„Wir verstehen bislang höchstens zehn Prozent des Phänomens Rassismus“
- Buchautor_innen
- Emre Arslan
- Buchtitel
- Pax-Rassismus
- Buchuntertitel
- Eine Sozioanalyse zur integrativen Abwertung des migrantischen Subjekts
Wir lesen Bücher nicht nur kritisch, wir diskutieren sie auch gemeinsam: Çağan Varol spricht mit dem Politik- und Sozialwissenschaftler Emre Arslan über Rassismus im Schafspelz.
Çağan Varol: Hallo Emre, danke dass du dir Zeit genommen hast! Ganz knapp gefragt: Woher kam deine Idee für das Buch?
Emre Arslan: Mein ursprüngliches Interesse galt der Situation migrantischer Eltern im Bildungssystem. Studien zeigen, dass migrantische Eltern und ihre Kinder im Durchschnitt höhere Bildungsaspirationen haben als einheimische Familien, dennoch schneiden sie schlechter ab. Besonders erhellend fand ich die Studie von Mechthild Gomolla und Frank-Olaf Radtke aus dem Jahr 1998 zur institutionellen Diskriminierung in der Schule. Ich wollte diesen Prozess aus der Perspektive migrantischer Eltern und Kinder erklären. Im Forschungsprozess merkte ich jedoch, dass der theoretische Rahmen der beiden nicht ausreichte: Sie erklärten Diskriminierung vor allem aus der inneren Logik und den Bedürfnissen der Organisation Schule heraus. Ihre umfangreiche Dokumentation der Argumentationshaushalte von Lehrkräften zur Legitimation diskriminierender Praktiken finde ich zwar sehr nützlich. Doch die Lage migrantischer Kinder und Eltern konnte dadurch nur begrenzt erklärt werden, da die gesamtgesellschaftlichen Ursachen der Diskriminierung in ihrer Analyse fehlten. Während meiner Forschung kam ich zu dem Ergebnis, dass das Paradox der Schlechterstellung migrantischer Kinder in der Schule trotz höherer Bildungsaspiration nur durch Rassismus erklärt werden kann – einen Rassismus, der nicht nur innerhalb der Schule produziert wird. Dabei stellte ich fest, dass es keine ganzheitliche Theorie des Rassismus gibt.
Also braucht es mehr Bücher über Rassismus?
Einer meiner ersten wissenschaftlichen Aufsätze, den ich 2001 noch in der Türkei lebend schrieb, befasste sich mit Rassismus. Die marxistische Studie von Robert Miles, „Capitalism and Unfree Labor: Anomaly or Necessity”, war für mich damals eine zentrale Grundlage, um Rassismus zu verstehen. Als ich nach Deutschland kam, war ich überrascht, dass dieses Buch hier kaum diskutiert wird. Stattdessen wird häufig sein Einführungswerk über Rassismus behandelt, während seine Analysen zu Kapitalismus und unfreier Arbeit und die Auswirkungen davon auf die Subjekte kaum Beachtung finden. In Deutschland fand ich hingegen das Buch von Anja Weiß, das Rassismus mit den Theorien von Bourdieu verknüpft, sehr erhellend. Für meine eigene Auseinandersetzung damit wurde mir immer klarer: Um eine ganzheitliche Betrachtung des Rassismus zu entwickeln, muss neben der politischen Ökonomie und Soziologie auch die Psychologie als zentrale Säule einbezogen werden.
Am Anfang deines Buches machst du eine kritische Diskussion über die bisherige Forschung. Du beziehst dich positiv auf Critical Whiteness Ansätze, Postkolonialismus und feministische Denker*innen und gleichzeitig auf historisch-materialistische Ansätze, Wallerstein, Balibar und auch Bourdieu. Wie fügst du diese ziemlich unterschiedlichen Richtungen alle zusammen?
