Medien 2.0
- Thema
- Essay von Alison Dorsch
Das Internet birgt ungeahnte Möglichkeiten, auch für uneingeschränkt zugängliche, kritische und informierte öffentliche Debatten. Potentiale und Realität liegen jedoch mitunter weit auseinander.
Warum reden wir eigentlich noch über Medien? Über selektive Berichterstattung, über Verwicklungen von PolitikerInnen und JournalistInnen? Weiß doch eh jeder. Außerdem: Wer liest denn noch ernsthaft Zeitung? Wir haben doch jetzt das Internet. Informationen und auch öffentliche Aufmerksamkeit sind doch allen zugänglich. Alles kann man finden – wenn man es ein bisschen sucht. Alles kann irgendwo hochgeladen werden; alles wird gesehen – wenn es interessiert. Wer da noch glaubt, was in der BILD, der Zeit oder der Tagesschau propagiert wird, verschließt doch freiwillig die Augen. Und da ist es ja nicht verwunderlich, dass auch die Qualitätsmedien verkommen. Wenn niemand für seriöse Berichterstattung zahlt, na, dann sortiert der freie Meinungsmarkt sie eben aus. So setzt sich die Geschichte durch, die die Menschen auch hören wollen.
Die Annahme, die Nachfrage bestimme das Angebot, ist alt. Dabei finden sich schon bei Marx schlagende Argumente dagegen. Und diese greifen auch bei einer Übertragung auf die Medienwelt – seien es die alten oder die neuen Medien. Und doch hält sich der Glaube an die Bestimmung des Angebots durch die Nachfrage, also der Produktion durch die Konsumption, hartnäckig.
Von Putin- und NATO-Verstehern
Damit Angebot und Nachfrage greifen, braucht es den Rahmen der Konkurrenz. Wer nicht liefert, was die KonsumentInnen wollen, geht nur dann unter, wenn jemand bereitsteht, um die Aufgabe im Sinne der KonsumentInnen zu übernehmen. Den etablierten Medien droht jedoch keine Gefahr, von der Konkurrenz ersetzt zu werden – die systemaffirmativen Kanäle sitzen allesamt fest im Sattel. Schon da hakt die Übertragung. Wer jedoch sehr wohl ersetzbar ist, das sind die einzelnen JournalistInnen. Mechanismen der Konkurrenz wirken nicht unter den einzelnen Medienunternehmen, sondern vorranging unter ihren individuellen Beschäftigten. JournalistInnen stehen unter immer höherem Leistungs- und Zeitdruck. Auch hier wird ausgesiebt. Kritische Berichterstattung wird dabei zunehmend zur Zusatzbelastung und zum Karrierehemmnis. Denn natürlich werden Beiträge auch aufgrund des Inhaltes angenommen oder eben abgelehnt. Gabriele Krone- Schmalz, die früher Moskau-Korrespondentin der ARD war und heute als Professorin der TV- und Medienwissenschaft öffentlich die Russland- Berichterstattung der hegemonialen Medien kritisiert hat, formuliert es so:
„Wenn ich gegen den Strom schwimme, dann muss ich gut munitioniert sein, damit ich gute Argumente habe. Wenn ich das mache, was alle machen, wird mich keiner fragen, und ich bin schneller fertig mit meinem Job.“
Die Berichterstattung über den NATO-Russland-Konflikt in der Ukraine sei in dieser Hinsicht symptomatisch. Kein Wort beispielweise von den Inhalten des Assoziierungsabkommens zwischen der EU und der Ukraine. Kein Wort über Artikel sieben, der ausdrücklich militärische Zusammenarbeit zwischen den beiden Parteien vorsieht. Wichtige Informationen werden unterschlagen, weil sie nicht ins Bild passen. Aber auch, weil sie gar nicht erst aufbereitet werden. Krone-Schmalz geht davon aus, dass die meisten ihrer KollegInnen das Assoziierungsabkommen ohnehin nicht gelesen haben. Für kritische Recherche sei eigentlich keine Zeit. Gesellschaftliche Analysen werden zunehmend ersetzt durch personalisierte Darstellungen von Einzelschicksalen.
