Das Patriarchat entgiften?!
- Buchautor_innen
- Blu Doppe / Daniel Holtermann (Hg.)
- Buchtitel
- Vom Scheitern, Zweifeln und Ändern
- Buchuntertitel
- Kritische Reflexionen von Männlichkeiten
Der Sammelband handelt von der (Un-)Möglichkeit, sich kritisch mit der eigenen Männlichkeit auseinanderzusetzen.
„Warum setzen sich eigentlich so wenig Männer für die Gleichberechtigung aller Geschlechter ein, wenn doch die Ungerechtigkeiten so offensichtlich sind?“ (S. 9). Diese Frage stellen Blu Doppe, Daniel Holtermann, die Herausgeber*innen von „Vom Scheitern, Zweifeln und Ändern“ gleich zu Beginn ihres Sammelbandes. Aus (überwiegend) biografischer Perspektive reflektieren die einzelnen Beiträge das Thema Männlichkeiten unter Einbeziehung der gesellschaftlichen Verhältnisse – gleichsam dem Motto: „Das Private ist politisch.“
Die Entgiftung der eigenen Männlichkeit
Wie der Titel bereits verrät, teilt sich der Sammelband in drei Teile mit je unterschiedlichen Blickwinkeln auf (kritische) Männlichkeiten. Besonders „Scheitern“ – der erste Teil – steigt mit starken Beiträgen und Argumenten in die Diskussion ein. Die Texte nähern sich Männlichkeitsanforderungen, Sexualität, Intimität und gesellschaftlichen Geschlechterverhältnissen, beschreiben die Widersprüche der eigenen Privilegien und die gleichzeitige Beschneidung von Identitäten anhand von Geschlechtszuschreibungen. „[D]as Begehren, ein Mann zu sein, [ist] unhintergehbar patriarchal“ (S. 28), benennt Kim Posster im eingehenden Interview ein zentrales Problem. Weiter beschreibt er die Problematik eines individualistischen Anspruches auf Männlichkeit sowie die fehlende Kritik am Patriarchat in einer kapitalistischen Gesellschaft und wirft die These auf, dass Männlichkeit als solche das Problem darstelle und nicht von Individuen entgiftet und positiv gewendet werden könne.
Der Zweifel, ob es überhaupt eine fruchtbare Art und Weise geben kann, wie Männer sich kritisch mit ihrer eigenen Männlichkeit auseinandersetzen können, zieht sich durch den gesamten Sammelband. So werden zwar Versuche angestellt, die eigene Macht zu reflektieren, seinen Raum abzugeben, Männlichkeit als Armutszeugnis zu begreifen und die Zusammenhänge zwischen Sexualität, Macht und Gewalt zu beleuchten, doch die Erkenntnisse bleiben oft diffus. Wenn Sebastian Schädler feststellt, dass „sich Patriarchatskritik im Patriarchat aus[zahlt]“ (S. 72) und von Männerbündnissen und stetigem Wettbewerb zwischen Männern geschrieben wird, kommen Bedenken auf, ob (cis)Männer* sich (oft im Austausch mit anderen Männern*) wirklich kritisch mit der eigenen Männlichkeit auseinandersetzen können – und sollen. Welchen Erfolg kann ein solches Bestreben haben, wenn nicht nur das, den Wettbewerb der linken, antisexistischen Männlichkeit zu gewinnen – und wie patriarchatskritisch ist dieses Ergebnis am Ende?
Viele der Autor*innen betonen, dass die eigene Auseinandersetzung mit der Problematik so wichtig ist, um FLINTA* Personen nicht weiter zu belasten, indem sie als stetige Bildungsbeauftragte gesehen werden und ihnen allein die Aufgabe zukommt, über Sexismus, Geschlechternormen und Macht aufzuklären. Gleichzeitig besteht auch unter Männern* ein gewisser Leidensdruck. So herrschen beispielsweise „die Anforderung, sexuell aktiv zu sein“ (S. 97) und stetige Gewalt (besonders in Form von Männlichkeitserwartungen), die wiederum zur Abstumpfung in Bezug auf die eigene Emotionalität führt. Männer werden zu Rationalität, Vernunft und einem kühlen Kopf erzogen, während sich diametral dazu Weiblichkeit durch Fürsorge und Emotionalität auszeichne. In der Abgrenzung zur Weiblichkeit konstituiert sich die Männlichkeit und hier entstehen auch die Schwierigkeiten, Männlichkeit kritisch zu reflektieren. Wie könnte eine bessere Männlichkeit definiert werden, wenn Weiblichkeit in der gesellschaftlichen Norm der Geschlechterbinarität notwendig das Gegenteil von ihr sein muss? Bedürfte es dazu nicht einer viel grundlegenderen Gesellschaftskritik – wie beispielsweise Kim Posster sie denkt? Und zudem einer Gesellschaftskritik, die den Dualismus von Männlichkeit und Weiblichkeit und die Unsichtbarkeit all jener, die sich weder im einen noch im anderen finden, selbst problematisiert?
