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Das Patriarchat aus dem Haus werfen

Das Patriarchat aus dem Haus werfen
Interviewpartner_innen
Interview mit Eva Kuschinski

Über die Wohnungsfrage damals und heute, wie sich in ihr patriarchale Strukturen zeigen und welche alternativen Wohnformen Hoffnung auf ein besseres Zusammenleben machen.

Wohnungsnot, steigende Mieten und Verdrängung: Die Wohnungsfrage wird derzeit wieder breit diskutiert. Warum ist die sie so ein Dauerthema?

Nach David Harvey rollen im Kapitalismus ständig Überakkumulationskrisen heran. Eine Möglichkeit, das zu verhindern, ist Geld in der gebauten Umwelt zu parken. Dazu gehören auch Wohnungen. Der deutsche Wohnungsmarkt gilt als sichere Anlage und da kann gerade mit Wohnimmobilien mehr Geld verdient werden als mit Büroimmobilien. Wohnungen sind in diesem Zusammenhang besonders interessant, weil sie ein Grundbedürfnis darstellen, beziehungsweise dort ein Grundbedürfnis praktiziert wird. Auf Wohnraum lässt sich schlecht verzichten, deshalb ist dieses Thema im Kapitalismus auch so krisenhaft. Die Löhne decken jedoch nicht die Reproduktionskosten. Sie steigen nicht mit den Mieten und dadurch stellt sich die Wohnungsfrage für immer mehr Menschen. Aber es gibt eben immer die Menschen, für die sie sich grundsätzlich stellt.

Die Grundbedingungen haben sich in den letzten 200 Jahren nicht geändert. Die Wohnungsfrage, wie wir sie jetzt kennen, ist mit der Entstehung des Kapitalismus aufgekommen. Also in dem Moment, in dem Menschen ihre Mittel zum Leben - ihre Reproduktionsmittel - weggenommen wurden. Und der sie dazu gebracht hat, ihre Arbeit verkaufen zu müssen, um leben und wohnen zu können. Heute ist es ja immer noch so, dass Menschen Wohnungen mieten müssen, die auf super stratifizierten Märkten als Ware angeboten werden. Gerade in Berlin oder Hamburg, wo die Mieten sehr teuer sind, muss man sehr viel Geld verdienen, um sich eine angemessene Wohnung leisten zu können.

Wie wurde die Wohnung eigentlich zur Ware?

Das hat mit historischer, aber auch fortgesetzter ursprünglicher Akkumulation zu tun. Die Leute müssten ihre Arbeitskraft nicht verkaufen, wenn sie ihre eigenen Mittel zum Leben hätten. Und es hat etwas mit der ungleichen räumlichen Entwicklung des Kapitalismus zu tun: Wo wird eigentlich produziert? Wo muss die Arbeitskraft hin? Historisch wurden die Leute in Europa von gemeinsam bewirtschaftetem Ackerland verdrängt und mussten ihre Arbeitskraft in den neu entstandenen Industriezentren verkaufen, um zu überleben. Und so hat es die Notwendigkeit gegeben, hier besonders viel Wohnraum für Menschen zu schaffen und das wurde im sich entwickelnden Kapitalismus größtenteils warenförmig gemacht.

Eine Wohnung als Ware ist etwas Besonderes, weil sie immobil ist. Einerseits kann Kapital durch die Verschiebung in die gebaute Umwelt lange dort geparkt werden und so können Überakkumulationskrisen verschoben werden. Für die einzelnen Leute, die Wohnungen bauen und darin investieren, sind sie erst einmal nicht so attraktiv, aber sie werden gesellschaftlich dringend benötigt. Man muss viel Geld aufbringen und Arbeitskraft reinstecken und die Amortisationszeit ist sehr lang. Darum sind für Investor*innen staatliche Förderprogramme wichtig. In Deutschland ist eben ein auf Privatwirtschaft fußendes, staatlich bezuschusstes Modell stark ausgeprägt. Das ist natürlich auch wieder ein Ergebnis von sozialen Kräfteverhältnissen. Dass es anders geht, zeigen zumindest formal Genossenschaften oder aktuell das Mietshäuser Syndikat, die versuchen, Eigentum eben nicht zu privatisieren.

