Der tierische Mehrwert

- Buchautor_innen
- Dinesh Joseph Wadiwel
- Buchtitel
- Animals and Capital
Während die Tierrechtsbewegung oft an ihren eigenen Widersprüchen scheitert, findet die Tierindustrie in der linken Theorie und Praxis kaum Beachtung.
Was bedeutet es aus Marxistischer Perspektive, wenn der Körper so sehr in kapitalistischen Produktionsverhältnissen eingegliedert ist, dass es faktisch kein Leben außerhalb des Produktionsprozesses gibt; und wenn der Körper dabei selbst die Ware ist, die letztendlich auf dem Markt zum Verzehr zirkuliert wird? In „Animals and Capital“ unternimmt Dinesh Wadiwel den Versuch, industrielle Tierhaltung, die er als Handschlag „eines vorherrschenden hierarchischen Anthropozentrismus und des kapitalistischen Produktionsprozesses“ (S. vii; Übers. VT) beschreibt, umfassend mithilfe von Marx‘ Werttheorie zu analysieren. Mit diesem Projekt versucht der australische Kulturtheoretiker eine Annäherung von Tierrechtsaktivist*innen und der breiteren antikapitalistischen Linken zu bewirken.
Irrwege der Tierrechtsbewegung
Denn wir haben es hier mit einer angespannten Beziehung zu tun. In den Augen vieler Linker handelt es sich bei Tierrechtsaktivismus um ein politisches Phänomen, das eher isoliert von anderen Befreiungskämpfen zu betrachten ist, ihnen teilweise sogar zuwiderläuft. Für diese Haltung gibt es mehrere gute Gründe. Einerseits fallen Organisationen und Einzelpersonen aus der Tierrechtsbewegung immer wieder durch Aussagen und Aktionen auf, die in klarem Widerspruch zu linken Werten stehen. Zu nennen sind beispielsweise – um nur an der Spitze des frustrierenden Eisbergs zu kratzen – die leichtfertige Instrumentalisierung von Holocaust und Sklaverei seitens PETA, die aggressiv antiemanzipatorischen Aussagen prominenter Aktivist*innen wie Raffaela Raab und Oliver Loos, oder die Duldung rechtsextremer Mitglieder in international agierenden Gruppen wie Anonymous for the Voiceless – letzteres ganz nach dem absurden Credo, dass es den Tieren schließlich egal sei, welche politischen Ansichten die Menschen haben, die sie befreien.
Andererseits besteht teils zu Recht der Eindruck, dass die Belange von Tieren nur von einem privilegierten Bürgertum aufgegriffen werden, das sich hinter dem Kampfschrei „Go vegan!“ versammelt und glaubt, politische Veränderung mit einem inbrünstigen Plädoyer für ethische Kaufentscheidungen bewirken zu können – eine Abwägung, die überhaupt nur für eine sehr begrenzte Zielgruppe in Frage kommt. Wadiwel stimmt besonders dieser Kritik am Veganismus als politische Strategie entschieden zu, räumt aber auch Verständnis ein, insofern als „die Aushöhlung von Gewerkschaften, der Abbau öffentlicher Institutionen durch neoliberale Umstrukturierung und das Ende organisierter Bewegungen gegen den Kapitalismus“ womöglich „die Betonung von Konsum als unseren einzigen Ort der Freiheit“ (S. 86; Übers. VT) überhaupt erst hervorgebracht haben. Nichtsdestotrotz brauche es dringend ein Umschwenken zu politischen Strategien, die an der Produktion, an der industriellen Tierhaltung selbst, ansetzen; der moralphilosophisch motivierte Fokus auf Konsum verspreche „eine strukturelle Veränderung, die er nicht durchsetzen kann“ (S. 199; Übers. VT). Wie könnten dann materialistische Erklärungsversuche dafür aussehen, dass sich der globale Fleischkonsum pro Kopf über die letzten 60 Jahre mehr als verdoppelt hat? Wie können wir aus antikapitalistischer Perspektive verstehen, warum die ständig weiter expandierende Tierindustrie jedes Jahr Milliarden von Tieren zu einem albtraumhaften Leben und gewaltsamen Tod verdammt?
Linke Perspektiven auf die Tierindustrie
Bisher zeigen große Teile linker Bewegungen und Theoretiker*innen entweder kein Interesse an solchen Fragen oder tendieren dazu, die Rolle von Tieren im Kapitalismus zu oberflächlich zu analysieren. Wadiwel wendet sich hier mit seiner Kritik auch gegen dieses Versäumnis und untersucht detailliert die Beziehung von Tieren und Kapital. Er schreibt „Nutztieren“ aufgrund ihrer dreifachen Erscheinungsform als Ressource, Arbeit und Konsumware einen einzigartigen Platz im Kapitalismus zu und geht so weit, von Tieren als eigenständiger ökonomischer Klasse zu sprechen, die von „politischem Antagonismus gegenüber dem Menschen“ (S. 32; Übers. VT) geprägt ist. Während viele Menschen, die sich mit Tieren beschäftigen, oft schnell geneigt sind, vereinfachende Vergleiche zwischen der Tierindustrie und unfreier Arbeit im Kontext von Sklaverei zu ziehen, geht Wadiwel hier solidarisch und mit viel dringend benötigter Nuanciertheit vor. Er begründet eine deutliche Abgrenzung unter anderem mit den verschiedenen strukturellen Positionen von „Nutztieren“ und Sklav*innen, die, so betont er, mit Blick auf ihre jeweiligen Besonderheiten analysiert werden müssen.
