Nur völkisch-konservative Heimchen am Herd?
- Buchautor_innen
- Andreas Hechler / Olaf Stuve (Hg.)
- Buchtitel
- Geschlechterreflektierte Pädagogik gegen Rechts
Ein längst überfälliger Sammelband zu pädagogischen und theoretischen Praktiken der Trias Geschlecht – Pädagogik – Neonazismus, der aber auch Fragen offen lässt.
Die etablierte Forschung zum Thema Neonazismus/extreme Rechte ignorierte lange Zeit die Bedeutung von Geschlecht und Sexualität in Bezug auf neonazistische Lebenswelten und Ideologien. Und das, obwohl von feministischer Seite seit Beginn der 1990er Jahre auf die Bedeutung von Frauen in der extremen Rechten und deren Weiblichkeitskonstruktionen hingewiesen wird, so etwa durch das Forschungsnetzwerk Frauen und Rechtsextremismus. Sogar noch deutlich jünger und noch weniger ausgearbeitet ist eine intensivere Debatte über Männlichkeiten und Neonazismus. Da verwundert es nicht, dass es erst seit wenigen Jahren Arbeiten und praktische Angebote bezüglich geschlechterreflektierter Ansätze der pädagogischen Neonazismusprävention gibt.
Der vorliegende Sammelband stützt sich auf Ergebnisse und Erkenntnisse aus drei Fortbildungs,- Beratungs- und Forschungsprojekten von Dissens – Institut für Bildung und Forschung zum Thema Geschlecht und Neonazismus(prävention). Er liefert insgesamt 18 Beiträge zu pädagogischen und theoretischen Fragestellungen. Teil eins befasst sich mit pädagogischen Praktiken und stellt Ansätze pädagogischer und beratender Arbeit sowie Zielgruppenarbeit in den Mittelpunkt. Teil zwei widmet sich wissenschaftlichen Aspekten und theoretisierenden Überlegungen rund um den Themenkomplex Geschlecht und Neonazismus. Geschlecht und Sexualität werden hierbei unter drei zentralen Aspekten berücksichtigt: erstens als „zentrale Strukturkategorien für eine Analyse extrem rechter Lebenswelten, Verhaltensweisen und Einstellungen“ (S.9), zweitens als (geschlechterreflektierte) Ergänzung der Neonazismusprävention und drittens, – mit anderen Herrschaftsverhältnissen und Diskriminierungskategorien verschränkt – zu einer intersektionalen Perspektive zusammengedacht.
Gesellschaftliche Rahmenbedingungen
Die Herausgeber stecken im Vorwort klar die Grenzen pädagogischer Arbeit ab und verweisen deutlich auf eine gesamtgesellschaftliche Verantwortung: „Nationalstaaten und Kapitalismus, um nur zwei zu nennen, begünstigen rechte Denkformen. All das lässt sich pädagogisch nur sehr bedingt bearbeiten“ (S.10). Sie kritisieren, dass wieder einmal ein gesellschaftliches Problem auf Pädagog_innen bzw. deren jugendliche Zielgruppen abgewälzt und somit die Perspektive verzerrt wird: Dabei haben Menschen ab 60 Jahren die höchsten Zustimmungswerte zu neonazistischen Einstellungsmustern vorzuweisen. Das zeigt deutlich: Neonazismus ist ein gesamtgesellschaftliches Problem, welches nicht nur Jugendliche betrifft und dem nicht nur mit (Sozial)Pädagogik allein begegnet werden kann.
„Die Fehler oder Mängel immer wieder bei den Pädagog_innen zu suchen, greift angesichts häufig miserabler Arbeitsbedingungen zu kurz. Hier muss umgekehrt die Kritik an den Arbeitsbedingungen selbst ansetzen. Deren Verbesserung stellt die Voraussetzung dar, angemessen pädagogisch gegen Rechts arbeiten zu können“ (S.11).