Wünschen sich die Leute bestimmte Wohnungen oder werden diese Wünsche erst in ihnen erzeugt?

Das ist so eine Henne-und-Ei-Frage. Ich glaube schon, dass da verschiedene Faktoren zusammenspielen. Zum Beispiel die riesigen Wohnbauprogramme während der Suburbanisierungswelle in den USA der Nachkriegszeit. David Harvey sieht diese auch als Wirtschaftsprogramm. Da konnte erst einmal ganz viel Arbeit und Kapital hineinfließen und das fiel zusammen mit der Ideologie der Kleinfamilie. Ich finde am Fordismus lässt sich das sehr schön nachzeichnen, an dem so genannten Klassenkompromiss. Staat und Kapital geben relativ viel Geld für die Reproduktion der Arbeiter*innen aus. Das fußt natürlich darauf, dass andere Leute umsonst oder unter viel schlechteren Bedingungen arbeiten müssen: Frauen, Menschen im globalen Süden und Nicht-Weiße. Wie gewirtschaftet wird, hängt damit zusammen, welche Bedürfnisse man befriedigen will und welche Normen und Ideologien und Subjektivierungsweisen es in der Gesellschaft gibt. Aber auch repressive Maßnahmen wie zum Beispiel Ehegesetze, Frauen unterdrückende Gesetze, rassistische Gesetze. Das greift ineinander. Es ist aber auch nichts Totales. Man kann es verändern. Es wurde ja auch viel erkämpft und verändert.

Gute Wohnverhältnisse können das Leben auf jeden Fall besser machen. Und ich finde nicht, dass man erst die Klassenverhältnisse überwinden muss, und erst dann kann man alles andere in die Hand nehmen. Darum kann es sehr erstrebenswert sein, sich ein Leben zu gestalten, indem man möglichst viele Freiheiten hat und Lebensentwürfe ausprobieren kann. Ob diese Freiheiten nun in der bürgerlichen Kleinfamilie erprobt werden können, wage ich sehr zu bezweifeln.

Du beschäftigst dich mit feministischen Perspektiven auf Wohnen, Architektur und Raum. Wie sehen die aus?

Ich gucke mir das aus einer materialistisch-feministischen Perspektive an. Was mich grundsätzlich daran interessiert ist der Widerspruch, den ich in der Wohnungsfrage zwischen der Wohnung als dem Ort von alltäglicher Reproduktion und Reproduktionsarbeit auf der einen und ihrer warenförmigen Vermittlung auf der anderen Seite sehe. Wohnen hat sich in unserer Gesellschaft als Grundbedürfnis herausgestellt, auf das man schlecht verzichten kann, das zum Leben und zum Überleben dazugehört. Auch wenn es sehr unterschiedlich aussehen kann. Aber die Befriedigung dieses Grundbedürfnisses muss durch die warenförmige Organisation der Wohnraumversorgung im Kontext eines ständigen Verwertungsdrucks stattfinden.

Raum wird in der kritischen Geographie in Anschluss an Henri Lefebvre (marxistischer Soziologe, Anm. d. Red.) als sozialer Prozess gedacht, der sich aus widersprüchlichen sozialen Verhältnissen bildet und diese wiederum neu formt. Da spielen sowohl alltägliche Praktiken, aber auch gebaute Umweltplanung, Ideologien, subjektive Vorstellungen und Erfahrungen eine Rolle. Das heißt, dass die Wohnung in ihrer architektonischen Konzeption eben auch geprägt ist von Ideologien. Zum Beispiel von Ideologien der Familie oder der des Besitzes. Aber auch von der Praxis: Wer wohnt wie mit wem? Sie ist von den widersprüchlichen Verhältnissen geprägt, in denen wir leben, also dem Verhältnis zwischen der Reproduktion und dem Umstand, dass Wohnungen als Ware gewinnbringend verwertet werden müssen.

