Streaming Like a Girl
- Buchautor_innen
- T. L. Taylor
- Buchtitel
- Watch Me Play
- Buchuntertitel
- Twitch and the Rise of Game Live Streaming
Die facettenreiche Darstellung des Streamings leistet Grundlagenarbeit, lässt aber eine tiefgreifende kritische Auseinandersetzung vermissen.
„Watch me play“ – so fasst die US-amerikanische Soziologin T.L. Taylor das Phänomen des öffentlichen Live-Streamings von Videospielen zusammen – in Anlehnung an klassische Titel, die Streamer*innen ihren Video-Streams geben. Beim Live-Streaming überträgt sich eine Person, in der Regel aus dem privaten Wohnraum heraus, live beim Spielen eines Videospiels. Die Zuschauer*innen können dabei über einen Chat mit ihr und untereinander interagieren. Auch wenn die Plattform Twitch – die am populärsten für das Streaming genutzt wird – einige Funktionen eingebaut hat, die eine Nutzung des Chats für Belästigungen durch die Zuschauenden limitieren soll, so zeigt sich in der Praxis, dass das Tool des Chats, welches zunächst allen Personen zur Verfügung steht, vielfach Diskriminierung und Hassrede fördert.
Nähert man sich der Thematik des Streamens von Gaming-Inhalten aus einer geschlechtertheoretischen Perspektive, so sticht für den deutschsprachigen Raum aktuell vor allem die Online-Hass-Kampagne gegen die deutsche Streamerin und Gamerin Shurjoka ins Auge. Diese ist seit 2023 regelmäßig öffentlichen Diffamierungen und antifeministischen Angriffen von (anderen) bekannten deutschen Streamern ausgesetzt. Dabei gibt es viele Parallelen zur sogenannten GamerGate-Kampagne 2014, einer gezielten und öffentlich breit diskutierten Onlineattacke gegen weibliche und queere Gamer*innen unter dem Hashtag #GamerGate, vor allem im US-amerikanischen Raum. Hierbei handelte es sich um gezielt gesteuerte Massenaktionen, in denen Streamerinnen während ihres Streams im Chat (sogenannte „hateraids“), mittels misogyner Emotes, über die Erstellung von Zweitkanälen bis hin zu Morddrohungen, belästigt und bedroht wurden. Dieses durch seine Öffentlichkeitswirksamkeit für die Branche einschneidende Ereignis hat nicht zuletzt zu einer Thematisierung des Feldes Gaming als Forschungsinteresse in der Geschlechterforschung geführt.
Kritische Wissenschaft im Headquarter des Großkonzerns
Zuvor war im Bereich der Geschlechterforschung und in der Soziologie das Phänomen des Streamens von Gaming-Inhalten kaum Gegenstand, auch in den Game Studies leisteten nur einige wenige empirische Studien und Beiträge zu Geschlecht einen Übertrag von Videospielen auf gesellschaftstheoretische Zusammenhänge. Diese Lücke schloss T.L. Taylor mit ihrer im Jahr 2018 erschienenen Monografie „Watch me play“. Hierzu hat Taylor umfangreiche Daten erhoben: Durch Teilnahme an Streamingmessen, über wochenlange Aufenthalte in Online-Communities, Besuche bei Streamer*innen in deren privatem Wohnraum, bis hin zu Interviews und Observationen bei dem Streaming-Konzern Twitch.
Am wissenschaftlichen Design der Studie wird die generelle Problematik der kritischen wissenschaftlichen Betrachtung von Plattformen wie Twitch oder YouTube deutlich. So müssen diese Plattformen in ihrer Funktion als Massenmedien, die Diskurse formen, eingeordnet werden: Durch die Möglichkeit, dass theoretisch jede*r Inhalte uploaden kann, vermitteln sie zunächst den Eindruck der Partizipation und Redefreiheit. Gleichzeitig handelt es sich um kapitalorientierte Großkonzerne mit entsprechenden Interessen. So steuert Twitch zum Beispiel in seiner Unternehmensstrategie gezielt, welche Inhalte Streamer*innen uploaden sollen. Diese werden dann mit Features wie einer Twitch-Partnerschaft oder einem Status als Twitch-Ambassador entlohnt. Zur Einordnung: Das für das Streaming maßgeblich genutzte Livestreaming-Portal Twitch ist seit 2014 Teil des Unternehmens Amazon. Twitch verzeichnete im Jahr 2023 im Schnitt 30 Millionen tägliche Zuschauer*innen und hat sich längst zu einem Massenmedium etabliert. Diese Schnittstelle wird in der bisher vorliegenden Literatur kaum mitgedacht und verhindert so oftmals eine tieferliegende strukturelle Analyse der Phänomene Gaming und Streaming.