Mainstreamdiskurse als neonazistische Anknüpfungspunkte
Die Herausgeber konstatieren: „Extrem rechte Geschlechteranforderungen (sind) oftmals lediglich eine zugespitzte Form zweigeschlechtlich-heteronormativer Vorstellungen im Mainstream, die in eine völkische Ideologie eingebettet werden“ (S.21). Ein völkisch-konservativer Familienpopulismus, Männlichkeits- und Weiblichkeitsfetische, Schwulen-, Lesben-, Trans*- und Inter*feindlichkeit, Feminismus und „Political Correctness“ als gemeinsame Feinbilder, verbissene Kämpfe gegen Gender Mainstreaming, enthierarchisierende Sexualpädagogik und Abtreibung sowie eine konservative Sexualmoral sind also kein „Protest“ gegen gesellschaftliche Verhältnisse, wie allgemein gerne gedeutet wird, sondern eine Zuspitzung bestehender Mainstreamdiskurse. Folgerichtig stellen Hechler und Stuve in ihrem Beitrag heraus: Solange die bestehenden Verhältnisse so bleiben, „werden Neonazis darin Anknüpfungspunkte für ihre Anliegen finden“ (S.51). Dies zeigt sich unter anderem im Aufsatz von Patrick Wielowiejski und Lena Rahn, die am Beispiel der Kampagne „Todesstrafe für Kinderschänder“ eindrücklich aufzeigen, dass es sich nicht um ein „Instrumentalisierung“ des Themas durch Neonazis handelt, die sehr schnell Mehrheiten generiert, sondern dass der Zuspruch vor allem durch die generelle Offenheit der „bürgerlichen Mitte“ zu neonazistischen Denkmustern erwächst.
Prävention oder Intervention: Beziehungsarbeit mit rechten Jugendlichen?
Trotz schwieriger Arbeits- und gesellschaftlicher Rahmenbedingungen muss sich die (Sozial)Pädagogik der Problematik des Neonazismus annehmen. Die Autor_innen verweisen im Bezug auf pädagogische Arbeit mit rechten Jugendlichen auf ein zentrales Dilemma auf verschiedenen Ebenen innerhalb der Pädagogik, welches seit den 1990er Jahren für Diskussionen sorgt: Wie kann eine Beziehungsarbeit mit rechten Jugendlichen aussehen? Wie lässt sich der Anspruch auf pädagogische Förderung mit dem Auftrag der Antidiskriminierungsarbeit der Kinder und Jugendhilfe vereinbaren? Und: auch hier der Verweis auf die Problematik schlechter Arbeitsbedingungen und Überforderung von Pädagog_innen, die in der Praxis schlimmstenfalls rechte Szenen sogar erstarken lassen können. Verschiedene Beiträge des Sammelbandes liefern Handlungsempfehlungen, Methoden, Praxisreflexionen und Konfliktfeldbeschreibungen als Handreichung für Praktiker_innen. Ganz klar werden dabei aber die Zielgruppen benannt: Pädagogische Arbeit innerhalb der Kinder- und Jugendarbeit mit Neonazi-Kadern und Aktivist_innen ist gefährliche Zeitverschwendung. Interventionsarbeit muss sich auf Sympathisant_innen und Mitläufer_innen beschränken, allerdings auch nur unter bestimmten Voraussetzungen und Arbeitsbedingungen. Die Präventionsarbeit – auf die sich der Sammelband im Wesentlichen konzentriert – nimmt dabei eine besondere Stellung ein: Sie soll dazu genutzt werden, neonazistischen Orientierungen bestenfalls von vorn herein vorzubeugen.
Die These der geschlechterreflektierten Neonazismusprävention lautet dabei: Die frühe Etablierung geschlechtlicher und sexueller Vielfalt und Gleichheit hat einen präventiven Einfluss. „Zentral darin ist die Annahme, dass die kritische Auseinandersetzung mit Geschlecht und Sexualität immer auch neonazismuspräventiv ist, da der Neonazismus nur mit ganz bestimmten Männlichkeiten und Weiblichkeiten funktioniert“ (S.45). Gleichzeitig sollen hierarchisierende und diskriminierende Dynamiken in pädagogischen Situationen und Settings grundsätzlich im Blick behalten werden. Die Analyse von Wechselwirkungen zwischen individueller Ebene und Strukturebene soll „Handlungsmöglichkeiten erweitern und eine Unterstützung in alltäglichen pädagogischen Auseinandersetzungen sein“ (S.12). Die geschlechterreflektierte Neonazismusprävention will also ein Gegenbild entwerfen, denn, so die Annahme, „wenn vielfältige Lebensweisen (…) für Kinder und Jugendliche selbstverständlich sind, kann dies ein wichtiger Beitrag zu einer Prävention von Neonazismus und eine wichtige Voraussetzung für ein demokratisches Miteinander im Alltag sein“ (S.46).