Ich würde sagen, dass mein Buch einen klaren roten Faden hat: die Sozioanalyse des Rassismus. Dafür integriere ich verschiedene Theorien: Ich beziehe mich positiv oder auch kritisch auf sie oder entwickle Begriffe weiter. Verschiedene Blickwinkel wie Postkolonialismus, marxistischer Feminismus, Critical Race Theory, Ethnomethodologie, historischer Materialismus oder Intersektionalität beleuchten in meinem Buch unterschiedliche Aspekte einer umfassenden Perspektive, auch wenn sie gewisse Beschränkungen aufweisen. Mein Wunsch nach einer ganzheitlichen Analyse hängt nicht nur mit meiner theoretischen Ausrichtung zusammen, sondern auch mit meiner eigenen Migrationserfahrung. Ich glaube, viele Migrant*innen bzw. migrantisierte Menschen – mich eingeschlossen – können sich mit der folgenden Aussage sofort identifizieren: „Rassismus ist überall.“ Diese Aussage ist schwer empirisch zu beweisen, aber für uns eine klare Tatsache, da man auch an völlig unerwarteten Orten und zu unerwarteten Zeiten immer wieder, oft in diffusen Formen, mit Rassismus konfrontiert wird. Wenn Rassismus tatsächlich überall ist, dann erfordert das eine möglichst ganzheitliche Analyse. Hierfür habe ich drei zentrale Ebenen hervorgehoben: Psychologie, Soziologie und politische Ökonomie. Diese Ebenen sind untrennbar miteinander verbunden, dürfen jedoch nicht aufeinander reduziert werden. Als ich versuchte, diese Ebenen zur Erklärung von Rassismus zu verbinden, merkte ich, dass es nicht ausreicht, sie lediglich zu einer einfachen Synthese zusammenzuführen.
Wie bist du stattdessen vorgegangen?
Ich betrachte Theorien als Wissensräume, die unterschiedliche Werkzeuge bereitstellen, und nicht als absolute Antworten auf alle Fragen. Die intersektionale Theorie etwa eröffnet neue Erkenntnisräume, indem sie die Kreuzungen verschiedener Subjektpositionen und Herrschaftsachsen betont. Das bedeutet jedoch nicht, dass sie alle Fragen beantworten kann. Die Stärke von Theorien sehe ich nicht in den Antworten, die sie liefern, sondern in den Fragen, die sie formulieren. Ein gutes Beispiel ist die berühmte Frage von Gayatri Spivak: Can the subaltern speak? In ihrer Laufbahn hat sie darauf verschiedene Antworten gegeben, doch die Frage selbst war bedeutsamer als jede einzelne Antwort. In meinem Buch habe ich mich intensiv mit dieser Frage auseinandergesetzt.
Der Titel deines Buches lässt einen auch zunächst einmal fragend zurück: Kannst du etwas zu deinem Titel „Pax-Rassismus“ sagen? Was meinst du damit?
Der ursprüngliche Titel meiner Arbeit war „Sozioanalyse des Rassismus“. Den Begriff „Pax-Rassismus“ entwickelte ich erst am Ende meiner Forschungsarbeit. In meinen früheren Arbeiten zum Thema verwendete ich Begriffe wie „wohltemperierter Rassismus“. „Pax-Rassismus“ ist das zentrale Ergebnis meiner sozioanalytischen Untersuchung des Rassismus. Mein Fazit war, dass die hegemoniale Form des Rassismus eine friedliche ist. Es herrscht eine weit verbreitete, aber irreführende Wahrnehmung, dass Rassismus hauptsächlich mit Krieg oder Hass gleichzusetzen sei. Ich sehe den Ausgangspunkt des Rassismus jedoch in der Ausbeutung, nicht im Töten, wie es beispielsweise Foucault nahelegt. Die koloniale Begegnung in der Moderne war primär eine Begegnung der Ausbeutung und nicht des Tötens. Krieg, Hass und Gewalt sind Bestandteile des Rassismus, aber nicht sein Hauptziel. Das Hauptziel liegt in der Ausbeutung durch Abwertung. Solange diese rassistische Abwertung „friedlich“ abläuft, braucht es keinen Krieg. Ähnlich wie „Pax Romana“ oder „Pax Americana“ impliziert „Pax-Rassismus“ ein friedliches Miteinander auf der Grundlage hierarchischer Beziehungen. Ich denke, wir sollten aufhören, Begriffe wie Frieden, Liebe, Ruhe oder Harmonie immer positiv zu bewerten. Ausbeutung, Abwertung und Erniedrigung werden oft friedlich und harmonisch umgesetzt.
Was ist deiner Meinung nach das Wesentliche am Rassismus in Deutschland?
