Zwischen Wahn und Wirklichkeit
- Buchautor_innen
- Torben Lütjen
- Buchtitel
- Partei der Extreme: Die Republikaner
- Buchuntertitel
- Über die Implosion des amerikanischen Konservatismus.
Eine interessante Deutung von Trumps Wahlerfolg verspricht die Studie über die ideengeschichtliche Genese des US-amerikanischen Konservatismus.
Wie konnte das passieren? Diese Frage hat sich bestimmt jede_r kurz nach der Bekanntgabe des Wahlergebnisses der 50. Präsidentschaftswahl 2016 gestellt. Auch die politische und wissenschaftliche Publizistik war schnell zur Stelle und versorgte den Diskurs mit allerhand Varianten von Deprivationstheorie, Rassismusanalyse und Kulturkampfapokalypse – wahlweise war auch einfach die Arbeiter_innenklasse schuld, das geht immer! Einen weitaus differenzierteren Blick auf das „Phänomen“ Donald Trump wagt der Politikwissenschaftler Torben Lütjen mit seiner ideengeschichtlichen Rekonstruktion des amerikanischen Konservatismus seit den 1930er Jahren und liefert damit eine ganz eigene Deutung der Wahlereignisse. Aber von Anfang an...
Big government = Kommunismus und Faschismus
Zur ideologischen Legitimation seines groß angelegten Konjunkturprogramms in den 1930er Jahren proklamierte der damalige Präsident Franklin D. Roosevelt seine keynesianische Wirtschaftspolitik als „liberal“, während er seine Skeptiker_innen als „Konservative“ bezeichnete. Ein kluger Schachzug, denn in der politischen Kultur der USA galt der „Liberalismus“ als uramerikanisch, wohingegen „konservativ“ zunächst für viele nach Krone und altem Kontinent klang. Schnell wurde der Begriff allerdings zum positiv gewendeten Label für all diejenigen, die in Roosevelts „big government“ den direkten Weg in den „Sozialismus“ oder wahlweise „Faschismus“ sahen. Diese Deutung wird im Laufe der Jahrzehnte zu einem der wirkmächtigsten Ideologeme des US-Konservatismus.
Zunächst blieb die new deal coalition, ein breites Bündnis aus Gewerkschaften, weißen Südstaatler_innen, Katholik_innen, ethnischen Minderheiten und Intellektuellen, jedoch politisch führend. Es war gerade diese Massenbasis und das Zusammenspiel verschiedener Interessensverbände, die Roosevelts Wirtschaftspolitik stützten. Zwar war mit der American Liberty League der Grundstein für den organisationellen Rahmen der späteren Republikaner gelegt, doch bleibt diese noch ein Sammelbecken für ideologisch äußerst heterogene Roosevelt-Gegner.
Erst der konservative Anti-Kommunismus der McCarthy-Jahre, so Lütjen, lieferte den ideologischen Klebstoff, um die Institutionalisierung der konservativen Bewegung voranzutreiben. Zu dieser Zeit entstand eine bewegungseigene Publizistik, die – finanziert durch konservative Mäzene – kanonische Texte produzierte und mit dem National Review ein verbreitetes Sprachrohr fand. Welche wichtige Rolle diese „Bewegungsunternehmer“ spielen, lässt sich an Jasper Crane zeigen. Der ehemalige Manager und Konservative der ersten Stunde war derart begeistert von den Schriften des Wiener Nationalökonomen Friedrich August von Hayek, dass er kurzerhand mit anderen Gesinnungsgenossen dafür sorgte, dass Hayek an die Universität von Chicago geholt werden konnte und dort die einflussreiche Chicago School der Nationalökonomie begründete. Deren Botschaft war einfach: jede Form von Kollektivismus ist Sozialismus oder Faschismus und Demokratie lässt sich nur mit einem vollkommen unregulierten Markt realisieren – Hayeks „Standardwerk“ „Der Weg zur Knechtschaft“ gehört noch heute zum Kanon des konservativen Bildungsprogramms, wie vor ein paar Jahren auch Arnold Schwarzenegger in seiner Biographie „Total Recall" zu Erkennen gab.
Konservative Ideologie + Massenbasis
Anfang der 1960er Jahre war die ideologische Formierungsphase so gut wie abgeschlossen, wenn auch mit immanenten Widersprüchen behaftet. Sie war „zutiefst religiös und anti-säkular, auf die Bewahrung von Traditionen geeicht, aber doch mit einem fast schon revolutionären, staatsfeindlich-libertären Impuls ausgestattet, dazu aggressiv militant in der Außenpolitik“ (S. 38).