Zu kurz gedacht?
Insgesamt liefern die Autor_innen des Sammelbands einige spannende Aspekte zum viel zu wenig beachteten Zusammenhang zwischen Geschlecht – Pädagogik – Neonazismus. Inhaltlich ist der Band sehr umfangreich und breit gefächert. Es werden sowohl Anregungen für die Praxis (zum Beispiel in Form von konkreten Methoden) als auch wichtige Impulse für die theoretische Auseinandersetzung geliefert. Positive Aspekte des Bandes bestehen zudem auch darin, dass die Autor_innen immer wieder Verweise und Rückbezüge von neonazistischen Einstellungsmustern auf ihre Entstehungsbedingungen in der „bürgerlichen Mitte“ der Gesellschaft vornehmen. Sie betonen weiter die Wichtigkeit, antifaschistische, LSBT*IQ, nicht-neonazistische Alternativen jugendkultureller und politischer Zusammenhänge als Teil der Neonazismusprävention zu fördern, anstatt ihre Bekämpfung als „Extremisten von links“ weiter voranzutreiben. Auch die Tatsache, dass die schlechten Arbeitsbedingungen von Praktiker_innen und die daraus resultierende Überforderung, sowie fehlende Anerkennung konsequent im Blick behalten wird, ist erwähnenswert.
Zu kritisieren sind hingegen einige Schwachpunkte des Sammelbandes, wie die wenig überzeugenden Theorien einer Autorin bezüglich der Hinwendungsgründe junger Frauen zur rechten Szene (zum Beispiel familiengeschichtliche Ereignisse aus der Zeit des Nationalsozialismus, die in der Familie bisher nicht bearbeitet wurden, ein auffälliger Zusammenhang mit dem der Verlust der Mutter und/oder extreme Traumatisierungen). In Bezug auf den Ansatz der geschlechterreflektierten Neonazismusprävention stellt sich an einigen Stellen zudem die Frage, ob dieser nicht zu kurz gedacht ist. Wie lassen sich hier etwa neuere Bewegungen wie die autonomen Nationalist_innen, in denen sich Frauen selbst als „kämpfende Front“ sehen, einordnen? Der geschlechterreflektierte Ansatz läuft teilweise Gefahr, selbst nur die typischen Bilder vom völkisch-konservativen Heimchen am Herd mit blonden Zöpfen und Kindern am wallenden Rockzipfel zu reproduzieren:
„Wenn (…) sich ein Junge nicht als Kämpfer, Familienernährer und Beschützer beweisen muss, oder sich ein Mädchen nicht als Mutter, verantwortlich für das Wohl des Ganzen und den Mann und die Familie stützend profilieren muss, dann ist es unwahrscheinlicher, dass diese in neonazistischen Kreisen landen“ (S. 46).
Die Autor_innen räumen zwar ein, dass die Geschlechternormen innerhalb der extremen Rechten bis zu einem gewissen Grad fluider geworden sind, beziehen sich dann aber auf die allgemeine Ausdifferenzierung jugendkultureller Szenen: „Der zeitgenössische (jugendliche) Neonazimus präsentiert sich als Kombination aus Freizeitgestaltung, Lebensgefühl und politischer Botschaft und findet sich in fast allen bestehenden Jugendkulturen“ (S.54). Gleichzeitig gehen die Verfasser_innen davon aus, dass es, in den – größtenteils männlich dominierten Subkulturen – bestimmte Nischenplätze für Frauen gibt (etwa Renees in der Skinheadszene) und folgern dann, „dass die Freiräume kleiner werden, je älter die jeweiligen Akteur_innen werden, da – insbesondere bei Frauen – ab einem bestimmten Zeitpunkt der 'Aufgabe' der Reproduktion der 'Volksgemeinschaft' nachgekommen werden muss“ (S.55). Hier wird sehr schabloniert argumentiert und außer Acht gelassen, dass es auch innerhalb der extremen Rechten durchaus einen Facettenreichtum in Bezug auf Frauenbilder gibt. Diese Leerstelle ist nicht nur inhaltlich unzureichend, sondern auch gefährlich vereinfachend, vor allem, wenn es um einen Transfer in die Praxis geht.
Geschlechterreflektierte Pädagogik gegen Rechts.
Verlag Barbara Budrich, Leverkusen.
ISBN: 978-3-8474-0695-2.
390 Seiten. 24,90 Euro.