Ich stelle die integrative Abwertung ins Zentrum meiner Erklärung des Rassismus. Es gibt viele Momente der Exklusion und Ausgrenzung, doch ich halte es für problematisch, unsere Analyse an diesem Punkt zu beenden und uns mit der bloßen Feststellung von Exklusion zufriedenzugeben. In der kapitalistischen Moderne gibt es, wie Wallerstein betont, zwei gegensätzliche Tendenzen: Einerseits möchte man möglichst alle Arbeitskräfte nutzen, andererseits möchte man diese so billig wie möglich halten. Rassismus, Sexismus und andere Herrschaftsformen fungieren als Techniken, um diese widersprüchlichen Tendenzen miteinander zu vereinbaren. Das bedeutet jedoch keineswegs, dass diese Ideologien in der Praxis perfekt funktionieren. Es gibt starke egalitäre Vorstellungen, die in der Praxis durchaus Wirkung zeigen, ebenso wie Fälle totaler Exklusion.
Wie verläuft diese Abwertung? Du gibst die Institution Schule als Beispiel an, kannst du mehr zur Forschung über schulische Diskriminierung sagen und über die Gruppen, die am meisten davon betroffen sind?
Die Institution Schule ist ein Paradebeispiel für integrative Abwertung in Deutschland. Migrantisierte Kinder werden von Lehrer*innen häufiger für Schulformen mit geringeren Perspektiven empfohlen. Sie erhalten proportional seltener Empfehlungen für das Gymnasium und sind in diesem Sinne von solchen Schulformen ausgeschlossen. Doch die Geschichte endet hier nicht: Migrantisierte Kinder werden ja keineswegs aus dem gesamten Schulsystem ausgeschlossen. Stattdessen sind sie überproportional in Förder- und Hauptschulen vertreten, die weiterhin Teil des Bildungssystems sind. Dort lernen die Kinder vor allem, dass es in dieser Welt viel zu lernen gibt – ihnen wird jedoch vermittelt, sie seien kognitiv nicht in der Lage, dies zu bewältigen. Die Schule produziert in erster Linie symbolische Herrschaft, die darauf abzielt, das Selbstbewusstsein der benachteiligten Kinder zu untergraben. Denn das Schulsystem in Deutschland, wie auch in den meisten anderen Ländern der Welt, bereitet Kinder auf die ungleiche Arbeitswelt vor. Wie Althusser betont, ist die Schule im modernen Kapitalismus der zentrale Ort der sozialen Reproduktion, da Kinder einen Großteil ihrer Zeit dort verbringen. Man könnte die Schule daher auch als einen zentralen Ort des Pax-Rassismus betrachten, da sie maßgeblich die Klassenposition der Kinder beeinflusst. Bei der Frage ‚Wie verläuft die integrative Abwertung in der Schule?‘ betone ich insbesondere die Abwertung von Migrant*innen durch die Aberkennung ihrer Subjektposition und Urteilskraft. Analysiert man beispielsweise Schulbücher, lässt sich feststellen, dass der imaginäre Adressat oft stillschweigend weiße Schüler*innen sind. Um diese Prozesse präziser zu beschreiben, entwickle ich Begriffe wie universelle und partikulare Subjektivierung weiter. Ein weiterer wichtiger Aspekt der integrativen Abwertung in der Schule ist die Abwertung des migrantischen Kapitals. So werden beispielsweise die Familiensprachen oder kulturellen Güter migrantischer Schüler*innen häufig als irrelevant für die anerkannte Kultur betrachtet – in manchen Fällen sogar als negativ bewertet.
Spielen sogenannte „christliche Werte“ in Kopplung mit konservativen Migrationspolitiken in dieser differenziellen Betrachtung von Migrant*innen eine Rolle?
Religion ist ein äußerst komplexes Thema, und allgemeine Aussagen können schnell irreführend sein. Das Christentum hat eine lange Geschichte mit vielen verschiedenen Ausprägungen, die stark von Ort, Zeit und Kontext abhängen. Wenn wir jedoch über Kolonialismus und Rassismus im historischen Kapitalismus sprechen, müssen wir die besonders Rolle des Christentums berücksichtigen. Christliche Missionare waren gewissermaßen die „friedlichen“ Träger der rassistischen und kolonialistischen Abwertung, Herrschaft und Ausbeutung. Ihre bedeutende Rolle in diesem Prozess (neben der Rolle der rassistischen Wissenschaft) betrachte ich als Beleg für meine These des Pax-Rassismus als hegemoniale Form des Rassismus. Wenn Rassismus hauptsächlich Tod und Krieg bedeuten würde, würden wir ausschließlich von der militärischen Macht des Westens sprechen und nicht von der Rolle von Religion oder Wissenschaft im modernen Kolonialismus. Im Zentrum des Rassismus und Kolonialismus der Moderne stehen private Unternehmen, die nicht nur vom Militär, sondern auch von Politik, Wissenschaft und Religion entscheidende Unterstützung erhielten.