Die ideologischen Deutungsmuster waren also gesetzt. Nun fehlte nur noch die Massenbasis für den elektoralen Erfolg. Diese sollte sich 1964 herausbilden, nachdem der Kongress den „Civil Rights Act“ verabschiedete, der die faktische „Rassentrennung“ in den Südstaaten beenden sollte. Gerade die Demokraten aus dem Dixieland votierten gegen das Gesetz. Die Republikaner nutzten die Gunst der Stunde und profilierten sich als Partei des Südens, in dem sie sich für die Aufrechterhaltung der „Rassentrennung“ einsetzten, was ihnen regen Zulauf an Wähler_innen bescherte. Dieser Prozess wird als southern realignement bezeichnet und bildet die soziogeographische Grundlage der jeweiligen Parteibasis. Und auch ideologisch wirkte dieser Prozess der Neuausrichtung der politischen Präferenzen: „Der Seitenwechsel des Südens machte die Demokraten liberaler und die Republikaner konservativer.“ (S. 49) Dieser Konservatismus traf vor allem in den Vorstädten auf nahrhaften Boden, in denen sich vornehmlich die weiße US-amerikanische Mittelschicht sammelte, welche wenig übrig hatte für steuerfinanzierte Sozialleistungen und öffentliche Projekte, die durchweg als staatliche Unterstützung von „Schwarzen“ wahrgenommen wurden. Hier zeigte sich dann auch die Durchschlagskraft einer folgenschweren Diskursverschränkung, die bis heute Bestand hat: race und Sozialpolitik. Fortan konnte in der diskursiven Zuschreibung der singlemoms und welfarequeens sowohl gegen sozialstaatliche Leistungen des big government opponiert und im gleichen Zuge implizit dem rassistischen Ressentiment freier Lauf gelassen werden.
Auftauchen des rechten Populismus
Die 1960er waren aber auch der Durchbruch einer neuen Politikstrategie, welche den US-amerikanischen Konservatismus langfristig prägen sollte. George Wallace, Gouverneur von Alabama und Demokrat (!), begründete mit seiner erbitterten Feindschaft gegen die Aufhebung der „Rassentrennung“ die Grundpfeiler eines (rechts-)konservativen Populismus. Wallace polemisierte gegen die „Washingtoner Bürokraten“ und „Pseudo-Intellektuellen“, welche das ganze Land mit ihren „abgehobenen Politikvorstellungen“ regieren wollten – damit waren vor allem Politikinstrumente und Gesetze gemeint, welche die „Rassentrennung“ de facto aufhoben oder verringern sollten. Seine Mischung aus rassistischem Ressentiment, Anti-Eliten-Rhetorik und Anti-Intellektualismus etablierte sich als jederzeit wirksame Mobilisierungsrhetorik. Laut Lütjen waren es Richard Nixon und sein Vize Spiro Agnew, welche Ende der 1960er Jahre den Kampfbegriff von den „liberalen Eliten“ popularisierten, welche in der rechtspopulistischen Wahrnehmung als „versnobte Ostküsten-Oberschicht“ eher Politik für „sexuelle und ethnische Minderheiten“ machten, anstatt der_m hart arbeitenden Amerikaner_in zu seinem Recht zu verhelfen. „Die ‚liberale Elite’ in dieser Erzählung war gottlos, dekadent, unpatriotisch, aber vor allem unendlich bigott.“ (S. 63)
Flankiert von dieser populistischen Wende gelang es der konservativen Bewegung auch, sich ökonomisch zu stabilisieren. Zu Beginn der 1970er Jahre war „die amerikanische Rechte (...) längst ein multimilliardenschweres Unternehmen“ (S. 69). Aus dieser ökonomischen Basis etablierten sich bewegungsnahe thinktanks wie die Heritage Foundation und das Cato Institute, welche den politischen Diskurs der kommenden Jahre stark beeinflussten. Doch nicht nur die organisatorisch-institutionelle Architektur des US-Konservatismus sollte die elektorale „Erfolgsgeschichte“ der Republikaner begründen. Der Aufstieg der religiösen Rechten und deren Integration in die konservative Bewegung war ein entscheidendes Mobilisierungsmoment für die zukünftigen Wahlen. Einer der prominentesten Vertreter_innen sollte Georg W. Bush werden, der sich offen als re-born christ bezeichnete. Der religiösen Rechten ging es dabei weniger um Erfolg bei politischen Wahlen als um entscheidende Geländegewinne im culture war, also in der Zurückdrängung einer gesellschaftlichen Liberalisierung im Bereich der Lebensführung. Die Ironie der Geschichte war jedoch, so Lütjen, dass sie genau diesen verloren, aber durch ihre Daueragitation gegen Homosexuelle, gegen Abtreibung und den „Verfall der Sitten“ neue Wähler_innenschichten erschließen konnten, die vorher der Wahlurne ferngeblieben waren.