Mit seiner Charakterisierung von Tieren als Arbeiter*innen interveniert Wadiwel gleichzeitig in Marxistische Positionen, die Tiere unpräzise als Teil der „Natur“ und damit lediglich als „passive Objekte“ (S. 92; Übers. VT) im Produktionsprozess verstanden haben – beispielsweise Marx selbst, aber auch Ökosozialist*innen wie Jason Moore. Es sei gerade die (metabolische) Arbeit an ihren eigenen Körpern, die bei Tieren mehr Wert erzeugt als in Form von Futter in sie investiert werden muss, und die sie damit unwiderstehlich attraktiv für die kapitalistische Maschinerie macht – umso mehr, weil Tierkörper als so entbehrlich konstruiert sind, dass nahezu uneingeschränkt über ihre Arbeit verfügt werden kann. Dieser Anreiz habe die Industrie im letzten Jahrhundert zu einer ständigen Überproduktion tierischer Produkte getrieben, die wiederum Stück für Stück Fleisch, Milch, Eier und co. als eine „zentrale Notwendigkeit für die Reproduktion menschlichen Lebens“ (S. 4; Übers. VT) etabliert hat. Hier verweist Wadiwel darauf, dass Reproduktionstheorien diesen Umstand – dass Tiere gewissermaßen an einer „Reproduktion der Reproduktion“ (S. 33; Übers. VT) partizipieren – in ihren Analysen bisher gänzlich ignoriert haben. Die Tatsache, dass, wie Wadiwel erklärt, heute jede menschliche Arbeit, egal ob formell produktiv oder nicht, für ihre Reproduktion auf die Arbeit von Tieren angewiesen ist, kann eine Grundlage dafür bilden, kapitalistische Ausbeutung von Menschen und Tieren gewinnbringend zusammenzudenken. Wadiwel merkt dazu an:
„Wenn das Ziel des Widerstands gegen den Kapitalismus die Befreiung der Arbeit aus ihrer Unterwerfung ist, dann bleibt das revolutionäre Projekt seinem eigenen Anspruch nicht treu, wenn es nicht auch jene massive tierische Arbeitskraft berücksichtigt und ihren Beitrag zu allem, was uns umgibt.“ (S. 14; Übers. VT)
Wie weiter?
Das liefert nur einen kleinen Einblick in Wadiwels Ausführungen zu dem Thema, zeigt aber, dass eine Beschäftigung mit der strukturellen Position von Tieren zu einem besseren Verständnis kapitalistischer Gesellschaften beitragen kann. Es sollte doch für die antikapitalistische Linke möglich sein, sich von großen Teilen der Tierrechtsbewegung abzugrenzen und gleichzeitig den Belangen von Tieren einen festen Platz auf ihrer politischen Agenda zu geben. Das ist mit vielen komplexen Fragen verbunden – Wadiwel selbst spricht an, dass Solidarität zwischen Menschen und Tieren keinesfalls selbstverständlich ist. Was passiert zum Beispiel mit dem Schlachthaus nach einer etwaigen Vergesellschaftung? Wird das Töten von Tieren unter demokratischer Kontrolle der Arbeiter*innen fortgesetzt? Nichtsdestotrotz sollten Linke sich diesen Themen stellen und in den Austausch mit klar antikapitalistischen Gruppen wie dem Bündnis Gemeinsam gegen die Tierindustrie gehen. Anknüpfungspunkte zu zentralen Themen linker Bewegungen ließen sich mit Leichtigkeit finden. Das (trans)feministische Grundprinzip von körperlicher Selbstbestimmung beispielsweise könnte – wenn es nur ansatzweise auf Tiere übertragen würde, zum Beispiel im Kontext erzwungener Schwangerschaften – ebenfalls eine Forderung nach dem Ende der Tierindustrie bedeuten. So wie menschliche Körper unter anderem durch Feminisierung und Rassifizierung kontinuierlich auf besonders prekäre Weise für Kapitalakkumulation verfügbar gemacht werden, so wird auch die Verwertung von Tierkörpern durch das, was Wadiwel hierarchischen Anthropozentrismus nennt, ermöglicht. Hier anzusetzen und eindringlich klarzumachen, dass kein Leben entbehrlich ist, hätte das Potenzial kapitalistische Logiken und Zwänge grundlegend zu durchbrechen.
Animals and Capital.
Edinburgh University Press.
ISBN: 9781399518079.
328 Seiten. 29,00 Euro.