Aufruf zum Abfuck
- Buchautor_innen
- Luise Meier
- Buchtitel
- MRX-Maschine
Über das Zuspätkommen, das Scheitern, das Krank-Sein als Werkzeuge der Kritik und des politischen Handelns.
Die Arbeit an dieser Rezension beginnt zu spät, viel zu spät, die Deadline ist bereits verstrichen und die Arbeitsdisziplin der Autorin lässt zu wünschen übrig: zu lange im Bett gelegen, zu lange abends getrunken und geraucht, unkonzentriert, immer wieder abgelenkt von sozialen Medien, Tagträumen und Sehnsüchten. Der Anfang des Texts verschleppt sich. Notizen fliegen ungeordnet in Taschen umher, sind schwer lesbar, zerknittern und tendieren zum Verschwinden. Der Autorin geht es normalerweise nicht so. Sie ist sonst fleißig und pünktlich, aber die vorübergehende Ineffektivität (ist sie wirklich vorübergehend? Oder habe ich mich infiziert? Dazu später mehr…) führt direkt ins Zentrum von Luise Meiers Buch: MRX-Maschine. Denn darin geht es um den Streik, die Verweigerung, die Faulheit und Verschwendung als Mittel im Kampf gegen eine auf unterschiedliche Weisen von Ausbeutung und Unterdrückung geprägte Gesellschaft: „Wenn die Ausgangslage eine Welt ist, die mit allen Mitteln versucht, uns zum Arbeiten zu verleiten, will MRX-Maschine mindestens selbst als Verschwendung von Arbeitskraft und Lebenszeit fungieren.“ (S. 27)
Motive aus der Philosophie Gilles Deleuze’
MRX-Maschine versteht sich nicht als Text, nicht als Beschreibung einer Maschine. Schon im ersten Satz wird mit diesem Irrglauben aufgeräumt. Stattdessen ist MRX-Maschine das, was entsteht, wenn die Leserin und der Text sich verkoppeln und es zu einem unkontrollierbaren Funktionieren dieses Tandems, dieser Leserin-Text-Maschine, kommt. Dieser Maschinenbegriff ist angelehnt an den französischen Philosophen Gilles Deleuze. Bei Deleuze beschreibt die Maschine bildhaft ein System, das erst einmal einfach nur funktioniert, dabei produktiv ist und sich mithilfe von Anschlüssen beliebig erweitern lässt. Die MRX-Maschine aber ist besonders und nimmt vor allem Abschied vom blinden Funktionieren und Produzieren der deleuzianischen Maschine: Die MRX-Maschine ist kaputt, daher auch das „MRX“, in dem offensichtlich ein Buchstabe fehlt, aber ob es sich ursprünglich um eine Marx- oder eine Murx-Maschine gehandelt hat, bleibt absichtlich unklar. Die Schwierigkeiten beim Schreiben der Rezension sind bereits als erfolgreiches Nicht-Funktionieren der Leserin-Text-Rezensionsautorin-Maschine zu verstehen.
Auch wenn sich Luise Meier von der Produktivität löst, die im Zentrum des deleuzianischen Denkens steht, tauchen in dem Buch wiederholt an Deleuze angelehnte Begriffe und Bilder auf. Aber man muss nicht an dessen komplizierter Philosophie geschult sein, um zu verstehen: Wenn in der Einleitung davon die Rede ist, das Proletariat sei für die MRX-Maschine ein schwarzes Loch, dann ist klar – ein schwarzes Loch ist etwas, in das man fallen kann, etwas das irritiert, eine Gefahr für manche, für andere eine Möglichkeit, einzutreten oder zu fliehen. Ein schwarzes Loch ist ein Fehler im System und gleichzeitig eine Tür zu etwas Anderem.