Fake gamer girls & grills (sic)
In ihrer Arbeit erwähnt Taylor Phänomene wie Sexismus, LGBTIQ-Feindlichkeit und Rassismus immer wieder als Querschnittsthemen. Sie macht dabei deutlich, dass sie eine kritische und geschlechterreflektierte Perspektive verfolgen möchte und betont auch die gesellschaftliche Bedeutung des Streamings und Gamings: „Games Matter!“ (S. 14) Ihre Analyse zeigt die Verzahnung des Gamings und Streamings mit dem alltäglichen Leben, dem Körper sowie den sozialen und politischen Welten der Akteur*innen.
„Ähnlich wie Sport oder andere Medienformen ist Unterhaltung eng mit Geschlecht, race und Sexualität, sozialer Identität und Gemeinschaft, normativen Modellen und komplexen Regulationssystemen verbunden. Was oft als ‚einfache Freizeit‘ oder ‚Spaß‘ abgetan wird, ist in Wirklichkeit von zentraler Bedeutung und prägend für unser gesamtes soziales und politisches Leben.“ (S. 11f., Übers. JW)
Dabei gelingt Taylor der oben erwähnte Spagat zwischen kritischer Wissenschaft und der Einbettung des Forschungsfeldes in den Zusammenhang von Twitch als kapitalorientierter Company nicht immer. Die Erfahrungen von weiblichen und queeren Streamer*innen werden von Taylor eher unter dem Blickwinkel „Diversity“ betrachtet. So stellt sie vor allem Diskurse um Stereotype und Sichtbarkeit sowie Maßnahmen gegen Belästigung ins Zentrum. Sie beschreibt auf Twitch präsente Diskurse wie beispielsweise die „Befürchtung“, Frauen könnten versuchen, als „Fake gamer girls“ mit ihrem Aussehen Zuschauerinnen zu generieren, ohne „echte“ Gamerinnen zu sein. Außerdem geht sie auf das weit verbreitete linguistische Meme ein, junge Frauen als „grills“ (intentional abwertend, statt girls) zu bezeichnen, beziehungsweise anzusprechen. Sexismus und weitere Formen der Diskriminierung werden so auf die Identitätsebene verschoben, die strukturelle Ebene bleibt außen vor. Es fehlt eine klare Konstatierung, dass diese hegemonialen Systeme der Plattform Twitch immanent sind. So gibt es beispielsweise einen deutlichen strukturellen Zusammenhang zwischen den Akteuren der #GamerGate-Kampagne und rechter (maskulinistischer) Online-Radikalisierung.
Ein Funken Klasse
Gleichzeitig unternimmt Taylor an manchen Stellen Versuche einer Verknüpfung von Sexismus und kapitalistischen Verhältnissen. So stellt sie Überlegungen zu Streaming als einer „new form of media labor“ (neue Form der Arbeit in Medien (S. 133)) an und betont in diesem Zusammenhang:
„Während die Resilienz und die Taktiken dieser Streamer*innen beeindruckend sind, ist es von entscheidender Bedeutung, die zusätzlichen Praktiken anzuerkennen, die marginalisierte Streamer*innen als Arbeit – materiell, sozial und emotional – leisten, um auf der Plattform zu bleiben.“ (S. 114, Übers. JW)
Dass der Umgang mit Sexismus und LGBTIQ-Feindlichkeit maßgeblich davon beeinflusst ist, dass die Streamer*innen auf den Plattformen auch monetäre Interessen verfolgen (müssen), zum Beispiel ihren Lebensunterhalt mit dem Streaming verdienen, wird von Taylor nicht als Argument verfolgt, lässt sich aber als Randnotiz finden: „Ihr Erfolg ist mit der Plattform verknüpft, und daher sind sie sowohl praktisch als auch oft emotional von ihr abhängig.“ (S. 134, Übers. JW)
Auch wenn „Watch me play“ an vielen Stellen, gerade mit Blick auf Geschlechterverhältnisse, eine tiefgehende kritische Analyse vermissen lässt, so besticht das Buch doch durch seine facettenreiche Darstellung des Phänomens Streamings und der Plattform Twitch. Gerade weil es noch an weiterer wissenschaftlicher, politischer und journalistischer Auseinandersetzung mit dem Phänomen des Streamings fehlt, ist diese Monografie ein Muss für alle, die an den darin angestoßenen Fragestellungen weiterdenken wollen.
Watch Me Play. Twitch and the Rise of Game Live Streaming.
Princeton University Press, Princeton, NJ.
ISBN: 9780691183558.
328 Seiten. 30,00 Euro.