Adornos Agitation gegen Antisemiten
- Buchautor_innen
- Theodor W. Adorno
- Buchtitel
- Zur Bekämpfung des Antisemitismus heute
- Buchuntertitel
- Ein Vortrag
Dieser Vortrag von 1962 ist im schlechtesten Sinne aktuell: Um Antisemitismus zu verhindern, gibt es keine Auseinandersetzung mit ihm, sondern nur das Verbot.
Anfang des Jahres erschien Adornos Vortrag „Zur Bekämpfung des Antisemitismus heute“ als Monografie mit einem Nachwort von Jan Philipp Reemtsma, der Professor für Neuere Deutsche Literatur an der Universität Hamburg ist. Der am 2. November 1962 auf der ersten Europäischen Pädagogen-Konferenz gehaltene Vortrag über den Antisemitismus ist nach Adornos eigener Aussage nicht dem Begriff des Antisemitismus verpflichtet, sondern will einzig „das eine oder andere, was vielleicht nicht so im allgemeinen Bewußtsein gegenwärtig ist“ (S. 11) thematisieren.
Der Maßstab
Dass es sich dabei nicht um intellektuelle Bescheidenheit handelt, macht der Philosoph und Soziologe spätestens klar, als er für sich in Anspruch nimmt, eine „Gesamt-Theorie des Antisemitismus“ (S. 33) durchaus geleistet zu haben, zu finden in der „Dialektik der Aufklärung“. Dass Adorno in dem vorliegenden Vortrag sowie in anderen Arbeiten – wie etwa der Studie zum autoritären Charakter – besonders auf subjektive Faktoren des Antisemitismus Wert legt, sieht er weniger der Sache an sich, sondern eben dem geschuldet, dass darüber wenig bekannt sei. Dort, wo der Begriff voll entfaltet sei, erfahren „diese psychologischen Aspekte ihren richtigen Stellenwert“ (S. 33), ordnen sich also in einen Gesamtzusammenhang ein, der in diesem Vortrag fehlt. Für Adorno ein Mangel, käme es doch darauf an, den Antisemitismus „zu begreifen und sich einzugestehen, anstatt sich zu entrüsten“ (S. 14), dass es ihn immer noch gibt. Wer sich mit Adornos Überlegungen zum Antisemitismus näher beschäftigen will, dem sei „die Dialektik der Aufklärung“ von Horkheimer und Adorno, und zu deren Kritik „Der Faschismus und seine demokratische Bewältigung“ von Konrad Hecker empfohlen. Die hier vorliegenden 45 Seiten sollen lediglich als das genommen werden, als was Adorno sie vorstellt: Kurze Überlegungen, wie Antisemiten zu bekämpfen seien. Nicht an einem Beitrag zum Verständnis des Antisemitismus überhaupt, sondern an Adornos eigenen Anspruch, einen kleinen Beitrag zur Bekämpfung des Antisemitismus zu leisten, ist der Vortrag daher zu messen: Adornos Agitation gegen Antisemiten.
1. Ungleich!
Wenn also Antisemiten darauf bestehen, dass der Einfluss der Juden in der Gesellschaft zu groß sei, dann stellt Adorno zuerst fest, dass darauf nicht mit einer Leugnung des „Einfluß der Juden in der Weimarer Republik“ (S. 15) reagiert werden sollte. Es wird schon so sein, dass man dem Bild des ‚mächtigen Juden‘ nicht dadurch beikommt, dass man auf die schlichten Fakten hinweist: Immerhin kann der Antisemit den Hinweis auf die Empirie leicht einbauen in sein Weltbild und als Beitrag der Verschwörung nehmen, ihre Macht zu verschleiern. So wird jede Leugnung der jüdischen Internationale ein weiteres Indiz, dass diese existiert. Positiv solle man stattdessen darauf hinweisen, „daß in einer Demokratie überhaupt die Frage nach dem Anteil verschiedener Bevölkerungsgruppen an verschiedenen Berufen von vornherein das Prinzip der Gleichheit verletzt“ (S. 15). Adorno nimmt hier das verkehrte Urteil vom mächtigen Juden und erklärt es als unvereinbar mit dem demokratischen Prinzip. Statt einer Kritik praktiziert er also ideellen Ausschluss: Wer so denkt, stellt sich mit diesem Gedanken außerhalb der Gemeinschaft der gutmeinenden Demokraten. Statt einer Widerlegung also (geistige) Ausgrenzung.
