Vom Erbe der Frauenbewegung
- Buchautor_innen
- Anne Lenz / Laura Pateau
- Buchtitel
- Feminismen und "Neue Politische Generation"
- Buchuntertitel
- Strategien feministischer Praxis
Anhand von qualitativen Interviews mit Berliner Aktivist_innen versuchen Lenz und Paetau aus deren gegenwärtigen feministischen Praxen Strategien für zukünftige Feminist_innen abzuleiten.
Es hatte so vielversprechend angefangen: Die kämpferischen Riot-Grrrl-Zitate lehnten sich in der Einleitung weit aus dem Fenster, um dem neoliberalen Geplapper der karrierebewussten Postfeministinnen und sexy Alpha-Mädchen mit der notwendigen Frischluft zu begegnen. Denn ob letztere „in irgendeiner Form Geschlechterverhältnisse politisieren“ (S. 10), ziehen die beiden Autor_innen stark in Zweifel. Sie fordern stattdessen einen Gegendiskurs, der sich nicht mit dem reflexhaften Abrufen von Gleichberechtigungsrhetoriken begnügt, wenn sich Ungleichbehandlung und Diskriminierung aufgrund des zugeschriebenen Geschlechts als ein der bürgerlichen Gesellschaft eingeschriebenes gewaltförmiges Moment manifestieren. Feminismus hat, so die normative Bestimmung von Lenz und Paetau, herrschaftskritisch zu sein und soll nicht flirten mit neoliberalen Umstrukturierungsprozessen.
Die Autor_innen schreiben sich damit in die offiziell vor vier Jahrzehnten begonnene Geschichte bewegter Feministinnen ein, deren Errungenschaften sie wertschätzen und als deren Erb_innen sie sich begreifen. Während eine Skandalisierung patriarchaler Verhältnisse damals noch mithilfe von fliegenden Tomaten erfolgte, hat sich seitdem eine feministische Kritik an den Universitäten eingerichtet und professionalisiert, die Geschlecht als mit anderen Herrschaftsverhältnissen verwoben betrachtet und sich von dem kollektiven Wir der alten Frauenbewegung verabschiedet hat.
Von der Akademie aus starten schließlich Lenz und Paetau ihre Untersuchung und fragen sowohl, wo und wer die aktuellen feministischen Akteur_innen sind als auch, wie ihre politische Praxis aussieht. Sich selbst im Spannungsfeld zwischen Theorie und Praxis verortend, wollen die beiden mit ihrer Studie die notorische Vernachlässigung der feministischen Theoriebildung gegenüber feministischen Praxen beheben. Gekonnt reflektieren sie dafür ihr methodisches Rüstzeug und entwickeln den analytischen Begriff der Neuen Politischen Generation, um einen Vergleich zur damaligen Frauenbewegung herstellen und Kontinuitäten und Brüchen nachspüren zu können. Die biografisch orientierten Interviews mit acht Berliner Aktivist_innen (darunter ein selbstidentifizierter Mann) und eine_r Netz-Aktivist_in sind allesamt im linkspolitischen Milieu anzusiedeln: Organisiert in politischen Gruppen arbeiten die Interviewten – mit Ausnahme der Letzteren – kritisch zu Kapitalismus, Rassismus, Migration, Geschlecht und Sexismus.
Die informierten und übersichtlichen methodischen, theoretischen und historischen Kapitel vermögen im Anschluss leider nicht dem Anspruch der aufgeworfenen Fragestellung gerecht zu werden; wenig erkenntnisreich wirken die drei aus den Interviews herausgearbeiteten Strategien im letzten Drittel des Buchs. So distanziert sich die Feminist_in von heute scharf von jener identitären Bezugnahme auf die Genusgruppe Frau, die noch für die alte Frauenbewegung konstituierend war. Statt in der Opferrolle zu verharren, reflektiert sie ihre eigene Sprecher_innenposition, die nicht mehr lediglich geschlechtlich, sondern ebenso klassistisch und rassistisch strukturiert ist. Des Weiteren ist Mutterschaft für sie noch immer ein großes Thema, während eine antisexistische Haltung als Grundelement in ihre feministische Praxis eingeflossen ist. Feminismus als lebenslange Mission, Standpunktreflexion oder als Recht auf Verweigerung: So behutsam Lenz und Paetau ihr methodisches Repertoire zu Beginn auch justieren, sie schaffen es damit nicht am Ende zu aussagekräftigen Ergebnissen zu gelangen. Die vollmundige Ankündigung einer Neuen Politischen Generation im Buchtitel fällt den Autor_innen auf die Füße, wenn sie sich im letzten Kapitel eingestehen müssen, dass ihr Sampling zu klein und zu sehr auf einen bestimmten sozialen Kontext begrenzt war: „Wen genau haben wir eigentlich erforscht? Die Neue Politische Generation oder vielmehr eine Neue Politische Szene in Berlin?“ (S. 139)
Die Selbstkritik aber wird von den beiden Autor_innen konstruktiv gewendet, denn sie ermöglicht ihnen die Ausgangsfragestellung – wie sich die gegenwärtige feministische Praxis konstituiert – zu verschieben und den Blick „über den links-aktivistischen Tellerrand“ (S. 139) für nicht als explizit feministisch gelabelte Strategien zu schärfen und damit vielfältige Widerständigkeiten sichtbar zu machen, die eine dezidiert links zentrierte Brille häufig zu übersehen Gefahr läuft.
Feminismen und "Neue Politische Generation". Strategien feministischer Praxis.
Westfälisches Dampfboot, Münster.
ISBN: 978-3-89691-778-2.
151 Seiten. 19,90 Euro.