Risse im System
- Buchautor_innen
- Raul Zelik
- Buchtitel
- Mit PODEMOS zur demokratischen Revolution?
- Buchuntertitel
- Krise und Aufbruch in Spanien
Dieses Buch ist weit mehr als eine Einführung zum Parteiprojekt Podemos, bettet es dieses in die Geschichte Spaniens wie auch in die aktuelle politische Lage ein.
Wer sich, vom Buchtitel angesprochen, eine primäre Beschäftigung mit den Chancen oder Illusionen der Partei Podemos erwartet, der_die dürfte enttäuscht sein. Denn bereits bei einem Blick in das Inhaltsverzeichnis wird deutlich: Podemos nimmt hier vergleichsweise wenig Platz ein. Nicht nur vom „demokratischen Aufbruch seit den Platzbewegungen 2011“ und der Entwicklung der „neuen Anti-Austeritätspartei Podemos“, sondern auch von der „anderen“, nämlich „weitgehend unbekannte[n] Geschichte Spaniens“ (S. 11) will das neueste Buch von Raul Zelik berichten. Denn ohne diesen Hintergrund könne man, so Zelik, die derzeitigen Konflikte und Dynamiken im spanischen Staat auch kaum verstehen. Gemeint sind die Diskussionen um eine Reform der sogenannten Verfassung von 1978, genauso wie der anhaltende Konflikt zwischen der Madrider Zentralregierung und den Unabhängigkeitsbewegungen im Baskenland und Katalonien. Außerdem wird ausgeführt, wie sich neben Podemos noch weitere erfolgreiche linke Projekte entwickelt haben, die ebenfalls eine Alternative zur neoliberalen Politik bieten wollen. Somit hat sich Zelik, der sowohl als Schriftsteller wie Politikwissenschaftler bekannt ist, auf knappen 200 Seiten recht viel vorgenommen.
Unter der Überschrift „Die Last der Transición“ wird im ersten Kapitel deutlich, dass es sich beim Übergang Spaniens von der Franco-Diktatur in eine parlamentarische Demokratie keineswegs um eine lupenreine Erfolgsgeschichte handelt – zumindest aus linker Perspektive. Werde der Übergang als Verdienst von König Juan Carlos und einiger demokratisch gesinnter Politiker geschildert, würde unterschlagen, dass eine „kontrollierte Modernisierung durchaus im Interesse der franquistischen Machteliten lag und von diesen gewollt war“ Mehr noch: „Soziale Kämpfe, Jungendrevolte, bewaffneter Kampf und das Erstarken der Unabhängigkeitsbewegung“ (S. 28) hätten den Staat in eine politische Krise getrieben, während parallel die wirtschaftlichen Eliten zunehmendes Interesse an einer europäischen Integration Spaniens gezeigt hätten. Gerade letzteres habe aber eine formal demokratische Staatsform vorausgesetzt.
Zelik spricht daher von einem - nicht als formalen Pakt zu verstehenden - „historischem Kompromiss“ zwischen den franquistischen Modernisierer_innen und anti-franquistischen Parteien. Die politische Liberalisierung infolge der „Transición“ habe zwar bürgerliche Freiheiten gebracht, dabei aber die etablierten (ökonomischen wie politischen) Machtverhältnisse größtenteils unangetastet gelassen. Keiner der Verantwortlichen der Diktatur musste sich vor Gericht für die zahllosen Verbrechen verantworten, die Polizei habe weiter Folter betrieben. Auch die konservative Regierungspartei Partido Popular steht für Zelik noch in einer Kontinuität zum Franquismus. Die Entscheidung Zeliks, an dieser Stelle etwas weiter auszuholen, erweist sich jedenfalls als richtig: Durch diese Hintergründe werden die mit der 15M-Bewegung ausgebrochenen Diskussionen um den Zustand der Demokratie in Spanien deutlich verständlicher und konkreter.
