Wa(h)re Fiktion
- Buchautor_innen
- Markus Metz, Georg Seeßlen
- Buchtitel
- Kapitalismus als Spektakel
- Buchuntertitel
- Oder Blödmaschinen und Econotainment
In der Postdemokratie wird der Neoliberalismus zum kapitalen Schau-Geschäft, das Kultur, Politik und Gesellschaft gleichermaßen durchsetzt.
Man weiß es: Fernsehen macht dumm, und Banken sind böse. Das gehört mittlerweile ebenso zum kollektiven Allgemeinwissen wie der Kulturpessimismus zum salonfähigen Thema und eine umfassende Krisenrhetorik zum guten Ton des Feuilletons geworden sind. Braucht man da wirklich noch ein weiteres Buch über den Irrwitz des Turbokapitalismus und die dauerrotierende Weichspülung auf allen Kanälen? Durchaus – zumindest, wenn es sich bei diesem Buch um den neuen Essay von Markus Metz und Georg Seeßlen handelt.
Nach „Krieg der Bilder – Bilder des Krieges“ (2002) und „Blödmaschinen. Die Fabrikation der Stupidität“ (2011) kann man die beiden Publizisten mit Fug und Recht als Duo Infernale der populärwissenschaftlichen Medienkritik und schlechtes Gewissen des sogenannten „Kultur- und Wissenschaftsjournalismus“ bezeichnen. Auch mit ihrer neuen Veröffentlichung werden die notorischen Nestbeschmutzer der „Journaille“ ihrem Ruf mehr als gerecht. „Kapitalismus als Spektakel – Oder Blödmaschinen und Econotainment“ lautet der Titel des mit 92 Seiten vergleichsweise schlanken Büchleins, das inhaltlich und methodisch an die monumentale Generalabrechnung mit Medien, Wirtschaft und Politik aus „Blödmaschinen“ anknüpft. Schon der Titel macht klar: Hier wird der Mittelfinger erhoben. Aber auf eine intelligente, eloquente und ja, auch „unterhaltsame“ Weise.
Blödmaschinen und Econotainment
Dabei ist „Unterhaltung“ eigentlich die große Angriffsfläche des kleinen Buches. „Der neue Kapitalismus ist kein System und kein Glaube mehr, er ist Spektakel“ (S. 10), stellen Metz und Seeßlen im Vorwort fest. Ihren Essay wollen sie als „Teil eines work in progress“ verstanden wissen, der die „teils fiktive, teils sehr reale Verbindung zweier Blödmaschinen, der Ökonomie und der Unterhaltung“ (ebd.) in den Fokus rückt – eine Verbindung, die bis in die letzten Winkel des gesellschaftlichen Lebens vordringt und von Metz und Seeßlen als „Econotainment“ bezeichnet wird.
Was genau damit gemeint ist, legen die Autoren in vier Kapiteln nuanciert dar: Es geht um die „Redbullisierung“ (S. 22) von Sport und Kultur, um die mediale Ikonisierung von Steve Jobs zu „Saint Steve – de[m] Heilige[n] der letzten Tage des Kapitalismus“ (S. 37), um „Kampagnen-Journalismus“ über „faule Griechen“ (S. 50), um die Suggestionen und Illusionen des „medialen Mitmach-Kapitalismus“ (ebd.) – und letztendlich um das, worauf der ganze Zirkus hinausläuft, nämlich die schleichende „Bürgerenteignung durch Postdemokratie und Finanzkapitalismus“ (S. 88).
So weit, so polemisch – und so wenig überraschend. Ähnliche Entmündigungsszenarien kennt man in der Literatur bereits aus Aldous Huxleys „Brave New World“ (1932), und in Neil Postmans medienkritischem Standardwerk „Wir amüsieren uns zu Tode“ heißt es schon 1985: „There is no business BUT show business“ (Postman 1998, S. 122). Bemerkenswert an „Kapitalismus als Spektakel“ sind denn auch nicht in erster Linie die Thesen, sondern der Scharfsinn und Weitblick, mit denen Metz und Seeßlen den spektakulären Kapitalismus und das kapitalistische Spektakel analysieren.
Entmystifizierung und Ideologiekritik
„Wir leben nicht einfach in einer ‚Wirtschaftskrise‘ oder einer ‚Krise des Kapitalismus‘ – von der wir schon jetzt wissen, wer davon profitiert und wer die Zeche zahlt. Wir leben in einer Krise der großen Welterzählung“ (S. 70). Wenn die Autoren die Bildwelten und Narrative der Hochleistungs-Spaß-Marke Red Bull decodieren, mit denen nicht nur Adrenalin, sondern auch ein bestimmtes Arbeitsethos verkauft wird, wenn sie den „Appleismus“ (S. 43) als Ersatzreligion in den Blick nehmen und die Heiligsprechung von „iGod“ (S. 39) Steve Jobs in den Medien nachzeichnen, erweisen sie sich in einem sehr wörtlichen Sinn als „moderne Mythenleser“ – und knüpfen dabei durchaus an eine alte Tradition an: Methodisch aktualisiert sich hier eine Form der Diskursanalyse, die Roland Barthes 1956 als „Entmystifizierung“ (Barthes 2012, S. 316) bezeichnet und in seinen „Mythen des Alltags“ programmatisch vorformuliert hat. Barthes bezeichnet den modernen Mythos als „entpolitisierte Rede“ und ideologisches „Alibi“ (Barthes 2012, S. 269f., S. 294); seine Entzifferung muss folglich immer auch eine Ideologiekritik sein, die der entpolitisierten Rede des Mythos eine politische Rede des Widerstands entgegensetzt – ein Impetus, den auch Metz und Seeßlen verfolgen und der deutlich aufklärerische Züge aufweist.
