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Obamas Krisen-Empire

Buchautor_innen
Ingar Solty
Buchtitel
Die USA unter Obama
Buchuntertitel
Charismatische Herrschaft, soziale Bewegungen und imperiale Politik in der globalen Krise

Ingar Solty legt in einer detailreichen Studie eine kritische Bilanz der ersten fünf Regierungsjahre Barack Obamas vor.

Die Hoffnungen, die mit dem Amtsantritt Barack Obamas als 44. Präsidenten der USA verbunden waren, können aus der Retrospektive getrost als naive Projektion abgestempelt werden. Weltweit und vor allem in der linksliberalen Presse Deutschlands kam man aus dem Schwärmen für den ehemaligen Harvard-Absolventen („Obamanie“, „Obama-Syndrom“) während seines Wahlkampfes nicht heraus. Ganz dem Mantra des kulturindustriell flankierten Werbefeldzuges „Change“ verfallen, nahm man die angekündigte Schließung des Gefängniskomplexes Guantanamo Bay für bare Münze, der US-Truppen-Rückzug aus Afghanistan und dem Irak schien so gut wie erledigt und die Einführung eines versprochenen Krankenversicherungssystems, das zumindest die gröbsten Risiken spätkapitalistischer Gesellschaften auffangen sollte, schien nur noch Formsache.

Fünf Jahre nach dem Regierungsantritt des mittlerweile zum Friedensnobelpreisträger gekürten US-Präsidenten ist es allemal Zeit eine Zwischenbilanz zu ziehen. Und die, das kann vorneweg gesagt werden, fällt keineswegs positiv aus, wenn man das Urteil der detailreichen Studie des linken USA-Forschers Ingar Solty zugrunde legt. Soltys Buch „Die USA unter Obama. Charismatische Herrschaft, soziale Bewegung und imperiale Politik in der globalen Krise“ ist die erste umfassende empirisch fundierte Analyse der ersten fünf Regierungsjahre Barack Obamas. Die fünf Kapitel der Studie setzen sich aus insgesamt sechzehn Artikeln zusammen – zum großen Teil unveränderte Nachdrucke −, die der Autor zwischen 2008 und 2012 in linken Periodika veröffentlicht hat. Theoretisch fundiert und inhaltlich gebündelt werden die Kapitel durch eine ausführliche Einleitung, die als Quintessenz der Ergebnisse und Argumentation Soltys gelesen werden kann.

Renaissance des Neoliberalismus

Als zentrale These seiner Studie formuliert Solty, dass unter Barack Obama der in die Krise geratene Kapitalismus mithilfe von Staatshilfen eine neue Renaissance erfahren hat und gestärkt weitermachen kann wie bisher:

„Das Obama-Krisenmanagement läuft, anders als von vielen Beobachtern erhofft, nicht auf eine Transformation des kriselnden neoliberalen in einen stabileren, grünen Kapitalismus hinaus; Obamas Politik hat – vor dem Hintergrund der gesellschaftlichen Kräfteverhältnisse und im Einklang mit der Politik in den anderen fortgeschrittenen kapitalistischen Ländern – den neuen Staatsinterventionismus, der durch die Krise nötig wurde, genutzt, um den Neoliberalismus zu rekonstruieren und schickt sich nun – trotz rhetorischer Bekenntnisse zur Sozialstaatlichkeit niedriger Intensität in den USA – an, den Neoliberalismus in Zusammenarbeit mit den Republikanern zu vertiefen“ (S. 15f.).

Entgegen einer strukturalistischen Lesart kapitalistischer Entwicklung, welche Akteuren keine Rolle innerhalb des kapitalistischen (Re-)Produktionsprozesses zugesteht, belegt Solty, dass Obamas pragmatische Politik unter Einbeziehung der Republikaner maßgeblich dazu beigetragen hat, mögliche qualitative sozio-ökonomische Veränderungen für große Teile der US-Amerikaner_innen durchzusetzen (S. 60). Deutlich wird dies vor allem an dem kurz nach seinem Amtsantritt verabschiedeten 787 Milliarden US-Dollar schweren Konjunkturprogramm. Die zunächst als Ende der neoliberalen Wirtschaftspolitik gefeierte Staatsintervention scheiterte letztlich an seiner wackeligen Konstruktion und an seinen internen Widersprüchen. Trotz der keynesianischen Staatshilfen auf Bundesebene waren die Einzelsaaten qua Verfassung verpflichtet, einen ausgeglichenen Haushalt vorzulegen, was demnach zu einer sogenannten „versteckten Austerität“ führte, in deren Anschluss es auf kommunaler Ebene zu drastischen Stellenstreichungen kam, die vor allem den Bildungssektor trafen. Zusätzlich verstärkt wurde die Sparpolitik der kommunalen Haushalte durch die aufgrund der Immobilienkrise ausfallenden Steuerzahlungen. Einer der größten Widersprüche des Konjunkturpaketes ist aber das völlige Fehlen eines öffentlichen Beschäftigungsprogrammes, welches in der Lage gewesen wäre, den Stellenabbau in der Krise wenn nicht zu stoppen so doch aber zu dämpfen. Das Scheitern des Konjunkturprogramms, die misslungene grünkapitalistische Wende, die innenpolitische Hegemoniekrise der USA und die anhaltende ökonomische Krise produzieren Spannungen, die im Sinne einer imperialen Außenpolitik bearbeitet werden wollen. Doch auch hier sieht sich die Obama-Administration mit einer bröckelnden Führungsposition konfrontiert.