Voodoo-Ökonomie und soziale Proteste
Das zweite Kapitel beginnt Zelik mit der These, dass Spanien auch nach 30 Jahren EU-Mitgliedschaft über keine zukunftsfähige ökonomische Grundlage verfüge. Das spanische Wirtschaftsmodell der Vorkrisenjahre bezeichnet er als spekulative „Voodoo-Ökonomie“ - was sich mit dem Platzen der Immobilienblase als fatal offenbart habe. Dabei waren es absurderweise die EU, IWF und OECD-Experten, die meinten, der spanische Boom „beruhe auf einem stabilen Fundament [...] und werde anhalten“ (S. 54). Heute behaupten die gleichen Expert_innen, Spanien habe jahrelang über seine Verhältnisse gewirtschaftet. Überhaupt kommt die Wirtschaftspolitik der EU bei Zelik nicht gut weg. Denn sie habe den
„entwickelten Staaten der europäischen Peripherie nicht etwa dabei [geholfen], ihre Industrien zu modernisieren und zu schützen, sondern propagiert im Gegenteil die Konzentration auf den Dienstleistungssektor, sprich eine Deindustrialisierung des Südens. Die europäischen Randstaaten sollen sich auf den Aufbau ihrer Infrastruktur, Immobilien, Handel, Tourismus und ein bisschen Landwirtschaft konzentrieren – genau das und die vom Boom aufgeblähte Konsumnachfrage jedoch führen dazu, dass das Leistungsbilanzdefizit bis 2007 auf 10 Prozent des BIP steigt“ (S. 65).
In Zuge der Krise kommt die europäische „Rettungspolitik“ auch nach Spanien. Während der spanische Staat die Schulden von Privatbanken übernimmt, verpflichtet er sich zu einer drastischen Reduktion der Sozialausgaben. Zelik führt eine lange Liste der Kürzungen an, die vor allem den Gesundheits- und Bildungsbereich betreffen. Hinzu kommen eine Erhöhung der Mehrwertsteuer auf 21 Prozent, Privatisierungen öffentlicher Unternehmen und die Deregulierung von Arbeitsverhältnissen. Trotzdem verdreifachen sich zwischen 2007 und 2015 die spanischen Staatsschulden. Für Zelik ist es daher falsch, die EU-Politik als reine „Sparpolitik“ zu bezeichnen, denn im Kern stünde „nicht Austerität, sondern Umverteilung: die sozial integrativen Funktionen des Staates werden zugunsten des Finanzkapitals und der großen Konzerne rückgebaut“ (S. 67).
Vor diesem Hintergrund beschreibt das dritte Kapitel die „Rückkehr der Bewegungen“ im spanischen Staat. Zelik zufolge herrschen in den 2000er Jahren zunächst schlechte Ausgangsbedingungen für politische Bewegungen, da die Gesellschaft als entpolitisiert erscheint. Wichtige Impulse kommen dennoch über die zapatistische Revolte und ihre Rezeption in der globalisierungskritischen Bewegung. Die schwappt schließlich auch nach Spanien. Mit der Bewegung V de Vivienda („W wie Wohnung“) werden dann ab 2006 die negativen Seiten des Immobilienbooms thematisiert: Wer sich eine Wohnung kauft, verschuldet sich faktisch auf Lebenszeit – während so gut wie kein Mietmarkt als Alternative existiert. Mit V de Vidienda werden laut Zelik bereits Inhalte und Praxen von 15M vorweg genommen.
Und dann sind da noch die Autonomiebewegungen. Da der Staatspakt von 1978 eine territoriale Einheit Spaniens vorsieht, ist die Antwort des Staates weiterhin eine nationalistisch-autoritäre, heißt, er ist kaum zu Zugeständnissen bereit. So macht sich die Erfahrung in Katalonien breit, dass die spanischen Institutionen nicht reformierbar sind. Veränderungen „scheinen nur gegen die und außerhalb der Institutionen möglich“ (S. 87). Zelik sieht daher im „Katalanismus“ weniger einen Wohlstandschauvinismus am Werk als vielmehr einen „demokratischen Impuls, der sich gegen das Madrider Diktat richtet und damit auf die grundlegenden Widersprüche der Transición verweist“ (S. 83). Dies erklärt zumindest, warum sich viele Linke, nicht aber die katalanischen Unternehmerverbände an der Bewegung beteiligen.