Ideologiekritik – aber keine Aufklärung
Wenn sich nun der Text mit der Leserin verbindet und die MRX-Maschine holpernd ins Laufen kommt, dann geht es, wie schon der Klappentext verrät, um Verschwendung und einen Aufruf zur Störung des normalen, kapitalistischen Betriebsablaufs. Wie dieser normale Betriebsablauf funktioniert, was seine jahrhundertealten Herrschaftstechniken und Kniffe sind und wo sich trotzdem Schlupflöcher finden, durch die man ihm entkommen kann, analysiert MRX-Maschine auf knappen 200 rasant geschriebenen (und durchaus nicht dysfunktionalen) Seiten. Luise Meier unternimmt einen wilden Ritt vorbei an verschiedenen Andockstellen linker Theorie an die Gesellschaft: Es geht mit Max Weber um Religion, mit Silvia Federici oder Valerie Solanas um das Patriarchat, mit Malcom X und Cedric J. Robinson um Black Marxism, Kolonialismus und Rassismus, und mit Marx und dem ansonsten wenig gelesenen Alfred Sohn-Rethel um kapitalistische Wertproduktion. Immer mit der Frage im Hintergrund, wie die Individuen in all den vorhandenen Widersprüchen und Machtverhältnissen zu Subjekten werden – wie sie widerständig sein können, aber auch, wie sie die Struktur, die sie unterdrückt, gleichzeitig durch ihre Handlungsweise stabilisieren.
Als übergeordnetes Thema des Buchs könnte man so eine an Marx geschulte Ideologiekritik verstehen – also Kritik an einem notwendig falschen Bewusstsein in der Gesellschaft. Dieses „falsche Bewusstsein“ verschleiert die Widersprüche und Ausbeutungsmechanismen des Kapitalismus und führt dazu, dass die ausbeuterischen Strukturen von den Ausgebeuteten zum Teil selbst hergestellt werden. Luise Meier verfolgt bei dieser Ideologiekritik aber keine Strategie der Aufklärung. Denn der Glaube, die Menschen müssten nur wissen, was sie da tatsächlich tun und dann würde schon alles anders werden, hat sich längst überholt. Marx’ Satz „Sie wissen es nicht, aber sie tun es,“ mit dem er das falsche Bewusstsein der Menschen beschreibt, lässt sich durch das pessimistischere „Sie wissen es, aber sie tun es trotzdem“ ersetzen. Es geht bei MRX-Maschine deshalb nicht nur um Aufklärung und das Freilegen versteckter gesellschaftlicher Mechanismen, sondern es geht auch oder vor allem um Verdunklung, um Kratzer auf einer Linse, beschlagene Brillengläser, um wildes Herumtapsen und Taumeln, um ein Annehmen des Nicht-Funktionierens als revolutionäre Kraft. Individuen treten hier auf „als Maschinenteil, als Besessene, als Verstrahlte und Infizierte“ (S. 194), die am besten noch mehr Menschen mit der Faulheit und der Nicht-Arbeit anstecken sollten: Fuck-up and Unwork, zwei Begriffe, die Meier spielerisch und zugleich ernstgemeint aus Valerie Solanas’ radikalfeministischem SCUM-Manifesto übernimmt.
Ordnen und Herrschen
Die kapitalistische Wirtschaft lebt in Luise Meiers Analyse davon, dass sie von funktionierenden Menschen beackert wird. Herrschaft manifestiert sich dadurch, dass sie Strategien der Ordnung und des Funktionierens in den verschiedensten Lebensbereichen einzieht. Beispiele dafür findet Meier viele, zum Teil überraschende. Dazu gehören zum Beispiel die Überschneidungen von Techniken der Arbeitsteilung im Taylorismus und im Nationalsozialismus: bei beiden werden Arbeitsschritte von einer Planungsinstanz genau analysiert und dann so aufgeteilt, dass sie möglichst effizient ablaufen und aber die einzelnen Arbeiter*innen, Soldat*innen oder Beamt*innen wenig bis gar keinen Bezug mehr zum gesamten Arbeitsprozess oder dem Produkt haben, sei es ein Auto oder ein Genozid. Die Aufdeckung dieser Kontinuitäten vom NS in unsere heutige Arbeits- und Verwaltungswelt gehört zu einer der spannenden Entdeckungen in „MRX-Maschine“. Viel Raum nimmt auch die altbekannte Frage ein: Wird der Fortschritt der Technik uns retten? Hier weist Luise Meier auf die enge Verwobenheit von technischer Entwicklung und militärischen Notwendigkeiten hin:
„Vor der Möglichkeit des kostenlosen Telefongesprächs einer Person mit einer anderen mit globaler Reichweite stand die Möglichkeit der effizienteren Ausstellung, Verteilung und Durchsetzung des Einrufungsbefehls.“(S. 64f.)