Einer von den Guten sein
In dieser Perspektive bleibt jedoch ein Umstand zentral: Die Auseinandersetzung mit der eigenen Täterschaft wäre von großer Bedeutung. Bei jeder dritten Frau, die in ihrem Leben schon einmal Gewalt erfahren hat, bleiben die Bekenntnisse jener offen, die diese Taten begehen. Die Gruppe Besser als nix teilt in ihrem Beitrag die Erkenntnisse und Erfahrungen aus der transformativen Arbeit mit einer gewaltausübenden Person. Der Gedanke hinter diesen transformativen Prozessen ist der einer community justice, bei der „Sicherheit für marginalisierte Communitys jenseits von staatlichen Institutionen“ (S. 206) geschaffen werden soll. Der Beitrag zeigt deutlich: Es sind nicht die Täter, die Verantwortung für ihre Taten übernehmen, sondern das jeweilige Umfeld, während es den Tätern lediglich darum geht, ihr soziales Umfeld, ihren Wohnort und die Stammkneipe nicht zu verlieren. Es braucht mehr Auseinandersetzung mit Täterschaft von den Tätern selbst. Und das bedeutet im Umkehrschluss Auseinandersetzung aller Männer* mit ihrem eigenen Verhalten abseits von Selbstbeweihräucherung. Unter der Prämisse, dass es keine „gute“ Männlichkeit geben kann, sollten wir uns nicht so sehr mit der Frage aufhalten, wie weniger toxische Männer noch besser werden können, sondern viel mehr mit der, wie zumindest Formen von geschlechtsbezogener (oft sexualisierter) Gewalt reflektiert und eingedämmt werden können.
Damit einhergehend zeigt sich eine weitere Problematik von linken, selbstreflektierten Männern*. Die Forderung, sich selbst weiterzubilden und diesen Bildungsauftrag nicht an FLINTA* weiterzugeben wird zuweilen verwechselt mit dem Drang danach, Kritik von diesen abzuwehren und nicht ernst zu nehmen. Wie Bilke Schnibbe zeigt, scheint es für die „guten“ Männer* schwer, die Kränkung ihrer Männlichkeit zu benennen und zu durchdenken, sich ihrer Anspruchshaltung an und auf Frauen* bewusst zu werden und sich harsche Kritik gefallen zu lassen. Gerade Männer*, die gute Verbündete sein wollen, sehen sich selbst oft in einer Position, in der sie so viel an sich selbst herumreflektieren, dass sie meinen, FLINTA* nicht mehr zuhören zu müssen. Selbstverständlich ist eigenes Handeln, Nachdenken und Reflektieren wichtig. Problematisch wird es jedoch dann, wenn diese Prozesse ausschließlich in (linken) Männerbündnissen passieren, in denen man sich gegenseitig in seinem Bild von kritischer Männlichkeit bestärkt, ohne anzuerkennen, dass auch der Drang danach, „einer von den guten“ sein zu wollen, von gekränktem Männerstolz zeugen kann. Zum Beispiel weil, man dem gesellschaftlich anerkannten Bild des „richtigen Mannes“ gar nicht erst entsprechen könnte, wie Schnibbe andeutet.
Sich verunsichern lassen
Warum setzen sich also so wenige Männer* für Gleichberechtigung ein? Nach Lesen des Sammelbandes stellt sich der Gedanke ein, dass dies wohl nicht die richtige Frage ist. Viel eher müsste gefragt werden, ob es überhaupt eine gewinnbringende Art und Weise für Männer* gibt, ihre eigene Männlichkeit kritisch zu reflektieren. Es scheint eine ausweglose Situation zu sein – linke Männer*, die sich selbst überhöhen; das Versinken in Selbstmitleid, weil man(n) es nur falsch machen kann; pro-feministische Männerbündnisse, die schlussendlich doch patriarchal werden – all dies benennt der Sammelband und reproduziert es teilweise auch.
Aber um sich selbst zu ertappen, Verhaltensweisen als patriarchal begreifen zu können und sich an den richtigen Stellen verunsichern zu lassen eignen sich die aufgeführten Beiträge zweifelsfrei.
Vom Scheitern, Zweifeln und Ändern. Kritische Reflexionen von Männlichkeiten.
Unrast-Verlag, Münster.
ISBN: 978-3897710832.
272 Seiten. 18,00 Euro.