Von 15M zu Podemos
All dies ist schließlich der Hintergrund, vor dem sich dann 2011 mit 15M laut Zelik „eine der dynamistischen Protestwellen der jüngeren europäischen Geschichte“ (S. 92) Bahn bricht. Deren unmittelbarer Erfolg liegt für ihn „im Eindringen bislang nicht organisierter Menschen in die Politik und in der Erfindung neuer Kommunikations- und Aktionsformen“ (ebd.). Trotz der Vielfalt und Kreativität der sozialen Bewegungen scheint die spanische Regierung die Proteste jedoch einfach auszusitzen. Sie produzieren keine relevanten ökonomischen Schäden und sind letztlich nicht in der Lage, die Regierung zu Fall zu bringen.
Das vierte Kapitel widmet Zelik daher der Linkspartei Podemos, die bei den spanischen Parlamentswahlen im Dezember 2015 auf 20 Prozent der Stimmen kam, sowie dem, was als „munizipalistische Linke“ verstanden werden kann – offene kommunale Wahlplattformen wie Ahora Madrid oder Barcelona en Comú, die jeweils die Kommunalwahlen in ihren Städten gewinnen konnten. Vor dem Hintergrund, dass die Proteste die Regierung nicht beeinflussen konnten und dass sich Ermüdungserscheinungen in den sozialen Bewegungen breit machten, begann an mehreren Stellen eine Debatte darüber, wie eigene Position stärker in die Institutionen gelangen können. Während die einen an der genannten munizipalistische Variante zu arbeiten beginnen, plädieren andere für eine gesamt-spanische Parteigründung, der sie ein ähnliches Potenzial wie der Syriza in Griechenland zutrauen. Zelik schildert informativ, wie sich die Führungsfiguren von Podemos entwickelt haben, was ihre theoretischen Prämissen sind (zum Beispiel Theoretiker eines Linkspopulismus wie Ernesto Laclau), was die internen Konfliktlinien sind und letztlich auch, wie aus dem ursprünglich basisdemokratischen gedachten Projekt eine zunehmend hierarchische Partei wurde. Er kritisiert dabei auch, dass die Parteiführung von Podemos im Vorfeld der nationalen Wahlen immer stärker von Positionen abgerückt ist, die sie auf der Linken verorten. Hinter Maßnahmen wie der Zentralisierung der Partei oder dem Abrücken von radikalen Forderungen sieht Zelik die Wiederholung eines klassischen Fehlers der (parlamentarischen) Linken, die
„die Eroberung der Regierungsmacht immer schon für das einzig entscheidende Kriterium erfolgreicher Politik gehalten hat. Damit gibt sie die zentrale Erkenntnis des 15M preis, dass nämlich die Repräsentationsformen der bürgerlichen Demokratie und die konstituierte Staatsmacht selbst Teil des Problems sind“ (S. 181).
Die stärksten Sympathien lässt Zelik selbst übrigens für die kleine katalanische Partei CUP erkennen, die er als „linksradikal“ einstuft und die hierzulande trotz sensationeller Wahlerfolge noch kaum bekannt ist. Es ist überhaupt der Konflikt zwischen Katalonien und Madrid, dem er zur Zeit die größte Sprengkraft für das politische System Spanien zutraut.
Insgesamt glänzt das Buch dadurch, dass es sowohl unheimlich fundiert recherchiert wie auch gut strukturiert und ungemein flüssig zu lesen ist. Die lockere, aber nie oberflächliche Art, in der Zelik zu schreiben weiß, übertrifft den trockenen Charakter, den linke Fachtexte leider in aller Regel mit sich bringen, bei weitem.
Mit PODEMOS zur demokratischen Revolution?. Krise und Aufbruch in Spanien.
Bertz+Fischer Verlag, Berlin.
ISBN: 978-3-86505-733-4.
224 Seiten. 9,90 Euro.