Überschneidungen von Unterdrückungen Ausgabe Nr. 10, 04. Oktober 2011
In dieser Ausgabe geht es um verschiedene Unterdrückungsverhältnisse, den Versuch, ihre unterschiedlichen Funktionsmechanismen zu erfassen, sie trotz ihrer Verwobenheit analytisch zu trennen und sie dann wieder zusammen zu führen, denn eine Unterdrückungsform kommt nicht einzeln vor, sondern ist häufig mit anderen verknüpft. So kann zum Beispiel eine weiße katholische Kassiererin sowohl sexistisch als auch aufgrund ihrer Klassenposition unterdrückt werden. Es handelt sich dabei aber nicht einfach um eine Aufaddierung von Unterdrückungen, sondern vielmehr darum, wie sie ineinander greifen, sich gegenseitig beeinflussen und verstärken.
Ein Ereignis, in der das Zusammenspiel verschiedener Unterdrückungsverhältnisse deutlich wurde, ist die „Sarrazindebatte“ im Herbst 2010. Sowohl bei Sarrazin als auch in der anschließenden Debatte wurde kapitalistische Verwertungslogik mit genetischem und kulturellem Rassismus verknüpft, beide Argumentationsmuster stützten sich gegenseitig. Dazu erschien jüngst der Sammelband Rassismus in der Leistungsgesellschaft, der in dieser Ausgabe von Siegfried Jäger als “wichtiger und äußerst verdienstvoller Beitrag” bezeichnet wird. Verschränkungen von Kapitalismus und Rassismus sind kein durch die „Sarrazindebatte“ neu entstandenes Phänomen, sondern unterliegen einer Kontinuität, die zum Beispiel auch in der Trennung von Wirtschaftsflüchtlingen und politischen Flüchtlingen ihren Ausdruck fand und findet.
Einen Ansatz, Ungleichheitsdimensionen und ihre Überschneidungen darzulegen und zu analysieren, bietet das Konzept der Intersektionalität. Mit diesem beschäftigt sich die Rezension Über die Verflechtung von Herrschaftsverhältnissen von Peps Perdu. Forschung zur Intersektionalität befindet sich im deutschsprachigen Raum zwar noch am Anfang, dennoch verwiesen Debatten innerhalb der feministischen Bewegung schon ab den 1970er Jahren auf das Zusammendenken unterschiedlicher Unterdrückungsformen. Der Zusammenhang von Rassismus und Kapitalismus aus dieser Perspektive heraus wurde im deutschsprachigen Raum insbesondere ab Anfang der 1990er Jahre diskutiert. Aus dieser Debatte dokumentieren wir zwei Rezensionen von Detelef Georgia Schulze und Antke Engel zu den Büchern Scheidelinien von Anja Meulenbelt und Entfernte Verbindungen, herausgegeben von May Ayim u.a. Es zeigt sich, dass bereits damals Themen diskutiert wurden, die bis heute ganz oben auf der Agenda stehen. In seiner Rezension Antiklassistische Perspektiven zu „Klassismus“ unterstreicht Sebastian Friedrich die intersektionale Perspektive. Er kommt zu dem Schluss, dass das Bändchen viele Anstöße für die Auseinandersetzung um Klassismus liefert und fordert zugleich, Antiklassismus nicht von Antikapitalismus zu trennen.
Außerdem diesmal: Unter dem Titel „Im Griff der Medien“ fand im Herbst 2010 das alljährliche Kolloquium des Duisburger Instituts für Sprach- und Sozialwissenschaften (DISS) statt. Dem gleichnamigen Sammelband widmet sich Chantal Stauder in Wenn Medien ihre Macht missbrauchen und lobt darin die vielschichtigen Auseinandersetzungen zum Umgang von Medien mit Ausnahmesituationen und ihrem Anteil an der Produktion dieser. Das Thema der Angst spielt hier, wie auch in Adi Quartis Rezension Geschwindigkeit und Angst eine große Rolle. In seiner Rezension zu Paul Virilios „Die Verwaltung der Angst“ streicht Quarti die Produktion der Angst als Effekt des technologischen Fortschritts heraus.
Das mediale Feiern seiner „Heiligkeit“ zum Papstbesuch mag für viele Bevölkerungsgruppen schon zynisch daher gekommen sein, zumal die rigide Geschlechterpolitik der katholischen Kirche mal wieder nur marginal Thema war. Hierzu gehört beispielsweise auch der (nicht nur kirchliche Umgang) mit intersexuellen Personen, dem sich Anja Gregor in Im Zweifel für den Zweifel annimmt. Dass Katholizismus und Anarchismus nicht völlig unvereinbar sind, zeigt Sebastian Kalicha in Zwischen Kropotkin und Papst - eine Rezension zur Biographie von Dorothy Day. Mit einer speziellen Form des Glaubens beschäftigt sich Gabriel Kuhn in Es sieht düster aus: Im Buch „Gegenaufklärung“ wird versucht, den Poststrukturalismus der Barbarei zu bezichtigen.
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