Welche gesellschaftliche Rolle spielt die Wohnung als Reproduktionsort?

Ich beziehe mich besonders auf Autorinnen der so genannten Hausarbeitsdebatte. In marxistischen Debatten wird dieses Verhältnis von Produktion und Reproduktion in der Wohnungsfrage oft nicht betrachtet, sondern ihr doppelter Warencharakter - also dass es zu einem Problem wird, wenn der Tauschwert zu sehr steigt, weil der Gebrauchswert eben auch so hoch ist. Und ich glaube, wenn man sich das von der Seite der Reproduktion her anschaut und fragt wie Sorge organisiert wird und Arbeitskraft wiederhergestellt wird, sieht man noch einmal etwas mehr. Zum einen die intime und alltägliche Reproduktionsarbeit, die viel in der Wohnung stattfindet. Zum anderen kann man Wohnungen auch als Teil öffentlicher Daseinsfürsorge oder sozialer Infrastruktur sehen und somit als Teil der gesellschaftlicher Reproduktion. Und man kann die Wohnung auch als einen ideologischen Faktor betrachten: Wie hilft der Wohnraum, die entsprechenden Subjekte, die diese Gesellschaft braucht, zu reproduzieren?

Man kann die beiden Sphären von der Fabrik als Ort der Produktion und der Wohnung als Ort der Reproduktion nicht getrennt voneinander betrachten. Welche Wohnkonzepte resultieren daraus?

Im Endeffekt hat sich mit der Entstehung der Hausarbeit und des privaten Wohnraumes die Wohnung als der zentrale Ort der familiären Beziehungen der Arbeiter*innenschaft herausgebildet. Wie in welcher Epoche die Reproduktion von Arbeit organisiert war, zeichnet sich auch ganz klar in den Grundrissen ab. Vom ganzen Haus - was man jetzt auch nicht idealisieren muss - zur Wohnküche, hin zur fordistischen Nasszelle oder der berühmten Frankfurter Küche zeigen sich verschiedene Regulationsweisen zur Stabilisierung kapitalistischer Produktionsweisen.

Es ist erhellend, sich die Reproduktion anhand der Wohnung anzusehen, weil die Reproduktionsbedürfnisse auch immer wieder in Wert gesetzt werden. Unbezahlte Hausarbeit trägt indirekt zur Mehrwertakkumulation bei. Diese Erkenntnis geht zurück auf Luxemburgs Theorem der Landnahme, das Tove Soiland noch einmal für feministische Debatten um Care-Arbeit kontextualisiert hat. Es besagt, dass der Kapitalismus immer etwas „Außerkapitalistisches“ braucht, also etwas, das nicht unmittelbar Mehrwert produziert, um sich überhaupt reproduzieren zu können. Und genau das wird immer wieder in Wert gesetzt. Das kann man anhand der Wohnungsfrage sehr gut erkennen.

Die wiederkehrenden Investitionen in die gebaute Umwelt können helfen, Überakkumulationkrisen zu umschiffen. Was ich dabei wichtig finde, ist, sich noch einmal die Finanzkrise und ihre Entstehung anzuschauen. Sie ist als Hypothekenkrise entstanden, das heißt, dass Menschen ihre Reproduktionskosten nicht mehr über ihre Löhne decken konnten und dann Hypotheken auf ihre Häuser aufgenommen haben. Für die Kreditinstitute spielt das Zuhause von Menschen eine besondere Rolle. Man geht davon aus, dass die Tilgungsmoral besonders hoch ist. Die Leute haben ein großes Interesse daran, ihre Kredite zurückzuzahlen. Von diesen Subprime-Krediten besonders betroffen waren oft alleinerziehende Women of Color, die prekarisierte Jobs im Servicesektor hatten. Da muss man verschiedene Ungleichheitsmomente betrachten, rassistische Ausgrenzung, veränderte Lohnverhältnisse mit veränderten Reproduktionsbedingungen zusammendenken. An dieser Stelle passt es für viele Menschen nicht mehr zusammen. Wenn weder über den Lohn noch über das Wohnen das Leben sichergestellt werden kann, wird das ganze System zum schwanken gebracht und es kann zu einer krassen Krise kommen.