Die Kommunikationstechnologie ordnet sich so ebenfalls ein in die Ordnungs- und Registrierungstechniken, die die Gesellschaft stabilisieren. Diese Regime verkleiden die widersprüchliche und vor allem leidende Welt mit einer Schicht aus Glattheit und Perfektion, die es, wenn es nach „MRX-Maschine“ geht, mit langen, dreckigen Fingernägeln abzukratzen gilt. Dabei geht es eben nicht darum, dass „unterhalb“ dieser „falschen“ Schicht eine richtige liegt, sondern darum, dass die zerkratze, verschorfte und neu zusammengeklebte Oberfläche wünschenswert ist, zusammengehalten von Sicherheitsnadeln, wie schon die Punks es vormachen. Es geht hier also um Kritik, aber nicht um das Auffinden einer Wahrheit. Die Maschine geht darüber hinaus: Ein wildes Funktionieren, das sich am Dysfunktionieren orientiert:
„Ein geheimer Zusammenhang zwischen den Verspäteten, Chaoten, Randaliererinnen, Gammlerinnen und Legasthenikern. MRX-Maschine hat die Metal- und Punk-Taktik übernommen, das eigene Profil als Gegenbewegung zu den Abwehrmustern und Angstfantasien der herrschenden Ideologie zu entwickeln.“ (S. 12)
Hier besteht die Verbindung des Buchs zur sogenannten „Neuen Klassenpolitik“. Die Herstellung einer neuen „Klasse“ der „Verspäteten, Chaoten, Randaliererinnen, Gammlerinnen und Legasthenikern“ als Positiv-Bezug bietet einen neuen Anhaltspunkt für Kritik und Politik, der jenseits der Grenzen einer altmodischen „Arbeiterklasse“ und auch jenseits der Grenzen von Identitätspolitik liegt. Über die Schranken von Class, Race und Gender hinweg kann und soll gegammelt werden. Dabei geht es nicht um Urlaub und Erholung, nicht um gut dosierten Hedonismus, um später wieder besser arbeiten zu können. Das Gammeln steht für ein bewusstes Nicht-Funktionieren – eine Störung im Betriebsablauf. Der Spaß am Gammeln ist dabei eher ein Nebeneffekt. Ob und wie gut diese Strategie „funktioniert“ soll nicht bewertet werden, um das Buch nicht wieder in jenes Nützlichkeitsschema einzuordnen, das es kritisiert. Wenn das kapitalistische und patriarchale Ideal also glatt, effektiv und sauber ist, dann sollten wir rau, uneffektiv und dreckig sein – weil das den Ängsten der Herrschenden entspricht. Eine Lösung liegt nicht in der Überidentifikation mit dem Funktionieren der Technik wie zuletzt im Akzelerationismus (einer jungen Theorieströmung, die mit einem positiven Bezug auf Technik und Beschleunigung arbeitet, begründet durch das „Manifest für eine akzelerationistische Politik“ von Nick Srnicek und Alex Williams), sondern in einer Schwesternschaft mit dem Fehler – ein Motiv, das Luise Meier mit interessanten und bildreichen Verweisen bestückt, wie den auf „Reste von Tabakasche auf dem schmutzigen Geschirr“ (S. 18), die preußische Spitzel beim Ausspionieren von Marx und Engels fanden und vor denen sie sich ekelten. Ein Hoch also auf den Dreck, die Faulheit und die zu spät abgegebene Rezension! Die Ansteckung hat stattgefunden.
MRX-Maschine.
Matthes & Seitz Verlag, Berlin.
ISBN: 3957575958.
205 Seiten. 14,00 Euro.