„Einer der Fehler, den wir Medien machen, ist, dass wir den Fokus auf Dinge legen, die eigentlich keine Bedeutung haben. Also beispielsweise Herr Klitschko als Oppositionsführer in der Ukraine – das ist ein Witz! Jeder zweiter Ukrainer lacht sich tot darüber.“
Alte sowie neue Freund-Feindbilder haben Hochkonjunktur. Die Reaktionen auf Krone-Schmalz' Kritik bestätigen ihre Einschätzung. Für Die Welt ist sie „Putinversteherin“ Nummer eins. Anzumerken ist hier, dass sie nicht einmal das Wort „kritisch“ in den Mund nimmt. Sie fordert keine Kritik der bestehenden Gesellschaft. Sie fordert bewusst „realistische“ und nicht kritische Berichterstattung. Was sie sich von den Medien wünscht, ist nichts anderes als die Rückkehr zur Realität. Russlandbashing auf höherem Niveau sozusagen. Denn welche politische Einschätzung dann mit den Analysen verknüpft wird, scheint ihr gleich. Mit Politik hat sie ja nach eigener Einschätzung nichts zu tun. Das Vorgehen der EU in der Ukraine kritisiert sie nicht, sondern allein, dass den BürgerInnen die zu Grunde liegende Interessenslage nicht ausreichend verständlich gemacht wird.
Bleibt die Frage, wer die hegemonialen Meinungen vorgibt, an denen sich die unter Zeitdruck stehenden JournalistInnnen dann orientieren. Mit einem Blick auf die Verknüpfungen zwischen Politik, Wirtschaft und Medien bezüglich Kapital, Personal und Interessen ist diese Frage schnell beantwortet. Ein Beispiel: Stefan Kornelius, Leiter des außenpolitischen Ressorts der Süddeutschen Zeitung, sowie Klaus-Dieter Frankenberger, der bei der Frankfurter Allgemeinen Zeitung dieselbe Funktion übernimmt, sind beide Beiräte in der Bundesakademie für Sicherheitspolitik. Damit sind sie aktive Berater der Bundesregierung in Sachen Sicherheitspolitik. Die Bundesakademie ist ein Think Tank, der sich mit militärischen und außenpolitischen Strategien der BRD beschäftigt, und das eindeutig auf NATO-Linie. Als ihren Auftrag begreift sie, „ausgewählte Führungskräfte zu sicherheitspolitischen Fragestellungen weiterzubilden – über die Grenzen von Ressorts hinweg, umfassend und strategisch“. Zudem erarbeitet sie Arbeitspapiere mit Titeln wie „Angriff auf den Westen: Welche Strategie verfolgt der Islamische Staat?“.
Verstrickungen dieser Art sind keine Ausnahme. Und vor allem reichen sie tiefer als gemeinhin angenommen: Nicht nur propagieren JournalistInnen bestimmte politische Strategien, sie sind teilweise auch aktiv an deren Erarbeitung beteiligt. Auch die Medien können ohne eine Analyse der gesellschaftlichen Machtverhältnisse und das Aufdecken ihrer Anbindung an die dahinter stehenden Interessen nicht verstanden werden. So wird schnell deutlich, dass es nicht die ZuschauerInnen sind, die die Mainstream-Meinungen in den Medien bestimmen. Die Verurteilung der primitiven BILD-Leserschaft und des unkritischen Tagesschau-Publikums hat mehr mit klassistischer Stigmatisierung und weniger mit kritischer Medienanalyse zu tun.
Also ab ins Internet?
Aber genau diese Konzentration der Mittel der Meinungsmache bricht das Internet ja angeblich. Das Internet als wirklich freier Meinungsmarkt sozusagen. Was schreibt Marx nun also zum Verhältnis von Angebot und Nachfrage, von Konsumption und Produktion? Natürlich schafft die Konsumtion „den Trieb der Produktion“ (MEW 13: 1871, S. 623). Es ist klar, dass wir letztlich produzieren, um Bedürfnisse zu befriedigen. In dieser Hinsicht bestimmt die Konsumption also tatsächlich die Produktion. Essen produzieren wir, weil wir Hunger haben – und nicht umgekehrt. Doch hier bleibt Marx nicht stehen:
„Hunger ist Hunger, aber Hunger, der sich durch gekochtes, mit Gabel und Messer gegeßnes Fleisch befriedigt, ist ein andrer Hunger, als der rohes Fleisch mit Hilfe von Hand, Nagel und Zahn verschlingt. Nicht nur der Gegenstand der Konsumtion, sondern auch die Weise der Konsumtion wird daher durch die Produktion produziert, nicht nur objektiv, sondern auch subjektiv. Die Produktion schafft also den Konsumenten“ (MEW 13: 1871, S. 623).