Dies zeigt sich mithin auch dort, wo die Autoren hinter die Kulissen der „Spektakelindustrie“ (S. 81) blicken und mit chirurgischer Präzision deren Mechanismen offenlegen. In einem kenntnisreichen Exkurs über die Arbeitgeber-Organisation INSM (Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft) wird gezeigt, wie Lobbyismus und neoliberales Agenda-Setting im multimedialen Zeitalter aussehen – und wie dabei durch gezieltes Platzieren von „Sickerbotschaften“ (S. 65) in Wahlkämpfen und Printmedien („Sozial ist, was Arbeit schafft“), aber auch in Kochshows und Homestories über Prominente, in Musikbroschüren und Flyern auf den Toiletten von Szenelokalen sowie in Unterrichtsmaterialien an Schulen und bei Rhetorik-Kursen an Universitäten eine „strukturelle Korruption der gesellschaftlichen Institutionen, der Medien, Schulen, Universitäten“ (S. 68) betrieben wird: „Big Brother war ein Waisenknabe dagegen“ (S. 67).
Das mag verdächtig nach Verschwörungstheorie klingen, doch Metz und Seeßlen geht es um die Darstellung eines systemischen Problems, das längst zum Selbstläufer geworden ist und in einer Aushöhlung der Demokratie sowie einem übersteuerten Medienkapitalismus gipfelt:
„Postdemokratie begann nicht zuletzt damit, dass sich Politik und Medien bedingungslos voneinander abhängig gemacht haben. Der Post-Kasinokapitalismus kann damit beginnen, dass sich Finanzmarkt und Medien ebenso bedingungslos voneinander abhängig machen. Was im Kasinokapitalismus als eine vollkommen normale, oft sogar arbiträre und rasch sich selbst regulierende Bewegung auf den Finanzmarkt erschien, das wird im Medienkapitalismus zu einer bedeutungsschwangeren, orakelhaften Dramaturgie […]. Mediale Hysterisierung verwandelt sich daher derzeit von einem Instrument der Rettung in eine ernsthafte Bedrohung“ (S. 78).
Auf Kredit- oder Glaubwürdigkeit (also: Wahrheit) kommt es im kapitalen Schau-Spiel leerer Versprechen und ungedeckter Beträge (das immer auch ein Schau-Geschäft mit der Angst der Konsumenten ist) längst nicht mehr an, denn: „Im Econotainment muss nichts stimmen, aber alles stimmig sein“ (S. 59). Daran ändert laut Metz und Seeßlen auch eine feuilletonistische Kapitalismuskritik nichts, die lediglich ein „erlaubtes Gesellschaftsspiel“ (S. 8) sei und als salonfähiges Raunen dem System weniger schade als ihm vielmehr das Wort rede.
Rien ne va plus?
Gewiss, dieses Buch ist wenig subtil oder „beflüüügelnd“, und der gallige Ton kann bei der Lektüre bisweilen bitter aufstoßen. Trotzdem spricht daraus kein abgeklärter Zynismus. Metz und Seeßlen haben eine klare Message. Ausgestreckter Mittelfinger und erhobener Zeigefinger wechseln sich ab, analytischer Höhenflug und knietiefe Polemik bedingen einander. Was „Kapitalismus als Spektakel“ so lesenswert macht, ist, dass es genau jene kritische Meta-Reflexion bietet, die in der aktuellen Medienberichterstattung zum blinden Fleck geworden ist. Die Leser_innen werden weder in düstere Hoffnungslosigkeit entlassen noch lädt die Lektüre zum frustrierten Achselzucken oder lähmenden Selbstmitleid ein. Die Pointe steht, wie bei jeder guten Denk-Schrift, am Schluss:
„Doch gibt es für Bürgerinnen und Bürger eine […] Möglichkeit, auf die Nachkrisenenteignung nicht nur ihres Besitzes, ihres Einkommens, ihrer Ersparnisse und ihrer Hoffnungen, sondern ihrer ganzen Person, der Enteignung ihrer Menschlichkeit, zu reagieren: die Revolte“ (S. 88f.).
Zusätzlich verwendete Literatur
Barthes, Roland (2012): Mythen des Alltags. Suhrkamp, Berlin. Postman, Neil (1998): Wir amüsieren uns zu Tode. Urteilsbildung im Zeitalter der Unterhaltungsindustrie. Fischer, Frankfurt am Main.
Kapitalismus als Spektakel. Oder Blödmaschinen und Econotainment.
Suhrkamp, Berlin.
ISBN: 978-3-518-06256-2.
88 Seiten. 5,99 Euro.