Der digitale Antrieb
- Buchautor_innen
- Peter Schadt
- Buchtitel
- Die Digitalisierung der deutschen Autoindustrie
- Buchuntertitel
- Kooperation und Konkurrenz in einer Schlüsselbranche
Nicht die Digitalisierung baut Arbeitsplätze ab, sondern das Kapital digitalisiert Arbeit und Produktion, um sie effizienter zu machen.
Vernetzt, autonom und geteilt wird es sein, das Automobil der Zukunft. Hergestellt an Montageinseln statt am Fließband, wobei nicht mehr ein identisches Massenprodukt angestrebt wird, sondern ein auf Kundenwünsche zugeschnittenes Modell. Branchenfremde Akteure, namentlich IT-Kapitale, dringen in die Automobilproduktion ein, der größte Umbruch in der Automobilindustrie seit der Erfindung dieses Fahrzeugs wird prophezeit. Die Digitalisierung, so heißt es, bringt einiges durcheinander, übt Druck auf die Beschäftigten aus, bringt Arbeitsplätze in Gefahr und verschärft die Konkurrenz. Doch neben diesen „Risiken“ halte sie auch „Chancen“ bereit.
In diesen Meldungen kommt die Digitalisierung selbst als handelndes Subjekt vor, welches Veränderungen bewirke. Hier setzt das Buch „Die Digitalisierung der deutschen Autoindustrie“ von Peter Schadt an, die über die Sozialwissenschaften hinauswertvolle Gedanken über Kooperation und Konkurrenz in der deutschen Automobilindustrie entwickelt.
Das unternehmerische Interesse an der Digitalisierung
Ist es wirklich die Digitalisierung, welche die Produktion und Produkte verändern wird? Oder, um es in den Worten des Autors zu sagen, „ist die Digitalisierung nicht vielmehr die Veränderung selbst und nicht der Akteur dieser Veränderung?“ (S. 12) Die digitalen Techniken können sich nicht selbst hervorbringen, sondern brauchen Akteure, die sie entwickeln und einsetzen. Daher fragt Schadt nach dem Subjekt der Veränderung, da „deren politische und ökonomische Interessen auch bestimmen, welche Auswirkungen die neuen Techniken haben“ (S. 13).
Eingesetzt werden die digitalen Techniken von Unternehmen. Dazu gehören cyber-physische Systeme (CPS), das heißt Maschinen und Komponenten, die miteinander kommunizieren und Produktionsabläufe automatisiert abwickeln. Mithilfe dieser soll kostengünstiger und effizienter produziert werden, „Unterbrechungen im Produktionsprozess minimiert werden und dadurch der Produktionsprozess als Ganzes beschleunigt“ (S. 161). Dadurch wird einmal investiertes Kapital schneller in Ware umgewandelt. Marx würde von einer Erhöhung der Umschlaggeschwindigkeit des Kapitals sprechen.
Ein zweiter ökonomischer Zweck der CPS besteht darin, den „Wirkungsgrad der eingesetzten Arbeit“ (S. 162) zu erhöhen. Damit ist gemeint, dass die eingesetzte Arbeit auf der Grundlage der digitalen Vernetzung in einer bestimmten Zeiteinheit mehr Produkte herzustellen vermag als zuvor. Die Produktivität der Arbeit ist also gestiegen. In der Folge sinkt der Lohnanteil pro hergestelltem Stück. Für Unternehmen besteht darin der entscheidende Nutzen der Produktivitätssteigerung. Als Beispiel dafür kann eine Fabrik der Augsburger Firma Kuka in den USA angeführt werden: Dort sind mehrere tausend elektronische Bauteile wie Rechner, Server, Sensoren und Klemmen vernetzt und Roboter im Einsatz. Das Herstellen einer Karosserie hat dort früher vier Stunden gedauert, heute gerade einmal 90 Minuten.
Eine Chance für die Beschäftigten?