Reproduktionskrise des US-amerikanischen Kapitalismus

Sowohl das triple deficit – zeitgleiche Verschuldung von Privathaushalten, hohes Leistungsbilanzdefizit der US-Wirtschaft sowie die Verschuldung des US-Haushaltes – und die damit verbundene Brüchigkeit des US-Dollars als Leitwährung als auch die zunehmende wirtschaftspolitische Dominanz der Regionalmächte EU und allen voran Chinas haben die US-Administration in eine Position gebracht, in der es ihnen nicht mehr länger möglich scheint, ihre ökonomische Dominanz durch ihre Funktion als „globaler Konsumtionsschwamm“ (S. 82) zu sichern. Doch gerade die ökonomische Fähigkeit, als globaler Megaimporteur Staaten in das US-Imperium zu integrieren, die auf eine Abnahme von Produktionsüberschüssen und Exportwaren angewiesen sind, war in den vergangenen Jahrzehnten ein Garant der außenpolitischen Stärke der US-Regierung. Vor allem durch die zunehmende marktwirtschaftliche Unabhängigkeit der europäischen und asiatischen Staaten geht diese imperiale Gleichung nun nicht mehr ohne weiteres auf. Als eine Lösungsstrategie dieses Widerspruchs skizziert Solty die Bemühungen der Obama-Administration seit 2011 eine Reindustrialisierungsstrategie voranzutreiben, die eine Verdoppelung der Exporte anstrebt. Dies soll vor allem mit Bildungs- und Infrastrukturinvestitionen bewerkstelligt und von verringerten Importzöllen und Investitionsanreizen flankiert werden (S. 54).

Mehr als fraglich ist die Umsetzbarkeit dieser Standortpolitik. Und selbst wenn US-Firmen ihre Produktion in die Vereinigten Staaten rückverlegen, werden diese wohl mit stark automatisierter Produktion zwar hohe Profite erzielen, aber eben keine Arbeitsplätze schaffen. Die Reindustrialisierungsstrategie, so könnte man mit den Ausführungen Soltys folgern, ist ein Klassenprojekt von oben, was kurzfristig freies Kapital binden könnte:

„Diese Entwicklung bedeutet jedoch nicht nur eine Tendenz zur wachsenden organischen Zusammensetzung des Kapitals, sondern eben auch, dass sich eine etwaige Reindustrialisierung weitgehend als ‚beschäftigungsloses Wachstum‘ vollziehen würde, dessen Früchte von den ‚1%‘ der Shareholder geerntet würden“ (S. 55).

Libyenkrieg

Zu dieser Reproduktions- und Orientierungskrise der US-Ökonomie stellt die gegenwärtige außenpolitische Konstellation die größte Herausforderung für das American Empire dar. Als Erbe der Bush-Administration hat Obama die militärischen Auseinandersetzungen in Afghanistan und dem Irak mit auf den Weg bekommen. Mit seiner Wahl zum Präsidenten verband sich auch der Wunsch vieler US-Amerikaner_innen nach einem Abzug der Truppen, der wohl mit der Aufstockung des US-Truppenkontingentes zerplatzt sein dürfte.

