es sich zu leben lohnt, und dass man nicht nach all diesen Belangen leben kann. Appiahs „Goldene Regel des Weltbürgertums“ findet sich bei Terenz, der in seiner Komödie „Der Selbstpeiniger“ sagte: „Homo sum: humani nil a me alienum puto“ („Ich bin ein Mensch, nichts Menschliches ist mir fremd.“) (S. 139).
Ein weiteres Merkmal des Kosmopolitismus ist der Fallibismus, also die Idee, dass das menschliche Wissen unvollkommen und provisorisch ist und aufgrund neuer Erkenntnisse revidiert werden muss:
„Unser Verständnis von Toleranz besagt, dass wir respektvoll mit Menschen umzugehen haben, die unsere Sicht der Welt nicht teilen. Wir Kosmopoliten glauben, dass wir selbst von jenen etwas lernen können, die anderer Ansicht sind als wir. Wir glauben, dass die Menschen ein Recht auf ihr eigenes Leben haben.“ (S. 176)
Appiahs Buch zeigt eindrucksvoll, dass es in der Auseinandersetzung mit anderen Lebensformen und Weltbildern ganz entscheidend darauf ankommt, die eigenen Vorstellungen zurückzunehmen, um die Erfahrungen anderer Kulturen im Kontext ihrer eigenen Ideen zu betrachten. Im Eigenen sollte nicht länger das einzig Mögliche, das schlechthin Wahre und Notwendige gesehen werden. Es betont weiterhin eine kulturelle Pluralität, da die Welt des Menschen intern vielfältig dimensioniert und ausdifferenziert ist und geht von der Prämisse aus, dass im Vergleich der Kulturen keine Werthierarchie angelegt wird.
Ein einheitlicher und statischer Kulturbegriff sowie die Konservierung des jeweiligen gegenwärtigen kulturellen Zustandes werden von Appiah abgelehnt. Bei der Untersuchung von Kulturen sollte erstens die Feststellung der Gemeinsamkeiten und ihre explizite Benennung, zweitens die Feststellung und die Erklärung von Unterschieden und drittens die Vermeidung von Mystifizierungen, Exotismus und Exotik vorgenommen werden.
Das Buch beweist eindrucksvoll, dass Grenzen und Abschottung wie nun in vielen Debatten der „Flüchtlingskrise“ gefordert etwas Anormales sind. Die nochmalige Verschärfung des Asylrechts ist keine Antwort auf weltweiten Flucht- und Migrationsbewegungen. Gerade im Zeitalter der Globalisierung ist Migration etwas Selbstverständliches.
Dieses mit viel Hintergrundwissen geschriebene Buch zeigt nochmals deutlich, dass Migration mit all ihren Herausforderungen nicht als Bedrohung empfunden werden sollte, sondern als Normalität. Zu allen Zeiten fand trotz mancher spannungsreicher Kulturbegegnungen ein interkultureller Austausch statt, der bis heute andauert und auch die Zukunft prägen wird.
Der Kosmopolit. Philosophie des Weltbürgertums.
Beck Verlag, München.
ISBN: 978-3-406-58488-6.
222 Seiten. 12,95 Euro.