Im Wohnungsbau lässt sich folgende Entwicklung beobachten: In bürgerlichen Zeiten war die Küche versteckt. Man kam in die Wohnung, trat über eine Diele in die repräsentativen Räume. Daran schloss sich das Speisezimmer an und erst dahinter befand sich die Küche. Sie geriet also komplett aus dem Blick. Baugeschichtlich wanderte die Küche mit der Zeit immer weiter in die Mitte der Wohnung. Heute gibt es die sogenannte Wohnküche. Natürlich arbeitet immer noch die Frau an diesem Ort. Meistens sind diese Räume nicht zum öffentlichen Raum oder zur Straße hin orientiert, sondern eher zu Hof und Garten. Es bleibt ein extrem privater Bereich.

Ja, das bezieht sich vor allem auf bürgerliche Wohnungen und ist natürlich auch eine Klassenfrage, wenn die Küche im Keller ist oder einen zweiten Eingang hat, für bezahlte Haushälterinnen. Oder die sogenannte Frankfurter Küche, das ist eine Miniküche, in der alles ganz effizient in Griffweite angeordnet ist. Trotzdem ist es die Frau, die hier isoliert von der restlichen Wohnung arbeitet. Ich habe mir einige Neubauprojekte angesehen. Da gibt es einerseits diese Hausprojekte mit Riesenküchen, und gerade in Baugemeinschaften oder teuren Neubauprojekten der Mittelschicht habe ich diese zentrale Küche schon vermehrt gesehen. In einer wirklich großartigen Projektarbeit von Studentinnen des Masterprogramms Urban Design an der HafenCity-Universität haben diese sich ein Neubauprojekt in der Hafencity angesehen und nach den Reproduktionsbedingungen gefragt. Dabei haben sie festgestellt, dass die Küche auf den Hof hinausgeht, oder auf den Garten. Das beschreibt eigentlich eine Suburbanisierung der Innenstadt. Das Idealbild von der Hausfrau, also sagen wir einmal dieser Person, die in der Küche kocht, kann dann aus dem Fenster gucken und den Kindern beim Spielen zuschauen. Das ist da total eingeschrieben. Man sieht das auch in anderen Projekten wie beispielsweise Neue-Mitte-Altona in Hamburg. Hier ist eine ganz krasse heteronormative Familienideologie eingeschrieben. Das nennt sich dann „Stabilisierungsfaktor fürs Quartier“. In den Grundrissen der Neubauprojekte steckt die ganze Ideologie des Eigentums und der bürgerlichen Familie.

Ja stimmt. Mein privater Vorgarten übersetzt ins urbane Umfeld.

Genau. Und dann hat man noch die finanzielle Absicherung durch das Eigentum. Was Leute, die sich so etwas leisten können, sich auch zulegen.

Kennst du denn alternative Wohnkonzepte, die Reproduktionsarbeit gerechter organisieren?