In einer Gesellschaft, in der Lohnarbeit einen Großteil der Lebenszeit und Energie in Anspruch nimmt, ist es verkürzt, mehr Disziplin und kritische Aufmerksamkeit vom Medienpublikum zu fordern. Ähnlich verkürzt, wie die Krise der Demokratie in die Verantwortung des schlecht informierten „Pöbelmobs“ zu legen. Die kapitalistischen Produktionsverhältnisse stehen der Aufklärung der Menschen durch sich selbst beziehungsweise durch die Medien gleichermaßen im Weg. Nehmen wir also an, hinter den Medien steht das Bedürfnis nach fachlicher Information, ohne die fundierte politische Meinungsbildung nicht möglich ist. Die BürgerInnen müssen sich ja informieren, damit die bürgerliche Demokratie auch funktionieren kann. Wissen aufbereiten ist Arbeit. Es ist langwierig und zeitintensiv.
Die idealisierte gesellschaftliche Funktion der Medien ist es, den BürgerInnen diese Arbeit zu erleichtern. Und genau deswegen ist das Internet per se kein Ersatz der alten Medien. Wenn die Suche nach gut aufbereiteten Informationen schon eine halbe Recherche bedeutet, dann ist die Funktion der Medien nicht erfüllt. Informationen müssen nicht nur existieren, sondern auch leicht zugänglich sein. Was im Kontext der Medien besonders deutlich wird, ist, dass die Produktion nicht nur den/die KonsumentIn, sondern auch den/die ProduzentIn schafft. Auch im Internet sind bestimmte Ansichten hegemonial oder zumindest dominant. Denn die ideologischen Auseinandersetzungen in den Medien und im Internet sind kein abgeschlossener Prozess. Auch sie stehen im Kontext der breiteren gesellschaftlichen Ideologie-und Wissensproduktion. In den Schulen, den Universitäten, in denen BloggerInnen, JournalistInnen und ihr Publikum ausgebildet werden, sowie in der Fachliteratur, auf die sich stützen, gibt es nun einmal dominante Vorstellungen. Wenn die Bundeswehr an Schulen ihre Sicht auf internationale Politik propagieren kann und Rüstungsunternehmen Forschungseinrichtungen finanzieren, dann fängt das Problem der einseitigen politischen Meinungsmache nicht erst mit den Medien an. Schon bei der ideologischen Sozialisation von KonsumentInnen wie ProduzentInnen läuft einiges falsch. Anzunehmen, dass diese zivilgesellschaftlichen Machtverhältnisse sich nicht auch im Internet niederschlagen, ist eine Entkopplung des Internets von der gegebenen gesellschaftlichen Wirklichkeit.
Natürlich birgt das Internet ein faszinierendes gesellschaftliches Potential für Produktion und Verteilung von Wissen. Aber nicht in einer Gesellschaft des Urheberrechts, der kapazitätenfesselnden Lohnarbeit, der gekauften Forschung und der repressiven Überwachung. Ein freies Internet kann es erst in einer befreiten Gesellschaft geben. Als Linke sollen wir uns natürlich nicht aus der Verantwortung ziehen, uns die Arbeit zu machen, das Internet als Werkzeug im gesellschaftlichen Ringen um Hegemonie, also im Klassenkampf, zu nutzen. Im Gegenteil. Es sind aber noch einige Fragen offen. Wie gehen wir mit Überwachung um? Wie mit Shitstorm und Drohungen? Welche Formate lassen sich in welchem Kontext effektiv nutzen? Wie erreicht man Menschen, die nicht gezielt nach einem suchen? Wie finanziert man solche Projekte? Wie popularisiert man am besten notwendiges technisches Wissen? – Es gibt noch viel zu tun.
Zusätzlich verwendete Literatur
Interview mit Gabriele Krone-Schmalz vom 16.04.14, verfügbar hier. MEW (1971). (Karl) Dietz Verlag, Berlin. Band 13, 7. Auflage, S. 615-641.