Man könnte meinen, dass die Interaktion mit Robotern und den damit einhergehenden Produktivitätssteigerungen zu einer Entlastung der Arbeitnehmer*innen führen müsse. Da der ökonomische Zweck des Einsatzes der Roboter aber darin besteht, die Umschlaggeschwindigkeit des Kapitals zu erhöhen, können die Produktivitätssteigerungen einen gegenteiligen Effekt haben. Denn die Beschäftigten müssen sich an den neuen Rhythmus der Maschinen anpassen, der von Unterbrechungen bereinigt wurde. Der Einsatz digitaler Techniken äußert sich also in einer Verdichtung der Arbeit und einer Abnahme des relativen Lohns. Der Lohn gemessen an dem produzierten Warenreichtum fällt geringer aus. Außerdem schaffen die digitalen Techniken die Grundlage dafür, die Arbeit noch umfassender aus der Ferne zu überwachen, etwa durch Tracking-Techniken. Wo die Anforderungen an die Arbeitsplätze steigen, während gleichzeitig Arbeitsplätze überflüssig gemacht werden, führt der Einsatz der digitalen Techniken schließlich zu einer Verschärfung der Konkurrenz unter den Lohnarbeiter*innen. Die Lohnarbeit ist die passive Variable dieses Prozesses: „Das Kapital ist Subjekt dieser Interessen, die Charaktermaske Lohnarbeit das Mittel d. h. Objekt dieser Interessen“ (S. 304). Schadt spricht diesbezüglich von notwendigen Folgen der digitalen Techniken auf die Arbeit. Damit sind jedoch nicht die Natureigenschaften der Technik gemeint. Die notwendigen Folgen ergeben sich dem Autor zufolge aus dem ökonomischen Zweck, für den sie eingesetzt werden.
Mensch gegen Maschine?
Was bedeutet dies für die eingangs zitierten Darstellungen über die Digitalisierung? Wenn in der Zeitung davon zu lesen ist, dass die Digitalisierung in Deutschland Millionen Jobs bedrohe, dann ist das ein Fehler. Denn nicht die Digitalisierung macht Arbeitsplätze überflüssig, sondern Unternehmen, die „tatsächlichen Subjekte der Digitalisierung“ (S. 288), die ihre Betriebe umstrukturieren. Wenn Arbeitsplätze abgebaut werden, weil sich der Einsatz von Maschinen oder Roboter als rentabler erweist, erscheinen Letztere als Grund der Entlassungen. Dass es nicht die Roboter selbst sind, sondern das ökonomische Interesse, für das sie eingesetzt werden, ändert nichts an dem Oberflächenphänomen, dass Beschäftigte entlassen werden. Das gesellschaftliche Verhältnis zwischen Kapital und Arbeit, das die Gestaltung der Arbeitsplätze bestimmt, erscheint dabei als ein Verhältnis zwischen Mensch und Sache, in diesem Fall den Maschinen.
In der Automobilindustrie hat sich längst die Erkenntnis durchgesetzt, dass sich mit den digitalen Techniken in der Produktion sowie mit den Daten, die bei der Nutzung anfallen, vielversprechende Gewinne machen lassen. Dafür kommt es entschieden darauf an, über diese Techniken zu verfügen. Deshalb arbeiten die kapitalstarken Endhersteller wie VW und große Zulieferer wie Bosch oder Continental mit Hochdruck daran, selbst die Software herstellen zu können, auf die es ankommt. Branchenfremde Akteure wie große IT-Kapitale oder Start-Ups sehen in der Bedeutung der digitalen Techniken ihre Chance, um in das Feld der Automobilindustrie vorzudringen. Welche Strategien die einzelnen Akteure dabei verfolgen, welchen Verlauf Konkurrenz und Kooperation der Kapitale nehmen und wie der Standort Deutschland mit der Industrie 4.0 in der internationalen Konkurrenz vorankommen will, erfährt man in dieser empfehlenswerten Studie von Peter Schadt.
Die Digitalisierung der deutschen Autoindustrie. Kooperation und Konkurrenz in einer Schlüsselbranche.
PapyRossa Verlag, Köln.
ISBN: 978-3-89438-745-7.
400 Seiten. 32,00 Euro.