Vielleicht nach den Hausbesetzungen, die in den 80er Jahren in vielen Städten Deutschlands stattfanden, wo solche Kämpfe ja durchaus gewonnen wurden, zum Beispiel in Berlin oder Hamburg. Hier merkt man das auch in der Stadt. Es gibt da nach wie vor sehr viele Hausprojekte. Oder gerade in Leipzig, wo sehr viele Projekte gegründet werden. Hier überlegen sich die Leute ja schon aus einem emanzipatorischen Anspruch heraus: Wie können und wollen wir eigentlich zusammenleben? Und wie machen wir das am besten? Man macht sich Gedanken darüber, wie man kollektiv die Reproduktion gestaltet. Dann gibt es große Küchen und große Gemeinschaftsflächen. Ich wohne selber in einem Hausprojekt und habe meine Mitbewohner*innen danach gefragt. Sie meinten, dass es auch wichtig sei, sich Räume zu schaffen, die außerhalb der sogenannten Privat- oder Intimsphäre liegen. Also Räume, in denen es nicht um diese grundlegende Reproduktion geht, sondern darum, politische Arbeit zu machen oder Spaß haben zu können, um so aus dieser vermeintlichen oder auch sozial konstruierten Privatsphäre herauszukommen und damit die Dichotomie von öffentlich und privat zu durchbrechen. Vielleicht wäre ein Teil der Lösung der Wohnungsfrage, zu sagen, dass man den klassischen Rahmen der Wohnung verlässt oder deren Grenzen verschwimmen lässt.

Ein interessanter Gedanke, aus dem privaten heraus wieder Räume der Öffentlichkeit zu schaffen. Doch gibt es nicht auch eine Kehrseite, wenn zum Beispiel die Arbeit ins Private hinein diffundiert?

Das glaube ich auch. Es gibt ja auch die Vorstellungen von Start-Up-WGs. Da wohnt man in der WG zusammen und kann schon am Frühstückstisch brainstormen. Da findet eine gewisse Entgrenzung von Lohnarbeit statt. Ich würde das jetzt in erster Linie nicht mit eher linken Hausprojekten verbinden. Aber ich würde sagen, dass die Lohnarbeitszeit sich sowieso immer weiter entgrenzt und viel mit nach Hause genommen wird. Oder auch die Frage danach, was man bezahlt und was man unbezahlt macht. Aber ich glaube, es ist noch einmal eine andere Frage, ob ich meine alltägliche Reproduktions- oder Erholungsarbeit alleine in der Intimsphäre bewältige, oder ob ich dafür ein bisschen mehr rausgehe. Und das jetzt nicht in den Konsumbereich verlagere, sondern das kollektiv gestalte.

Können diese Überlegungen zur Kollektivierung der Reproduktionsarbeit einen gesamtgesellschaftlichen Anstoß geben? Oder funktionieren sie nur in einem kleinen Maßstab?

Gute Frage. Ich möchte linke Hausprojekte jetzt auch nicht verherrlichen, die haben ja krasse Zugangsbarrieren. Man muss die Ressourcen haben, um sich damit auseinanderzusetzen und stundenlange Plena zu machen und alles auszuprobieren. Dieser Aushandlungsprozess, den man mit dem Gegenüber regeln muss, ist natürlich eher kleinmaßstäblich. Ich denke aber, dass es eine Basis - zumindest für manche – sein kann. Das gute an einem Hausprojekt ist ja, dass man nicht Angst haben muss, da gleich rauszufliegen oder, dass man es sich nicht mehr leisten kann. Ich finde, das ist eine gute Grundlage, um Sachen auszuprobieren, wenn man es irgendwie zeitlich hinkriegt. Ich finde es wichtig, neue Praktiken im Hier und Jetzt zu erproben, auch wenn ich nicht weiß, wie man das dann hochskaliert. Aber diese Praktiken können durchsickern oder man kann sie woanders einbringen. Es gibt ja verschiedene Überlegungen, wie man das größer aufziehen kann, zum Beispiel vom Mietshäuser-Syndikat.

