Der weichgespülte Karl Marx
- Buchautor_innen
- Raoul Peck (Director)
- Buchtitel
- Der junge Karl Marx
- Buchuntertitel
- Film
Der harmlose Historienfilm wird weder dem brillanten Philosophen noch dem radikalen politischen Kämpfer gerecht.
Raoul Peck, der zuletzt mit „I am not your negro“ eine oskarnominierte Auseinandersetzung mit der schwarzen Bürgerrechtsbewegung veröffentlichte, hat Karl Marx‘ Leben verfilmt; genauer, Marx‘ prägende Jahre. Der Film deckt die Jahre 1843-48 ab und hält sich weitestgehend an die geschichtlichen Fakten.
Ist politische Schlagkraft zu erwarten von einer Marx-Biografie, die auf der Berlinale zu sehen ist? Nein, denn ein Film als Ware muss sich der kapitalistischen Logik des Kulturbetriebs fügen – Filmförderungen und wohlwollende Rezensionen, die nötig sind für Kinoeintrittsgelder, lassen sich schlecht mit ernst gemeinter Kritik am Establishment vereinbaren. Ja, denn schließlich gibt es immer wieder Hacks und kleine Freiräume auch unter den bestehenden ökonomischen Zwängen. Immerhin könnte „Der junge Marx“ ja ein trojanisches Pferd sein, das aufrührerische Gedanken in die Kinosäle schmuggelt. Geht ein Filmclub ins Kino, schaut den Marxfilm, weil gerade nichts Besseres läuft und ist plötzlich mit Kommunismus infiziert. Oder will zumindest wissen, was genau es nun mit den Schriften, von denen da im Film die Rede ist, auf sich hat und informiert sich weiter.
Nach dem Ansehen ist das allerdings zu bezweifeln. Die Belanglosigkeit überwiegt. Die Konflikte, die Marx‘ Wirken prägten, werden hölzern dargestellt, ohne Herz, fast schon oberflächlich. Das ist das Gegenteil von lebendiger politischer Bildung und wird bestimmt niemanden begeistern oder auch abstoßen, sondern einfach nur kalt lassen. Es ist schlimmer als eine provokante Darstellung von Marx oder dessen Denken, denn über die könnte man diskutieren, in Streit geraten, Gespräche führen. Aber Pecks Film soll scheinbar allen gefallen, negative Kritik vermeiden. Er traut sich nichts und treibt Marx damit alles Widerständige erfolgreich aus.
Es menschelt: Karl ist verkatert, Karl flirtet, Karl lernt Englisch. Das ist historisch akkurat, aber auch langweilig und ästhetisch ermüdend brav. Er erinnert bisweilen an einen Studenten im 14. Semester in einer Altbau-WG, inklusive Geldproblemen. Wie nett. Seine Rolle ist von Anfang an klar: Er ist ein moralisch reiner Kämpfer, der sich mit seinen Schriften unermüdlich für die Schwachen einsetzt und keiner intellektuellen Diskussion aus dem Weg geht. Durch geschichtliche Korrektheit ist das alles unangreifbar, aber leider auch eindimensional. Es prallt ab. Ich fühle mich um die Konflikte gebracht, die Unsicherheiten, die Zweifel und die Schwachstellen – kurz, die ernstzunehmende Auseinandersetzung.
Karl Marx‘ Leben hat sein Werk natürlich beeinflusst, etwa, weil er seinen Freund und Coautoren Engels traf oder mit Fabrikbesitzern diskutierte, was er später in seinen Analysen verarbeitete. Im Film wird dies leider nur angedeutet. Einzelne, bekannte Schlüsselzitate werden von Karl in passenden Situationen laut ausgesprochen, was einen reichlich konstruierten Eindruck macht. Aus dem Kontext gerissen werden die berühmten Worte damit außerdem zu wohlklingenden Punchlines degradiert, die kaum einen Weg zu tieferem Verständnis von Marx‘ Denken öffnen. Wer das Zitat erkennt, kann es mitsprechen, so wie auf einem Konzert die engagiertesten Fans alle Songtexte auswendig im Chor singen oder Teilnehmer*innen von Wetten, dass…? Pi bis auf 200 Nachkommastellen auswendig sagen. Es fühlt sich vertraut an, die legendär gewordenen Worte zu wiederholen. Das ist allerdings letztendlich identitäre Selbstvergewisserung für linke Kenner. Es bietet kaum Erkenntnisgewinn für Interessierte ohne Vorwissen, denn die Zitate werden nicht erklärt.
Einige starke Stellen, in denen die zeitgemäßen Diskussionen und Konflikte deutlich werden, gibt es dann aber doch. Etwa, als Marx mit Proudhon heftig streitet oder als Marx und Engels sich beim Bund der Gerechten durchsetzen und ihn damit zu einem Vorläufer kommunistischer Organisationen machen – nicht ohne Widerstand auch einiger Arbeiter*innen. Weil der Kontext dieser Szenen nicht verständlich gemacht wird, sind diese jedoch für Outsider kaum verständlich. Denn die wissen ja eben gerade nicht, wer Proudhon war oder was es mit dem Bund der Gerechten auf sich hatte.
Eine der radikalsten Szenen, indem der unmittelbare Konflikt der Arbeiter*innen mit der besitzenden Klasse deutlich wird, ist die, in der der 14-Stunden-Tag der Weber*innen als das benannt wird, was er ist: Ausbeutung! Nicht mal der neoliberalste FDP-Wähler dürfte dem heute noch widersprechen. Hier zeigt sich, wie offen zur Mitte der Film ist: Er versetzt Klassenkonflikte in einen historischen Kontext und vermittelt somit vielleicht (unbeabsichtigt) den Eindruck, das gäbe es heute nicht mehr, in Deutschland mit seinen strengen Kündigungsgesetzen und Arbeitszeitregelungen. Ungewollt anschlussfähig ist er somit für Fans der sozialen Marktwirtschaft, die soziale Kämpfe als in die Vergangenheit gehörend verorten.
Die Chance, Theorie ansatzweise zu vermitteln oder zumindest Erstinteresse an Theorie herauszukitzeln, hat Peck verspielt. Sein Film ist von jeder Kontroverse weit entfernt, die Radikalität marxistischer Theorien wird geglättet und anschlussfähig für bürgerlich-liberale Interpretationen. Das kommt wenig überraschend, ist aber trotzdem schade.
Ist das letzten Endes nun egal oder doch eine Gefahr für linke Politiken? Na ja. „Der junge Marx“ wird durch dieses historische Porträt in eine Reihe gestellt mit Filmen über englische Könige wie „The King’s Speech" oder „Lawrence von Arabia". Es handelt sich hier um kommerziellen, weichgespülten Kitsch. Das ist ärgerlich, aber andererseits nicht erfolgreich genug, um größere Wirkung zu entfalten.
Der junge Karl Marx. Film.