Auch wenn christliche Religion und Aufklärung oft gegeneinander gekämpft haben, arbeiteten sie in der kapitalistischen Moderne häufig bei der Entstehung und Pflege eines rassistischen Wissensreservoirs zusammen. Das bedeutet jedoch nicht, dass das Christentum per se kolonialistisch oder rassistisch ist – genauso wenig, wie man die Wissenschaft pauschal als rassistisch bezeichnen kann.
Erleben wir heute in Europa nicht einen kulturellen Rassismus und einen Fokus auf nicht-christliche Gruppen? Wenn ja, wieso veränderte sich die Form des Rassismus?
Ich finde den Begriff „Kultur-Rassismus“ problematisch. Auch Begriffe wie „Neo-Rassismus“ oder „Rassismus ohne Rasse“ halte ich für irreführend. Kultur und körperliche Konstruktionen waren in der Entstehung des Rassismus stets untrennbar miteinander verbunden. Was nach dem Zweiten Weltkrieg neu ist, ist die Delegitimierung der Wissenschaft, die zuvor Rassenkunde betrieb. Ich sehe heute drei zentrale Quellen des Rassismus: den Ideologie-Effekt, den Hysteresis-Effekt und den Daseins-Effekt. Während die rassistische Wissenschaft heute delegitimiert ist, werden die Spuren kolonialer und rassistischer Bilder durch ideologische Strömungen – etwa die Rhetorik rechter oder konservativer Parteien – sowie durch strukturelle Effekte wie globale Ungleichheiten weiterhin aufrechterhalten und lebendig gemacht. Anstatt von „Rassismus ohne Rasse“ sehe ich heute eher eine „Rasse ohne Rassismus“. Rechtsextreme Parteien, die in ganz Europa an Einfluss gewinnen, müssen nicht zwangsläufig den biologischen Rassismus direkt reproduzieren. In Deutschland sehe ich die weiße Hautfarbe und einen christlichen Namen als zentrale Säulen des deutschen Rassen-Vertrags. Es erstaunt mich immer wieder, wenn Menschen mit Nachnamen wie Sarrazin oder de Maizière von deutscher Genetik oder deutscher Leitkultur sprechen, ohne dass ihr Deutschtum hinterfragt wird – obwohl ihre Namen eindeutig nicht deutscher Herkunft sind. Ein Schwarzer mit einem deutschen Namen wird häufig nicht als deutsch wahrgenommen, ebenso wenig wie ein blonder Mensch mit einem muslimischen Namen. Weiß-Sein ist daher mehr als eine bloße Hautfarbe, auch wenn die Hautfarbe in Deutschland eine Voraussetzung dafür ist. Es ist ein symbolisches Kapital, das auf der Grundlage von Rassenidentität funktioniert und sich in der Praxis in soziales Kapital verwandelt. Muslimisch-Sein oder Schwarz-Sein hingegen wird als symbolische Schuld wahrgenommen. Unterschiedliche Gruppen, die von Rassismus betroffen sind, tragen ihre jeweils spezifischen „Schulden“ in der Gesellschaft.
Wie meinst du das genau?
Insbesondere den Begriff „symbolisches Kapital“ von Bourdieu halte ich für äußerst wertvoll, um Rassismus auf der Ebene von Herrschaftsverhältnissen zu analysieren. Begriffe wie „symbolische Gewalt“ und „symbolische Ordnung“ erklären dabei verschiedene Aspekte desselben Phänomens. In Anlehnung an Bourdieu habe ich als Gegenbegriff zum symbolischen Kapital den Begriff „symbolische Schulden“ entwickelt. Es mag sein, dass dieser Begriff bereits verwendet wurde, aber ich bin bislang noch nicht darauf gestoßen. Für mich beschreibt „symbolische Schulden“ treffend die materielle Grundlage der Stigmata, die Benachteiligte tragen müssen. Viele muslimisch gelesene Menschen versuchen ständig zu beweisen, dass sie genauso modern sind wie andere. Eine jüdische Person trägt wiederum andere symbolische Schulden, ebenso wie eine Person chinesischer Herkunft. Jede marginalisierte Gruppe hat ihre eigenen spezifischen Lasten in Form dieser symbolischen Schulden.