Obamas Außenpolitik brach nur in Teilen mit denen der Bush-Jahre und fügte den beiden Dauereinsätzen die militärische Intervention in Libyen hinzu. Solty zeigt in einer Rekonstruktion der historischen politisch-ökonomischen Entwicklung Libyens, dass sich der militärische Angriff auf Libyen keinesfalls mit einer klassischen Theorie des Imperialismus begreifen lässt, bei der das Ziel der imperialistischen Aggression die Nutzbarmachung und Kontrolle von Ressourcen (Öl, Gas etc.) ist. Zu Beginn der 1990er Jahre schwenkte die libysche Regierung nach dem Zusammenruch der Sowjetunion, den massiven Wirtschaftssanktion und dem niedrigem Ölpreis ohne gezielten äußeren Druck auf eine neoliberale Wirtschaftspolitik um (S. 209). Solty argumentiert, dass ein mögliches Motiv für den militärischen Schlag ein weiterhin gesicherter freier Zugang zu Öl-Ressourcen in Libyen sein könnte, da der Ölpreisstabilität im Kontext der globalen Krise eine gewichtige Rolle zukam (S. 214). Dazu scheint die Obama-Regierung mit dem Libyenkrieg einem Einflussverlust in der Region zuvorkommen zu wollen, indem sie die Protestbewegungen im arabischen Raum mit Hilfe ihrer militärischen Partner finanziell und militärisch unterstützt (S. 218f.). Ein drittes Motiv ist für Solty die ideologische Festigung des „Menschenrechtskrieges“, der im Falle Libyens mit einem angeblichen Luftkrieg Gaddafis gegen die Zivilbevölkerung legitimiert wurde (S. 221).

Chinas Herausforderung

Wie auch immer die militärische Intervention in Libyen im Kontext der politischen Ökonomie des American Empire zu deuten ist, mit China zeigt sich ein Regionalhegemon, der der US-Regierung die machtpolitische Vorherrschaft eindeutig streitig macht. 2011 formulierte die damalige US-Außenministerin Hillary Clinton den Anspruch der USA, sich als Hegemon im asiatisch-pazifischen Raum zu etablieren (S. 229), was bis heute nur vereinzelt gelungen ist. Solty arbeitet heraus, dass die Gründe hierfür zum einen an der Erfolglosigkeit der Etablierung einer asiatisch-pazifischen Freihandelszone unter Führung der USA liegen. Zum anderen scheint es China im Rahmen multilateraler Abkommen zu gelingen, zum wichtigsten ökonomischen Partner von Staaten der Region zu werden (S. 227) und das auch deshalb, weil mit dem Chiang-Mai-Initiative-Multilateralisation-Agreement ein Währungsreservensystem in Gang gebracht wurde, das als Alternative zum Dollar und Euro begriffen werden kann. Die Obama-Administration reagiert auf die zunehmende ökonomische Bedeutungslosigkeit der USA mit einer verstärkten Truppenkonzentration im asiatisch-pazifischen Raum. Dazu zählt unter anderem der Ausbau von Militärbasen in Afghanistan sowie die numerische Aufrüstung von Marine- und Luftwaffenstützpunkten in Australien und Guam. Detailliert zeigt Solty in seiner Studie auf, wie gerade Afghanistan zu einem Dreh- und Angelpunkt zukünftiger militärischer Operationen in der Region werden und wie die US-Truppenkonzentration im Kaukasus zu einer geopolitischen Frontstellung mit Russland, China und dem Irak führen könnte (S. 231).

Ingar Soltys Studie zur US-amerikanischen Politik der ersten fünf Obama-Jahre bestechen durch ihre empirische Genauigkeit und beeindruckende Recherche. Auch wenn nicht alle Interpretationen geteilt werden, kann man sagen, dass Solty hierzulande wohl zu Recht als einer der ausgewiesenen linken USA-Forscher gilt. In „Die USA unter Obama“ gelingt es ihm sowohl innen- als auch außenpolitische Dynamiken aufeinander zu beziehen und sinnvoll mit der politischen Ökonomie des American Empire zu verbinden. Dass das nicht immer einfach zu lesen und zu verstehen ist, dürfte klar sein, aber es lohnt sich allemal.

Ingar Solty 2013:
Die USA unter Obama. Charismatische Herrschaft, soziale Bewegungen und imperiale Politik in der globalen Krise.
Argument Verlag, Berlin.
ISBN: 978-3-86754-312-5.
344 Seiten. 23,00 Euro.
Zitathinweis: Jens Zimmermann: Obamas Krisen-Empire. Erschienen in: Deutschland im Krieg. 32/ 2014. URL: https://kritisch-lesen.de/s/tVTQa. Abgerufen am: 08. 12. 2024 22:04.

Zum Buch
Ingar Solty 2013:
Die USA unter Obama. Charismatische Herrschaft, soziale Bewegungen und imperiale Politik in der globalen Krise.
Argument Verlag, Berlin.
ISBN: 978-3-86754-312-5.
344 Seiten. 23,00 Euro.