Letztlich endeten aber seit den 1980er Jahren alle republikanischen Präsidentschaften in ideologischer Ernüchterung, wie Lütjen darstellt. Sowohl die Amtszeiten von Reagan (1981-1989), als auch die der Bushs (1989-1993 und 2001-2008) hinterließen ein Rekordhaushaltsdefizit und für viele harte Konservative den Eindruck, dass keiner der Ihren regiert hatte, sondern wieder mal ein rechter Pragmatiker, der sich der liberalen Elite angedient hatte. Unterm Strich, so macht der Autor deutlich, wirkten diese Präsidentschaften aber als Wegbereiter zweier entscheidender Faktoren, die Donald Trump den Wahlsieg 2016 bescheren sollten. Am Ende der Bush-Präsidentschaft 2009 steht die Geburt der Tea Party, welche Paranoia und Angst zu einem zentralen Politikmittel machte. Von beidem wurde dabei vor allem in der konservativen „Echokammer“ Gebrauch gemacht. Lütjen argumentiert, dass sich in den USA zwischen Demokrat_innen und Republikaner_innen zwei Lebens- und Informationswelten etabliert hatten, in denen vollkommen verschiedene Realitäten produziert wurden, die für „neue Informationen“ undurchlässig waren und im „Inneren“ das Altbekannte reproduzierten – eben ein Wiederhall des Altbekannten. Teil dieser Medienindustrie sind beispielsweise Rupert Murdochs Fox News sowie die Radio- und TV-hosts Rush Limbaugh und Glenn Beck, welche während der Obama-Präsidentschaft immer wieder die Paranoia-Politik der rechten Tea Party diskursiv befeuerten.
Lütjen präsentiert an diesem Punkt seiner ideologiegeschichtlichen Rekonstruktion des US-amerikanischen Populismus seine Deutungsweise des Trumperfolges. Er argumentiert, dass Trump alle Kernelemente des Konservatismus über Bord geworfen habe und somit als „Anti-Ideologe“ auf reine Ressentiment-Politik und einen Hyperpopulismus zurückgreife, der letztlich das Politische selbst in Frage stellt:
„[E]xtreme Personalisierung; den Tabubruch als Methode; den Hang zum Verschwörungsdenken; den Anti-Intellektualismus; und dann eben auch die Konzentration auf einen aggressiven Ethno-Nationalismus – bei gleichzeitiger Flexibilität auf anderen Politikfeldern.“ (S. 130)
Die Implosion des amerikanischen Bewegungskonservatismus bestehe gerade in der Zuspitzung auf ihr anti-politisches Moment, welches mit kruder Ressentimentaktivierung und genereller „Feindschaft zum politischen System“ tendenziell in den 1960ern angelegt war. Lütjens knapper Essay ist einer der wenigen lesenswerten Versuche, Trumps Erfolg aus einer historischen, ideengeschichtlichen und zum Teil auch soft-materialistischen Perspektive zu erklären, ohne den Tendenzen subjektivierender Politikerklärungen à la „Modernisierungsverlierer_innen“ zu erliegen, welche in den hiesigen Feuilletons rauf und runter gebetet werden. Stattdessen bietet Lütjen eine Analyse an, in der Trump sozusagen aus der Geschichte der Republikaner selbst verstanden wird. Und hier liegen auch die Stärken des Buches: die spezifischen historischen und materiellen Bedingungen von Trumps Hyperpopulismus werden von Lütjen aus der politischen Kultur der USA herausgearbeitet und lassen sich nicht schablonenhaft auf die europäischen Verhältnisse übertragen. Viel zu virulent ist im europäischen Populismus das klassische ideologische Repertoire der Rechten in der Besetzung von Kultur, Volk und Nation unter regressiven Vorzeichen. Ein europäischer Trump wird wohl nicht realistisch sein, doch werden AfD und co. sich wohl einiges Abschauen beim Hotel-Mogul aus New York.
Partei der Extreme: Die Republikaner. Über die Implosion des amerikanischen Konservatismus..
Transcript Verlag, Bielefeld.
ISBN: 978-3-8376-3609-3.
145 Seiten. 14,99 Euro.