In Deutschland beobachte ich im Übrigen eine Tendenz, Bourdieu zu „zähmen“, indem seine Begriffe voneinander isoliert betrachtet werden. Für mich ist Bourdieus Soziologie jedoch radikal relational, und genau diese Perspektive ist auch ein zentrales Anliegen meines Buches über Rassismus. Um die radikale Relationalität von Herrschaftsverhältnissen verständlich zu machen, brauchen wir einen Begriff wie symbolisches Kapital, Doxa, Habitus oder eben Sozialraum als Grundlage dieser Relationalität.
Was ich in deinem Buch nicht gefunden habe, ist eine Betrachtung des „sozialen Raumes“. Materialisiert sich Rassismus nicht auch räumlich?
Der Begriff Sozialraum kann tatsächlich einen geografischen oder politischen Ort wie eine Straße, eine Stadt oder ein Land umfassen. Für mich ist er jedoch mehr als das, da ein geografischer Ort nie isoliert betrachtet werden kann – insbesondere in unserer Zeit, in der der globale Kapitalismus dominiert. Wenn ich beispielsweise die Keupstraße nehme, über die du ja auch forschst, müsste man nicht nur über die gesamte Stadt Köln oder Deutschland sprechen, sondern auch über das kapitalistische Weltsystem. Fast alle Läden in dieser Straße gehören Migrant*innen, und diese Migrationsbewegungen lassen sich nur im Kontext des globalen Kapitalismus verstehen. Rassismus materialisiert sich ebenfalls räumlich, und seine Erscheinungsformen und Dynamiken müssen in Bezug auf ihren spezifischen Ort, Raum und Zeit analysiert werden. Allerdings darf man den Sozialraum nicht auf einen Ort reduzieren. Meines Erachtens sollte Migrationspolitik aus einer Weltsystem-Perspektive analysiert werden, wobei die ungleichen globalen Wirtschaftsverhältnisse als zentrale Ursache starker Migrationsbewegungen in den Fokus rücken müssen. Anders ausgedrückt: Aus meiner Sicht muss die globale Ungleichheit ins Zentrum der Migrationsdebatte rücken.
Danke dir, Emre! Möchtest du noch etwas hinzufügen am Schluss?
Du hast am Anfang gefragt, warum es noch ein weiteres Buch zum Thema Rassismus braucht. Tatsächlich gibt es bereits viele Bücher zu diesem Thema, und ich konnte in meinem Werk nicht alle auswerten. Dennoch behaupte ich provokativ, dass wir bislang höchstens zehn Prozent des Phänomens Rassismus wirklich verstehen – und das aus strukturellen Gründen. Solange die strukturellen Ursachen des Rassismus bestehen bleiben, bleibt die Vorstellung von einer rassismusfreien Gesellschaft oder Welt eine Illusion. Um diese Strukturen zu verändern, brauchen wir eine antirassistische Wissenschaft. Das bedeutet, dass wir die Realität mit neuen Werkzeugen und Methoden begreifen müssen. In unserer Welt existieren ständig Rassismus, Sexismus, Klassismus und andere Formen der Herrschaft, doch wir erfassen diese Prozesse meist nur bruchstückhaft. In meinem Buch habe ich versucht, mit neuen Begrifflichkeiten wie Pax-Rassismus, symbolische Schulden, partikulare Subjektivierung oder sozioanalytische Übertragung diese Prozesse etwas verständlicher zu machen. Doch auch das sind nur kleine Tropfen in der turbulenten Welt des aggressiven globalen Kapitalismus.
Pax-Rassismus. Eine Sozioanalyse zur integrativen Abwertung des migrantischen Subjekts.
Campus Verlag, Frankfurt a. M..
ISBN: 9783593519814.
336 Seiten. 40,00 Euro.