Noch ein Gedanke zu größeren, kollektiven Reproduktionsstätten - ich glaube, meistens ist es so, dass diese öffentliche Daseinsfürsorge oder soziale Infrastruktur staatlich bereitgestellt werden. Also neben Wohnungen zum Beispiel Parks, öffentliche Plätze, Nachbarschaftstreffs oder Jugendzentren und so. Das bietet einerseits eine Möglichkeit, sich das kollektiv anzueignen, was aber auch nicht das Ende vom Lied sein kann, und andererseits liegen darin auch immer disziplinierende Momente. Ich habe das Gefühl - und das ist ein Effekt der Neoliberalisierung - dass so viele wohlfahrtsstaatliche Sachen immer weiter zurückgebaut werden oder immer mehr individualisiert werden. Dagegen lohnt es sich zu kämpfen. Aber aneignen muss man sich das trotzdem selber und dann kommt es darauf an wie man dort einen solidarischen Alltag gestalten kann. Vieles, was gerade unter Neoliberalisierungsthemen diskutiert wird, sind eigentlich Kämpfe um Reproduktionsmittel.

Architektur ist ein männlich dominiertes Berufsfeld. Wer hat in unserer Gesellschaft eigentlich die Macht, Häuser und Räume zu entwerfen?

Auch in der Architektur gibt es hegemoniale Männlichkeiten, die sich in eine Praxis einschreiben, in Standards und Normen. Im Architekturstudium wird zum einem so eine völlig ausufernde Arbeitsethik propagiert beziehungsweise den Leuten aufgezwungen. Es ist völlig normal, dass man Nächte durcharbeitet, um dann völlig übermüdet eine Präsentation vor dem*der Professor*in zu halten, der dann ad hoc eine Bewertung abgibt, die oft auch niederschmetternd sein kann. Man muss sich bei diesen Arbeitsbedingungen einerseits fragen, wer kann sich das eigentlich leisten - also wer kann sich leisten, Nachtschichten zu machen? Das sind bestimmt keine Leute, die Sorgearbeit übernehmen müssen oder nebenher lohnarbeiten müssen. Und ich glaube, daran kann man sehen, wer da eigentlich erfolgreich sein kann und wer nicht.

Was außerdem in der Architektur eine Rolle spielt, ist dieser Genie-Mythos. Das kann sich beispielsweise im Auftreten des*der Professor*in widerspiegeln. Es geht darum, dass sich die eigenen Ideen materialisieren – man überlegt sich etwas und dann wird es gebaut. Dabei geht es oft um repräsentative Bauten, die monumental sind. Gleichzeitig weicht das eigentlich von der alltäglichen Praxis der Architekturmachenden und natürlich auch den Nutzer*innen total ab. Die wenigsten Architekt*innen sind Star-Architekt*innen, sondern zeichnen Türpläne oder so etwas und eben nicht die großen Entwürfe. Dieser Trend zum Spektakulären kann dazu führen, dass man keine langen Aushandlungsprozesse eingeht darüber, wer das Gebäude nutzt oder für wen es eigentlich gebaut wird. Gleichzeitig gab es ja in der Architektur viele radikale Schulen, die sich überlegt haben, wie man Gesellschaft durch das Bauen radikal verändern kann. Im schlechteren Fall wird das leider nicht dialektisch gedacht. Vielen dieser Ideen liegt die Vorstellung zugrunde, dass allein die gebaute Umwelt den Menschen zu einem besseren Leben verhelfen könnte. Also, dass die gebaute Umwelt die soziale Umgebung bedingt und das geht schon einher mit einer hegemonialen Männlichkeit, die sich als das Produzierende, als das Schaffende versteht, was mit einem Geniekult gut zusammengehen kann. Gegen diesen Geniekult sollten wir auch kämpfen.

Eva Kuschinski ist Soziologin und Geografin, als wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Hafen City Uni tätig und Mitglied im DFG-Netzwerk Feministische Geographien des new materialism und im AK Geographie & Geschlecht. Das Interview führte Sascha Kellermann.

Zitathinweis: kritisch-lesen.de Redaktion: Das Patriarchat aus dem Haus werfen. Erschienen in: Gebaute Gesellschaft. 51/ 2019. URL: https://kritisch-lesen.de/s/vfFZR. Abgerufen am: 11. 10. 2024 13:20.