2. Gewalt!
Adorno sieht das gar nicht anders. Schon nach diesem ersten Argument folgt direkt seine Diagnose, dass der Antisemit für Argumente kaum zugänglich, weil „nicht eigentlich der Erfahrung offen“ (S. 18), sei:
„Diesen Menschen gegenüber, die im Prinzip selber lieber auf Autorität ansprechen und die sich in ihrem Autoritätsglauben auch nur schwer erschüttern lassen, darf auf Autorität auch nicht verzichtet werden. Wo sie sich ernsthaft vorwagen bei antisemitischen Manifestationen, müssen die wirklich zur Verfügung stehenden Machtmittel ohne Sentimentalität angewandt werden, gar nicht aus Strafbedürfnis oder um sich an diesen Menschen zu rächen, sondern um ihnen zu zeigen, daß das einzige, was ihnen imponiert, nämlich wirklich gesellschaftliche Autorität, einstweilen denn doch noch gegen sie steht.“ (S. 18)
Nach Adorno kann der Antisemitismus also gar nicht kritisiert, sondern nur verboten werden. Damit weiß er sich mit dem modernen Antifaschismus zwar einig, begründet die Gewalt allerdings auf seine Weise. Nicht Verhinderung der praktischen Organisation oder Tat der Antisemiten, sondern um dann doch den Antisemiten selbst eine Erfahrung zu ermöglichen, nämlich die, dass sie – einstweilen! – noch nicht an der Macht sind. Warum sie darüber ihren Antisemitismus verwerfen sollten, weiß nicht einmal Adorno, der wenig später sehr beredet darüber ist, zu was ein Verbot von Antisemitismus bei Lehrkräften führt. Eben nicht zum Ende dieser verkehrten Geisteshaltung: „Gerade die Atmosphäre ‚Man darf ja nichts sagen‘ […] wird Typen wie jenen Lehrer […] mit […] anti-intellektuellen Kerle[n] zusammenbringen.“ (S. 48)
3. Notwendig!
Wenn der Antisemit skandiert, dass der Jude sich der harten, körperlichen Arbeit entziehe, dann soll man nicht darauf hinweisen, dass das einfach nicht stimmt, denn so gebe man dem Antiintellektualismus bereits nach (S. 29). Stattdessen soll man das positive Bild von der harten Arbeit kritisieren, dass der Antisemit verinnerlicht hat, „als ob der Schweiß an sich etwas Verdienstliches und etwas Positives wäre“ (S. 30). Das hat seine Logik, weil es nicht die von Adorno zurecht kritisierte Aufrechnerei bedient, inwiefern Juden überproportional, historisch oder sonst wie von der Norm des guten Bürgers abweichen, sondern umgekehrt den Normalvollzug dieser Ökonomie angreift, den der Antisemit als positiven Bezugspunkt aufmacht: Adorno argumentiert hier gegen die Normalität der Gesellschaft und besteht darauf, diesen zu kritisieren, anstatt den Juden ständig als völlig integriertes Mitglied dieser Normalität zu behaupten, aus der er allein schon wegen des Antisemitismus‘ selbst ständig exkludiert sei.
Gleichzeitig ergänzt er seine Kritik der kapitalistischen Normalität damit, dass zur „bürgerlichen Tauschgesellschaft […] diese Vermittlerfunktion“ (S. 30) der Zirkulationssphäre einfach dazugehöre: „Infolgedessen ist es illegitim, jene Funktion, nur weil sie im Zeitalter der gegenwärtigen Hochkonzentration ökonomischer Macht zurücktritt, von vornherein als parasitär, unmoralisch und schlecht zu denunzieren“ (S. 30 f). Es wird schon so sein, dass die Finanzsphäre mit „schlecht“ oder „unmoralisch“ nicht kritisiert und Kredit und Zins zum modernen Kapitalismus notwendig dazugehören. Es ist aber nicht einsichtig, warum man sich diese Sorte Denunziation ausgerechnet deswegen sparen sollte, nur weil Bänker und Börsianer notwendig zu dieser Ökonomie gehören; immerhin gilt das auch für hart arbeitende Proletarier, deren schäbige Rolle Adorno selbst gerade noch denunziert haben wollte.
Manche Vorträge sollten vielleicht einfach vergessen werden und sind auch dann keine neue Lektüre wert, wenn der in ihnen behandelte Gegenstand zu allem Elend immer noch aktuell ist.
Zur Bekämpfung des Antisemitismus heute. Ein Vortrag.
Suhrkamp Verlag, Frankfurt a.M.
ISBN: 978-3-518-58823-9.
86 Seiten. 10,00 Euro.